Das Erbe der Göttin

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Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

Der zweite Band um die Horde von Jetrotack! Los geht's!


Und natürlich auch wieder ein Downloadlink: http://www.solabar.de/download/erbe_der_goettin.rar
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Das Erbe der Göttin



Prolog
Zart und sanft klingen die beiden Stimmen. Sie vereinen sich zu einer liebevollen Melodie, die sich wie ein Schwarm Schmetterlinge in die Lüfte erhebt und die beiden Sänger umtanzt. Immer wieder sehen sie sich an. Tiefes Verstehen und noch tiefere Liebe verbindet sich in der Melodie. Selbst die Tiere des Waldes horchen auf, halten in ihren täglichen Geschäften inne und lauschen dem zauberhaften Klang.
Als sei die Welt jung und gerade geboren und beide die ersten Liebenden, halten sie einander bei den Händen. Sie laufen beschwingt unter dem grünen Dach der Bäume. Frei und in Frieden.
„Ich liebe dich. Ich liebe dich, wie ich noch nie geliebt habe!“ Elárs Stimme spricht nicht. Sie singt. Verschmilzt mit dem Gesang der Frau an seiner Seite, der Frau, der seine Worte gelten.
Alathe sieht ihn nur an. Ein Schein goldenen Lichts strömt aus ihren Augen und zu Elár hin. Ihre Lippen formen weiter die Melodie. Doch gibt Elár keine Antwort. Denn ihr Blick, ihr ganzes Antlitz, ihr Gesang, ist mehr als Antwort genug, um ihre tiefe Liebe zu erklären. Trotzdem bleibt sie stehen und dreht sich zu dem Mann, dem ihr ganzes Herz gehört. Ihr Gesang verstummt, als sie den Kopf in den Nacken legt und die Lippen spitzt. Eine Aufforderung, der Elár nur zu gerne nachkommt.
Weiche Lippen treffen einander und verschmelzen in der Wonne der gemeinsamen Gefühle. Sie werden eins.

Wie mit einer scharfen Klinge zerschnitten, zerreißt plötzlich der Schleier aus Liebe, als harsche, raue Schreie jedes Geräusch des Waldes ersticken. Das Klimpern schwerer Rüstungen bricht zwischen den Bäumen hervor. Gedrungene Gestalten stürmen auf den Waldweg. Keulen, rostige Schwerter und Knüppel hoch erhoben, stürmen sie auf die beiden zu.
Mit einem Ruck zieht Alathe die Lippen zurück. Doch zu spät. Ein harter Schlag auf ihren Hinterkopf lässt alles in ihr in einem hellen Licht explodieren und sie stürzt halt- und besinnungslos zu Boden, denn scharfe Krallenhände packen Elár und reißen ihn von der Liebe seines Lebens fort. Sie schneiden sich in seine Haut und hinterlassen tiefe, blutige Kerben. Doch kein Schmerz kann größer sein, als jener, als er seine Liebste zu Boden stürzen sieht. Sein Herz droht zu zerreißen, als Blut das glänzende Haar Alathes verklebt und sich in einer Lache auf dem Waldweg sammelt. Als er aber die Gestalt sieht, die nun zwischen den Häschern hervor kommt und vor Alathe stehen bleibt, mit einem kalten Lächeln zu ihr hinab sieht und auf sie nieder spukt, vernebelt eine tiefe Schwärze der Ohnmacht endgültig seinen Geist und er spürt nichts mehr.

‚Nein, oh Göttin, nein!‘, schreit es in Alathe und sie reißt die Augen auf. Doch sogleich trifft sie ein harter Tritt in die Seite. Er droht ihr, erneut die Besinnung zu rauben. ‚Nein! Bleib wach!‘, schreit es weiter in ihr, als ein gezischtes: „Biest!“, durch den Nebel des Schmerzes in ihre Ohren dringt. „Mir gehört er! Mir ganz allein. Verreckt doch in deinem Blut! Jetzt ist er wieder mein!“
Alathe will schreien, will all ihrem Schmerz und der Wut Raum verschaffen, doch ein weiterer Fußtritt hämmert brutal gegen ihren Kopf und mit einem letzten Gedanken gleitet sie wieder zurück in tiefste Schwärze. Ein Gedanke, der nur aus einem einzigen Wort besteht, bleibt. ‚Ver!‘

1.
„Stellst du den frischen Marikoltee bitte nach vorne ins Schaufenster?“
Obwohl Terbor die sanfte Stimme Isondras so oft in den letzten Jahren gehört hat, jeden Tag, wie er sich eingesteht, zaubert ihr Klang trotzdem sofort ein Lächeln in sein Gesicht. „Neben das Abführmittel?“, ruft er zurück.
Das fröhliche Lachen, das aus dem Hinterzimmer erklingt, lässt eine Gänsehaut in Terbors Nacken wachsen.
„Ach Schatz! Du willst mich nur ärgern. Natürlich nicht. Zu den anderen Tees bitte.“
Terbor schmunzelt und schiebt die Tiegel mit den Kräutertees etwas zusammen, damit der neue Platz finden kann. Er dreht ihn so, dass die Beschriftung hinaus aus dem Schaufenster zeigt und wendet sich dann dem Hinterzimmer zu. Als er eintritt, sieht er nur das lange Haar der Frau, die er eigentlich schon verloren und dann doch wiedergewonnen hat. Isondra hackt getrocknete Kräuter klein. Doch hält es Terbor nicht davon ab, seine Arme um sie zu legen und sich an sie zu schmiegen. Sanft legt er seine Wange an ihre und streichelt über ihren Bauch. „Wollen wir den Laden nicht etwas eher schließen heute!“
Isondra hält inne, dreht den Kopf ein wenig und küsst Terbor auf die Wange. „Du willst. Nur wenn wir immer den Laden schließen, wenn du es willst, werden wir bald schon nichts mehr zu beißen haben.“
„Wir haben doch uns.“
„Aber davon werden wir nicht satt. Egal, was für schlimme, schlimme Sachen du dann immer mit mir anstellst. Oder bist du jetzt ein Magier geworden und kannst uns das tägliche Brot einfach herbei zaubern?“
Terbor lächelt und atmet tief den Duft Isondras ein. „Irgendwie wird es schon gehen. Ich kann jagen gehen, weißt du? Auch wenn meine Waffen bestimmt schon Rost fangen. Etwas Öl wird helfen.“
Isondra lacht auf. „Na dann muss aber erst einmal dein Bäuchlein weg, sonst trampelst du wie ein Skanuck durch Feld und Aue und wirst gar nichts fangen. Und ob es reicht, so dass wir auch ein Dach über dem Kopf haben, das sei mal ganz dahin gestellt.“
Terbors Lippen verziehen sich schmollend. Mit dem Bäuchlein hat Isondra ja Recht, aber trotzdem will er das nicht so einfach auf sich sitzen lassen. „Ich kann doch nichts dafür, dass du so gut kochst. Und ich kann uns ein Haus im Wald bauen. Hauptsache wir sind zusammen.“
Isondra lächelt sanft. „Herr Kernack... weißt du eigentlich, wie sehr du dich verändert hast? Ab und an würde ich schon gerne deine Selbstständigkeit wiedersehen, die du früher hattest.“
„Die hat mich einmal von dir fortgerissen. Das wird mir nie mehr passieren!“
Isondra dreht sich in Terbors Armen und legt ihre auf seine Schultern. „Ich liebe dich, Terbor Kernack und ich werde dir auch nie mehr die Tür weisen, denn ich weiß, wie groß das Herz in deiner Brust ist. Du musst kein Hausmann werden, nur, um mir zu gefallen. Und wenn du mal ein paar Tage in die Wälder gehst, dann mach es. Ich habe mich in den wilden Terbor verliebt, wenn du dich zurück erinnern magst. Damals, als du noch in der Arena gearbeitet hast. Und den wilden Terbor liebe ich auch. Und das nicht nur im Bett.“ Die Wangen Isondras röten sich leicht.
Terbor küsst ihre Lippen und sagt leise. „Ich kann es dir wohl nie ganz recht machen oder?“
Isondra lacht auf. „Ich bin eine Frau! Was erwartest du?“
Terbor schmunzelt. „Besser wohl nicht allzu viel.“
Isondras Blick verdüstert sich sofort. „Was soll das bitte schon heißen, Herr Kernack?“
Terbor hebt abwehrend die Hände. „Nichts! Gar nichts! Du weißt doch, dass ich nie ein Meister des Wortes war und...“, doch ein Klopfen an der Tür des Ladens rettet ihn aus der für einen Mann gefährlichen Situation. „Warum kommt ein Kunde nicht einfach rein?“, fragt Terbor. „Ich gehe mal nachsehen.“ Der Galater löst sich von seiner Liebsten und geht aus dem Hinterzimmer nach vorne in den Verkaufsraum und zur Tür.
Schon auf dem Weg sieht er eine Gestalt in dunklem Umhang davor stehen. Terbor zieht die Brauen zusammen und öffnet energisch die Tür. Genauso schnell fällt seine Hand aber auch wieder kraftlos von der Klinke, als er sieht, wer vor ihm steht. Auch wenn er die junge Galaterin ganz anders in Erinnerung hat, erkennt er Alathe sofort. Ihr Aussehen erschüttert ihn trotzdem zutiefst.
Schwere Prellungen und verkrustetes Blut verunstalten das wunderschöne Gesicht der Bardin. Immer ging sie aufrecht, doch jetzt hält sie sich auf den Beinen, als sei sie um Jahrzehnte gealtert. Schwarze Ringe liegen unter ihren Augen, die leer und stumpf zu Terbor aufblicken. Furchen von Verzweiflung und Angst schimmern durch den Schmutz und das Blut hindurch. Selbst als sie spricht, ist es eher ein hohles Raunen des Winterwindes in den weiten Landen. „Terbor! Elár...“
Mehr Kraft hat der feingliedrige Körper nicht mehr und sackt in sich zusammen. Rasch streckt Terbor die Arme aus und fängt die Freundin auf. Sie aufzuheben, sich umzudrehen und mit dem Bein dir Tür zum Laden zuzuschmeißen ist eine Bewegung. Gleichzeitig ruft er mit lauter energischer Stimme: „Isondra! Nadel, Faden, Heilkräuter! Rasch!“

Der Duft von Kräutern lässt die Nasenflügel Alathes Beben und ihre Augenlider öffnen sich flatternd. Sie liegt in einem weichen Bett unter warmen Decken. Der Verband, der um ihren Kopf gewunden ist, drückt etwas, aber der ständige, bohrende Schmerz, seit sie im Wald wieder erwacht ist und ihr Wille den Kampf in ihr gewonnen hat, liegen zu bleiben und zu verbluten, oder es irgendwie nach Bezacht zu schaffen, das nicht mehr fern gewesen ist, ist gewichen.
Ihr Blick fokussiert zwei Gesichter und obwohl sie sich in ihrem Inneren leer und zerbrochen fühlt, lächelt sie die beiden an. Isondras besorgtes Gesicht und das nicht minder besorgte Gesicht Terbors, der auf einem Stuhl an ihrer Seite sitzt, blicken zu ihr hinab. So wie Terbors Augen aussehen, hat er dort auch schon länger gesessen.
„Endlich, du bist wach, Kleines. Ich hol dir eine Suppe“, sagt Isondra sanft und ihr Gesicht verschwindet aus Alathes Blickfeld.
„Kannst du sprechen?“, fragt Terbor.
Alathe nickt ganz vorsichtig. Erst jetzt spürt sie, dass ihre Hand in den Händen Terbors liegt. Sie fühlt das leichte Beben und es ist nicht ihre Hand, die zittert. Ihre Stimme kommt ihr selbst fremd vor, als wäre sie die Stimme einer ganz anderen. „Ich glaube.“
Terbor nickt. „Gut... du warst furchtbar zugerichtet. Vier Rippen waren gebrochen und du hast ein schönes Loch in deinem Hinterkopf gehabt. Isondra sagt, dass der Knochen aber wieder zusammenwachsen wird. Sie hat dich untersucht, bevor sie dich genäht hat. Es ist nichts vom Schädel heraus gebrochen. Wir mussten aber etwas von deinem Haar wegrasieren. Zwei Tage warst du ohne Bewusstsein. Wir haben uns furchtbare Sorgen gemacht. Bei der Göttin, was ist dir passiert?“
„Er ist gekommen. Er hat mir das angetan. Er und seine Schergen. Er hat mich so zugerichtet und er hat mir Elár genommen“, sprudelt es leise aus Alathe hervor.
„Wer ist er?“, fragt Terbor sanft und nimmt die Schale mit der kräftigen Suppe von Isondra entgegen.
„Ver!“
„Ver? Ver ist damals gestorben, Alathe. Der Turm war umgefallen und ihr hattet ihn zurückgelassen. Du hast es selbst erzählt.“ Terbor hält einen Löffel Suppe an die Lippen der Bardin und allein ihr Körper, der nach Nahrung lechzt, zwingt sie zu essen. Erst nach weiteren zwei, drei Löffeln antwortet sie: „Es war Ver. Keiner von uns war ihm so... so nah, wie ich es war, wie du dich vielleicht erinnerst. Ich könnte seine Stimme aus einer Million anderer heraus hören. Auch so halbtot, wie ich da schon war. Er hat Elár entführt. Und er hat mir ja sogar noch ins Gesicht gespuckt und gesagt, das Elár ihm gehören würde. Dass ich das nun davon haben würde. Es war Ver und er hat mir Elár genommen.“ Die Augen Alathes füllen sich mit Tränen und Terbor lässt sie sich erst einmal ein wenig beruhigen. Selbst dann spricht er nicht weiter, sondern füttert die Weggefährtin still mit der Suppe. Trotzdem wirbeln die Gedanken wild in seinem Kopf herum. So bekommt er auch nicht mit, wie Isondra den Raum verlässt und kurz darauf auch wiederkommt und still hinter Terbor stehen bleibt.
Als die Schale geleert ist, fragt er vorsichtig: „Und was gedenkst du zu tun?“
„Wir müssen ihn wiederfinden!“, entgegnet Alathe scharf und jetzt auch schon kräftiger. „Elár und ich sind ein Paar. Ich lass mir meinen Liebsten doch nicht einfach rauben!“
Terbor seufzt leise. „Aber wenn Ver ihn für sich will, dann wird es keine Lösegeldforderung geben. Keinen Hinweis, wo er ihn hingebracht hat. Und bei dem Zustand, in dem du hier her kamst, wage ich zu bezweifeln, dass du überhaupt den Ort wiederfinden würdest, wo ihr überfallen wurdet, um dort vielleicht ein paar Spuren zu finden.“
„Es war auf dem Waldweg. Wir werden Spuren finden. Die Schergen waren laut wie Orks. Es muss Spuren geben. Ich will Elár zurück. Wir müssen ihn befreien. Terbor? Hilfst du mir?“
Terbor sieht sie einen Augenblick lang an, doch dann nickt er. „Du weißt, dass wir einander immer beistehen werden. Das haben wir uns damals geschworen, als wir uns trennten. Ich helfe dir. Aber viel Hoffnung habe ich nicht.“
„Wir müssen ihn finden!“, stöhnt Alathe voll Pein aus ihrem verwundeten Herzen.
Terbor fühlt, wie es ihm kalt den Rücken hinunter läuft, seine Freundin so leiden zu sehen. „Alathe...“
Mit tränengeschwängerten Augen und gebrochener Stimme, sagt sie: „Ich trage ein Kind unter dem Herzen! Ich trage Elárs Kind unter dem Herz. Meinem Herz!“
Terbor schließt die Augen und senkt den Kopf. „Oh Göttin!“, sagt er leise. Doch als er die nun auch feuchten Augen wieder öffnet und den Kopf hebt, da ist eine Kraft in seiner Stimme, die er von sich selbst schon lange nicht mehr gehört hat. „Wir werden ihn finden, Alathe. Wir werden dir den Vater deines Kindes zurück holen.“
Alathe streckt die Arme aus und Terbor nimmt die zerbrechliche Bardin in seine Arme. Er hält sie fest an sich gedrückt, während er ihren Tränen freien Lauf lässt. Trotzdem dreht er den Kopf und sucht seine Isondra. Er weiß zwar tief in seinem Herzen, dass sie sogar unter diesen Bedingungen mitkommen würde, aber der ehemalige Hauptmann braucht die Zustimmung seiner Liebsten. Er braucht sie jetzt.
Als er Isondra hinter sich stehen sieht und ihre Augen sich treffen, braucht es keine Worte mehr und sein Herz wärmt sich, als er nicht nur die Zustimmung im Blick erkennt, sondern auch Stolz. Stolz auf ihn. Dann erst bemerkt er das Bündel, das sie auf den Armen trägt und mit dem Isondra schon die ganze Zeit, seit sie zurück gekommen ist, hinter ihm steht. Es ist ein langes Bündel, von einem Leinentuch umwickelt. An einer Seite blickt die Spitze eines Schwertes hervor. Die Spitze von Terbors Schwert.
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Kapitel ?
Mit einem Lächeln um die Mundwinkel sieht Johinzahin über die farbige Pracht der Blumen hinweg. Nie hätte sie gedacht, wirklich ein Händchen für Pflanzen zu haben. Aber das farbenfrohe Bild vor ihr beweist das Gegenteil. Die ganzen letzten Jahre hat sie damit verbracht Rosen zu studieren und die unterschiedlichsten Arten miteinander zu kreuzen, umso noch mehr Farben zu erwirken.
Mit einer fließenden Bewegung streift sie den Rock ihres schlichten, braunen Kleides glatt, als sie sich wieder erhebt und dem frisch gepflegten Beet den Rücken zukehrt. Dabei hatte sie damit nur begonnen, damit sie eben diese einfachen, aber bequemen Kleider tragen kann und nicht ständig einen Rüffel ihrer Mutter erhält, die sie viel lieber in den viel zu voluminösen und unbequemen Kleidern einer Adligen sehen würde. Natürlich waren diese Kleider aus erheblich kostbareren Stoffen geschneidert, aber auch der kostbarste Stoff bringt kein Wohlgefühl, wenn es einfach zu viel des Guten ist. Der einfache Leinenstoff, den sie jetzt auf der Haut trägt, ist ihr da viel lieber.
Ihre Gedanken werden unterbrochen, als eine alte, raue Männerstimme freundlich: „Guten Morgen, Prinzessin!“, zu ihr sagt.
Johinzahin sieht in das verwitterte und sonnengegerbte Gesicht eines der Gärtner des Anwesens. Sie strahlt den alten Mann an: „Guten Morgen, Goreck. Und ein schöner Morgen ist es in der Tat. Doch nenn mich doch bitte nicht immer nur Prinzessin. Ich bin doch kein kleines Mädchen mehr!“, sagt sie freundlich.
Der altgediente Gärtner lacht auf. „Oh Herrin, Ihr seid aber nun einmal eine Prinzessin. Unsere Prinzessin. So schön, wie der Morgen. So schön, wie dieses Blumenfeld, dass durch Eure Hand gewachsen ist und trotz all seiner Pracht, nur ein Schimmer der Schönheit ist, die Ihr über Eure Untertanen bringt.“
Johinzahin senkt beschämt den Kopf. „Aber Goreck. Sag so was nicht! Bitte! Du machst mich verlegen.“ Tatsächlich färben sich die Wangen der jungen Galaterin rot. „Wüsste ich es nicht erheblich besser, würde ich glauben müssen, du versuchst mir den Hof zu machen, alter Freund.“
Goreck lacht schallend auf und zwinkert ihr zu. „Wäre ich nur 300 Jahre jünger, würde ich das sehr wohl auch tun, Herrin!“
Johinzahin beginnt nun ihrerseits lauthals zu lachen. „Oh wie herrlich. Das würde meiner Mutter ja ganz hervorragend passen, wenn der Gärtner das Herz ihrer Tochter zu stehlen versuchen würde.“
„Und doch würde ich mein Bestes geben, Herrin.“
„Das würdest du in der Tat. Selbst wenn dein Werben wohl wenig Hoffnung auf Erfolg haben würde, ich würde es genießen, Goreck. Und wer weiß. Vielleicht würde es sogar Erfolg haben können, wenn da nicht die zu vielen Erinnerungen wären, wie du mich mit der Mistgabel aus den Obstbäumen verjagt hast, als ich noch ein Kind war.“
Der alte Mann grinst sie an und offenbart einige Lücken in den Reihen seiner Zähne. „Das mag sehr wohl sein, doch habe ich Euch nie an Eure Herrin Mutter verraten, ob eures Spiels in den Bäumen in den teuren Kleidern.“
Johinzahin greift die Hand des Mannes und drückt sie sanft. Sie gibt ihm einen Kuss auf die Wange und sagt: „Gerade das werde ich dir auch niemals vergessen und mein Dank gehört auf immer dir. Auch heute noch.“
Jetzt ist es an Goreck verlegen zu sein. Er entzieht seine Hand der Prinzessin mit einem verlegenen Räuspern. Noch bevor er zu einer Erwiderung ansetzt, sieht er an Johinzahins Kopf vorbei. „Wenn man von ihr spricht. Eure Herrin Mutter kommt, Prinzessin.“
Johinzahin seufzt. „Na wunderbar... Wir sehen uns später, Goreck.“ Sie nickt dem Mann noch einmal zu. Dann dreht sie sich um und geht ihrer Mutter entgegen.

