Die Schindemee (Die schwimmenden Inseln der Meere)

Höre Reisender, denn was ich dir zu sagen habe, wirst du nicht glauben wollen, nicht glauben können, doch ist es war, was ich sage. Bei dem Bier in meiner Hand. Wenn du Seemannsgarn vernehmen willst, dann sollst du es hören und ich werde dir von etwas erzählen, was du weder je gesehen, noch von dem du je gehört hast. Ich will dir erzählen von den Schindemee.
Solltest du je einen Schindemee sehen, so wirst du es gar nicht bemerken, denn fliegst du über ihn hinweg, so glaubst du unter dir in den Weiten des Ozeans nur eines zu sehen: Eine kleine Insel, die vielleicht die Spitze eines Vulkanes ist.
Wenn du auf einem Schindemee stehst, so wirst du glauben, auf einem seltsamen Eiland zu stehen, überkrustet von unzähligen Schnecken und doch das Gefühl haben, der Boden unter dir ist weich, wie das Gras einer Frühlingswiese. Solltest du aber die Möglichkeit haben, ein Schindemee von allen Seiten zu sehen, so würdest du feststellen, dass es aussieht wie zwei Kegel, die an ihren spitzen zusammen gewachsen sind. Jeder Kegel wird bis zu 75 Meter lang und der Durchmesser der Kegelbasis beträgt bis zu 20 Meter.
Sinnesorgane wirst du nicht erkennen, denn überall an seinem Leib sind diese Schneckenkrusten, die ihn wie einen Panzer überziehen und so die reine Form vor dem Auge des Betrachters verschwimmen lassen. Aber doch sind sie da, denn das Schindemee atmet, fühlt und scheidet aus. Doch gerade zu Letzterem später.
Wer wirklich versucht, diese Schneckenhäuser zu entfernen, wird bald auf eine ledrige, graublaue Haut treffen, wie sie bei Dickhäutern der Meere durchaus nicht unüblich ist.

Wie aber mag sich so ein Gigant ernähren. Nun, mein Freund, viele sagen, dass die Sonne eine große Rolle spielt, denn die Schindemee schwimmen immer der Sonne nach und doch können sie sie niemals erreichen. Wenn die Sonne untergeht und es Nacht wird, verhaaren die Schindemee, kommen an die Wasseroberfläche und liegen wie eine Insel im Meer, mit einem Kegelboden nach oben.
Steigt die Sonne wieder, beginnt das Leben in ihnen und sie folgen dem Lauf. Dabei bedienen sie sich einer ungewöhnlichen Technik, denn durch feine Öffnungen saugen sie ‚vorne’ Wasser am Kegelboden ein, komprimieren es in ihrer Körpermitte und stoßen es hinten wieder aus. Dabei können sie diesen Antrieb auch umkehren, denn Stürme in der Nacht drehen ein Schindemee durchaus einmal.
Natürlich saugen sie dabei Unmengen kleinster Lebewesen in sich ein und ob die hinten wieder alle rauskommen – wer weiß? Aber das ist es, wie ich glaube, wovon sie sich ernähren.

Von ihrem Liebesspiel willst du etwas erfahren? Ich fürchte, da muss ich dich enttäuschen, denn wie es scheint, haben diese Giganten keine Geschlechter. Einige behaupten, dass sie sich nach einem langen Leben, das viel größer ist, als das aller Sterblichen und Jahrtausende zählt, sich in der Mitte teilen, das alte Schindemee so verstirbt, aber zwei Neue dadurch entstehen, die sich dann daran machen, wieder zu zwei Kegeln auszuwachsen.
Und doch gibt es auch eine zweite Sichtweise ihrer Vermehrung. Der Stoffwechsel der Schindemee ist langsam. So langsam, dass sie nur einmal in einem Jahrzehnt ausscheiden. Dabei spaltet sich die Hülle des Schindemee ab, als sei er ein gigantischer Schmetterling. Diese Ausscheidungspuppe sinkt zum Grund des Meeres und wirkt oft dabei, wie eine Doppelhelix. Diese Ausscheidung ist fortan nicht nur der Grundstock neuen Lebens am Meeresboden, nein, es heißt auch, dass nach vielen Jahrhunderten ein neues Schindemee daraus erwachsen würde, sich abspaltet und dann seinen Zug immer der Sonne nach beginnen würde.

Jetzt habe ich dir alles gesagt, was es wissenswertes über die Schindemee zu sagen gibt und doch gibt es noch ein kleines Mysterium, denn es gibt einige, die behaupten, das Schindemee sei intelligent. Doch wie sich diese zeigt, vermag niemand zu sagen. Wie auch? Denn wie reagiert ein Gehirn, das so groß ist, wie ein Einfamilienhaus. Wie schnell ist der Gedanke eines Lebens, für das die Lebensspanne eines Menschen nur einen Atemzug lang währt?
Und doch ist es erstaunlich, dass das Schindemee immer da zu finden ist, wo das Leben im Meer zu kippen oder gar unter zu gehen droht. Ganz so, als sei es ein Hüter des Ozeans hinterlässt es offenbar eine Aura der Üppigkeit. Wo Seepflanzen sprießen und die Fauna des Meeres sich explosionsartig wieder zu vermehren beginnt. Denn das das mit dem Schindemee zusammenhängt, liegt auf der Hand, denn sobald das Schindemee diese Region verlässt, hinterlässt es blühende Seelandschaften, die sich fortan wieder normal entwickeln.
Trotzdem ziehen die Schwimmenden Inseln der Meere keine Spur des Lebens hinter sich her. Ganz so, als könnten sie es steuern. Und ist das nicht irgendwie ein Zeichen für deren Intelligenz.
Eines aber scheint sicher: Jemand sollte einmal das Wasser, was das Schindemee bei seiner Art des Schwimmens wieder ausstößt, einer genaueren Untersuchung unterziehen.

So ist es mein Freund. Vom Schindemee hast du nun gehört. Glaube mir, ich habe viel gesehen auf dem Meer, hier auf Laguna... auch einmal ein Schindemee. Und wenn du einmal eines gesehen hast, so wird dein Leben fortan ein anderes sein.