Gräfin Salena von Geroteth ist in ihren frühen Zweihundertern eine immer noch schöne Frau, der man die Geburt dreier Kinder nicht ansieht. Schlank wie eine Feder im Wind, bewegt sie sich mit der Anmut einer Frau, die sich ihres Standes bewusst ist und von Kindesbeinen an gelernt hat, dies nach außen zu zeigen.
Das lange, aufgebauschte Seidenkleid, dessen Weiß in der Sonne einen goldenen Schimmer erhält, mag ein weiteres Zeichen ihres Standes sein. Doch würde es zwar jeden Ballsaal zieren, ist jedoch im Garten des Anwesens vollkommen deplatziert.
Langes, blondes Haar umrahmt Salenas ovales, aber nicht zu langes Gesicht. Aus der samtenen, weißen Haut stechen hellblaue Augen und rote Lippen hervor. Doch sind weder die Haare, noch die Lippen die einzigen Erbteile, die die Gräfin an ihre Tochter weitergegeben hat. Vor allem ist es die Ehrlichkeit in ihren Augen. Zwar öffnet die Gräfin ihre Arme in einer einstudiert wirkenden Geste, aber ihr Blick verkündet die Liebe, die sie für ihre Tochter empfindet. „Tochter! So früh schon auf?“
Johinzahin nimmt ihre Mutter in die Arme, die zur Freunde der Prinzessin einmal mehr ein leises Stöhnen von sich gibt, als sie die Kraft in den Armen ihrer Tochter zu spüren bekommt. „Wie jeden Morgen, Mama.“
Als Johinzahin die Umarmung löst, legt ihre Mutter den Arm um sie. „Lass uns doch bitte ein wenig spazieren gehen.“
Die Prinzessin nickt nur leicht und fällt in den langsamen, fast wie Tanzschritte anmutenden Gang ihrer Mutter mit ein. „Was für Neuigkeiten hast du für mich?“
Die Gräfin sieht ihre Tochter mit einer hochgezogenen Braue an. „Neuigkeiten? Wie kommst du denn darauf.“
Johinzahin seufzt leise. „Immer wenn du mich zu einem Spaziergang einlädst, hast du eine Neuigkeit, die du mir unbedingt erzählen musst. Also? Was ist es diesmal.“
Ein leichtes Schmollen umspielt die Lippen Salenas. „Na gut. Wenn ich also meine Tochter mit nichts mehr zu überraschen vermag, will ich es gerade heraus erzählen. Heute Abend werden der Graf Korack von Himlaith und sein Sohn Terok mit uns zu Abend essen.“
Johinzahin blickt kurz zur Seite, damit ihre Mutter nicht sieht, wie sie die Augen verdreht. „Himlaith?“, fragt sie jedoch nur. „Irgendwie sagt mir der Name überhaupt nichts.“
Salena lächelt und sieht zu ihrer Tochter. „Der Graf ist ein alter Handelspartner deines Vaters. Er besitzt einige reiche Weinberge und er ließ Botschaft kommen, dass er auf seinen jährlichen Reisen diesmal auch in die Nähe kommen würde.“
Johinzahin nickt leicht. „Und sein Sohn begleitet den Grafen, um das Handwerk des Gutsbesitzers zu erlernen?“
Die Gräfin zögert einen winzigen Moment. Doch dieser Moment reicht Johinzahin. Sie seufzt. „Ach Mutter. Sag doch gleich, dass du den Grafen eingeladen hast und ihn batest seinen Sohn gleich mitzubringen.“
Die Gesichtszüge der Gräfin verhärten sich und ihre Stimme ist merklich kühler. „Sei es, wie es sei. Der Graf und sein Sohn kommen. Sie werden ein paar Tage bleiben. Während ich die Geschäfte mit dem Grafen verrichte, möchte ich, dass du dich um seinen Sohn kümmerst und dich dabei von deiner besten Seite zeigst. Das schließt ein, dass du nicht dieses braune Leinen trägst.“
Mit einem bösen Funkeln sieht Johinzahin ihre Mutter an. „Ah... ist er also der nächste auf deiner Liste, an den du deine Tochter verschachern kannst? Papa hat seine Geschäfte immer ohne irgendwelche Söhne verrichtet. Er wollte seiner Tochter keinen Mann aufdrängen! Denn ihm war wohl bewusst, dass sein Sohn das Land erben würde. Er stand seiner Tochter zu, irgendwann den Mann zu ehelichen, den sie Lieben und nicht, wen ihre Eltern als den Besten erachten würde. Jedes Mal das gleiche, Mama! Der wievielte ist es jetzt? Ich habe aufgehört zu zählen.“ Die Stimme Johinzahins wird dabei immer schriller. „Papa hätte seine Tochter niemals an die Söhne seiner Geschäftspartner verschachert.“ Ihre Augen verschleiern sich vor Tränen und mit erstickter Stimme sagt sie: „Er hat seine Tochter geliebt!“
Und wieder ist Johinzahin im Zelt ihres Vaters vor der Burg des Fürsten Malinquor. An jenem sonnigen Morgen, als sie aus den Händen des Fürsten befreit worden war. Vor sich sieht sie den zerschundenen Leib ihres geliebten Vaters. Blutüberströmt und kaum noch zu erkennen. Das liebevolle Antlitz entstellt. Die Arme, die sie immer getragen und die sich um sie geschlossen haben, wenn sie des Trostes bedurft hat, abgehackt. Die Beine zertrümmert, auf denen sie rumgehopst ist in den kalten Nächten des Winters vor dem wärmenden Feuer im Salon.
Johinzahin merkt nicht, wie ihre Mutter wie vom Blitz getroffen stehen bleibt und sie hart bei den Schultern greift. Sie hört auch nicht die schrille Stimme, die laut: „Johinzahin!“, schreit. Erst, als sie durch den Nebel ihrer Tränen das nicht nur vor Wut verzerrte Gesicht ihrer Mutter sieht, in dem noch viel mehr der unendliche Schmerz um den verlorenen Gatten zu lesen ist, holt es Johinzahin zurück in die Wirklichkeit.
„Liebes! Schatz! Glaubst du wahrhaftig, dass ich deinen Vater weniger vermisse als du? Glaube mir, es ist nicht, weil ihm die Verwaltung des Landes leichter von der Hand ging, als mir mit deiner und deiner Geschwister Hilfe. Und schon gar nicht ist es so, dass ich den Tod deines Vaters, meines Mannes, dazu nutzen will, meine Tochter, die ich über alles liebe, in die Hände eines Mannes zu geben, um sie los zu werden. Ich will verdammt noch mal einfach jetzt allein, vollkommen allein, das riesige Loch füllen, wo er stand! Weißt du eigentlich, wie es ist, nicht mehr seine Stimme zu hören? Nie mehr seine zärtliche Hand zu fühlen? Weißt du, wie allein ich nachts im Bette bin und nie mehr die Wärme Agoraqs fühlen werde? Mich nie mehr so als Frau fühlen werden kann, wie dein Vater es mich fühlen ließ? Nie mehr werde ich die zärtlichen Hände fühlen, die bei dem Versuch starben, die geliebte Tochter aus dem Zugriff ihres Entführers, verflucht sei er, zu befreien!“ Salenas Stimme bricht in einem erstickten Schluchzen ab.
Johinzahin schüttelt den Kopf und genauso tränenerstickt wie ihre Mutter ruft sie: „Du bist nicht allein! Ich bin für dich da! Ich liebe dich doch, Mama!“ Sie schlingt die Arme um ihre Mutter und presst sich fest an die Frau, die kurz vor einem Zusammenbruch steht. „Aber ich vermisse ihn so sehr... so sehr.“
„Ich doch auch, Liebes, ich doch auch!“, antwortet Salena schluchzend und fasst sich etwas. „Machst du dich wenigstens ein bisschen hübsch heute Abend? Nicht nur mir zu Liebe. Du weiß, wie gern Vater dich in blauer Seide gesehen hat.“
Johinzahin presst ihre Wange fest gegen die ihrer Mutter und nickt. Leise und fast brav sagt sie: „Ja, Mama. Papa zu Liebe!“

Viele Augenpaare ruhen schmerzvoll auf den beiden Frauen, die einander halten, wie Ertrinkende in stürmischer See. Mägde, Knechte, Küchenhilfen und die Gärtner. Alle sehen sie zu den beiden, die sie nur umso mehr lieben, seit ihr Herr von ihnen gegangen ist. Doch vermögen weder sie, noch sonst wer den hoffnungslosen Schmerz und die Trauer der beiden zu lindern oder gar den Schatten zu vertreiben, der auf dem Lande des Herrn von Geroteth liegt, seit die grausame Nachricht des Todes ihres geliebten Lehnsherrn bei seinen Untertanen eingetroffen ist.

Eine Stunde später sitzt Johinzahin im heißen Wasser ihres Zubers. Sie ist allein. Allein mit sich und ihren Gedanken, nachdem sie ihre beiden Mägde mit freundlichen, aber bestimmten Worten fort geschickt hat. Die junge Galaterin hat sogar lachen müssen, als sie den beiden Frauen wieder einmal hat klar machen müssen, dass sie durchaus selbst in der Lage ist, Seife und Schwamm zu benutzen. Doch jetzt streift ihr Blick wieder glanzlos hinaus aus dem Fenster und in den wolkenlosen Himmel hinein. Wie würde sie diesmal einen jungen Freier los werden können? Einmal mehr die Sache mit einem umgestoßenen Weinpokal? Oder doch besser, ihre Kunst in der Wortwahl einer Bäuerin während eines Spaziergangs durch den Garten? Oder würde er so hartnäckig sein, wie der letzte junge Edelmann, der erst das Weite gesucht hat, nachdem sie ihm das dämliche Grinsen mit dem Übungsschwert aus dem Gesicht geprügelt hat, weil er nicht glauben wollte, dass sie durchaus mit dem Schwert umzugehen weiß?
„Ach Papa! Wärst du doch nur hier. Mama wäre nicht so verzweifelt und ich müsste mich nicht ständig irgendwelchen Männern erwehren, die schlimmer sind, als alle Vampire der Welt zusammen.“
Johinzahins Blick verliert sich in den Blasen ihres Badeschaums, als sie den Kopf sinken lässt. „Trischa, Terbor, wo seid ihr? Ich brauche euch! Papa! Ich brauche dich, brauche dich...“ Bevor die Bilder mit Macht in ihren Geist dringen, die sie erst vor einer Stunde wieder gesehen hat und die ihr oft, zu oft den Schlaf geraubt haben, zieht sie die Beine eng an ihren Oberkörper. Sie schlingt die Arme um ihre Knie und presst ihre Stirn auf ihre Oberschenkel. Während eine Träne nach der anderen zu den Ungezählten hinzu kommt, die sie in den letzten Jahren geweint hat und die in das kälter werdende Badewasser fallen, sagt sie immer wieder erstickt nur ein Wort: „Papa...“
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Mo 8. Feb 2010, 20:23, insgesamt 2-mal geändert.
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2.
In einem schäbigen Teil der Stadt Bezacht sitzt Narek auf einem schäbigen Stuhl, an einem schäbigen Tisch, in einer schäbigen Taverne und starrt in seinen Krug. Seine Stimmung ist genau wie das Licht in dem Raum: Düster. Grübelnd dreht er den Krug aus Ton in seinen Händen, dessen Lasur sich schon vor Jahrzehnten aufgelöst hat. Getrunken hat er bisher noch nichts, denn die Flüssigkeit in dem Krug, die Bier sein soll, sieht eben jenen Flüssigkeiten verdächtig ähnlich, die der dürre Wirt auch als Wein und Wasser verkauft. Außerdem ist er nicht in der Stimmung, um nur zu trinken. Viel eher um sich zu betrinken. 'Wie konnte es nur so weit kommen?' Mehr als einmal fragt sich das der junge Galater.
Die letzten vier Jahre sind wirklich erträglich gewesen. Zusammen mit Wetoq hat er Spaß und Abenteuer erlebt und ganz nebenbei sehr viel Geld verdient. Seit sie vor vier Wochen nach Bezacht gekommen sind, hat sich das aber schlagartig geändert. Es gibt keine Arbeit. Zumindest keine für ordentliche Söldner. Dass es mal Flauten in dem Geschäft gibt, ist wohl bekannt. Aber niemals vier Wochen lang. Und niemand scheint zu wissen, warum dem so ist. Vor zwei Wochen sind die beiden Söldner in diese Taverne umgezogen. Nicht, weil sie nicht genügend Geld gehabt hätten, um in dem Nobel-Gasthaus zu bleiben, sondern weil Narek will, dass sie das Geld auch behalten. Im Gegensatz zu Wetoq macht er sich Gedanken um die Zukunft. Er spart jede Münze und überlegt viermal, bevor er sich etwas zu essen oder zu trinken bestellt, neue Ausrüstung oder das Instandhalten selbiger in Auftrag gibt. Er hat nicht vor, ewig ein Söldner zu bleiben, sondern sich so schnell wie nur möglich zur Ruhe zu setzen. Ein kleines Vermögen besitzt er schon, und er setzt alles daran es auch zu behalten. Vor allem vor Wetoq verbirgt er sein Erspartes. Sein älterer Freund würde Nareks gesamtes Geld verprassen, wenn er nur wüsste, dass er so viel besitzt.
Ein lautes Poltern schreckt Narek aus seinen Gedanken. Als er aufblickt, sieht er, wie Wetoq unter lautem ächzen und stöhnen ihm gegenüber Platz nimmt.
„Und?“, fragt Narek.
„Nichts. Rein gar nichts. Doch, schon etwas, aber Ratten in der Kanalisation zu jagen, ist etwas für Grünschnäbel. Außerdem bekommt man für fünf Viecher nur ein Kupfer. Und ich bin mir nicht sicher, ob sie wirkliche Ratten meinen oder was anderes oder jemand.“ Der ehemalige Hauptmann Malinquors schnaubt, greift nach Nareks Krug, setzt an, stutzt und knallt den Krug auf den Tisch, dass die bräunliche Flüssigkeit überschwappt. „Was würde ich nicht alles für einen Krug ordentlichen Bieres geben.“
„Ich weiß aber wir müssen unser Geld zusammen halten, wenn das noch länger dauert. Wir könnten aber auch die Stadt verlassen. Im Süden soll es...“
Wetoq funkelt den jüngeren Mann an. „Jedes Mal bringst du das vor und jedes Mal sage ich dir, dass ich davon nichts wissen will. Bezacht wird uns reich machen, auch wenn man es erst einmal davon überzeugen muss.“
Narek nickt nur. Er weiß, dass es keinen Sinn hat Wetoqs Meinung ändern zu wollen. Er hat es oft genug versucht und genau so oft den Kürzeren gezogen. „Ich habe ihn gefunden.“
Der prompte Themenwechsel verwirrt Wetoq sichtlich. „Wen?“
„Ihn.“
„Ach ihn, alles klar. Ich wusste nicht Mal, dass du jemand gesucht hast.“
„Wetoq.“
„Schon gut, schon gut. Und was hat er gesagt?“
„Das er uns hier treffen wird.“
Wetoq seufzt. „Ich hoffe er kommt bald. Bevor ich doch noch in Versuchung komme, hier etwas zu trinken oder gar zu essen.“
„Das du auch nur an Essen und trinken denkst. Du weißt genau, dass er die einzige Möglichkeit ist, an einen Auftrag zu kommen. Wenn er nichts für uns hat, dann gibt es in der Stadt auch nichts zu tun. Aber vielleicht können wir herausfinden warum dem so ist.“ Narek dreht den Krug wieder in seinen Händen.
„Was habe ich dir an deinem ersten Tag beigebracht? Ein leerer Bauch stirbt nicht gern, und ein voller weiß sich zu verteidigen. Halte dich gefälligst auch mal dran.“
„Ist ja gut. Soll ich uns etwas bestellen?“
Wetoq sieht den jüngeren Mann mit vor Schreck geweiteten Augen an. „Hier? Bist du den vollkommen Verrückt geworden? Was meinst denn du, warum wir hier noch nie Mäuse, Ratten oder anderes Ungeziefer gesehen haben? Die verrecken doch bei dem Fraß, den es hier gibt.“
„Ich hoffe ich störe die kulinarische Unterhaltung nicht.“
Die beiden Männer drehen die Köpfe und sehen zu dem Mann, der plötzlich neben ihrem Tisch steht und sich den freien Stuhl abzieht. „Ich darf mich doch setzen.“ Er nickt den beiden zu. „Wetoq, Narek. Ich freue mich, euch kennen zu lernen.“ Er setzt sich, legt seine Unterarme auf den Tisch und faltet die Hände.
Die beiden Söldner blicken sich an, dann wenden sie die Köpfe wieder dem Fremden zu. Der Mann ist weder groß noch klein. Weder dick noch dünn. Haare, wie sie jeder trägt, und ein einfach durchschnittliches Gesicht. Ein Mann, dem man auf der Straße begegnet und gleich darauf wieder vergisst. Doch eines ist außergewöhnlich bei ihm: seine Oberlippe ist gespalten, wie von einem Hieb mit einem scharfen Gegenstand.
„Woher willst du wissen, dass wir die beiden Genannten sind?“ Wetoq verengt die Augen, als er den Fremden fixiert.
Dieser lächelt nur unverbindlich ob Wetoqs unfreundlichen Tonfalls. „Zum einen habe ich eure Beschreibung, und zum anderen kenne ich jeden anderen hier im Raum.“
„Dann wäre das auch geklärt“, sagt Narek, bevor Wetoq darauf eingehen kann. „Wir brauchen deine Hilfe.“
Das unverbindliche Lächeln des Mannes geht Wetoq auf die Nerven. „Ich kann in vielen Dingen behilflich sein.“
Narek fährt fort. „Wir sind Söldner und suchen Arbeit, gute Arbeit, lohnende Arbeit für ausgezeichnete Söldner.“
Das Lächeln wirkt wie eingemeißelt in den Gesichtszügen des Mannes. „Es gibt keine Aufträge in Bezacht.“
„Keine offiziellen, das stimmt aber jemand wie du verfügt doch sicherlich über andere Quellen.“
„Deine Worte schmeicheln mir und in der Tat konnte ich bisher immer jemanden vermitteln. Aber diesmal geht es einfach nicht, weil nichts da ist, was man vermitteln könnte.“ Das Lächeln verschwindet nicht aus seinem Gesicht.
„Woran liegt denn das?“, fragt Wetoq barsch.
„Diejenigen, die in der Regel Söldner benötigen, gehen nicht mehr vor die Türe. Junge unerfahrene Söldner haben sich zu einer großen Gruppe zusammen getan, um die fahrenden Händler zu schützen. Sie sind zwar nicht gut, aber viele an der Zahl. An denen ist zurzeit kein vorbeikommen.“
„Warum trauen sie sich denn nicht mehr auf die Straße? Laufen Meuchler in der Stadt herum?“ Jetzt ist es Narek, der die Frage stellt.
„Wundern würde mich das nicht. Vor etwas mehr als vier Wochen hat irgendjemand alle Söldner der Stadt und Umgebung angeheuert. Sogar Rauswerfer und Schläger hat er in seine Dienste genommen. Daraufhin haben alle, die etwas zu befürchten haben oder glauben es zu müssen, sich in ihre Häuser verkrochen und eingeschlossen. Niemand weiß was der Unbekannte vorhat, aber er ist im Besitz einer beachtlichen Streitmacht und das beunruhigt die Leute eben. Vor allem, da die Söldner, die schon in Diensten waren - abgeworben wurden.“
Wetoq schnaubt und Narek ergreift wieder das Wort. „Verstehe ich das richtig? Es gibt keinen ordentlichen Söldner, der nicht auf einer einzigen Soldrolle steht und doch gibt es für Neuankömmlinge keine Arbeit?“
Das entnervende Lächeln des Mannes wird eine Spur spöttisch. „So sieht es aus. Es ist eine vertrackte Situation.“
„Aber du hast dir dein Einkommen gesichert“, poltert Wetoq.
„Selbstverständlich. Ich wäre nicht ich, wenn ich das nicht tun würde.“
Narek merkt, dass sein Freund kurz davor steht diesem Kerl seine Faust in den Rachen zu schieben, und er kann es ihm nicht einmal verübeln. „Also gut. Wir haben Verstanden. Kennst du den Namen desjenigen, der die ganzen Leute angeheuert hat und wo er sich aufhält?“
Sogleich wird das Lächeln selbstgefällig. „Vielleicht. Diese Informationen sind aber sehr kostspielig.“
Wetoq nimmt seinem jüngeren Partner den Krug aus den Händen und sieht ihn mit einem Blick an, der Narek sagt, dass der Krug bald auf einem Schädel zerbrechen wird. Er beeilt sich zu sagen: „Wir können dich bezahlen.“ Er zieht einen kleinen Beutel aus seinem Wams und wirft ihn auf den Tisch. Noch ehe der Beutel die schmutzige Tischplatte berührt, hat ihn der Fremde schon in den Händen, wiegt ihn ein wenig und lässt ihn dann in seinem Mantel verschwinden.
„Also das höre ich gerne. Wie es der Zufall so will, habe ich die Informationen auch gerade bei mir.“ Er greift in eine der Falten seines Mantels und zieht ein Stück Papier hervor. Er legt es in die Tischmitte und steht dann auf. „War mit eine Freude, mit euch Geschäfte zu machen. Auch wenn ich glaube, dass ihr besser weiter ziehen oder etwas anderes machen solltet.“
Wetoq funkelt den Kerl an. „Kümmere du dich um deine Angelegenheiten, und lass uns die unseren.“
Der Mann verbeugt sich spöttisch. „Aber selbstverständlich, meine Herren.“
Narek hat in der Zwischenzeit das Stück Papier an sich genommen und wirft einen Blick darauf. Sein Gesicht ist deutlich blasser geworden und er reicht die Nachricht an Wetoq weiter, der sie ihm ungeduldig aus der Hand reißt. „Das darf doch nicht wahr sein! Der ist ja wie Scheiße am Schuh!“
„Vielleicht sollten wir wirklich abreisen“, sagt Narek leise.
„Ach im Übrigen“, der zwielichtige Galater bleibt drei Schritte von ihrem Tisch entfernt stehen, „es gibt doch Arbeit und zwar in der Kanalisation.“
Wetoq winkt ab. „Wir jagen keine Ratten.“
„Dabei handelt es sich nicht um Ratten, mein Freund. Es ist ein Kopfgeld ausgesetzt worden auf einen gefährlichen Dieb, der sich in der Kanalisation herumtreibt.“
Wetoq runzelt die Stirn. „Kopfgeld? Kopfgelder sind verboten. Die Vorsteher Bezachts werden das niemals aussprechen.“
Das spöttische Lächeln ist wieder auf den Gesichtszügen des Mannes zu sehen. „Natürlich werden sie das nie tun. Deswegen es hat auch die Vereinigung der freien Händler und Handwerker ausgesprochen.“
„Ja ja.“ Wetoq ist ungeduldig. Er würde am liebsten mit Narek über die Information reden und sich nicht das geistlose Geplapper dieses Kerls anhören. „Wie viel und um wen handelt es sich?“
„20 klingende Münzen in Gold, tot oder lebendig. Ich denke, ihr beiden könnt den Kaiap erwischen.“

3.
„Haltet ihn! Haltet den Dieb!“
Der Schrei seines Verfolgers hallt immer wieder über den Marktplatz. Er ist froh, dass er so klein ist, so kann er durch die Menge huschen, ohne dass er zu fassen ist. Vereinzelte Einwohner strecken die Hand nach ihm aus, aber bekommen ihn doch nie zu fassen. Krampfhaft hält er seine Beute, zwei Beutel, in den Händen und strebt auf eine Gasse zu.
Eigentlich hätte das nicht passieren dürfen, aber die Neuigkeit, die er erfahren hat, hat ihn unvorsichtig werden lassen. Dazu noch die Frechheit, dass die Beutel an dem Stand festgebunden waren. Das ist früher nicht so gewesen. Die geizigen Händler werden auch immer einfallsreicher. Sehr ärgerlich. Jetzt aber muss er so schnell wie möglich zurück, um seinen Gefährten das Neueste zu erzählen.
Wie ein geölter Blitz schießt er in die Gasse und hetzt weiter. Gewandt weicht er den Beinen der großen Leute aus, biegt hier ab, springt dort über eine Kiste und eilt weiter den Außenbezirken Bezachts entgegen. Nach einer Weile hält er an, lehnt sich an eine Hausecke und lauscht mit fliegendem Atem. Es ist schwer zu lauschen, wenn das Herz so heftig pocht und das Blut in seinen Ohren rauscht.
„Bleib stehen und gib mir mein Eigentum zurück!“
Er sieht zurück und flucht leise. Eigentlich hat er gedacht, dass der massige Mann schon längst irgendwo am Boden hockt und nach seinem Herzen greift. Stattdessen bahnt er sich einen Weg zwischen zwei Passanten durch und hält mit hochrotem Kopf auf ihn zu. Als ob der Inhalt der zwei Beutel aus Gold bestehen würde. So ein Aufstand für ein paar Zuckerkringel. Der Bäcker sollte sich das wirklich nochmal überlegen, bevor er japsend zusammen bricht. Leider wird der Bäcker aber nicht auf ihn hören und so rennt er weiter.
Er biegt in eine weitere Gasse ab und setzt über einen kleinen Müllhaufen weg. Mit dem Fuß kommt er in einer Pfütze auf, die im Tageslicht schimmert. Zu spät erkennt er seinen Fehler. Der Fuß rutscht unter ihm weg und er landet unsanft auf seinem Hintern. Er verzieht schmerzerfüllt das Gesicht und lässt einen der Beutel fallen. Als er sich aufgerappelt hat und nach dem fallen gelassenen Beutel greifen will, poltert der Bäcker um die Ecke und stürmt durch die Gasse direkt auf ihn zu.
„Hab ich dich! Elender Dieb!“
Er wirft dem Beutel noch einen kurzen wehmütigen Blick zu, dann rennt er weiter und muss erkennen, dass der Bäcker Recht hat. Vor ihm erhebt sich eine etwa zwei Schritt hohe Mauer. Er kann förmlich das gehässige Grinsen des Bäckers in seinem Rücken spüren. Aber anstatt anzuhalten, verdoppelt er seine Bemühungen. Er läuft schneller. Mit wenigen Blicken, hat er alles entdeckt, was er gesucht hat. Kurz vor der Mauer springt er nach rechts auf die Hauswand zu. Seine Füße landen auf einem Fensterbrett und sogleich schnellt er von dort in die Höhe. Er rudert mit den Armen, als er auf der Mauer landet, um nicht sogleich wieder von ihr zu stürzen. Er dreht sich herum und grinst zu dem Bäcker runter. „Vielen Dank für die großzügige Spende.“ Dann springt der Junge von der Mauer und in Sicherheit.
Schnaufend, als ob er ohne Pause quer durch Jetrotack gelaufen wäre, lehnt der Bäcker seine schweißnasse Stirn an den kühlen Stein der Mauer. Fast im selben Moment spürt er ein Zupfen an seiner Schürze. „Hoher Herr?“
Der Bäcker dreht sich langsam zu der hohen Stimme herum. Vor ihm steht ein Mädchen, das vielleicht 10 Jahre alt sein mag. Es hat schwarze Haare, die es zu zwei Zöpfen geflochten hat, die seitlich ihres Kopfes liegen. Es hat große, dunkle Augen, die so unschuldig blicken, dass es dem Bäcker einen Stich versetzt. Ansonsten ist das Mädchen eine jämmerliche Erscheinung. An den Füßen trägt es nur Lumpen. Anders kann man das dreckige und zerschlissene Kleid auch nicht bezeichnen. Das ganze Kind starrt nur so vor Dreck. Nur die großen Augen strahlen ihn an. In den Händen hält es den Beutel, den der Bursche vorher verloren hatte. Das Mädchen hält ihm den Beutel hin. „Hier ist Euer Eigentum, Hoher Herr.“
Ein Lächeln huscht über das Gesicht des feisten Bäckers, der immer noch nach Luft schnappt. „Das ist aber nett von dir. Du gehörst nicht zu diesen Dieben?“
„Nein mein Herr.“ Das Mädchen ist sichtlich gekränkt. „Man darf nicht stehlen, hat mir mein Papa immer gesagt.“
„Er ist ein sehr kluger Mann.“ Der Galater zieht ein Tuch aus einer Tasche und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Mit der anderen Hand nimmt er den Beutel.“
„Er war ein kluger Mann.“ Das Mädchen blickt traurig drein. „Er wurde von einem Fuhrwerk überfahren. Letzten Winter. Und Mama ist schon sehr viel länger tot. Aber...“, sie sieht ihn wieder an und ihre Augen strahlen erneut, „... ich muss immer artig und ehrlich sein, hat er mir gesagt. Und das bin ich auch, egal wie schwer es sein mag.“
„Du bist wirklich ein tapferes Mädchen.“ Anerkennung schwingt in seiner Stimme mit. Anerkennung darüber, dass dieses Mädchen im Elend lebt und doch auf den Pfaden der Tugend geblieben ist. Ihm geht es viel besser und doch ist er nicht immer tugendhaft. Scham kommt in ihm hoch. Dieses Mädchen hat nichts und gibt dann auch noch freiwillig ihren Fund her, der sie bestimmt eine Woche lang satt machen würde. Er blickt in das dreckige, aber unschuldige Gesicht des Mädchens und ihm wird warm ums Herz. Er reicht ihr den Beutel und mit einem Lächeln sagt er: „Hier für dich. Du hast es dir verdient. Braves Mädchen.“
Wie eine Ertrinkende klammert sich das Mädchen an den Beutel und strahlt ihn mit einer solchen Wärme auf ihren Gesichtszügen an, dass dem Bäcker Tränen in die Augen schießen. Er gibt sich einen Ruck und geht los. Als er das Ende der Gasse erreicht hat und in seinem Hochgefühl schwelgt eine gute Tat vollbracht zu haben, dreht er sich noch einmal herum aber das Mädchen ist nicht mehr zu sehen.
Hinter der Mauer reißt sich das Mädchen mit einem Kichern das Kleid vom Leibe. Der drahtige, sehnige Körper eines erwachsenen Mannes kommt darunter zum Vorschein. Rewo kichert immer noch fröhlich als er mit seiner Beute die Straße entlang hüpft.
Einige Zeit später klettert der Kaiap mit seiner Beute in der Hand eine Leiter in die Kanalisation hinab. Unten angekommen sieht er in das Gesicht des Jungen, der den anderen Beutel in der Hand hält. Er sieht zerknirscht drein. „Es tut mir leid, Rewo. Ich habe nicht aufgepasst.“
Der Kaiap lacht. „Aber warum denn? Es hat doch richtig Spaß gemacht. Wenn wir das öfter machen, dann verliert er womöglich auch mal etwas von seinem eigenen Gewicht. Obwohl das sehr unwahrscheinlich ist.“
Der Junge grinst und nimmt den Beutel des Kaiaps entgegen während dieser sich die Zöpfe löst. Dann aber fällt ihm wieder das ein, was ihn so unvorsichtig werden ließ. „Rewo, ich habe etwas Schlimmes gehört.“
Rewo sieht den Jungen neugierig an. „Was denn?“
„Die Händler haben ein Kopfgeld auf dich ausgesetzt. Ganz viel Gold wollen sie zahlen, wenn jemand dich zu ihnen bringt. Tot oder lebendig.“ Der Junge ist in heller Aufregung.
„Ein Kopfgeld?“ Rewos Augen sind geweitet. „Das ist ja allerhand. Das ist doch verboten.“
„Ehm Rewo, dass was wir machen ist aber auch nicht erlaubt.“
Der kleine Mann winkt ab. „Das ist ja was anderes. Wir tun niemand weh. Die paar Zuckerkringel schmerzen niemand, nur den endlosen Geiz der dicken, fetten Männer.“
„Aber was tun wir denn jetzt? Es werden Männer kommen und dich uns wegnehmen. Was sollen wir denn dann tun?“ Die Stimme des Jungen bricht und er ist den Tränen nahe.
Rewo lächelt aufmunternd. „Mach dir darüber keine Sorgen. Mir wird schon was einfallen. Oder besser meinem Freund wird was einfallen. Er ist ein ganz gescheiter Mann und wird uns schon helfen können. Aber zunächst bringen wir die Köstlichkeiten zu den anderen, dann wasche ich mich. Isondra mag es nicht, wenn ich so dreckig in ihr Haus komme. Der Geruch reicht ihr schon vollkommen, sagt sie. Und dann erzähle ich Terbor von dieser Ungeheuerlichkeit. Ihm wird etwas einfallen. Ihm fällt immer etwas ein.“
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4.
Zwei schwarzhäutige Hände schießen so rasch hinab, dass nicht ein Tropfen Wasser aufspritzt. Als sie wieder zurückgezogen werden, halten sie einen silbrigen Fisch, der sein Leben mit einem harten Schlag auf einen Stein der aus dem Bachbett heraus ragt, verliert.
Zascht, der mit beiden Beinen mitten in dem Waldbach steht und nicht mehr als einen kurzen Lendenschurz trägt, wirft die neuerliche Beute zu den anderen Fischen. Seine feinen Ohren nehmen ein kaum zu hörendes Geräusch wahr. Ein sehr feines Lächeln bildet sich um seine Mundwinkel herum. Er wartet einen kleinen Augenblick, bis er leise sagt: „Nimm dir ruhig einen, Chri. Der Fang heute ist ergiebig. Ich weiß, wie gerne du rohen Fisch magst.“
Ein leises Schnurren hinter ihm beseitigt jeden letzten Zweifel in ihm. Zweifel, die ihm in jeder Situation wie angeboren sind. Er dreht sich um und betrachtet die Mari, wie sie sich rasch vorbeugt und einen der Fische mit ihren krallenbewährten Fingern greift. Wie sie sich wieder aufrichtet und in den frischen Fisch hinein beißt, ist eine einzige Bewegung. Zascht lächelt etwas mehr, als er das erregte Vibrieren der Schnauzhaare der Frau sieht. Ruhigen Schrittes kommt er aus dem Bach.
Chri sieht den Vicya zufrieden und kauend an. „Ich mag es, dass du auch gerne Fisch isst.“ Das angenehme, leicht raue Timbre in der Stimme der Mari zaubert, wie jedes Mal, eine ganz feine Gänsehaut in den Nacken Zaschts. Ein Gefühl, das er sehr gern hat, und das einer der Gründe ist, warum er sich gerne mit ihr unterhält. Sei es an einem der Lagerfeuer am Abend oder auch in ihrem oder seinem Zelt in der Sippe.
Auf freundschaftlich innige Weise sind die beiden sich in den letzten Jahren nahe gekommen. Auf eine Art, wie er es nie erwartet hätte, dass er einer Frau nahe kommen könnte. Und auch das gefällt ihm gut. So gut, dass er sich immer öfter dabei ertappt, die katzenhafte Mari zu fragen, ob sie nicht gemeinsam ein Zelt bewohnen könnten.
Mit einer raschen Bewegung streift er fast zärtlich ein ungezogenes Stück Fischfleisch aus dem Mundwinkel der Freundin und sagt: „Aber am meisten magst du, dass ich keine Scheu vor Wasser habe und deswegen recht mühelos Fisch fangen kann.“
Die Mari betrachtet ihn mit einer sanften Unschuldsmiene. Noch etwas, an dem Zascht mehr als nur Gefallen findet. Er hat gelernt, wie schön sich der weiche Pelz Chris anfühlt. Die katzenhafte Anmut ihrer Bewegungen. Die Eleganz in all ihrem Tun. Das Wissen um die Geschicklichkeit ihres Körpers. Doch am allerliebsten ist es ihm, wenn sie ihn besucht, sie sich ihres Wamses, der Stiefel und ihres Lederrocks entledigt und nackt um sein Feuer im Zelt herum streift. Wie sie die Wärme des Feuers genießt und sich dann neben ihn setzt. Nur um mit ihrem Schwanz dann sacht seine Wirbelsäule entlang zu streifen. Und sollte er diese zärtliche Geste nicht zurückweisen, liegt sie alsbald zusammengerollt fast zur Gänze in seinem Schoß. Zascht kann sich nicht erinnern, ihr Schwanzstreicheln je zurückgewiesen zu haben.
„Ich bin lieb!“, sagt Chri mit einem Unterton, der nicht nur Zaschts Nackenhaare aufstellt, sondern auch eine angenehme Hitze durch sein Blut jagt. Zascht ist froh darüber, dass das Bachwasser kalt ist und so das Vibrieren unter seinem Lendenschurz nur von ihm selbst wahrgenommen wird. Nicht von Chri und schon gar nicht von einer oder einem der anderen Mari, die geschäftig durch das nahe Zeltlager der Sippe streifen oder einfach faulenzend in den Ästen der Bäume des Waldes hängen, wobei ihre Schwänze zumeist als zusätzlicher Halt um das Holz gewickelt sind.
„Ich weiß“, sagt Zascht leise. „Ich würde gerne heute Abend dein Fell kämmen, wenn du magst.“
Wieder das Vibrieren der feinen Schnauzhärchen Chris. Doch diesmal stärker, offensichtlicher. „Ich werde zu dir kommen. Darf ich dann noch einen Fisch?“
Zascht nickt leicht. „So viele, wie du nur willst. Aber jetzt sag mir, was dich zu mir führt. Normalerweise holst du dir den ersten Fisch des Fangs erst ab, wenn ich fertig bin.“
Sofort wird die Mine der Mari ernst und sie nickt leicht. „Der Waldfrieden wurde gebrochen.“
Zascht runzelt die Stirn.
Chri fährt fort. „Eine Gruppe von Weiß- und Grünhäutern. Sie haben den Waldweg verlassen und sind ins Gehölz vorgedrungen. Sie haben zwei Tiere getötet und fingen sogar an, Holz zu schlagen. Wir riefen sie an, dass sie die Gesetze des Waldes verletzen würden. Doch sie lachten nur. Das Lachen ist ihnen vergangen. Aber es ist das erste Mal seit vielen, vielen Jahren, dass das Gesetz so verletzt wurde.
Wir kennen dich, aber die anderen Glatthäuter wenig. Kannst du dir diese einmal ansehen?“
Zascht hört ihr aufmerksam zu und nickt leicht, als sie endet: „Natürlich, Chri. Ich zieh mir nur etwas Passenderes an. Vielleicht sind noch andere in der Nähe.“

Eine halbe Stunde später schreitet Zascht an Chris Seite durch den Wald und über die fast nicht wahrnehmbaren Wege, die das Volk der Mari hier im Schieferwald angelegt hat. Immer wieder bewegt der Vicya kurz die Schultern. Er hat sich daran gewöhnt, seine Lederrüstung nur noch selten zu tragen. Und wenn er sie trägt, so wie jetzt, kommt sie ihm fremd und vertraut zugleich vor. Nur seine Schwerter geben ihm ein Gefühl vollkommener Sicherheit.
Gerade am Anfang, kurz nachdem er zu den Mari gekommen ist und um Erlaubnis gebeten hat, bei ihnen zu wohnen, hat er seine Waffen oft berührt, um dieses Gefühl zu genießen. So vertraut ihm die Gesellschaft der Mari auch gewesen ist, dadurch, dass das Volk von den Frauen geführt wird, so sehr hat ihn immer wieder die liebevolle, gar zärtliche Art und Weise verwirrt, in der die Mari miteinander umgehen. Doch immer seltener hat er die Waffen dann am Griff angefasst. Er muss sich sogar eingestehen, dass er nicht einmal mehr weiß, wann er sie das letzte Mal gezogen hat, außer zu dem Zweck die Klingen zu putzen.
Doch die typischen Geräusche geschäftiger Mari reißt ihn aus seinen Gedanken. Sie kommen zum Schauplatz eines kurzen, aber heftigen Kampfes. Die Mari haben ganze Arbeit geleistet und Zascht kann nicht einen Verwundeten seiner pelzigen Freunde sehen. Dafür aber sieht er die bolzengespickten Leichen von zwölf Wesen, die auf dem Boden in ihrem Blut liegen. Die Mari haben den Toten nach dem Kampf die Kehlen durchgeschnitten, um ganz sicher zu gehen, dass die Friedensbrecher tot sind. Doch jetzt sind sie dabei, Gräber für sie zu graben.
Zascht weiß, dass die Mari jedem Toten, egal ob Freund oder Feind, diese Ehre zukommen lassen. Er lächelt Chri kurz an und geht dann, auf der Suche nach Hinweisen, zwischen den Leichen umher. Acht Orks und vier Galater sind es.
Die Orks tragen schäbige Rüstungen und Waffen, die trotz ihres Zustandes zweckmäßig und in ihrer Wirkung nicht minder effektiv sind, als es neue Waffen vom Amboss eines mittelmäßigen Schmiedes wären.
Anders bei den vier Galatern. Ihre Rüstungen und Waffen sind gepflegt und von durchweg guter, bis sogar sehr guter Qualität. Die Menge an Kriegswerkzeug und die Anbringung an den Rüstungen lässt Zascht sofort auf Söldner tippen. Gute Söldner, denn je besser die Waffen eines Söldners sind, umso mehr Geld verdient er, um sie sich leisten zu können. Viel Geld aber verdient man in diesem Beruf nur, wenn man gut ist.
Bei diesen vier erkennt Zascht auch, dass etwas auf die Scheiden der Schwerter gestickt worden ist. Er geht in die Knie, um sich das näher anzusehen. Deutlich erkennt er einen Wolfskopf. Der Rachen ist weit aufgerissen und die scharfen Zähne sind, trotz der geringen Größe, gut zu erkennen. Das stilisierte Schild um den Kopf und die gekreuzten Schwerter darunter erinnern zu sehr an ein Wappen, als dass es nur eine Zierde sein könnte. Zascht blickt auf und erkennt nun auch an den Orks das Wappen. Dort ist es mal nur ein Tuch, das irgendwo angenäht oder mit einer heißen Klinge in Leder gebrannt wurde. „Chri?“, sagt er leise.
Doch die Mari ist umgehend an seiner Seite und ihn überkommt ein wohliger Schauer, als er ihren Fellflaum kurz an seinem Unterarm fühlt. „Du hast etwas entdeckt?“
Zascht nickt leicht und deutet auf die Wappen. „Ja. Es sind Söldner. Wahrscheinlich auch die Orks. Auch wenn sie, wie üblich nur niedere Handlangertätigkeiten übernommen haben dürften. Aber das hier ist ein Wappen. Die Zwölf standen im Dienst eines Herrn. Ich kenne das Wappen nur leider nicht. Trotzdem vermute ich, dass diese Zwölf in kurzer Zeit vermisst werden.“
Chri nickt leicht und sieht ernst auf das Wappen. „Ein Befehlshaber bei den Glatthäutern hat ein Wappen?“
Zascht nickt leicht. „So könnte man es ausdrücken, ja. Zumindest aber kannst du davon ausgehen, dass nach ihnen gesucht werden wird. Wann – das vermag ich nicht zu sagen, da es keinen Hinweis gibt, in was für einem Auftrag sie unterwegs gewesen sind.“
„Dann werden wir die Wachen verstärken. Die Waffenschnitzer sollten dann wohl auch unsere Lager aufstocken“, sagt Chri.
Zascht nickt leicht. „Ja. Und sag den anderen, dass von diesen hier niemals etwas gefunden werden darf. Sie sollen tief graben.“
Jetzt nickt Chri und steht wieder auf. „Ich werde es sagen. Danke, Zascht.“ Sie wendet sich ab und geht los. Dann aber dreht sie noch einmal den Kopf und lächelt den Vicya an. Ein Sonnenstrahl, der durch das Dach des Waldes bricht, lässt die scharfen Eckzähne der Mari aufblitzen. „Ich freue mich auf heute Abend!“
„Ich mich auch“, erwidert Zascht leise und seine Rechte fährt unbewusst über die kleinen Hautnoppen in seinem Nacken. Er sieht hinauf in den Himmel und wispert leise: „Lass mich bitte niemals an dieses Gefühl gewöhnen. Es ist unbeschreiblich.“

Es riecht nach frischem und gegrilltem Fisch in Zaschts Zelt. Tiefe Dunkelheit wird immer wieder durch die tanzenden Flammen im kleinen Feuer in der Mitte des Zeltes in fröhliche Schatten verwandelt. Chri räkelt sich zufrieden in Zaschts Schoß. Die Kleidung der beiden hat schon vor über einer Stunde den fliegenden Weg in eine der hintersten Ecken der Unterkunft des Vicyas gefunden.
Die im Feuer gelbrot glühenden Katzenaugen der Mari mustern das Gesicht Zaschts, bis sie sagt: „Du bist abwesend.“
Die Worte unterbrechen ein stetiges, tiefes Schnurren Chris, denn Zaschts Hände gleiten unablässig geschickt und sanft durch ihren Fellflaum. Nach einem kurzen Zögern nickt er. Ohne sein Streicheln zu unterbrechen, sagt er: „Ja. Mir gehen die Söldner nicht aus dem Kopf. Du sagtest, dass der Waldfrieden schon lange, sehr lange nicht mehr gebrochen wurde. Ich frage mich, ob vielleicht Absicht dahinter steckt. Doch ich weiß auch, dass ich das hier im Wald nicht heraus finden kann. Mir würde es gar nicht gefallen, wenn die Sippe in Gefahr wäre.“
Chri reibt ihren Kopf an Zaschts Brust. Dabei kitzeln ihre Schnauzhaare an seinen Brustwarzen und eine Gänsehaut bemächtigt sich des ganzen Leibes Zaschts. „Du willst also in die Stadt?“
Zascht reibt seine Schläfe an Chris Kopf und ihre Worte sind es, die ihn zu einer endgültigen Entscheidung führen. „Ja. Ich muss mit Terbor sprechen. Vielleicht weiß er etwas.“
„Wirst du lange weg bleiben?“
„Ich weiß es nicht. Wenn etwas getan werden muss, dass für Sicherheit der Sippe sorgt, so kann das sein. Wenn es aber so ist, werde ich dir Nachricht schicken, so es möglich ist, Chri.“
„Dann ist das also vielleicht für längere Zeit die letzte Nacht mit Fisch und Streicheln?“
Zascht nickt nur.
Chri nimmt Zaschts rechte Hand und führt sie an einen Ort ihres Leibes, wo seine Finger erheblich mehr Weiches fühlen dürfen, als nur ihren Flaum. Und das Timbre in Chris Stimme erregt mit unwiderstehlicher Macht sehr viel mehr, als nur die Haut Zaschts. „Dann sollten wir beide Abschied nehmen. Ich werde auf dein Zelt aufpassen.“
„Danke!“, wispert Zascht mit leicht bebender Stimme, als die beiden nach hinten in die Felle des Lagers sinken und alsbald die Schatten an den Zeltplanen wilder und erheblich lebhafter umher tanzen.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Mo 22. Feb 2010, 20:11, insgesamt 1-mal geändert.
Moha
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5.
„Da, Herr, Essen.“ Der Ork reicht Ver die Schüssel mit der nur leicht angebrannten Kaninchenkeule.
„Gut.“ Ver nimmt das Essen entgegen. „Verstärkt die Wachen. Wir brechen morgen noch vor Sonnenaufgang wieder auf.“
„Ja, Herr.“ Der Ork trottet davon und lässt Ver mit der Keule und seinem wiedererlangten Besitz im Schatten des Karrens zurück. Das Licht der zwei Monde ist ihm schon fast zu hell in diesen Nächten. Die Orksöldner sitzen an dem kleinen Feuer und teilen die anderen Kaninchen unter sich auf. Zum Glück haben sie ihren einzigen Topf vor zwei Tagen verloren, sonst würden sie ihren grauenhaften Eintopf kochen, statt am Feuer zu grillen.
Abwesend beißt er von der Keule ab, während sein Blick auf seiner Beute, seinem Besitz liegt und er doch durch ihn hindurch sieht. Ein wenig zerschunden ist Elár ja schon, aber bei Cilia hatte er durchaus Schlimmeres überstanden, als ein paar Kratzer von ungelenken Orkkrallen und dem einen gebrochenen Arm. Die Beule am Kopf verunstaltet ihn ein wenig, aber auch die wird wieder verschwinden. Ebenso wie die Kratzer. Vielleicht wird er später einmal einen Heiler damit beauftragen die Narben zu entfernen, damit er wieder das Gefühl dieser seidenweichen Haut ganz ohne böse Erinnerungen genießen kann. Später einmal, wenn der Elb wieder ganz ihm und nur ihm gehört .
Ver stellt die halb abgenagte Keule zur Seite und kann nicht anders, als die Fingerspitzen über diesen wundervollen Leib gleiten zu lassen. Diesen Leib, der ihm schon einmal gehört hat, für eine kurze Zeit zumindest und dessen Fortgabe ihm dann das Leben gerettet hat. So wunderschön glatt ist die Haut, so ebenmäßig das Gesicht, die Lippen sind so fein gezeichnet, dass Ver erschaudert und sich kleine Schweißperlen auf seiner Oberlippe bilden. Und das nur bei dem Gedanken daran, wie es ist, wenn sich seine Lippen mit denen Elárs vereinen, wie es ist, ihn zu spüren und zu schmecken.
Vers Finger gleiten weiter und erkunden den Hals, diesen schlanken, beweglichen Hals. Und er spürt deutlich den Herzschlag rasen als seine Fingerspitzen die Halsschlagader entlang fahren. Wie oft hat er dieses gespürt, als er noch in den Diensten Cilias stand? Als er ihr gehörte und ausgeliefert war? Ausgeliefert ihrer Gnade. Gnade!? Welch Hohn, ein solches Wort auch nur in einem Satz mit Cilia zu nennen. Gnade kannten weder sie, noch Zeztoi damals, und sie hatten ihn gelehrt, was das bedeutet. Was es heißt gnadenlos zu sein. Ohne jede Gnade, ohne jedes Mitgefühl zu handeln. Und ohne jeden Skrupel.
Trotzdem muss er vorsichtig sein. Er weiß, dass die Orks ihn im Dunkel sehen können, ihn und sein Tun. Aber Galater hatte er nicht bekommen, nur die Orksöldner. Gut, sie waren gut in dem, was sie taten, aber es waren immer noch Orks. Grob, ungelenk, ungebildet, von so schlichtem Gemüt, dass es ihm zu wider ist, mit ihnen arbeiten zu müssen. Sie sind nicht mehr als Werkzeuge, grobe Werkzeuge, aber zu gebrauchen.
Dieses wundervolle, ganz sachte Zittern der Haut unter seinen Fingern. Er streichelt noch einmal über den gebrochenen Arm. Ganz sanft und zärtlich. Und er genießt dieses leichte Zittern. Seine Finger machen an der Schienung halt und beginnen erneut oben an der Schulter. Ganz nah an dem Makel Elárs, ganz nah an den Knospen, die nie erblüht sind. Nah an dem Zeichen seiner Unreinheit. Die Vermischung des Blutes der Dhalaru, der geflügelten Elben mit dem eines normalen Elben. Das hat dafür gesorgt hat, dass sich seine Flügel nie ausgebildet haben und er niemals den Rausch des Fluges kennengelernt hat. So wie es jeder reinrassige Dhalaru von frühen Kindesbeinen an kennt. Sie beide teilen damit einen kleinen Makel. Eine Kleinigkeit, die ihnen fehlt. Auch wenn Vers fehlende Kleinigkeit seinen Leib an anderer Stelle nicht mehr ziert. Sanft streicht Ver die Haare des Elben zur Seite und beugt sich zu dessen Ohr hinab.
„Liebster“, haucht er leise. „Du brauchst dich nicht zu verstellen, ich weiß, du bist erwacht. Aber danke, dass du mir so die Gelegenheit gegeben hast, deinen Leib noch einmal neu zu erkunden.“
Ver lehnt sich wieder zurück und sieht mit einer Mischung aus Liebe und Hohn, wie Elár die Augen öffnet und ihn ansieht.
„Du musst etwas Essen, Liebster, sonst verhungerst du mir noch auf dem Weg zu unserem Zuhause.“ Ver zupft ein Stückchen Kaninchenfleisch von der Keule und will es Elár zwischen die Lippen schieben. Der Blick des Bastardelben geht durch ihn durch ins Leere, und Ver hat nur Erfolg mit seinem Tun, weil der wispert: „Alathe, meine Liebe, mein Sonnenschein.“ Der Stimme fehlt jegliche Melodie, aber Ver stört das nicht.
„Ach, diese schwarzhaarige Schlampe meinst du. Wenn du artig isst, wirst du sie vielleicht wiedersehen können. Wenn nicht, dann liegt es daran, dass du verhungert bist, mein Liebling.“ Ver sieht Elár mitleidig an, auch wenn er dieses Gefühl schon lange nicht mehr kennt und füttert ihn erneut mit ein wenig Kaninchen.

Elárs Blick aber füllt sich mit Tränen, auch wenn er sich mit all seiner Liebe und all seinem Glauben an der Hoffnung festklammert, Alathe, seine Liebe, sein Leben noch einmal wieder zu sehen. Hoffnung hat ihn schon einmal Jahre überleben lassen, war ihm schon einmal ein Licht in der Dunkelheit des Seins. Und was für ein Licht ihm die Göttin geschenkt hatte, nach den Jahren der Folter und des Darbens. Elár klammert sich mit aller Kraft an die Hoffnung, spinnt einen Faden daraus, um diesen in seinen Gesang einweben zu können.
Er nimmt nicht wahr, dass Ver ihn füttert und ihn umgarnt wie einen Liebhaber. Die Worte des Halbelben schmerzen ihn, reißen die Wunde des Verrats, den er an ihm verübt hat – wieder verübt hat – erneut auf, um ihn dann ins Dunkel der Bewusstlosigkeit zu stoßen, dorthin wo kein Schmerz ist.

Ver verzieht das Gesicht leicht, sieht auf seine weißen Knöchel, als er spürt, wie der Leib unter seinen Händen erschlafft. Er lässt den gebrochenen Arm Elárs wieder los und schüttelt sich die Hand aus. Der leichte Druck auf die Bruchstelle hat gereicht, um Elár mit reinem Schmerz zu betäuben. Sogleich macht er sich daran den Verband und die Schienung zu öffnen, um ihn neu zu richten.
„Das tat mir viel mehr weh, als dir, Geliebter. Mach doch nicht immer, dass ich dir weh tun muss“, murmelt er dabei vor sich hin und richtet den Arm neu. Das Knirschen des Knochens, als er ihn endgültig in die richtige Position bringt, erinnert Ver an das Knirschen von Zähnen. Ein Geräusch, dass auch ihm durch Mark und Bein fährt, so er nur nah genug an der Quelle ist. Und jetzt ist er ganz nah.
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6.
„Du bist dir sicher, dass du das schon machen willst? Dass du das schon kannst?“ Terbor sieht Alathe von der Seite aus an. Vor etwa einer halben Stunde haben sie das nördliche Tor der Stadt passiert und sind jetzt auf dem Weg, der durch den Wald führt. Weit weg zu anderen Orten. Genau die Straße, die auch sie genommen haben vor über vier Jahren, als sie Malinquor verfolgt haben. Und jetzt geht Terbor sie wieder entlang, um seiner Freundin zu helfen, Spuren der Entführung ihres Liebsten zu finden.
Alathe sieht Terbor an und nickt leicht. Der Schmerz über ihren Verlust ist tief in die Züge ihres Gesichtes eingegraben. Sie gehen langsam. Ob es noch immer daran liegt, dass Alathe durch die Verletzungen geschwächt ist, oder weil der Weg mit seinen Erinnerungen für die junge Bardin so schwer ist, vermag Terbor nicht zu ergründen.
„Ja, Terbor. Wir sollten so schnell wie möglich dahin, bevor der Wald alle Spuren getilgt hat. Wir haben keine Zeit. Und ich komme mir vor, wie eine alte Frau. Aber ich kann einfach noch nicht schneller gehen.“
Immerhin auf die Frage, warum sie langsam sind, hat Terbor jetzt eine Antwort. „Also ich würde sagen, ob wir in 10 Minuten oder erst in einer Stunde dort sind, darauf kommt es dann wirklich nicht mehr an. Wie war das eigentlich mit Elár? Die Zeit über? Und dein Kind, das du unter dem Herzen trägst. Ist es bewusst geschehen oder ist es einfach passiert?“
Alathe beißt die Kiefer so stark aufeinander, dass ihre Wangenknochen hervortreten. Ihr Blick wird etwas glasig, doch dann beginnt sie zu erzählen. „Nachdem wir uns damals in Bezacht getrennt hatten, sind Elár und ich über das Land gezogen. Von Ort zu Ort, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben. Die Musik hat uns vereint und dann auch die immer stärker werdende Liebe. Wir lebten von Tag zu Tag. Was wir für das Leben brauchten, haben wir durch Auftritte in Tavernen verdient und wir konnten gut davon leben. Wir hätten uns sogar Pferde leisten können, aber wir beide dachten, dass es viel schöner, viel intensiver wäre, zu Fuß das Land zu erkunden. Gemeinsam ersannen wir neue Lieder, Geschichten und trugen sie auch einfachem, reisendem Volk vor, das so freundlich war, uns mal hier und dort an ihren Feuern nächtigen zu lassen.
Ich glaube sogar, dass wir uns einen kleinen Ruf erarbeitet haben. Denn manchmal fragten die Wirte in Tavernen uns, ob wir nicht die beiden seien, die hier oder dort schon einmal aufgetreten seien und die Kassen der anderen Wirte haben klingeln lassen. Terbor, es war wundervoll. Wir lebten und konnten auch für das leben, was uns am meisten am Herzen lag: Der Musik und der Dichtung. Elár hat eine wundervolle Stimme und wenn ich zu seinem Gesang tanzte, war es selbst für mich wie in einem Traum. Aber wenn wir endeten, hättest du die Gesichter unserer Zuhörer sehen sollen. Es hat uns berauscht und ich glaube, weder er noch ich, waren je so glücklich in unseren Leben, wie in den letzten vier Jahren.
Wir waren schon wenige Tage nachdem wir losgezogen waren, ein Paar. Seine Worte, seine Hände, seine Zärtlichkeit. Wie gerne habe ich ihm meine Unschuld gegeben. Wie sehr haben wir uns geliebt. An Geist, Seele und Körper.“
Alathe lacht leise auf, aber keine Freude ist darin. „Und wo wir uns geliebt haben. Ich glaube, mancher Schankwirt wird, nachdem wir abgereist waren, seine Mauern verstärkt haben und zwei Mal mussten wir sogar aus Dörfern etwas überhastet abreisen, weil wir durch unsere Lust wohl manche Moralvorstellung gebrochen hatten. Aber es war uns egal. Ich für meinen Teil wusste und weiß auch noch immer, dass ich keinen anderen Mann haben will, als Elár. Im Herzen habe ich ihn schon längst geheiratet. Ich bin sein ihn treu liebendes Weib.
Elár weiß nichts von dem Kind. Als ich es feststellte, wollte mein Herz vor Freude bersten, aber die Kunde wollte ich ihm erst in Bezacht mitteilen, denn natürlich hätten wir dann jetzt wirklich heiraten müssen. Ich will, dass mein Kind, wo wir schon fahrendes Volk sind, trotzdem in möglichst geordneten Verhältnissen aufwächst. Ich hatte auch die Hoffnung, dass wir in Bezacht Adirië und Adorg treffen könnten. Zumindest herausfinden, wo sie gerade waren. Vielleicht hätten ihre Eltern in ihrem Zirkus uns beide ja gebrauchen können. Mit einem Kind zu zweit zu reisen, wäre schwieriger geworden. Nicht unmöglich. Aber in einer richtigen Gruppe wäre vieles einfacher gewesen.“
Alathe schluchzt auf und beginnt zu weinen. „Aber jetzt ist er fort. Weg... geklaut von dem, den wir alle für tot glaubten! Terbor, ich will meinen Elár zurück! Ich will eine Familie haben. Eine glückliche Familie. Ich will meinen Mann wieder haben!“
Terbor hat schon längst seinen Arm um die Schultern der im Moment so zerbrechlich wirkenden Bardin gelegt. Trotzdem ist er von ihren Worten, von ihren Zielen beeindruckt. Seine Freundin hat sich verändert. Sie ist reifer und erwachsener geworden. Umso mehr schmerzt ihn das schreckliche Leid, das sie jetzt ereilt hat und Wut keimt in ihm auf, wie er sie lange nicht mehr gespürt hat. Doch ist hier nichts, woran er diese Wut entladen könnte. Viel wichtiger ist es, seine Freundin aus diesem dunklen Schattenland ihrer Verzweiflung zu befreien. Kurz denkt er darüber nach, ob er die Worte, die ihm sogleich in den Sinn gekommen sind, wirklich sagen soll, aber da bewegen sich seine Lippen schon. „Hm. Verlangst du jetzt wirklich von mir mitzuhelfen, eines der bezauberndsten Geschöpfe auf Erden hinter Herd und im Gauklerwagen wegzusperren? Ihre Schönheit der Sonne zu entziehen, damit sie Kinderschreie auf ihren Armen tröstet und deren Hunger an ihrem Busen stillt? Im ehernen Stand der Ehe? Das kann doch nicht dein Ernst sein!“
Alathe bleibt wie festgewurzelt stehen und starrt Terbor aus tränenschweren Augen an. Ihr Mund öffnet und schließt sich unablässig, bis sie mit einer raschen Bewegung das rechte Bein hebt und mit nur wenig Kraft gegen Terbors Po befördert. Sie wirft die Arme in die Luft. „Du bist ein böser Mann!“ Doch das anschließende Lachen, ist für Terbor die schönste Musik, die er seit langem gehört hat. Fest schließt er die Arme um die Bardin, als sie sich an seine Brust wirft und zugleich lacht und weint. „Oh, ich liebe dich, Terbor... und ich habe dich und die anderen so unendlich vermisst. Ich konnte kaum noch erwarten, bis das Jahr um gewesen wäre und ich euch allen so stolz mein Kind hätte präsentieren können.“
Terbor streichelt durch ihr langes, schwarzes Haar mit einer Hand, während die andere beruhigend über ihren Rücken gleitet. „Und das kannst du immer noch. – Mit Elár an deiner Seite. Und wenn es das Letzte ist, was ich tu.“ Und in Gedanken fügt er für sich hinzu, dass Alathe sich, der Göttin sei Dank, doch nicht allzu sehr verändert hat.

„Hier ist es.“
„Bist du dir sicher?“ Terbor sieht sich auf dem festgewalzten Weg um. Hier Spuren zu finden, ist fast unmöglich. Vielleicht hätte hier ein Drache eine Fährte im festgestampften Straßenbelag hinterlassen.
Doch Alathe geht in die Hocke und nimmt einen Stein auf. Sie hebt ihn hoch und hält ihn Terbor hin. Deutlich ist das getrocknete Blut darauf zu sehen. „Hier habe ich gelegen. Ja... wir sind hier richtig.“
Terbor nickt leicht und doch seufzt er sogleich. „Hätten wir jetzt Helofain und Zascht hier, würden wir in 10 Minuten wissen, wie viele es waren. Wer sie waren. Was sie am Leib trugen und was sie als letztes gegessen hatten. Aber jetzt sind nur wir beide hier. Also versuchen wir unser Bestes. Ich denke, der Weg selbst wird uns nicht helfen. Nimm du die rechte und ich die linke Seite der Straße. Vielleicht finden wir was in der Böschung, dem Gras oder dem Unterholz. Das muss unsere Hoffnung sein.“
Alathe nickt stumm und macht sich sofort auf, seinen Weisungen Folge zu leisten. Terbor sieht ihr nach und murmelt leise: „So viel hat sich dann wirklich nicht geändert. Sie hört, ohne zu fragen, noch immer auf mich.“ Dann aber macht er sich auf seiner Seite der Straße auf, nach Spuren derer zu suchen, die die Bardin überfallen haben.
Leicht vornüber gebeugt streift Terbor durch das Gras und das Unterholz. Immer wieder geht er in die Hocke, um einen vermeintlichen Hinweis zu untersuchen. Doch immer wieder ist es doch nur ein Stein, ein Stück Holz oder ein Knochen von etwas, was er so nicht mehr heraus zu finden vermag. Doch plötzlich fällt ein verirrter Sonnenstrahl auf etwas, das das Licht reflektiert. Viel zu klar für einen natürlichen Stoff. Rasch eilt Terbor an die Stelle und hebt eine Stiefelschnalle aus Metall auf. Sie ist stellenweise rostig, verbogen und alle Nieten, die sie einst gehalten hat, sind aus ihren Nuten herausgebrochen. „Orkisch“, sagt Terbor leise zu sich selbst und nachdenklich fällt sein Blick tiefer in den Wald hinein. Dann stutzt er, kurz blickt er zur Seite und dann wieder zu der Stelle, wohin er zuerst hingesehen hat. „Das kann doch gar nicht wahr sein!“, ruft er aus, um dann noch lauter zu schreien: „Alathe!“
Es dauert nur wenige Augenblicke, bis die atemlose Bardin zu ihm gerannt kommt. Sie sieht ihn mit großen, hoffnungsvollen Augen an. Doch Terbor nimmt ihren Kopf nur sacht in die Hände und dreht ihn zu dem, was er entdeckt hat. „Sollen wir mal diese neue Straße probieren, Alathe?“
Die Galaterin nickt und gibt ein freudiges und doch beängstigendes Knurren von sich. „Oh ja, das wollen wir.“
Vor den beiden erstreckt sich ein regelrechtes Tor aus umgeknickten, jungen Bäumen und dahinter ein Pfad der mutwilligen Zerstörung, wie sie nur eine Horde von Orks hinterlässt, die in eifriger Freude ein Ziel vor Augen hat. Eine Spur, wie sie deutlicher nicht sein kann. Kaum, dass sie dem Pfad folgen, sind auch deutlich Fußabdrücke zu erkennen. Spuren, die zur eigentlichen Straße durch den Wald hin, aber auch wieder von ihr weg führen. „Sie haben den gleichen Weg benutzt. Er führt tiefer in den Wald hinein. Gut. Das haben wir gebraucht.“
„Wir werden Elár finden!“, sagt Alathe bestimmt und dann gehen die beiden alten Gefährten viel leichteren Schrittes dem deutlichen Trampelpfad nach.

Die Sonne ist schon weit über den Horizont gewandert, als sie den Wald verlassen und sich auf den weiten Grasebenen Nordwestlich von Bezacht wiederfinden. Im Gras sind noch immer die Spuren deutlich zu erkennen und sie führen im weiten Bogen um die Stadt herum, aber dann doch zur westlichen Straße hin, die den Schieferwald umgeht.
„Westen“, sagt Terbor. „Fast ist es mir, als ob der Weg zurück zu unseren Anfängen geht. Erinnerst du dich noch, Alathe? Diesen Weg wären wir auch nach Bezacht gekommen, wenn wir nicht den schnelleren durch den Schieferwald genommen hätten, damals.“
Ein unternehmungsfreudiges Feuer hat sich in den Augen der Bardin breit gemacht. Zumindest ist im Moment nichts von der Sorge um den Geliebten darin zu sehen. „Ja... es ist, als sei es gestern gewesen und doch Jahrzehnte her. Was macht dich so sicher, dass sie den längeren Weg genommen haben und nicht auch einfach durch den Schieferwald sind?“
„Weil dein Elár dann schon noch vor dir selbst bei Isondra und mir gelandet wäre“, erwidert der Galater.
„Wie kommst du da drauf?“
„Zaschts Nase. Er hätte den Ärger gerochen und Elár nicht nur befreit, sondern mit Sicherheit zu uns gebracht, weil er mit ihm nichts hätte so recht anfangen können.“
„Zascht lebt im Schieferwald?“, ruft Alathe überrascht aus.
Terbor nickt. „Ja, er hat sich damals den Mari angeschlossen und lebt bei ihnen. Ab und zu kommt er Isondra und mich besuchen. Es geht ihm gut.“
Alathe macht einen Schritt auf Terbor zu. „Können wir ihn nicht überreden, uns zu begleiten. Es ist Zascht. Er... findet Elár, selbst wenn Ver ihn unter irgendeinem Stein versteckt haben sollte.“
Terbor schmunzelt, nickt dann aber leicht. „Wir können ihn fragen gehen, ja. Wir müssen eh in die Stadt zurück. Wir brauchen Ausrüstung, Waffen, Proviant und am besten Pferde, damit wir diesmal wirklich Jäger sein können und aufholen.“ Der ehemalige Hauptmann der Gefährten seufzt leise. „Isondra wird nicht begeistert sein, wenn wir ihren Sparstrumpf plündern müssen. Und so viel ist da sowieso nicht drin. Wir können von ihrem Laden leben, aber reich werden wir nie mit Kräuterhandel werden.“
Doch da greift Alathe an ihren Gürtel und löst einen Beutel, den sie öffnet. Etwa den halben Inhalt schüttet sie erst sich und dann auch Terbor in die Handfläche. Er sieht mit offenem Mund auf das glänzende Gold in ihren und seinen Händen. Mit deutlicher Zufriedenheit in der Stimme sagt die junge Bardin: „Ich hab doch gesagt, dass Elárs und mein Handwerk recht erträglich war in den letzten Jahren. Ich denke, nur davon bekommen wir gute Reitpferde, Packtiere, Proviant für Wochen und die besten Waffen und Rüstungen.“
Terbor nickt leicht und starrt noch immer auf das Gold in seiner Hand. Als Alathe den Blick bemerkt, sagt sie sanft: „Und Isondra lassen wir auch einige Münzen da. Sie wird sie gebrauchen können. Vor allem, wo ich dich ihr ja für eine Weile entführen muss.“
Terbor nickt wieder wortlos.
Alathe lacht leise auf, gibt erst ihre Goldmünzen zurück in den Beutel und dann die aus Terbors Hand. Sie nimmt Selbige und zieht ihn mit sanftem Nachdruck in Richtung der Stadt. „Na komm! Wir haben was zu tun. Und bevor du auf dumme Gedanken kommst. Nein! Fang nicht an zu singen. Dein Säckel wird sich dadurch bestimmt nicht füllen!“
„Du bist eine böse Frau!“
Alathes Lachen gleitet auf sanften Schwingen über die grasbewachsenen Hügel, in das schnell auch Terbors lautes Lachen mit einstimmt.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Mo 8. Mär 2010, 20:27, insgesamt 1-mal geändert.
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7.
Narek sieht nachdenklich über die Zinnen bewährte Mauerkrone der Stadtmauer hinaus auf das weite, grüne Land um Bezacht. Einzelne Wachen schlendern immer wieder an ihm, aber auch an Wetoq vorbei, der neben dem jungen Söldnerhauptmann steht, einem Hauptmann ohne Truppe. Die Stadtwache hat nichts dagegen, wenn jemand einmal den Blick über das Land schweifen lassen will. Deswegen sind sie auch nicht die einzigen Besucher hier oben. Narek beobachtet die nördlichen Ländereien und hört wenig auf die sprudelnden Worte seines einzigen Kameraden, seines ehemaligen Mentors.
Er horcht erst auf, als Wetoq neben ihm sagt: „Mir gefällt das. Da ist was im Busch. Was Großes. Das verspricht uns einige Goldmünzen.“
Narek dreht den Kopf zu Wetoq und sagt bissig: „Du hast wohl vergessen, dass wir beide keine Truppe mehr haben. Und das auch wegen des Mannes, von dem du vermutest, dass er es ist, der solche Begeisterung in dir weckt.“
Wetoq schlägt seinem ehemaligen Zögling auf die Schulter. Ächzend entlässt Narek die Luft aus seinen Lungen. „Schlecht geschlafen? Noch nicht auf dem Abort gewesen? Ich glaube, du brauchst mal wieder eine Frau. Eine ordentliche! Die dicke, blonde Schankmaid in unserer Herberge wäre genau die Richtige, um dir die trübsinnigen Gedanken aus dem Kopf zu reiten. Oder noch besser, du schiebst sie schön schnell einfach in sie rein! Ich werde für dich was absprechen.“
Narek verzieht das Gesicht. „Wag es und du kannst gleich morgen zum Zahnreißer!“
Wetoq lacht schallend auf. „Ahhh... das klingt doch gleich viel besser.
Narek knurrt leise und blickt wieder hinaus in die Landschaft, wo er zwei Gestalten auf die Stadt zukommen sieht. Direkt durch das satte, grüne Gras. Als er Einzelheiten erkennen kann, runzelt er die Stirn. „Sag mal, ist das nicht dein Freund Terbor da vorne? Und das ist doch diese Bardin. Alathe. Oder hab ich was an den Augen?“
Wetoq folgt Nareks Blick und nickt nach einem kurzen Augenblick. „Ja, das ist Terbor. Das erkenn ich schon, wie er läuft. Und die Süße an seiner Seite ist diese Bardin. Oh ja. Das Terbor hier rumrennt, ist ja in Ordnung. Aber die Kleine war schon Jahre nicht mehr in der Stadt. Und wo hat sie ihren Elbenschönling gelassen?“ Auf Wetoqs zerfurchter Stirn bildet sich eine weitere, steile Falte. Dann sagt er nachdenklich. „Irgendwie passt das ziemlich zusammen. Wenn meine Vermutung stimmt und der Name, der auf dem Zettel stand zu dem Gesicht passt, das ich vor Augen habe und jetzt die niedliche Kleine hier auftaucht, dann muss etwas im Busch sein.“ Er beginnt zu grinsen und schlägt Narek wieder auf die Schulter. „Ich würde ja sagen, wir behalten das im Auge. Mir gefällt das. Ich kann es nur immer wieder sagen.“
Narek sieht zu den beiden näher kommenden Gestalten. „Das sind mir ein paar zu viele Wenns, wenn ich ehrlich bin.“
Wetoq spuckt über die Mauerkrone. „Du bist ein unverbesserlicher Pessimist!“
„Und ich kann nicht nachvollziehen, wie du wirklich niemals deine Zuversicht verlieren kannst!“
„Lebenserfahrung, mein Freund. Die meisten Söldner meines Alters sind nur noch Staub im Wind oder liegen mit ihren Knochen tief in der Erde und dienen nicht mal mehr als Dünger. Also muss ich was richtig machen. Es gibt keinen Grund die Zuversicht zu verlieren.“
Narek seufzt. „Deine Worte in der Göttin Ohren!“
Wetoq spuckt wieder über die Mauer. „Lass bloß die aus dem Spiel. Mir ist es lieber, wenn es bei allen Höllen stattfindet. Aber lass bloß die Überfrau aus dem Spiel.“
Narek lacht leise auf und sieht Wetoq an. „Du und ein Priester. Das wäre bestimmt ein interessantes Aufeinandertreffen.“
Wetoq lacht laut. „Ah... alles kein Problem. Nach dem zehnten Bier ist jeder Priester ein wunderbarer Gefährte. Vor allem können die alle einigermaßen gut singen. Außerdem kennen die Lieder, wo selbst ich interessiert zuhöre.“
Narek fällt mit in das Lachen ein und schüttelt den Kopf. „Kannst du eigentlich nur an das eine denken?“
„Warum sollte ich nicht? Was gibt es Besseres, wenn ich niemandem den Schädel einschlagen kann? Außerdem, wenn wir uns ein wenig an die beiden da unten heften, könnte es doch gut sein, dass auch die kleine Blonde alsbald mit dabei ist.“
Nareks Hand fährt auf die Zinne, als das Antlitz Johinzahins, seiner Prinzessin, mit aller Macht sämtliches Sehen vertreibt und sie vor seinem geistigen Auge schwebt. Wie viele unzählige Stunden hat er heimlich nur an sie gedacht? Wie viele unzählige Träume hat er nur von ihr geträumt? Als er daran denkt, was für Träume mitunter dabei waren, schießt ihm sein heißes Blut in den Kopf. Das wunderschöne Gesicht wird brutal vertrieben, als Wetoq in bei den Schultern greift, ihn durchschüttelt und eben Wetoqs Gesicht Platz macht.
„Bei allen Höllen! Junge. Tu das nie, wenn eine Frau in der Nähe ist. Wenn du da rot wirst, hat sie dich in der Hand. Und ich dachte, ich hätte dir alles Wichtige beigebracht. Offensichtlich nicht. Wenn euer Schweiß sich verbindet und ihr aneinander klebt, dann und nur dann darfst du rot werden.“
„Es reicht!“, knurrt Narek leise.
Wetoq lacht auf. „Es reicht noch lange nicht. Wie kannst du nur rot werden. Ja, die Bardin ist verdammt hübsch, aber sie hat doch noch was an. Außerdem ist sie viel zu weit weg!“
Narek hält es absolut nicht für nötig, seinen Kameraden über seinen Gedankenirrtum aufzuklären. „Ja, ja, ist ja schon gut. Komm. Lass uns runter gehen und den beiden unauffällig folgen. Vielleicht gibt es ja wirklich – eine Gelegenheit.“
„So ist es richtig. Endlich sehe ich wieder, wie du deinen Arsch hoch nimmst und ein Ziel siehst. Dann auf. Sie müssen gleich durch das Tor kommen und es sind einige Stufen bis dort hinab.“
Narek nickt nur. Gemeinsam eilen die beiden die Wehrmauer entlang bis zum nächsten Wachturm.
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8.
Der Wagen poltert über die gut ausgebaute Straße. Adirië, die auf dem Kutschbock sitzt, sieht nachdenklich in den undurchdringlich scheinenden Schieferwald. Die vielen Wagen vor ihr und hinter ihr beachtet sie nicht. In einer langen Karawane bewegt sich der Zug des fahrenden Volkes am Saum des Schieferwaldes auf Bezacht zu.
Das erste Mal seit sie, ihr Bruder und Kalina sich dem Wanderzirkus angeschlossen haben, verspürt sie etwas wie Wehmut, Sehnsucht. Diese Gefühle werden immer stärker je näher sie Bezacht kommen. Als Ferodag, der Führer ihrer bunten Truppe, vor Monaten erklärt hat, dass sie sich wieder nach Hause aufmachen werden, wollte Adirië es kaum glauben.
Ja, Ferodag. Nicht Rotrak, ihr Vater und Selina, ihre Mutter. Nachdem sie sich damals auf die Suche nach ihren Eltern gemacht haben, nach der Trennung von den Gefährten, haben sie sie auch schließlich gefunden. Aber nicht so, wie sie es sich eigentlich erhofft hatten. In den Jahren, in denen sie von der kleinen Gauklertruppe ihrer Eltern fort gewesen sind, ist es den Eltern von Adirië und Adorg nicht gut ergangen. Sie sind gezwungen gewesen, sich einer größeren Gauklertruppe anzuschließen, um überhaupt genug zum beißen zu haben.
Trotz dieser schlechten Nachrichten, ist die Wiedersehensfreude groß gewesen. Tränen sind auf beiden Seiten geflossen und die Umarmungen wollten genauso wenig enden, wie das ständige, sich gegenseitige mustern, um zu erkennen, wie sich die Eltern und aus deren Sicht, die Kinder verändert haben.
Egal, wie sehr sich die Verhältnisse auch verändert haben, da Rotrak und Selina auch Kalina sofort in ihre Herzen geschlossen haben, hatten sich die drei Gefährten entschlossen, Teil des Wanderzirkus zu werden.
Vier lange Jahre zogen sie von einer Ortschaft zur nächsten und lebten von einem Tag auf den anderen. Dann, etwa vor zwei Jahren, beschloss Ferodag weiter entfernte Länder aufzusuchen um sie, wie er gesagt hat, zu beglücken. Keiner der Zirkusleute war von der Idee begeistert. Obwohl sie fahrendes Volk sind, lieben sie doch die Gegenden, in denen sie aufgewachsen sind und verlassen sie nur ungern so weit. Aber Ferodag hat sie mit seiner einzigartigen Kunst überredet. Er hat Geld versprochen, sehr viel Geld und vor allem aber Ruhm. Einige hat er nicht überzeugen können und so haben sie die Truppe verlassen. Die meisten aber hat er überreden können, darunter auch sie, ihren Bruder und ihre Freundin Kalina. Gemeinsam haben sie die bekannten Gebiete und besuchten Dörfer, Weiler aber auch große Städte, in denen sie ihre Kunst und ihr Können zur Schau gestellt haben, verlassen. Dies ist die Zeit gewesen, in der Ferodag gemeint hat, dass Adorg doch erheblich mehr als nur Messer werfen können sollte. So begann ihr Bruder mit dem Jonglieren. Am Anfang ist sie dagegen gewesen, weil so doch nur die eh schon überfüllten Geldtruhen Ferodags mehr Geld aufnehmen würden. Doch Adorg schien das Jonglieren zu gefallen und er hat sich als ein Naturtalent entpuppt. So schwer es ihm fällt auch nur ein Zelt aufzubauen, so leicht meistert er diese akrobatische Übung.
Ihr Blick fällt auf ihren Bruder, der neben dem Eselsgespann einhergeht und wie fast immer irgendwelche Dinge durch die Luft wirbeln lässt. Am liebsten wirbelt er seine Messer, die er nach wie vor unter seinem zerschlissenen, bunt geflickten Mantel trägt. Kalina jedoch hat ihm verboten, beim Laufen oder Gehen mit den Messern zu üben. Zu Adiriës Überraschung gehorcht Adorg der Zwergin und beschränkt sich bei solchen Möglichkeiten auf kleine Bälle, Kegel, oder, wie jetzt gerade, auf Spielwürfel. Adirië schmunzelt als sie ihren Bruder betrachtet. Er ist nicht sichtlich älter geworden. Immer noch zeigt sein Gesicht die Spuren der Jugend und sein Wesen ist auch immer noch Jugendhaft geprägt. Sein fein getrimmter, kurzer Schnauzbart gehört zu dem wenigen auf das er sehr stolz ist. Dieser und seine Messer sind das Einzige, dass er täglich einer intensiven Pflege unterzieht. Von dem Lumpen, der einmal ein prächtiger Mantel gewesen ist, will er sich aber in keinem Fall trennen, sagt er. Das wäre, als würde man seine Erinnerungen wegwerfen. Adirië kann ihn sehr gut verstehen. Oft sitzen die beiden mit ihrer Freundin Kalina zusammen und schwelgen in Erinnerungen. Damals, als sie mit ihren anderen Freunden durch die Lande gezogen sind, und vor allem an jenes Abenteuer, als sie Johinzahin geholfen haben, sich zu rächen. Oft Lachen die drei dann, wenn sie sich an bestimmte Ereignisse erinnern, oder aber werden still und traurig, wenn die Erinnerung schmerzhaft ist.
Adiriës Blick fällt auf Kalina, die neben ihr auf dem Bock sitzt und die Zügel in den Händen hält. Kalina. Es hat Adirië kaum verwundert, als Kalina damals, vor vier Jahren, gesagt hat, dass sie sich ihnen beiden anschließen möchte. Sie würde gerne das Leben des fahrenden Volkes kennenlernen. Ihr eigentlicher Grund ist für Adirië so deutlich gewesen, dass sich diese Ausrede nur lächerlich angehört hat. Aber sie hat nichts gesagt, im Gegenteil. Sie hat sich wirklich gefreut, nicht alle Freunde hinter sich lassen zu müssen. Und Adorg? Adorg hat sich am meisten von ihnen gefreut. Es war und ist kein Geheimnis, dass die beiden ein Liebespaar sind. Ihre Freunde haben es gewusst und auch hier, in der Truppe, weiß es jeder. Nur die beiden wissen es nicht. Eher wollen sie es sich nicht eingestehen. Keiner von beiden hat es offiziell ausgesprochen und somit besteht die Verbindung auch, offiziell gesehen nicht. Auch wenn die beiden nicht einen Wagen teilen, Adirië teilt ihren Wagen mit Kalina, so sitzen, stehen und gehen die beiden in jeder freien Minute miteinander. Ab und zu, wenn sie nicht daran denken, dann halten sie sich an den Händen und eigentlich bei jeder Rast, jedem Aufenthalt, also jeden Tag, entfernen sie sich gemeinsam von der Truppe, um das zu tun was Liebende tun. Adirië findet es lächerlich, dass die beiden sich so verhalten; es nicht öffentlich machen. Sich einfach einen Kuss geben, egal wer gerade dabei zusehen kann. Aber scheinbar mögen die beiden das so. Wobei sie glaubt, dass das von Kalina alleine kommt. Wie auch immer, diese Beziehung hat ihren Bruder jedenfalls in einer Hinsicht gänzlich verändert; er steigt keiner anderen Frau mehr nach. In den letzten Jahren hat er auch nicht einmal einer anderen Frau schöne Augen gemacht. Nicht einmal Jasre, die Schlangenfrau, die zwar nicht besonders Hübsch ist, aber ihren Leib derartig verbiegen kann, dass das die Fantasie der Männer wohl beflügelt. Eher das Gegenteil ist der Fall. Kalina hat nicht nur einmal einer Frau die Meinung sagen müssen, wie nur eine Zwergin es kann, die in Adorg die vollkommene Verheißung gesehen hat. Adirië kann über so etwas nur den Kopf schütteln. Verliebte Frauen und Männer geben ein Unsinn von sich, dass sich bei einem normal denkenden Wesen das Gehirn verrenkt. Eine andere Unart Adorgs jedoch hat Kalina leider nicht heilen können; seine Spielleidenschaft. Eine jede Schenke, Taverne oder Gasthaus in einem jeden Ort, in dem sie gewesen sind, hat er aufgesucht. Oft genug ist der Wanderzirkus überhastet aufgebrochen, weil Adorg seine Mitspieler verärgert hat. Für Falschspieler hat niemand etwas übrig. Als Folge daraus hat ihm Ferodag jedes Mal die Verluste, die er erlitten hat, nach seinen Angaben, in Rechnung gestellt. Folglich ist Adorg auch heute noch der mittellose Kerl, der er am Anfang ihrer Reise gewesen ist. Eine Tatsache, die auch ihre Eltern alles andere als glücklich macht.
Und seit dem letzten Zwischenfall, als er nur gegen eine hohe Kaution aus dem Kerker entlassen worden ist, besitzt Adirië auch nur noch sehr wenige Münzen. Eigentlich hätte sie die ganze Kaution niemals aufbringen können und auch Ferodag, wie auch den anderen, ist das Schicksal Adorgs gleichgültig gewesen, da er sie so oft in Schwierigkeiten gebracht hatte. Auch ihre Eltern konnten nichts zu der Summe beitragen, da sie noch immer die Schulden abtragen, die sich mit der eigenen Truppe aufgehäuft hatten. Den größten Teil der Summe hat ihr Kalina gegeben, der sie aber hat versprechen müssen, kein Wort darüber zu verlieren. Kalina kann sich das leisten und Adirië vermutet, dass ihre Zwergin noch einen großen Vorrat an Münzen besitzt.
Ferodag ist überaus erfreut gewesen zu hören, dass eine Zwergin sich ihnen anschließen möchte. Doch er hat machen können, was er wollte, Kalina hat sich für keine seiner Ideen hingegeben, im Zirkus aufzutreten. Stattdessen hat sie ihm das Angebot gemacht, alles zu reparieren was so anfällt. Ferodag ist nicht so glücklich über die Idee gewesen, bis die erste Achse an einem Wagen gebrochen ist. Seitdem ist Kalina ein geschätztes Mitglied der bunten Truppe und hat auch viel Geld damit verdient, in den Orten ihre Dienste anzubieten. So ist das über die Jahre gegangen, aber nachdem der erhoffte Erfolg in den fremden Ländern ausgeblieben ist, und die Artisten immer lauter ihren Unmut über die Politik Ferodags geäußert haben, hat dieser schließlich nachgegeben und sie haben den kürzesten Weg zurück nach Hause genommen.
Jetzt sind sie auf direktem Wege nach Bezacht. Seit einigen Tagen fahren sie schon auf der gut ausgebauten Straße entlang des Schieferwaldes. Der Weg wird dadurch zwar länger, aber Reisende vermeiden es, den Wald zu betreten, der einen etwas unheimlichen Ruf hat. Links und rechts der Straße gibt es einen breiten Streifen, der frei von Gebüsch und Unterholz ist. Auf diesen Streifen sollen die Reisenden Lagern und übernachten, damit sie nicht in den Wald vordringen müssen. Manche Bewohner des Waldes mögen keine Fremde in ihren Gebieten. Vor allem das fahrende Volk, das von Natur aus abergläubisch ist, hält sich ganz exakt an diese Regelung.
Adirië jedoch hat für dies im Moment keinen Sinn. Sie betrachtet ihren Bruder und ihre Freundin, und auch schweift ihr Blick immer wieder in den Wald. Es mögen zwei, noch drei Tage bis Bezacht sein und sie müssen eine Entscheidung fällen.

Eine Stunde vor der Dämmerung lässt Ferodag anhalten und die Wagen schieben sich auf die gerodeten Seitenstreifen. Wie immer bilden drei, vier Wagen eine kleine Burg, um es Räubern schwerer zu machen. Es gilt zwar überall, dass das fahrende Volk tabu ist, aber wer weiß schon was Leute denken, die sich auf der anderen Seite des Gesetzes befinden? Sicherheit geht vor und so werden auch für heute Nacht Wachen eingeteilt. Kalina spannt die Esel aus, während Adirië in den Wagen klettert, um alles für das Abendessen vorzubereiten. Es hat sich so eingebürgert, dass die Insassen der Wagen, die zusammen stehen für die Nacht, sich im Kochen abwechseln. Adirië ist recht froh darüber, dass ihr Wagen heute dran ist. Das Kaninchen von gestern, dass Harg der Kraftprotz zubereitet hat, ist nicht lange in den Mägen derer geblieben, die davon gegessen haben. Heute würde es einen Eintopf geben, so ziemlich das Einzige, dass Adirië ohne große Probleme zubereiten kann. Nachdem Adorg die Esel abgerieben und versorgt und Kalina den Wagen auf Schäden untersucht hat, kommen die beiden zu der Feuerstelle an der Adirië in einem Topf rührt, der an einem Dreibein hängt. Wortlos reicht sie den beiden einen Kanten Brot und schöpft dann den lecker duftenden Eintopf auf Teller, die sie den beiden ebenfalls reicht. Sie nimmt sich auch einen Teller und setzt sich den beiden gegenüber. Die anderen, das sehen Adorg und Kalina, löffeln bereits Eintopf und unterhalten sich an zwei anderen, kleinen Feuern. Wobei Selina und Rotrak von der guten, alten Zeit schwärmen. Wie eigentlich jeden Abend.
„Wir müssen reden.“ So eröffnet Adirië das Gespräch, wie auch schon an den letzten drei Abenden.
Adorg seufzt. „Geht es wieder um Bezacht?“
Kalina lauscht und löffelt mit Genuss ihren Eintopf.
Adirië nickt. „Ja und wir sollten uns wirklich überlegen was wir machen wollen.“
„Ich dachte das wäre vollkommen klar“, erwidert ihr Bruder ein wenig schroff. „Wir werden Terbor und Isondra besuchen.“
„Ja, natürlich, das werden wir machen. Aber was sollen wir danach machen?“
Kalina blickt von ihrem Teller auf. „Was meinst du mit danach?“
Die Galaterin atmet tief durch. „Mit danach meine ich, ob wir weiterhin mit diesem Zirkus ziehen oder etwas anderes machen wollen. Das wir Terbor und Isondra aufsuchen werden, ist klar. Sofern sie noch in Bezacht leben. Von ihnen werden wir, hoffentlich, erfahren wo unsere anderen Freunde sind und wie es ihnen geht. Doch wir sollten wirklich weiter für unsere Zukunft planen.“
Adorg winkt mit dem Brot in der Hand ab. „Immer musst du alles so kompliziert machen. Wir werden einfach sehen, auf was wir dann Lust haben.“
Adirië wird ärgerlich, was man nicht nur sehen sondern vor allem hören kann. „Ich muss so vorausschauend denken, weil du überhaupt nicht denkst. Wenn deine verdammte Spielsucht nicht wäre, dann müssten wir uns wahrlich keine Gedanken machen, aber du hast es nicht nur geschafft dein ganzes Geld zu verprassen sondern auch meines. Dazu hast du einen jeden hier so sehr gegen dich aufgebracht, dass sie dir nicht Mal ein Stück schimmeliges Brot geben würden, wenn du am verhungern wärst!“
Der junge Galater bekommt ein langes Gesicht. Kalina sagt: „Du hast Recht, Adirië. Adorg hat Fehler gemacht... Einen ganzen Haufen sogar, aber das weiß er und er wird sich bessern. Er wird nie wieder Spielen, dass verspreche ich dir, weil er es mir versprochen hat.“
Der Spieler sieht auf. „Habe ich das?“
Die Zwergin sieht ihm eindringlich in die Augen. „Ich habe es versprochen! Möchtest du noch etwas dazu ergänzen?“
„Oh. Ja. Stimmt. Gut.“ Er entwickelt ein sehr aufmerksames Interesse an seinem Eintopf.
Adirië schmunzelt. Sie verbirgt es aber hinter ihrer strengen Mine, als die Zwergin ihren Blick wieder ihr zuwendet. „Wie dem auch sei. Wir haben kein Geld und so bleibt uns entweder übrig, weiter zu ziehen oder aber wir suchen uns eine Arbeit.“
Adorg verschluckt sich so heftig als er das Wort Arbeit hört, dass er einen Hustenanfall bekommt. Kalina klopft ihm auf dem Rücken und sagt lachend: „Komm Deinem Bruder nicht mit dem Wort Arbeit oder noch schlimmer mit dem Zusatz ehrlich. Das tut seiner Gesundheit nicht gut.“
Adirië lacht ebenfalls. „Da hast du Recht. Also sind wir uns einig. Wir werden weiter mit den Zirkusleuten umherziehen und so auch bei den Eltern bleiben. Sie werden ja nicht jünger und ohne eigenes Geschäft, will ich ein Auge auf sie haben, da sie nicht mehr ihre eigenen Herren sind. Nachdem wir ein paar Tage mit Terbor und Isondra verbracht haben, sofern sie noch in der Stadt leben.“ Sie beißt von ihrem Brot ab. „Ich werde gleich Morgen früh Ferodag sagen, dass wir drei uns für, sagen wir, fünf Tage in Bezacht von ihnen trennen werden.“
„Das wird ihm nicht schmecken.“
„Das kann uns egal sein, Kalina. Auch wenn er liebend gerne auf meinen nichtsnutzigen Bruder verzichten würde, auf dich will er bestimmt nicht verzichten.“
Kalina grinst. „Und auf dich will er auch nicht verzichten. Immerhin bist du die Attraktion auf dem Hochseil.“
Die Galaterin lächelt. „Seitdem ich nicht mehr herunterfalle, vielleicht. Auf jeden Fall freue ich mich sehr. Auf Bezacht aber vor allem auf unsere Freunde. Nur noch zwei Tage. Ich kann es kaum erwarten.“
Adorg, der sich von seinem Hustenanfall erholt hat, nickt breit grinsend.
Kalina lacht schallend. „Ich mich auch und wie sich die beiden erst freuen werden, wenn sie hören, dass Adorg nie wieder spielen wird!“
Adorgs Grinsen verschwindet auf einen Schlag, was die beiden Frauen nur noch mehr dazu veranlasst lauthals zu lachen.

Am nächsten Morgen setzt sich die Karawane des fahrenden Volkes wieder in Bewegung, und auf einem Wagen sitzt eine Galaterin, ihr Bruder und eine Zwergin, die es kaum noch erwarten können, endlich wieder nach Hause zu kommen.
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9.
Isondra steht in der Küche und summt leise vor sich her. Das praktische an ihrem Beruf ist, dass die Leute ihr nicht die Tür einrennen. Praktisch aber nicht sonderlich hilfreich, wenn man auf das Geld angewiesen ist. Dennoch hat Isondra gelernt in allem das Gute zu sehen. Wenn keine Kunden kommen um Tees oder andere Kräuter zu erwerben, nutzt sie die Zeit, um das Haus auf Vordermann zu halten. Bei ihrem Geliebten Mann ist das auch zwingend erforderlich. Er ist eine Seele von einem Mann, und sie ist bis in die tiefsten Tiefen ihres Seins in ihn verliebt. Dennoch ist er im Haushalt ein wenig unbeholfen. Die kleinste Reparatur entwickelt sich stets in ein Großprojekt und Hilfe will er natürlich nicht annehmen. Zumeist erledigt die Arbeiten dann ein benachbarter Zimmermann zusammen mit Terbor, aber niemals so, dass es den Anschein haben könnte, dass Terbor alleine dazu nicht fähig wäre. Sie lächelt, als sie an gewissen kleine Katastrophen denkt, die stets so ausgehen, dass sie sich in seinen Armen wiederfindet und aller Ärger der in ihr gewesen ist, verflogen ist. Sie räumt das saubere und trockene Geschirr in die Schränke und macht sich auf den Weg in das Bad, das sich ebenfalls im Erdgeschoss ihres Hauses befindet. Das erste was sie bemerkt als sie den Raum betritt, ist der atemberaubende Gestank. Sie sieht sich hektisch um, da sie sich nicht erinnern kann, den Abort nicht mit sauberem Wasser gespült zu haben. Doch sie erkennt nichts was nicht so sein sollte. In Gedanken sich eine Notiz machend, dass sie gleich den Klempner aufsuchen muss, geht sie zu dem Korb mit der Schmutzwäsche. Gerade als sie sich bückt, um den Korb aufzunehmen, schreckt sie zurück. Der Korb hat sich bewegt! Sie geht einen Schritt zurück und angelt einen Besen, der hinter der Tür steht. Mit beiden Händen den Stiel haltend beobachtet sie den Wäschekorb. Erneut ruckelt er ein wenig. In ihren Gedanken schwirren unzählige Möglichkeiten herum, was sich in dem Korb befinden könnte aber von all diesen ist für sie eine am schlimmsten; eine Schlange. In diesem Moment kommt der sonst so vernünftig denkenden Isondra nicht der Gedanke, dass es schon seit Jahrzehnten keinen Schlangen mehr innerhalb Bezachts gibt. Sie holt mit dem Besen aus und erschrickt heftig, als der Korb auch noch zu sprechen beginnt. „Hallo? Ist da jemand?“
Isondra runzelt die Stirn. Die Stimme ist gedämpft aber sie kommt ihr bekannt vor. Langsam senkt sie den Besen, als die Erinnerung langsam an die Oberfläche kommt.
Erneut ruckelt der Korb. „Terbor? Isondra? Seid ihr da? Ich stecke fest. Das Gitter lässt sich nicht hochheben.“
Isondra seufzt. Sie kennt die Stimme nur zu gut. Rewo. Rein zufällig hat sie bemerkt, dass ihr Wäschekorb für die Schmutzwäsche ganz exakt auf das Gitter passt, dass den Zugang zu einem kleinen Rohr der Kanalisation versperrt. So konnte sie das hässliche Gitter aus den Augen verbannen und zugleich unliebsame Besuche des Kaiaps unterbinden. Wenn sie sich ganz ruhig verhält, dann zieht er vielleicht wieder ab. Sie hält sogar die Luft an in der Hoffnung Rewo so zu entgehen. Vergeblich. „Oh, Isondra. Ich habe dich seufzen gehört. Kannst du vielleicht das Ding da wegschieben? Das ist zu schwer für mich.“
Isondra seufzt erneut und stellt den Besen wieder an seinen Platz, nicht ohne den Gedanken, ihn doch noch in der Hand zu behalten. Auch wenn ein Besen nicht gegen Rewo hilft. Sie schiebt den Korb zur Seite und kann zwischen den Gitterstäben die fröhlich funkelnden Augen Rewos sehen. „Hallo Isondra!“, ruft er aus und hebt das Gitter an. Flink wie eine Katze krabbelt er aus dem engen Rohr. „Da bin ich wieder. Freust du dich? Natürlich freust du dich. Ich sehe es ganz deutlich.“
Die Galaterin setzt ein Lächeln auf, das man fast als echt bezeichnen kann. „Natürlich freue ich mich, dich zu sehen, Rewo. Aber dich zu riechen, wahrlich nicht.“
Der kleine Mann strahlt über das ganze Gesicht. „Dabei habe ich mich extra Gewaschen und mich umgezogen, aber ich fürchte den Geruch werde ich nie wieder loswerden.“
Die Frau lächelt ihn nun doch herzlich an. „Das ist wohl wahr, Rewo. Aber du tust dabei so viel Gutes. Vergiss das nicht. Was verschafft mir denn dein Besuch? Brauchst du wieder heilende Kräuter für die Kinder?“
„Ah, nein. Eigentlich nicht, aber wenn Du welche übrig hast, dann werde ich sie gerne annehmen. Kinder sind immer irgendwie krank, vor allem wenn sie da leben müssen, wo sie leben.“
Die Kräuterhändlerin nickt. „Ich werde dir ein Päckchen zusammenstellen. Das ist das wenigste was ich tun kann für die armen Kinder.“ Sie verlässt das Bad, und auf dem Weg in ihren Laden hat sie immer über der Schulter ein Auge auf den Kaiap. Der hüpft ihr fröhlich hinterher, bleibt aber wie angewurzelt vor der Tür zum Laden stehen. „Ich darf doch da nicht rein. Wenn mich jemand sieht, dann bekommt ihr Probleme.“
Isondra bleibt ebenfalls stehen und lächelt ihn an. „Ich bin froh, dass du das nicht vergessen hast.“
„Wie könnte ich, denn… Oh ja. Deswegen bin ich ja da. Ist Terbor da? Ich muss ihm was erzählen, und er muss mir helfen.“
Sie sieht ihn mit strengem Blick an. „Steckst du wieder in Schwierigkeiten? Höre mir genau zu: Du wirst meinen Terbor nicht in den Abgrund ziehen, den du dir selber gegraben hast.“
Sieht sie mit großen Augen aus einem überraschten Gesicht an. „Was? Ich? Na ja, das übliche mache ich halt. Aber jetzt sind die fetten Händler vollkommen verrückt geworden. Weißt du, die haben ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt. Kannst du dir das vorstellen?“
Isondra sieht ihn erschüttert an. Dass Kaiap eine Plage sind, ist allgemein bekannt, deswegen sind sie auch verboten in Bezacht. Dennoch ist es strikte Politik der Stadtoberen, keine Kopfgelder auszusetzen, auch wenn sie ganz genau wissen, dass es einen Kaiap in der Stadt gibt. Das liegt daran, dass die Oberen ganz genau wissen was Rewo macht. Er erspart ihnen eine gute Stange Geld, indem er sich um all die Kinder kümmert, die keinen anderen Platz mehr haben. Diese Kinder müssten in die wenigen Waisenhäuser gebracht werden, die jetzt schon überfüllt sind. Und zusätzliche Mittel werden nicht locker gemacht. Früher oder später werden die Kinder schon aufgenommen werden. Eher später, denn dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Straße sie getötet hat. Der Nutzen, den Rewo den Stadtvätern bringt indem er sich der Kinder annimmt, übersteigt die Kosten, die sie als Entschädigungszahlungen den Händlern geben, um sie ruhig zu stimmen. Doch anscheinend reicht es den reichen Händlern nicht mehr. Sie wollen den nervigen, aber ach so liebevollen und liebenswerten Rewo töten lassen. Sie kann es kaum glauben. Anstatt in den Laden zu gehen führt sie Rewo in die Küche und setzt Wasser für einen Tee auf. „Das ist ja schrecklich, Rewo.“
„Wegen mir? Nein, das ist nicht schrecklich. Ich mache mir nur Sorgen wegen der Kinder, weißt du. Wie lange wird es dann noch dauern, bis auch die Händler Kopfgelder für jedes Straßenkind aussetzen? Hm?“ Er sieht zu ihr hoch und wenn jemals ein Kaiap die Wahrheit gesagt und sich wirklich Sorgen um jemand gemacht hat, dann dieser Kaiap.
Isondra lächelt ihn beruhigend an. „Keine Sorge, Rewo. Niemand wird sich an den Kindern vergreifen. Das wird die Bevölkerung gar nicht zulassen.“
„Bist du sicher? Sagt Terbor das auch? Wo ist er denn?“
„Ach, Terbor wird bald wieder kommen. Er ist mit Alathe in den nördlich Wa...“
„Alathe? Sie ist hier? Nördlicher Wa... finde ich.“ Schon hat er sich herumgedreht und hüpft auf die Tür zum Laden zu.
Isondra läuft ihm hinterher und bekommt ihn gerade noch am Kragen zu fassen. „Du bleibst hier! Verstanden? Du bleibst hier und wartest mit mir zusammen auf die beiden. Dann kannst du Alathe begrüßen und du kannst dann Dein Problem erzählen. Wenn das stimmt was ich befürchte, dann wirst du recht bald sehr sicher sein. Aber nicht in Bezacht.“
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Doch in dem Moment geht die Ladentüre auf. Isondra merkt nicht einmal, wie sich Rewo ihrem lockeren Griff entwindet und zwischen den Regalen verschwindet. Noch bevor sie einen überraschten Laut von sich geben kann, zieht die tief in einen weiten Umhang vermummte Gestalt die Kapuze zurück. Tiefschwarze Haut und silberweißes Haar wird sichtbar. Zascht neigt das Haupt und sagt leise: „Herrin Isondra!“
Isondra stößt erleichtert die Luft aus. Da schießt schon der Kaiap an ihr vorbei, baut sich vor dem Vicya auf und winkt mit den Armen. „Zascht! Guck mal! Ich bin’s. Rewo! Erkennst du mich denn nicht?“
Zascht senkt den Blick. „Doch.“ Dann ignoriert er den freudestrahlenden Kaiap und sieht wieder Isondra an. „Ich muss mit Terbor reden, Herrin Isondra. Ist er zugegen?“
Isondra lächelt etwas schief. „Nein, leider nicht. Er ist mit Alathe unterwegs.“ Dabei geht sie an Zascht vorbei und schließt die Ladentüre zu. Sie dreht auch das Schild um, das potentiellen Kunden mitteilt, dass der Laden jetzt geschlossen ist. Sie seufzt. So oft, wie sie dieses Schild umdrehen muss, werden die Geschäfte nie besser laufen. „Kommt mit nach hinten. Hier können euch noch immer zu viele Augen sehen.“
„Alathe ist auch hier?“ Der Stimme des Vicyas ist keine sonderliche Gefühlsregung anzumerken. Ebenso wenig, als Rewo auf ihn einzureden beginnt, um ihm seine letzten Abenteuer in der Stadt und mit den Kindern zu erzählen. Er folgt Isondra einfach und somit folgt auch der Kaiap.
Isondra nickt und führt die beiden zu dem kleinen Tisch im Hinterraum, wo sie ihnen Tee einschenkt und sie auffordert Platz zu nehmen. Der verzierte Rand der Tasse nimmt so sehr Rewos Aufmerksamkeit in Anspruch, dass er sofort still schweigt.
Auch Zascht setzt sich und sieht zu Isondra. Geduldig auf eine Antwort wartend.
„Ja“, beginnt die Galaterin. „Sie ist auch hier. Aber leider aus einem unschönen Grund. Ihr geliebter Elár ist entführt worden. Im nördlichen Wald. Kurz vor Bezacht.“
Zascht zieht kurz die Brauen zusammen und dann legt er das Wappen auf den Tisch. „Briganten sind in den Wald der Mari eingedrungen. Ich habe das hier gefunden. Ist dir dieses Wappen bekannt, Herrin Isondra?“
Isondra sieht sich das Wappen des Wolfes an und schüttelt den Kopf. „Nein, ich kenne es nicht.“
„Vielleicht hängt alles zusammen. Vielleicht ist wieder eine Zeit des Schicksals gekommen. Vielleicht müssen wir uns wieder versammeln“, erwidert der Vicya.
Isondra beginnt zu grinsen. Als sie aber nur das ernste Gesicht Zaschts sieht, legt sie unwillkürlich die rechte Hand auf ihren Bauch und fragt leise: „Du glaubst wirklich, dass es zusammen hängt?“
„Wir müssen es heraus finden. Alathe ist hier. Rewo ist hier. Ich bin hier. Wir sammeln uns, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.“
Isondra spürt kurz einen eisigen Griff um ihr Herz. „Zascht. Ich... ich würde gerne mit Terbor in Frieden weiter leben. In Frieden und Ruhe.“
„Die Göttin entscheidet, was wir dürfen und was nicht. Wir müssen ihrem Willen folgen.“
Isondra seufzt. „Bei dir hört sich alles immer so einfach an. Aber da liegt viel Kompliziertes hinter.“
„Deswegen ist Terbor unser Anführer. Er entwirrt die Knoten des Verborgenen und führt uns zu den Zielen, die sich offenbaren.“
„Du vertraust ihm noch immer vollkommen, nicht wahr?“
„Er ist unser Anführer“, sagt Zascht ohne Emotion, aber trotzdem auf eine Art, die alles sagt.
Isondra seufzt. „Ich vertraue ihm nicht nur. Ich liebe ihn. Ich liebe ihn mit aller Kraft meines Herzens.“
„Du hast dir einen starken Gefährten erwählt, Herrin Isondra. Deine Wahl war klug.“
Die Galaterin lächelt und legt die linke Hand auf Zaschts Hände. „Ich wäre so froh, könnte ich die Welt durch deine Augen sehen.“ Mit Genugtuung bemerkt sie, dass Zascht bei der Berührung nicht mehr leicht zusammen zuckt. „Zascht, ich... ich habe eine Bitte an dich. Wenn es wirklich so kommt, wie du sagst. Habe ein Auge auf Terbor. Er ist jetzt ganz besonders wichtig für mich.“
Zascht sieht Isondra an. Sein Blick fällt auf die Hand auf dem Bauch der Frau, die nur halb durch die Tischplatte verdeckt wird. Ob er versteht, gibt er nicht zu erkennen. „Ich werde sein Panzer und sein Schwert sein. Das verspreche ich dir mit meinem Leben, Herrin Isondra.“
Isondra atmet erleichtert auf und drückt seine Hände. „Danke, mein Freund. Möchtest du vielleicht etwas essen, solange wir auf Alathe und Terbor warten?“
Bevor Zascht antworten kann, verliert die Verzierung am Rand der Tasse für Rewo seinen Reiz und wandert in seine Tasche. Als hätte er seinen Bericht überhaupt nicht unterbrochen, plappert er einfach weiter drauf los. Genau an der Stelle, wo er inne gehalten hat. Zaschts leicht unterkühlter Blick wandert zu dem Kaiap. Isondra erhebt sich schmunzelnd und geht in die Küche, um ein paar Kleinigkeiten zuzubereiten. Sollen die beiden ruhig allein ihre Freundschaftsbande erneuern.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Fr 7. Mai 2010, 20:11, insgesamt 1-mal geändert.
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10.
Mit wütendem Blick sieht er auf das Lager von seinem unbequem Platz aus den Ästen einer Tanne hinab. Wie hatte das nur passieren können? Ihm? Ausgerechnet ihm? Hatte ihn die Zeit bei seiner Sippe weich gemacht? All das gute Essen und die offenen Ohren seiner Stammesangehörigen, die mit Staunen, Verwunderung und auch offener Bewunderung seinen Geschichten aus fremden Ländern gelauscht haben. Hat ihn das unaufmerksam werden lassen? Oh ja, Bewunderung. Die Bewunderung ist am schönsten gewesen. Hat sie ihm nicht jede Nacht einen bewundernden, weichen Leib in seinem Zelt unter den Fellen eingebracht?
Es hat eine Zeit gegeben, in der er geglaubt hat, dass sich das niemals ändern könnte. All die schönen Mädchen in ihren rauen Fellen und sonst nichts weiter. Griffig, fest, mit dem Duft der Berge an sich und doch so weich und herrlich warm.
Aber irgendwann hat er seiner Meinung nach genug geredet. Ist ihm seine Stimme rau und seine Geschichten sind ihm abgedroschen vorgekommen. Eigentlich hat er sich nur kurz auf den Weg machen wollen. Ein paar kleine, neue Abenteuer. Neue Geschichten, die dafür sorgen würden, dass er selbst wieder glauben konnte, all die Blicke und die warmen Körper in der Nacht würden ihm zustehen, dass er sie sich wirklich verdient hat.
Doch seit Wochen läuft er nun schon über die Gipfel des nördlichen Gebirgsmassivs Jetrotacks. Die einzige Aufregung ist die Jagd gewesen. Während seine Füße ihn immer weiter in den Süden getragen haben und er sich so langsam der gewaltigen Ebene dort genähert hat. Eine Ebene zumindest aus der Sicht der Bewohner des gewaltigen Gebirgsmassivs. Die Wochen einsamer Wanderung aber haben ihn den Glauben in die Welt verlieren lassen. Die Zeit der Abenteuer ist vorbei. Die Zeit für Helden vergangen. Das Land ist friedlich geworden.
Genau das muss der Grund dafür sein, dass er jetzt auf diesem Baum sitzt, seine Nadeln ihm in die Haut stechen und Harz auf ihr klebt. Immerhin lebt er überhaupt noch. Was ihn schon verwundert. Selbst die Wildorks scheinen friedlich geworden zu sein. Als er aus friedlichem Schlummer aufgewacht ist, waren nur sein Schwert, sein Bündel und sogar die Decke, in die er sich gekuschelt hat verschwunden. Wie die sonst nicht gerade stillen Wesen das hinbekommen haben, ist ihm ein Rätsel. Es kann nur so sein, dass der Frieden der Berge ihn in vollkommene Sicherheit eingelullt hat. Aber immerhin haben sie ihm im Schlaf nicht einfach die Kehle durchgeschnitten. Was er eigentlich erwartet hätte, denn die wilden Orks in den abgelegenen Teilen der Welt haben nichts mit ihren domestizierten Vettern in den Ebenen gemein, die bedingungslose, treue und vor allem dumme Diener und Packesel abgeben. Billige Arbeiter für Aufgaben, für die sich ein Galater dieser Tage zu schade ist. Aber die Wildorks wissen noch, wie sie in der rauen Wildnis überleben können. Sie mögen nicht schlauer sein als ihre Vettern, die sich vollkommen einem Herrn unterwerfen, solange er ihnen nur genug Futter und einen warmen Schlafplatz bietet, aber sie kommen noch von allein auf die Idee, dass sie etwas für ihr Überleben tun müssen.
Und von genau solchen Gesellen ist er überlistet worden. Kopfschüttelnd blickt er wieder auf das Lager hinab. Das Glück ist wahrlich nicht mehr mit ihm hold. Wären es nur drei oder vier Orks, würde er sich keine Gedanken machen. Er könnte seine Sachen zurück holen und es ihnen mit gleicher Münze zurück zahlen. Also ohne das Blut der Grünhäuter zu vergießen. Aber ob ihm das gelingt, wo er fast ein Dutzend der krummbeinigen Gestalten dort unten sieht, bezweifelt er doch sehr. Eines aber ist sicher. Solange er einfach nur hier oben im Baum sitzt und seinen Gedanken nachhängt, werden weder sein Bündel und schon gar nicht sein Schwert, zu ihm zurückkommen.

So stürzt er sich mit einem wilden Aufschrei hernieder auf die vollkommen überraschten Orks. Vier wilde Hiebe mit seinen gewaltigen Fäusten und vier Orks liegen bewusstlos am Boden, bevor diese überhaupt wissen, was dort über sie gekommen ist. Doch die anderen sechs, gestählt durch die Rauheit der Wildnis, fangen sich schnell und stürzen sich auf den doppelt so großen und mehrfach so starken Gegner. Schon immer ist es die Masse gewesen, die Orks einen Vorteil verschafft hat. Den einzigen Vorteil.
Schläge treffen ihn, die einzeln nicht einmal seine Aufmerksamkeit geweckt hätten. Doch die Menge und die Schnelligkeit machen ihm doch zu schaffen, ermüden ihn, denn gezielte Schläge sind ihm selbst so kaum möglich. Vor allem, als sich einer der Orks an seine Brust hängt und mit seinen Händen in seinen Rücken verkrallt. Blut fließt seine Haut hinab und ein wilder, wahrscheinlich nicht einmal gezielter Schlag mit einer Keule, lässt sein linkes Auge zuschwellen. Als er dann vor sich auch noch einen seiner Gegner mit einem grob zusammengezimmerten Speer auf ihn zustürmen sieht, reicht es ihm. Dann halt doch mit echtem Blutvergießen. Er dreht sich in die Stoßrichtung des Orks, um den an seiner Brust als lebendigen Schild zu benutzen, als er von links her einen dunklen Schatten erkennt, der schnell vorbei huscht und nur kurz den speertragenden Ork berührt. Mit Entsetzen sieht er, wie sich rasend schnell von der Berührung ausgehend, die Haut und alles Fleisch des Orks in Stein verwandelt. Noch bevor der Ork ihn erreichen kann, fällt eine perfekte, in Felle gehüllte und mit einem Speer bewaffnete Orkstatue zu Boden, wo sie zerbricht.
Ein Troll! Ausgerechnet ein Troll. Warum hat die Göttin ihn zu einem Ort geführt, den sich ein Troll als Spielplatz ausgesucht hat. Das panische Quietschen der Orks lässt ihn den Gedanken revidieren. Es müssen mindesten zwei Trolle sein. Als ob nicht ein Troll reichen würde! Trolle bekämpft man am besten mit Bogen und Armbrust. Wenigstens mit Wurfwaffen, denn nur die geringste Berührung mit einer ihrer Krallen und ihm würde der gleiche, schreckliche Tod widerfahren, wie dem Orkspeerträger.
Ein wilder Kampfschrei bricht von seinen Lippen und mit aller Kraft schleudert er den Ork an seiner Brust von sich. Er lässt sich in Richtung des Feuers fallen und reißt sein Bündel, wie auch sein Schwert an sich. Aus der Rolle heraus springt er wieder auf die Füße. Dann wirft er sich den Tragegurt des Bündels über den Kopf und beginnt mit wilden Schwüngen seines Zweihänders alles außer Reichweite zu halten, was nur auf ihn zukommen mag.
Da! Wieder ein Schatten. Sein ungedeckter Rücken. Rasend dreht er sich um und doch sieht er, wie eine Krallenhand ihn berührt. Doch ist es nur noch die Hand. Heißer Lebenssaft bespritzt seinen Oberkörper. Er hat nicht einmal gemerkt, wie er der Kreatur die rechte Hand vom Stumpf getrennt hat. Wild wirbelt er sein Schwert herum und lässt die vor Schmerzen kreischende Gestalt zurückweichen. Derbe Flüche auf den Lippen begibt er sich zusätzlich in eine Drehbewegung, die ihn aber gleichzeitig von dem Feuer und aus dem Lager trägt. Seine einzige Hoffnung ist, dass er langsamer ermüdet, als die Trolle, oder dass sie mehr gefallen an den Orks finden, die hoffentlich leichter zu bezwingen sind.
Aus den Augenwinkeln erkennt er, dass die noch lebenden Orks paarweise kämpfen. Rücken an Rücken. Eine gute Überlebensstrategie. Er hat keinen solchen Partner.
Trolle! Innerlich verflucht er den Gelehrten, der diesen widerlichen Wesen diesen Namen gegeben hat. Wären dies hier Trolle, wie sie seiner Meinung nach sein müssten, wäre alles nicht so schlimm. (1) Er würde seine Beine in die Hände nehmen und ehe ein richtiger Troll überhaupt begreifen würde, dass er die Flucht ergreift, wäre er weit, weit weg. So aber sieht er nur wieder einen schwarzen Schatten auf sich zufliegen. Es ist der Geselle, dem er eben die eine Hand vom Leib getrennt hat. Doch mit einem wilden Hieb seines langen Schwerts, trennt er diesmal nicht nur einen Körperteil des Trolls ab, sondern spaltet ihn der Länge nach durch. Sein Leib wird in dem widerlichen Blut der Kreatur gebadet. Doch bleibt ihm nicht einmal Zeit zu spucken. Er fühlt das Nahen eines weiteren Trolls in seinem Rücken. Rasch versucht er sich umzudrehen, doch ein Stein verhindert die vollkommene Drehung. Trotzdem rettet sie ihm das Leben, denn so aus dem Gleichgewicht gebracht, finden die Krallen des Trolls nicht seinen Körper, aber sein Schwert ein Ziel. Welches jedoch, vermag er nicht zu sagen, denn aus der Drehung heraus stürzt er und fällt wider erwarten auf ein Nichts aus Luft. Erst einen Moment später prallt er auf festen, nur leider sehr steil abfallenden Boden. Der verdammte Abhang. Mussten die Orks ihr Lager direkt an einem Steilhang anlegen? Aber wenn die Trolle nicht gekommen wären, wäre der Hang auch kein Problem gewesen.
Mit aller Kraft hält er das Heft des Schwertes fest, während er den Hang hinab stürzt. Steine und Erdhügel schlagen ihm Schürfwunden und Prellungen. Der Sturz scheint ewig zu währen. Als er endlich mit einem dumpfen Aufschlag ebenen Boden erreicht und ihm die Luft aus den Lungen gepresst wird, hat er aber nicht einmal die Zeit, sein Pech ein weiteres Mal zu verfluchen. Sein Kopf schlägt auf einen Findling und es wird Nacht.

Schmerzen. Sein ganzer Leib scheint ein einziger Schmerz zu sein und selbst in seinem Kopf dröhnt es, als hätte er viel zu lange die Stirn gegen einen Tavernentisch geschlagen. Aber Schmerz ist gut. Denn Tote spüren keine Schmerzen. Zumindest heißt es so. Langsam öffnet er die Augen. Die Sonne steht im Zenit und ihr Licht schmerzt in seinen Augen. Mindestens zwei Stunden also muss er bewusstlos hier im Gras gelegen haben. Zwei Stunden, in denen sowohl die Orks, wie auch die Trolle genug Zeit hatten, ihm den Garaus zu machen.
Langsam richtet er sich auf und blickt auf die Tiefebene hinab, die jetzt viel näher zu sein scheint, als heute Morgen von seinem Beobachtungsposten in der Tanne. Vorsichtig dreht er den Kopf in Richtung des Steilhangs. Sofort wird ihm bewusst, warum niemand gekommen ist. Nur ein Verrückter würde sich da hinab wagen. Ein Verrückter oder er, wenn auch nicht freiwillig. Trotzdem beginnt er zu grinsen. Die Göttin hat ihn offensichtlich doch nicht so ganz verlassen.
Aber wirklich nur nicht ganz. Irgendwas Flüssiges ist da auf seiner Brust und als er hinsieht, beginnt er lauthals zu fluchen. Weder sein Blut, noch sonst jemandes Blut ist es, was sich dort ergossen hat. Die irdene Flasche mit dem Öl muss beim Sturz zerbrochen sein. Das Öl, welches seinen Leib vor der bitteren Kälte der Gebirgsnächte schützen würde. Der Weg zurück in seine Heimat ist ihm so versperrt. Zumindest solange er keinen Ersatz hat besorgen können. Sein Blick fällt wieder in die Ebene. Der dunkle Forst zu seiner rechten kommt ihm bekannt vor. Und noch viel mehr das Band der leeren Straße, die keine zwanzig Stadien entfernt zu seinen Füßen liegt.
Eher zufällig sieht er zur seiner Linken und mit einem Satz ist er auf den Beinen. Das Schwert vor sich, zum Schlag bereit. Jeder Schmerz in seinem Leib vergessen. Doch der Troll, der da die ganze Zeit in wohliger Eintracht neben ihm gelegen hat, rührt sich nicht. Wie auch? Ein kopfloser Troll ist ein ziemlich toter Troll. Das also hat er getroffen, als er gestürzt ist. Wieder macht sich ein Grinsen in seinem Gesicht breit. Die Göttin hatte ihn also wirklich nicht ganz verlassen. Nicht nur, dass er wirklich in Sicherheit ist, das Fell des Trolls würde ihn vor der hier nicht mehr ganz so starken Kälte der Nächte schützen, wenn der Abstieg in die Ebene sich doch noch als schwieriger und vor allem zeitaufwändiger erweisen würde, als seine Augen es ihm weiß machen möchten. Zwar würde er das Fell hier nicht vernünftig bis gar nicht gerben können, aber es muss ja nicht solange halten. Außerdem gibt es immer wieder Leute, die gerne ein Trollfell ihr eigenen nennen, um damit zu prahlen. Im Gegenzug könnte er sich von dem Erlös eine Flasche Öl kaufen, das ihm seine Rückkehr in die Berge ermöglichen würde. Denn die letzten Stunden sind eine mehr als gute Geschichte wert. Obwohl – sein Blick fällt wieder auf die Ebene und weit hinter den gewaltigen Forst – er könnte auch einen kleinen Abstecher machen. Aber erst einmal das Fell. Aus seinem Bündel holt er das Messer, mit dem er sonst seine Jagdbeute zu zerlegen pflegt.

Eine halbe Stunde später macht er sich frohen Mutes auf den Weg. Hinter sich lässt er einen Haufen toten Fleischs. Ein neuer, schwarzer Pelzmantel liegt um seine Schultern und alles in ihm dürstet nach einem Bach, wo er sich waschen und seine Wunden begutachten kann. Aber der Schmerz ist schon weniger geworden. Vielleicht, weil seine Stimmung jetzt erheblich besser ist. Vielleicht, weil er sich überlegt hat, das hübsche Trollfell doch zu behalten, wenn er einen Gerber findet, bevor es zu verrotten beginnt. Vielleicht, weil er eine Entscheidung getroffen hat.
Seine Füße tragen ihn mit großen Schritten hinab und der fruchtbaren Ebene entgegen. Als er zum ersten Mal seit Wochen seine eigene Stimme hört, denn er spricht laut, kommt sie ihm seltsam und fremd vor. Aber nur allzu vertraut ist ihm, dass er sie selten hört. So wie früher. So wie in der Zeit der großen Abenteuer. Seiner Abenteuer. „Da werden bestimmt ein paar große Augen machen, wenn plötzlich Kelg vor ihrer Tür steht!“
Der Hochlandbarbar legt sich seinen Zweihänder über die Schulter und beginnt fröhlich zu pfeifen. Was für ein herrlicher Tag!


1)
Tatsächlich ist es verwunderlich, dass Trolle eigentlich Trolle heißen. Denn außer dass sie Stein fressen, haben sie mit jenen Gesellen, die eine Vorsilbe haben, nichts gemein. Bergtrolle, Steintrolle, Brückentrolle. All dies sind grobe, riesige Kreaturen, die zwar gewaltige Kämpfer sind, aber sie sind auch träge, dumm und wenn man nicht ihre Kreise stört, friedliche Gesellen, solange sie von niemand aufgehetzt werden. Trolle ohne Vorsilbe aber sind schwarzpelzige, humanoide Kreaturen. Gerissen, schnell und hinterhältig. Die ihre Opfer durch eine Berührung versteinern und dann fressen.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Do 20. Mai 2010, 19:29, insgesamt 2-mal geändert.
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Beitrag von Isabella »

11.
Terbor bleibt so unvermittelt vor der Tür des Kräuterladens stehen, dass Alathe in ihn hinein läuft.
„Was ist denn?“, fragt die überraschte Bardin.
Der Galater sieht auf das Geschlossen-Schild und runzelt die Stirn. „Das ist seltsam.“
„Ja, das ist es in der Tat. Kaum jemand bleibt einfach so plötzlich stehen.“ Die Stimme der jungen Frau hat einen schnippischen Unterton.
„Was?“ Terbor dreht den Kopf zu seiner Freundin. Nachdem er sie ein paar Sekunden verständnislos angesehen hat, schüttelt er den Kopf und deutet auf die Tür. „Das ist seltsam. Uns geht es nicht so gut, als das Isondra am helllichten Tag das Geschäft schließt.“
„Vielleicht wollte sie sich ein wenig ausruhen?“
„Sie ist diejenige die mich immer antreibt. Sie macht keine Pausen.“
„Wie wäre es, wenn wir reingehen und sie selber fragen?“
Terbor sieht die Galaterin mit großen Augen an.
„Ich denke Du hast bestimmt einen Schlüssel, oder Terbor? Du hast doch einen Schlüssel?“
Der Hauptmann greift in sein Wams und zieht einen Schlüssel hervor. Verlegen öffnet er die Tür und betritt zusammen mit Alathe den Kräuterladen. Er hat schon nach seiner Geliebten rufen wollen, da hört er Stimmen aus dem Wohnbereich des Hauses. Er legt einen Finger an die Lippen und bedeutet Alathe leise zu sein. Vorsichtig schließt er die Tür wieder und sperrt sie auch ab. Langsam durchquert er den Laden, die Bardin hinter drein.
„Erkennst du die Stimmen?“, flüstert Alathe.
Terbor seufzt stumm. Soviel dazu leise zu sein. Er antwortet zischend: „Isondra kann ich raus hören, doch die anderen beiden Stimmen sagen mir nichts, auch wenn sie mir bekannt vorkommen.“
Die Bardin stutzt und sagt: „Jetzt, wo du das ansprichst... ja sie kommen mir auch bekannt vor.“
Auf einmal hellt sich Terbors Miene im plötzlichen Verstehen auf. „Du würdest dir wünschen, zumindest eine der Stimmen nicht zu kennen.“ Er lässt jegliche Vorsicht fahren und geht mit festem Schritt weiter nach hinten und in die Küche.

„Alathe!“ Rewos Schrei lässt Isondra zusammen zucken und danach aufblicken.
Zascht rührt sich nicht, aber seine Stimme klingt nicht so gefühllos, wie für gewöhnlich: „Ihr kommt spät.“
Terbor muss bei diesen Worten schmunzeln. „Du hättest sich ruhig auch anmelden können.“
Alathe kommt nicht dazu Zascht zu begrüßen, da sie Rewo im Arm hat, der nach seinem Ausruf auf seinen Stuhl, von dort auf den Tisch und gleich darauf in Alathes Arme gesprungen ist. Unbarmherzig redet er auf sie ein. „Isondra hat schon gesagt das du hier bist, aber nicht genau warum du hier bist. Warum bist du hier? Warum bist du nicht schon früher gekommen? Warum hat das solange gedauert? Hast du mich vermisst? Ich habe dich schon vermisst. Auch Zascht. Aber dich mehr, weil du viel besser tanzen kannst als er. Hast du das gewusst? Wo ist eigentlich dein Freund? Kommt der nach?“
Alathe lächelt bei dem altbekannten Redeschwall Rewos. Als aber die Sprache auf Elár kommt verschwindet ihr Lächeln und ihr Blick wird traurig. Terbor schnappt sich Rewo und befreit Alathe von ihm. „Jetzt ist es genug, Rewo. Du siehst doch das deine Fragen sie schmerzen.“
Rewo sieht Alathe mit großen Augen an und es ist eindeutig zu sehen, dass er es bis eben nicht gesehen hat.
„Oder auch nicht.“ Terbor seufzt und setzt Rewo zurück auf seinen Stuhl.
Zascht nickt der Bardin zu. „Alathe.“
Sie zwingt sich zu einem Lächeln. „Schön dich zu sehen, Zascht.“
Der Vicya mustert sie genau. „Das entspricht der Wahrheit. Jedoch umfängt Dunkelheit dein Herz. Was ist geschehen?“
„Ja genau, was ist geschehen? Warum seid ihr denn hier?“, platzt Rewo mit der Frage dazwischen.
„Warum bist du hier, kleiner Mann?“, fragt Zascht ungerührt.
„Das ist unfair, Zascht. Ich habe zuerst gefragt.“
Terbor mischt sich ein: „Mich würde interessieren warum ihr zu mir gekommen seid, ihr beiden?“ Er sieht Zascht und Rewo abwechselnd an.

Isondra stellt mit lautem Knall eine Kanne Tee mitten auf den Tisch. „Es ist ein Wunder!“, ruft sie aus. Nachdem sie sicher ist jetzt die Aufmerksamkeit der Freunde zu haben sagt sie: „Es ist ein Wunder, dass euch vor lauter Geplapper überhaupt noch Zeit blieb, um irgendwelche Heldentaten zu vollbringen. Ihr haltet jetzt alle den Mund und ich sage, wer als erster erzählt, dann immer der Reihe nach.“ Sie sieht zu Alathe und lächelt sie auffordernd an. Terbor schmunzelt während die junge Bardin die Schultern strafft und dann leise beginnt, ihre Geschichte zu erzählen. Aber je länger sie erzählt, desto fester wird ihre Stimme. Es ist so, als ob sie daraus Kraft schöpft, sich ihren Freunden anzuvertrauen. Terbor und Isondra sehen sich über den Tisch hinweg an und ein feines wissendes Lächeln umspielt ihre Mundwinkel. Als Alathe schließlich endet, gibt Zascht ein knurrendes „Ver.“ von sich während Rewos Augen in Tränen schwimmen. Terbor fügt dann noch an, was sie heute herausgefunden haben. Rewo schnieft und wischt sich mit dem Ärmel über die Augen. „Das ist eine traurige Geschichte, Alathe. Du solltest sie aber nicht den Leuten erzählen, dann wirst du kaum noch Zuhörer haben.“
Terbor sieht den Kaiap ungläubig an. „Denkst du etwa, sie hat diese Geschichte nur erfunden?“
„Hat sie nicht?“
„Leider ist es die Wahrheit. Ver lebt und er hat Elár.“
„Potzblitz! Das hättest du aber auch schon vorher sagen können. Das ändert alles. Wann brechen wir denn auf, um diesem Ver den Hals umzudrehen?“
Alathe lächelt und ihre Stimme klingt sanft, als sie dem Kaiap antwortet: „Das ist lieb von dir, Rewo aber du hast ja wohl auch etwas auf dem Herzen, sonst wärst du ja nicht hier, oder?“
Der kleine Mann winkt ab. „Deine Geschichte ist so schlimm, da ist dann das Kopfgeld auf mich nur eine Kleinigkeit.“
Terbor sieht den Kaiap erstaunt an. „Kopfgeld? Auf dich?“
Alathe wirkt erschüttert. In Wahrheit ist ihr die Hilfe von Zascht lieber und mit ihrem Hinweis auf die Tatsache, dass Rewo ja auch was zu erzählen hat, wollte sie eigentlich ausdrücken, dass er dann doch lieber hier bleiben sollte. Jetzt schämt sie sich für diesen Gedanken. Sicher, er ist Nerv tötend, und der Begriff Chaos hat erst durch ihm eine Bedeutung bekommen, aber er war auch stets bereit, alles für seine Freunde zu geben, ohne auch nur die geringste Gegenleistung zu erwarten.
Zascht sieht den Kaiap einfach nur an. Alathe kommt es so vor, als ob der Vicya abwägen würde. In diesem Moment hat sie die Entscheidung getroffen, egal was Rewo, Terbor und erst recht Zascht sagen würden.
Rewo erzählt dabei ungewohnt kurz und präzise was seine Kinderfreunde und er heraus gefunden haben. Terbor runzelt die Stirn, geht aber nicht weiter darauf ein. Er sieht den Vicya an. „Und was führt dich in die ungeliebte Stadt? Ein Besuch bei Freunden alleine wird es wohl nicht sein, nehme ich an. Dazu kenne ich dich zu gut.“
„Richtig. Zuerst wollte ich nur deinen Rat einholen, aber so langsam denke ich, dass ich euch meine Hilfe anbieten werde. Aber eines nach dem anderen. Im Wald gehen alarmierende Dinge vor sich.“ Der Vicya berichtet über die beunruhigenden Geschehnisse im Wald und über den Fund. „Schließlich haben wir das bei ihnen gefunden.“ Er legt das Abzeichen des Wolfskopfes auf den Tisch.
Lange Zeit redet niemand, dann ergreift Terbor das Wort. „Haltet mich für verrückt, aber das ist irgendwie alles zu seltsam, als das es Zufall sein kann. Söldner, Ver, der Wald.“
„Terbor, mir ist es egal, was da im Wald los ist, entschuldige Zascht, aber mir ist nur mein Elár wichtig. Den müssen wir zurückholen und Ver endgültig und ein für alle Mal unter die Erde bringen.“
Zascht nickt leicht bei Alathes Ausbruch. Terbor sagt: „Ich verstehe dich vollkommen, und ich gebe dir auch Recht. Elár ist wichtiger, aber ich habe so ein unbestimmtes Gefühl, dass diese Ereignisse zusammen hängen. Auf welche Weise, dass weiß ich nicht. Aber wenn Zascht uns hilft, Alathe, dann haben wir bessere Möglichkeiten deinen Mann zu finden und vielleicht erhält auch Zascht antworten auf seine Fragen. Wo das hier zu finden ist, finden wir auch andere Antworten.“ Er tippt mit einem Finger auf das Wolfsabzeichen.
„Aber ich komme auch mit, Terbor. Du hast mich ja vollkommen vergessen.“ Rewo ist aufgesprungen und steht, die Fäuste in die Hüfte gestemmt, auf dem Stuhl.
Terbor lächelt seinen kleinen Freund nachsichtig an. „Rewo du musst verstehen das es besser ist, wenn...“
„Du uns begleitest“, fällt Alathe Terbor ins Wort.
„Wirklich?“, fragt Terbor.
„Wirklich?“, fragt auch Rewo.
Zascht hebt eine Augenbraue.
„Wirklich! Oder?“, fragt nun auch eine perplexe Alathe.
Isondra grinst breit.
„Das gildet nicht. Wir haben zuerst gefragt“, hält Rewo dagegen.
„Ja, wirklich. Wir können doch nicht auf die Suche nach meinem Mann ohne dich gehen, Rewo.“
Rewo strahlt über das ganze Gesicht. „Wirst sehen, den haben wir ganz schnell gefunden.“
Isondra schenkt allen nochmal Tee nach. Terbor beugt sich zu Alathe rüber. „Du bist dir mit Rewo sicher?“, flüstert er ihr zu.
Alathe nickt und antwortet ebenso leise: „Wenn er hier bleibt, dann wird er nicht mehr lange leben. Wenn wir Elár gefunden haben, dann helfen wir Rewo und klären das auf. Mag er noch so schlimm sein, er ist mein Freund, unser aller Freund. Und unseren Freunden helfen wir immer noch.“
Terbor lächelt, denn insgeheim hat er sich gewünscht, dass Alathe so denken würde.
Aus den Augenwinkeln sieht er eine Bewegung und als sein und Alathes Blick auf Zascht ruhen, nickt der Vicya unmerklich. Terbor muss grinsen, hat er doch glatt vergessen, wie gut das Gehör seines schwarzhäutigen Freundes doch ist. „Dann sind wir uns soweit einig. Morgen werden Alathe und ich uns Pferde, Proviant und andere Ausrüstung kaufen, die wir benötigen werden. Spätestens gegen Mittag will ich die Stadt verlassen haben.“ Er blickt in die Gesichter seiner Freunde. „Wir gehen wieder auf die Jagd.“ Als er zu Isondra sieht, erwidert sie seinen Blick und Terbor fühlt einen Stich im Herzen.
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Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

Isondra hört und spürt deutlich, dass Terbors Herz schneller schlägt als sonst. Der schwarze Mantel der Nacht liegt über ihnen. Doch spendet die Wärme der Leiber der Liebenden einander mehr Geborgenheit, als die Wolldecke, die über ihnen liegt. Zärtlich küsst Isondra Terbors Brust und sanft umspielt sie mit den Fingern seinen Bauch. Ein Bauch, von dem sie weiß, dass sie bald wieder jeden Muskel wie Stahl fühlen könnte, wenn sie ihn begleiten würde. Aber ihr Platz ist hier. Hier in Bezacht. Hier in ihrem kleinen Kräuterladen. „Verzage nicht, Liebster. Ich weiß genauso gut wie du, dass du gehen musst. Dass du Alathe helfen musst. Sie ist deine Freundin und wer, wenn nicht du, kann ihr helfen?“
Terbor seufzt leise und Isondra beginnt sanft zu lächeln, als sie die Hände ihres Liebsten in ihrem Haar fühlt. „Sie sind alle gewachsen. Sie können auch ohne mich auskommen.“
Isondras Stimme klingt belustigt. „Das heißt also, obwohl ich Jahr für Jahr ohne dich ausgekommen bin, kann ich das jetzt nicht mehr.“
Deutlich fühlt sie, wie Terbor leicht zusammen zuckt. Mit einer gewissen Genugtuung vernimmt sie auch die Scham in seiner Stimme. „Nein! Natürlich nicht. Das wollte ich damit nicht sagen. Aber ich hatte dir versprochen, immer bei dir zu bleiben. Dich nie mehr zu verlassen. Ein schöner Schwur, wenn er denn nur vier Jahre anhalten würde.“
Isondra hebt den Kopf an und schiebt sich neben ihn. Mit ihrem Haar bedeckt sie sein Gesicht, als sie ihn küsst. Leise gurrt sie: „Aber du wirst deinen Schwur halten und immer bei mir sein.“
Terbor lächelt schief, auch wenn das in der Finsternis des gemeinsamen Schlafraumes kaum zu sehen ist. „Ach komm. Ja, Liebesschwüre. Immer in Gedanken beieinander sein. Das ist wundervoll. Kein Zweifel. Und doch ist es nichts weiter, als Selbstbetrug, es auch nur mit dem einander wirklich in Armen zu halten zu vergleichen. Ich habe so oft in den Jahren an dich gedacht. Vor allem, nachdem wir Bezacht das letzte Mal verlassen haben. Und all die Stunden, die ich damit verbracht habe, waren nichts im Vergleich zu dem Moment, als ich wiederkehrte und wir uns küssten.“
Isondra nimmt seine Hand und legt sie sich auf ihren warmen und weichen Bauch. „Ja, du hast vollkommen Recht, Liebster. Aber diesmal wird es anders sein. Wirklich.“
Terbor streichelt ihre Haut zärtlich und fragt leise: „Und was soll ich dir von mir zurück lassen, damit das so ist? Einen Arm? Ein Bein? Nicht nur, dass das meine Reise erschweren würde. Irgendwann, trotz all der Kräuter deines Ladens, würde der Arm, das Bein ziemlich zu stinken beginnen.“
Isondra lacht leise und drückt seine Hand sacht gegen ihren Bauch. „Du hast das, was du von dir hier lässt schon längst da gelassen.“
Terbor fragt verblüfft. „Hab ich das? Wann? War ich dabei?“
Isondra seufzt leise und drückt seine Hand noch etwas fester gegen ihren Bauch. „Bist du eigentlich immer so schwer von Begriff? Bist du auch als Anführer so? Dann ist es kein Wunder, dass die anderen dich lieben und keinen anderen als Anführer wollen, denn sie können dir nach Belieben auf der Nase herum tanzen und du würdest es nicht einmal merken.“
Terbor antwortet leicht beleidigt. „Das war jetzt gemein.“
Isondra grinst. „Vielleicht gemein. Aber die Wahrheit.“ Sie macht eine kleine Pause, aber bevor Terbor etwas erwidern kann, fährt sie fort: „Ist dir eigentlich gar nicht aufgefallen, dass mir morgens in letzter Zeit immer übel war?“
Sie spürt, wie er nickt. „Ja, natürlich! Und ist ja auch kein Wunder. Das Destillieren der Garadora (1) ist das Schlimmste, was ich je erlebt habe. Ich verfluche die Tatsache, dass das Garadoraöl aber das ist, was uns am meisten Geld in die Kasse spült. Wahrscheinlich weil keine andere Kräuterfrau sie destillieren will.“
Einen kleinen Augenblick herrscht Ruhe, bis Isondra leise sagt: „Gut... ich gebe zu, dass ein Mann auf diese Idee kommen könnte. Vor allem, wenn es Terbor Kernack ist. Aber könnte dir vielleicht, nur vielleicht, ein anderer Grund einfallen, warum einer Frau morgens regelmäßig übel ist?“
Terbor lächelt. „Ah. Doch... natürlich kann mir da noch ein Grund einfallen. Frauen ist morgens in den ersten Monaten einer...“ Plötzlich liegt die Stille schwer in der Dunkelheit.
„Ich werd Papa?“
„Ja!“
„Nein!“
„Doch!“
„Oh Isondra!“
Die unzähligen, nicht geraden trockenen Küsse, mit denen Terbor das Gesicht seiner Liebsten bedeckt, lassen sie kaum noch zu Atem gelangen. Mit sanftem Druck schiebt sie Terbors Kopf von sich. „Wenn du mich jedes Mal erstickst, wenn ich von dir schwanger bin, wird das unser erstes und einziges Kind sein!“
Terbor hört auf und sagt leise: „Verzeih!“ Dann aber stockt er und sagt fast wild. „Dann ist ja alles klar. Ich kann auf keinen Fall mit den anderen gehen. Ich muss hier bleiben und dir helfen.“
Isondra seufzt. „Genau das habe ich befürchtet.“
„Was soll das denn heißen?“
„Na das, was ich gesagt habe. Terbor, egal ob du hier bist oder nicht. Ich werde einen großen, runden Bauch bekommen. Ich werde fluchen, dich verwünschen und mich trotzdem auf die Niederkunft und unser Kind freuen. Aber wenn du anfangen würdest, mir wirklich helfen zu wollen und mich dann obendrein bemutterst und umsorgst, könnte das nur in einer Katastrophe enden. Sowohl, was die Einrichtung des Hauses betrifft, wie auch die Wiederholungsrate unserer kleinen Streitigkeiten. Die ich eh alle gewinne, wie du weißt und du trotzdem nicht aufhören willst zu meinen, mal Recht haben zu können.“
„Aber Isondra! Es ist unser Kind. Also auch meines. Da sollte ich bei dir bleiben.“
„Du sollst bei mir sein und es mit mir groß ziehen. Keine Frage. Aber du solltest nirgendwo sein, wenn Dinge geschehen, von denen du rein gar keine Ahnung hast. Eine Schwangerschaft gehört dazu!“
„Ich werde trotzdem bei dir bleiben!“
„Nein!“
„Oh doch!“
„Es sind deine Freunde!“
„Das ist mir egal!“
„Ist es das?“
Stille.
Isondra lächelt und sagt nach einer Weile sanft. „Sieh es mal so. Ich habe wirklich schon überlegt, ob ich es dir nicht sagen soll, aber irgendwas mit der Jägerzunft abkläre, dass sie dich auf eine lange, lange Jagd mitnehmen, wenn ich meine Schwangerschaft nicht mehr verbergen könnte. Das ist mir jetzt alles abgenommen und du kannst etwas machen, was du kannst und tust Gutes dabei.“
Terbor sieht Isondra an. „Das hättest du wirklich getan, nicht wahr?“
„Ja natürlich hätte ich das getan. Ich kenn dich gut, mein Liebster. Vielleicht zu gut und ich weiß, dass ich dich zu bestimmten Zeiten besser nicht um mich haben sollte.“
Terbor küsst Isondra wild und verliebt. Leise sagt er: „Aber es geht um Ver und schon beim letzten Mal war es knapp. Zwar steht er diesmal hoffentlich nicht in Diensten irgendwelcher Vampire, aber trotzdem hatte er Orks dabei und ich glaube kaum, dass es seine waren. Es wird also sehr gefährlich werden.“
„Ich weiß“, sagt Isondra leise.
„So gefährlich, dass ich vielleicht nicht zurück komme.“
Isondra drückt Terbors Hand auf ihrem Bauch. „Oh doch. Du wirst zurück kommen. Du wirst zur Not rennen, wenn die Zeit knapp werden sollte. Du hast noch achteinhalb Monate. In der Zeit könnt ihr das schaffen. Wenn ich dein Kind aber aus meinem Leib presse, will ich dich bei mir haben. Keine Widerrede.“
Terbor blickt seine Geliebte verliebt an. Einmal mehr spürt er fast körperlich ihre Willensstärke. Er sagt sanft und doch traurig. „Aber wenn es der Wille der Göttin ist, dann...“
Isondra unterbricht ihn wirsch. „Wenn es IHR Wille ist, dann werd ich IHR mal meinen zeigen. Ich bin in genau dem richtigen Alter, um zu heiraten und dafür habe ich den richtigen Mann gefunden. Ich bin in genau dem richtigen Alter, um ein Kind zu bekommen und den richtigen Mann dazu habe ich auch gefunden. Und ich bin in genau dem richtigen Alter, eine ordentliche Familie zu haben. Den richtigen Mann habe ich und ich gebe ihn nicht mehr her. Wenn die Göttin etwas anderes meinen sollte, komme ich persönlich in ihre Gärten und hole dich zurück. Du gehörst mir und ich geb dich nur dann ab, wenn ich das will und niemand anderes. Hast du verstanden?“ Dann blickt sie hinauf zur Decke. „Und du auch!“ Wieder sieht sie zu Terbor. „Du wirst zu mir zurück kommen. Die ganze Zeit wird etwas von dir bei mir sein und in mir wachsen. Wenn du zurück bist heiraten wir und ich schenke dir ein Kind. Unser Kind!“
Terbor sieht sie an. Still. Doch plötzlich bricht er in schallendes Gelächter aus. Ein kleinwenig erbost lässt Isondra ihn gewähren. Dann legt sie Terbor die Hand auf den Mund und fragt: „Kannst du mir erklären, was daran jetzt so lustig ist?“
Terbor nuschelt durch ihre Finger hindurch: „Nun ja. Ich glaube nicht nur, dass du das machen würdest. Ich glaube sogar, dass du das schaffen würdest. Ich glaube fast... selbst wenn ich wollte, ich könnte dir nicht mehr entkommen.“
Isondra schenkt ihm ein sehr selbstzufriedenes Lächeln. „So sieht es aus.“ Sie nimmt die Hand von seinem Mund.
Terbor lächelt und dreht sich mehr zu ihr, wobei er sich langsam auf sie schiebt. „Ich glaube, damit kann ich leben.“
Isondra lächelt. „Das wirst du sogar müssen.“ Ihre Stimme klingt plötzlich unschuldig. „Und was wird das jetzt Terbor Kernack?“
Er schiebt sich weiter auf ihren Körper und sagt leise: „Du denkst, du seist schwanger. Nachher sind es aber doch nur die Garadora. Wenn ich schon bald so lange deine Wärme nicht werde spüren können, will ich nur sicher gehen, dass es wirklich den richtigen Grund hat.“
Isondra Leib wird von einem leichten Schauer überzogen und sie öffnet ihre Schenkel wohlig raunend, wobei sie die Arme um ihn schlingt. Leise und rau sagt sie: „Dann streng dich mal an!“


(1) Die Garadora ist im wahrsten Sinne eine Heilpflanze. Das Problem ist, dass nur ihre ätherischen Öle eine Wirkung zeigen. Um diese zu gewinnen, muss die Pflanze ausgepresst werden. Das frische Öl stinkt so dermaßen, dass faule Eier ein regelrechter Wohlgeruch sind. Leider gibt es aber auch kaum ein besseres, natürliches Mittel gegen Kopfschmerzen und Migräne.
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Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Isabella »

12.
„Seid ihr sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragt Adorg nicht zum ersten Mal heute Morgen.
Adirië, Kalina und er sind noch vor dem Sonnenaufgang aufgebrochen, um Terbor und Isondra zu besuchen. Sie wollten so früh wie möglich bei deren Haus sein, um sicher zu gehen, dass die beiden nicht auf einen Markt wollen oder dergleichen und sie dann vor verschlossenen Türen stehen. Ihr Weg führt sie durch das dunkle Bezacht vorbei an Schänken, die gerade schließen und die letzten Zecher betrunken im Rinnstein zurücklassen. Vorbei an Stallungen, in denen die Stallknechte die Pferde von Reisenden satteln, die frühzeitig aufbrechen wollen. Nur langsam erwacht die Stadt, was die drei Freunde am Lampenschein sehen können, der die vormals dunklen Fenster in ein sanftes Licht gehüllt hat.
Jetzt stehen die drei in einer Straße, die, je mehr sich die Sonne zeigt, desto geschäftiger wird. Soweit sie sehen können, haben alle Geschäfte geöffnet, und die ersten Kunden suchen die Händler und Handwerker auf.
„Sind wir hier wirklich richtig?“, fragt Adorg erneut, in der Hoffnung, endlich mal eine Antwort zu erhalten.
„Natürlich sind wir hier richtig“, keift Kalina. „Dies ist die Straße, und dies ist ihr Haus. Bei so etwas irre ich mich nicht. Und komm ja nicht auf die Idee, etwas anderes zu behaupten.“
„Kalina hat Recht“, sagt Adirië bevor ihr Bruder etwas erwidern kann. „Dies ist Isondras und Terbors Haus.“
„Und warum sind dann alle Fenster dunkel? Jedes andere Geschäft hat geöffnet nur ihres nicht. Entweder haben sie es nicht nötig oder sie wohnen hier nicht mehr“, gibt Adorg zu bedenken.
„Solange wir nicht anklopfen, werden wir überhaupt nichts erfahren.“ Seine Schwester wird zorniger.
Kalina geht zu der Tür und baut sich davor auf. „Soll ich sie aufmachen?“
Adirië sieht zu ihrer kleinen Freundin. „Nein! Klopfen, Kalina. Anklopfen. Nicht auf-klopfen.“
„Immer hast du etwas zu meckern“, schmollt Kalina.
In dem Moment als Kalina anklopfen will, wird die Tür aufgerissen. Da die Tür nach innen aufgeht, verliert Kalina das Gleichgewicht und stolpert auf den Eingang zu. Gleichzeitig will aber eine viel größere Gestalt den Laden verlassen. Kalina rumpelt schmerzhaft mit dem Fremden zusammen.
„Verdammt nochmal!“, knurrt Terbor. Gleichzeitig erschrocken und verärgert durch den Zusammenprall.
„Hast du keine Augen im Kopf!“, brüllt Kalina.
„Musst du gerade sagen!“, sagt Terbor.
„Guten Morgen, Terbor“, sagt Adirië mit einem Lächeln auf den Lippen.
Der Galater stutzt und hält inne. „Adirië?“
„Wie sie leibt und lebt, Terbor.“ Adorg schiebt sich nach vorne und greift einfach Terbors Hand, um sie zu schütteln. „Du siehst gut aus, Chef.“
Terbor starrt den Spieler verdattert an. „Adorg?“
„Werde ich ganz und gar ignoriert?“ Kalina tritt ihrem alten Freund auf den Fuß.
„Au! Verdammt, Kalina, du sollst mir doch nicht auf die Füße treten.“
Die Zwergin grinst. „Na endlich wird er wieder normal.“
„Was ist denn los, Terbor? Warum geht es denn nicht weiter?“ Alathe schiebt sich nach vorne und erscheint in der Tür.
„Alathe!“
„Adirië!“
„Alathe!“
„Kalina!“
„Alathe!
„Adorg!“
„Aufhören!“ ruft Terbor.
Schon beginnt ein Hände schütteln, Schulter klopfen, sich umarmen und vor allem ein wildes durcheinander Geplapper. Die Passanten, die in diesem Moment vorbei kommen, wechseln auf die andere Straßenseite.
Nach einer Weile gelingt es Terbor, sich Gehör zu verschaffen. „Am besten gehen wir rein. Isondra wird sich freuen, euch zu sehen. Übrigens, Zascht und Rewo sind ebenfalls hier.“
„Zascht?“, fragen die Geschwister gleichzeitig.
Kalina verzieht das Gesicht. „Senf?“
Terbor schmunzelt. „Ja, genau die beiden. Kommt herein, dann könnt ihr die auch noch begrüßen.“
Alathe geht voraus und führt die Freunde in den Kräuterladen, während Terbor die Tür hinter sich sorgfältig verschließt. Als sie in die Küche kommen, ist das Geschrei groß. Rewo springt auf seinen Stuhl. Er hüpft auf und ab. Dabei ruft er immer wieder die Namen der drei Neuankömmlinge. Zascht schenkt den dreien nur ein Nicken, doch umspielt ein ganz feines Lächeln seine Mundwinkel und zeigt so deutlich, dass er sich freut. Nacheinander nehmen Adirië und Adorg Rewo in die Arme, um den kleinen Kaiap zu beruhigen. Nach langem: „Bitte, bitte, bitte“, von Rewo und noch längerem Zögern von Kalina drückt sie den Kaiap dann doch an ihre Brust. Als der kleine Mann durch diese Gesten erst mal zufrieden gestellt ist, sehen die drei in ihren Beuteln und Taschen nach, ob noch alles vorhanden ist.
Isondra begrüßt die drei ebenfalls herzlich und stellt dann sogleich eine neue Kanne Tee auf den Herd. Schließlich sitzen und stehen alle um den Küchentisch herum. Terbor sieht in die Gesichter seiner neu eingetroffenen Freunde.
„So gerne würden wir erfahren was ihr drei in den letzten vier Jahren gemacht habt. Sicherlich wollt ihr auch erfahren, was uns so passiert ist, aber leider haben wir nicht die Zeit, euch alles in der Ausführlichkeit zu erzählen, wie es nötig wäre. Wir vier müssen recht bald aufbrechen; heute. Alathe und ich wollten eben los, um Pferde, Ausrüstung und Proviant zu kaufen.“
Adirië hebt eine Hand. „Gut und schön Terbor, aber warum müsst ihr vier denn so schnell aufbrechen?“
Der Galater sieht kurz Alathe an und wendet dann seinen Blick wieder den Geschwistern und der Zwergin zu. „Ver ist wieder da.“
„Was?“ Die drei sehen in verwundert an. „Aber er ist doch tot, Ver ist tot“, sagt Adorg.
„Ich wünschte es wäre so, aber er lebt. Und es kommt sogar noch schlimmer.“ Er sieht zu Alathe.
Die Bardin nickt nur leicht. „Erzähl du es ihnen, Terbor.“
„Also, hört zu. Vor ein paar Tagen...“, und Terbor erzählt Alathes Geschichte so ausführlich, wie sie sie ihm selber erzählt hat. „... und deswegen müssen wir so schnell wie möglich aufbrechen. Zascht wird uns begleiten, weil er der beste Fährtenleser ist, den ich kenne und er außerdem seltsame Neuigkeiten mitbringt.“ Terbor gibt seinen Freunden kaum Gelegenheit, Alathes Tragödie zu verdauen, schon erzählt er die kurze Geschichte von Zascht und dessen Fund. „Bisher wissen wir nichts Genaues, aber es könnte durchaus eine Verbindung bestehen. Zwischen diesen Söldnern und Ver. Rewo wird uns begleiten, weil er in der Stadt nicht mehr sicher ist. Auf seinen Kopf ist ein Kopfgeld ausgesetzt worden. Aber darum kümmern wir uns wenn, wir Elár zurück gebracht haben. Das ist in etwa das, um was es geht.“
Adirië, Adorg und Kalina sehen sich fassungslos um. Man sieht es ihnen an, dass sie diese Neuigkeiten erst einmal verdauen müssen.
Entweder verdaut Adorg schneller als die anderen, oder aber er denkt überhaupt nicht darüber nach, denn er sagt plötzlich: „Ganz klar. Wir kommen mit.“
Alathe sieht zu ihrem Freund. „Ja aber ihr könnt doch nicht...“
Kalina unterbricht die Bardin. „Oh doch! Wir können. Du hast Probleme, wir helfen. Immerhin sind wir noch deine Freunde, oder denkst du läppische vier Jahre könnten das ändern?“
Adorg nickt bekräftigend.
Alathe seufzt leise. „Ja, aber ihr habt doch...“
„Keine Widerrede, wir kommen mit“, sagt Kalina.
Adirië sagt: „Alathe hat aber Recht. Wir können nicht mit.“
Adorg sieht seine Schwester an. „Ja aber warum denn?“
„Wegen unseren Eltern. Wir können sie doch nicht einfach im Stich lassen. Außerdem wissen wir nicht, für wie lange wir dann weg wären, und die Truppe zieht bestimmt weiter. Vor allem wird uns Ferodag bestimmt raus werfen, wenn wir jetzt einen kleinen Urlaub antreten wollen. Und nicht zu vergessen, wir haben kein Geld, um uns Ausrüstung, Proviant und vor allem Pferde zu kaufen.“
Ihr Bruder seufzt leise und blickt verdrossen in seine Teetasse.
Kalina sieht ihre größere Freundin fest an. „Ich rede mit Ferodag. Dann bekommen wir bestimmt frei. Es ist ja nicht so, dass wir ewig wegbleiben werden. Eure Eltern kommen auch sehr gut ohne euch zurecht, ich glaube sogar besser.“ Bei diesen Worten wird Adorg ein gutes Stück kleiner auf seinem Stuhl. „Wir kommen dann einfach nach, wenn sie schon aufgebrochen sind. Und was Pferde und so angeht, ich habe noch genug Erspartes. Das sollte reichen.“
„Wenn euch das möglich ist, dann würde es mich sehr freuen, wenn ihr uns begleiten könnt“, sagt Alathe. Aber nur wenn das mit euren Eltern und diesem Ferodag kein Problem wird. Was das Geld angeht, so zahle ich alles. Elár und ich waren recht erfolgreich. Wir haben viel mehr eingenommen, als wir ausgeben konnten. Warum auch, denn wir hatten ja uns.“
Adirië hebt die Hände. „Moment. Moment. Es ist noch gar nichts beschlossen.“
„Das solltet ihr aber schnell machen, wenn ihr mit wollt“, entgegnet Terbor. „Es ist Alathes Jagd, aber ihr habt gehört, sie will euch dabei haben. Mir wäre es auch lieber, uns allen wäre es lieber. Also entscheidet euch jetzt, denn wir müssen aufbrechen.“
Kalina und Adorg sehen Adirië abwartend an. Nach kurzem Überlegen sagt sie: „Wir kommen mit. Wenn es eilt, dann gehen wir zurück und klären das mit unserem Anführer. Ausrüstung und Proviant können wir dann ja auch noch auf dem Weg besorgen für uns, wenn wir die Stadt verlassen. Die Pferde sind das Wichtigste erst mal.“
Terbor schmunzelt als er Adirië planen hört. „Wir treffen uns in zwei Stunden am Nordtor. Dort gibt es einen Händler der die besten Pferde hat. Könnt ihr das bis dahin schaffen?“
Sie nickt. „Wir werden uns dort treffen.“
„Gut. Dann alles wie gehabt. Zascht und Rewo warten hier bis wir wieder zurück sind. Kommt. Gehen wir.“
Die Fünf stehen auf und verlassen schnell die Küche und auch den Laden. Sie lassen Isondra zurück, die sich schmunzelnd an den Abwasch macht, Zascht, der alles mit ruhiger Miene beobachtet und Rewo, der mit großen Augen alles Verfolgt hat und nun kläglich fragt: „Und wann erzählen sie die Geschichten?“
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Mo 26. Jul 2010, 19:22, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

Obwohl es noch früh am Tag ist, streifen schon viele Bewohner Bezachts zwischen den Wagen des fahrenden Volkes umher. Sie lassen sich berieseln von den früh aufgestandenen Gauklern und Barden. Einer der Feuerspucker brät sein Frühstück auf besondere Weise, was ihm einen Halbkreis von Leuten um sein Wagen einbringt und die Gewissheit, dass einige dieser Zuschauer auch heute Abend bei den eigentlichen Vorstellungen zugegen sein und dann auch Münzen einbringen werden.
Kalina, Adirië und Adorg haben dafür keinen Blick. Nicht, weil sie in Gedanken wären, sondern weil sie genau das die letzten Jahre viel zu oft auch am eigenen Leib erlebt haben. Wie oft stand eine junge Maid mit großen Augen plötzlich Adorg in seinem Wagen gegenüber. Er hat die Blicke und bebenden Unterlippen genossen, wenn er dort nur halb angezogen oder noch spärlicher bekleidet gestanden hat. Wie oft hat Adirië männliche Frühaufsteher mit der Faust aus ihrem und Kalinas Wagen vertrieben? Sie, die keinen Sinn für große Augen und auch lustvolle Blicke hat. Schon gar nicht früh am Morgen, wenn ihr Haar aussieht, als sei sie Opfer eines Kugelblitzes geworden. So oft hat sich Kalina die Beschwerden anhören müssen. Erzählungen, die sie nie wirklich verstanden hat, denn ein gut gezielter Wurf mit einem Schmiedehammer am Morgen hat ihr immer allen Kummer und alle Sorgen vertrieben.
„So“, sagt Kalina. „Ich geh dann am besten von hier aus zu Ferodag. Wir treffen uns dann an den Wagen und packen unsere Sachen.“
Adirië nickt. „Machen wir es so. Und versuch diplomatisch zu sein. Nicht, dass irgendwas auf unsere Eltern und die anderen zurück fällt. Sie sind auch deine Freunde geworden. Denk daran, Kalina.“
Die Zwergin grinst. „Du kannst dich auf mich verlassen. Ich werde es schon richtig anstellen.“
Mit einem leicht skeptischen Blick sieht Adirië der Gefährtin nach und greift dann ihren Bruder bei der Schulter. „Los! Komm! Du kannst ihr in Zukunft noch viel mehr auf den Po gucken. Das Männer aber auch immer an das Eine denken müssen.“
„Ich... ehm... ja...“, stammelt Adorg. „Du hast ja Recht. Lass uns zu den Eltern.“

„Mutter? Vater?“, sagt Adirië, als sie mit Adorg den Wagen der Eltern betritt. Selina blickt sofort von dem Kleid auf, das sie gerade flickt. Den Ton kennt sie von ihrer Tochter und sie weiß, dass ihr nicht gefallen wird, was sie zu sagen haben wird. Rotrak kommt hinter dem Parawan hervor. Nur mit einer Hose bekleidet, kratzt er sich über die haarige Brust und sieht seine Kinder an. „Was ist denn, Kinder?“
Adirië blickt Hilfe suchend zu ihrem Bruder. Doch hört sie sofort, dass ihr von ihm keine Hilfe zuteilwerden wird. Das nervöse Knirschen seiner Zähne ist nicht zu überhören. Adirië holt tief Luft und strafft ihre Schultern. „Mutter, Vater, wir müssen euch was sagen.“
„Dann raus mit der Sprache“, sagt Selina. „Wir werden es überleben. Genau so, wie wir es überlebt haben, als ihr das erste Mal losgezogen seid, um Abenteuer zu erleben. Ist es nicht so?“
Die Geschwister starren ihre Mutter an, was bei ihr nun doch ein leichtes Lächeln um die Mundwinkel zaubert.
„Wie...?“, fragt Adorg tonlos.
„Ich bin eure Mutter. Schon vergessen?“
Rotrak sieht zwischen seiner Frau und seinen Kindern hin und her. „Moment mal! Hab ich irgendwas verpasst? Wollt ihr etwa schon wieder das Weite suchen?“
„Ja, Vater“, sagt Adirië.
„Aber das geht doch nicht! Ihr wisst doch, wie Ferodag ist. Er ist immer noch der Meinung, die wohltätigste Tat seines Lebens getan zu haben, als er uns aufnahm. Es wird uns nicht gut bekommen, wenn ihr jetzt geht. Adorg wird er keine Träne nachweinen. Aber du, Adirië, und vor allem Kalina, denn die wird ja wohl mit euch ziehen, sind für ihn unverzichtbar geworden.“
Adirië seufzt. „Ja, Vater, wir wissen es. Aber Alathe, wir haben euch ja von ihr erzählt. Sie ist zu Terbor gekommen. Man hat ihr ihren Elár entführt. Sie ist schwanger von ihm. Wir müssen ihn suchen gehen.“
„Aber...“ Weiter kommt Rotrak nicht, denn Selina legt das Kleid rasch bei Seite und steht auf. Sie legt ihrem Mann die Hand auf die Schulter und sagt: „Dann müsst ihr gehen. Natürlich. Aber nur, wenn ihr uns versprecht, dass wir eure Freunde irgendwann einmal kennen lernen. Vor allem diese Alathe und ihren Gefährten. Denn sie sind wie wir fahrendes Volk.“
Adorg und Adirië beginnen zu lächeln. Mit der Unterstützung ihrer Mutter würde es jetzt nicht mehr schwierig werden. „Versprochen, Mama!“, sagt Adorg.
Selina lächelt und nickt, während Rotrak aus tiefstem Herzen seufzt. Leise sagt er: „Ihr passt aber gut auf euch auf, ja?“
„Machen wir. Natürlich. Und ich pass besonders auf Adorg auf, auch wenn Kalina mich da eh unterstützen wird. Außerdem ist Alathe der Meinung, dass wir euch nicht einfach so allein lassen sollen.“ Sie sieht zu ihrem Bruder. „Gib ihnen den Beutel.“
„Oh ja. Den hätte ich jetzt fast vergessen“, sagt Adorg verlegen. Er nestelt an seinem Gürtel und löst den Beutel, den Alathe ihm gegeben hat und reicht ihn seinem Vater.
Rotraks Hand zuckt, als er das überraschend hohe Gewicht des Beutels fühlt. Doch Adirië fährt fort. „Wir wissen nicht, wie viel darin ist. Aber Alathe hat darauf bestanden, dass ihr das Geld annehmt. Eben wenn Ferodag Schwierigkeiten machen sollte. Dann wird es euch helfen, die Zeit zu überbrücken, bis er sich wieder beruhigt hat.“
„Also wenn ich das fühle, müssen sie und ihr Gefährte ganz schön erfolgreich gewesen sein.“ Rotrak öffnet den Beutel und schüttet den Inhalt in seine Handfläche. Doch diese ist nicht groß genug, um den gesamten Inhalt aufzunehmen. So fallen einige Münzen daneben. Diese, wie auch alle anderen in seiner Hand, sind aus purem Gold. Vier Augenpaare weiten sich vor Erstaunen. „Damit können wir uns wieder selbstständig machen“, flüstert Rotrak atemlos.
Adirië sieht zu ihrem Bruder. „Hast du gewusst...?“
Adorg schüttelt den Kopf. „Kein Stück! Göttin!“
„Damit können wir uns wieder selbstständig machen!“ Rotraks Stimme ist rau. Er scheint den Tränen nah.
„Wir müssen diese Alathe um alles auf der Welt kennenlernen. Befreit ihren Mann und bringt sie zu uns!“, sagt Selina, den Blick noch immer auf das funkelnde Gold gerichtet.
Adirië nickt. „Und wie wir das machen werden.“
„Damit können wir uns wieder selbstständig machen!“ Doch jetzt sieht Rotrak seine Kinder an. „Ach... kommt her, meine Kinder. Ich liebe euch... und passt ja auf euch auf!“ Er lässt das Gold einfach fallen und geht auf seine Kinder zu. Mit beiden Armen schließt er sie in seine Arme und drückt sie an sich.
„Machen wir, Papa“, sagt Adirië den Tränen nah. Und als auch noch Selina ihre Arme um die Kinder schließt, fließen Adiriës Tränen. Aber nicht nur ihre, sondern auch die ihres Bruders, ihrer Mutter und auch die ihres Vaters.
„Lasst von euch hören“, schluchzt Selina.
„Wir werden wohl nach Westen und dann nach Norden ziehen“, sagt Adorg rau. „Wenn ihr wieder einen eigenen, kleinen Zirkus auf macht, dann zieht doch einfach auch in die Richtung. Vielleicht führt uns unsere Suche dann auch bei euch vorbei. Das Glück war uns immer in allem hold.“
„Machen wir, aber jetzt lass dich küssen, Sohn!“, sagt Rotrak.
Dann nehmen die Kinder von ihren Eltern Abschied. Mehr als nur eine Träne fließt, mehr als nur ein Versprechen, sich wieder gesund und munter wieder zu sehen, wird einander geschworen.

„Niemals!“, blafft Ferodag mit hochrotem Kopf. Voller Zorn sieht er auf Kalina hinab. Sie steht ganz ruhig vor ihrem Chef. „Adorg soll von mir aus hingehen, wo er will, aber du und Adirië bleiben hier.“
„Du weißt, dass ich hingehe, wo auch Adorg hingeht, Ferodag. Das geht nicht, dass er allein geht“, entgegnet die Zwergin fest.
Ferodag wirft die Arme in die Luft und stampft aufgebracht in seinem Zirkuswagen umher. Dann bleibt er direkt vor der Schmiedin stehen. „Was bei allen Dämonen hast du eigentlich an diesem Hochstapler, Tunichtgut und Versager gefressen?“
Kalinas Stirn legt sich in Falten. Doch Ferodag interpretiert das, als würde er die Zwergin nachdenklich machen. „Überleg doch mal was du hier alles erreichen könntest. Wir brauchen dich hier, und vielleicht kannst du ja doch irgendwann einmal mit irgendeiner Darbietung vor Publikum auftreten.“ Er legt eine Hand auf Kalinas Schulter.
„Würdest du bitte deine Hand da weg nehmen?“
Doch der Zirkusbesitzer ignoriert ihre Worte und fährt schwelgerisch fort. „Wenn dieser Kerl endlich weg wäre. Dir würde Tür und Tor offen stehen. Du bist beliebt und für eine Zwergin wahrlich gefällig anzusehen.“ Ferodags Augen funkeln. „Das ist auch mir schon aufgefallen.“ Er legt seine andere Hand auf Kalinas andere Schulter.
„Nimm deine Hände da weg!“
„Oh Kalina! Lass diesen Kerl ziehen und bleib hier! Bleib bei mir!“ Als Ferodag dann auch noch versucht, Kalina an sich zu ziehen, passiert es. Ihr Knie zuckt nach oben. Nur Sekunden später verlässt die Zwergin rasch den Wagen Ferodags, um dem viel zu hohen Gejaule des Mannes, der jetzt ihr ehemaliger Chef ist, zu entfliehen.


Die Geschwister reiben sich die Tränen aus den Augen, als sie den Wagen ihrer Eltern verlassen. „Das ging doch gut“, sagt Adorg leise.
„Sehr gut sogar“, antwortet Adirië.
Da brüllt es laut aus dem Wagen hinter ihnen. „Harg! Jasre! Kommt sofort hier rein! Wir haben was Wichtiges zu besprechen!“
„Mehr als sehr gut sogar“, sagt Adirië schmunzelnd.
Sie und ihr Bruder machen rasch Platz, als die der Muskelprotz und die Schlangenfrau rasch angelaufen kommen und zwischen den Geschwistern hindurch in den Wagen stürmen.
„Dann können wir ja los“, sagt Adorg. Er sieht zu seinem kleinen Wagen und stutzt. Es steht nicht nur sperrangelweit offen, sondern wirkt wie das Gerippe eines Wagens nach einem Brigantenüberfall.
Adirië sieht ihren Bruder fragend an. Als sie zur Standfläche ihres Wagens blickt, sieht auch der nicht anders aus. Dafür sehen sie beide, dass Kalina damit beschäftigt ist, drei Bündel zu packen, in denen auch all ihre Sachen verschnürt werden. Die beiden Artistenkinder eilen schnell zu der Gefährtin.
„Kalina? Was ist los?“, ruft Adirië.
Während Kalina antwortet, beginnt sie damit, die Freunde mit ihren jeweils eigenen Bündeln zu bepacken. Ihnen die Rucksäcke aufzusetzen und ihnen die Waffen umzugürten. „Wir sollten rasch verschwinden!“
„Aber wir sollten uns noch von unseren Freunden verabschieden“, sagt Adorg, der dabei Arme und Beine immer wieder hebt, um Kalina in ihrem Tun so gut wie möglich zu unterstützen.
„Keine Zeit!“, blafft Kalina.
„Wieso keine Zeit?“, fragt Adirië, die es ihrem Bruder gleich tut und viel zu perplex ist, als dass sie auch nur versuchen würde, die Zwergin zu unterbrechen.
„Ferodag hat Adorg beleidigt!“, sagt Kalina.
Adorg verzieht das Gesicht. „Aber das hat er doch eh ständig gemacht!“
„Aber diesmal ist er zu weit gegangen“, erwidert die Zwergin.
„Ja gut. Trotzdem ist das kein Grund, dass wir jetzt regelrecht flüchten müssen“, sagt Adirië, die immer mehr das nicht geringe Gewicht ihrer Sachen fühlt und kurz wehmütig an das Lager zurück denkt. Und an Trischa. Ihre Hoffnungen liegen jetzt auf Terbor und Alathe, dass sie genug Pferde bekommen.
Da sagt Kalina schon wieder: „Doch. Er wird ziemlich wütend sein, wenn sich seine Stimme wieder in normale Regionen hinab bewegt hat, und er auch wieder aufrecht stehen kann.“
Adirië mustert ihre Freundin genauer. „Du hast ihm doch wohl nicht in...“
„Er hat mir ungefragt die Hände auf die Schultern gelegt!“, unterbricht Kalina.
Adorgs Augen werden groß.
„Du hast ihm wirklich in die...?“, fragt Adirië.
Aber wieder wird sie von Kalina unterbrochen. „Mein Knie hat einfach gezuckt. Ich kann eigentlich gar nichts dafür. Aber ich bin nicht traurig drum. Er hat es verdient. Und los jetzt! Wir sind fertig.“ Schon stapft die Zwergin eiligen Schrittes los.
Adirië lacht schallend auf. Rasch folgen sie und ihr Bruder der Freundin. Doch Adorgs Augen sind noch immer geweitet und er starrt Kalina hinterher. Diesmal auch eindeutig nicht auf ihren Po. Adirië legt einen Arm um ihren Bruder und sagt feixend: „Tja, Bruderherz. Ich hoffe, das ist dir eine Lehre im Voraus. Ärgere niemals deine Geliebte, denn es kann sehr, sehr weh tun, wenn ihr Knie plötzlich zu zucken beginnt. Und glaube mir, nicht mal Nefrathi würde dich dann, wenn sie da wäre, dort mit einer Heilsalbe einreiben.“
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Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Garbosch »

13.
'Was für ein wunderbares Geschöpf.' Terbor steht in einem Teil des großen Miet- und Verkaufsstalls und betrachtet einen Rappen. An diesem Pferd ist alles perfekt. Gesund, kräftig, nach den Fesseln zu urteilen auch noch Ausdauernd, und zu guter Letzt, sehr schön anzusehen. Terbor hat sich von Alathe getrennt, damit sie schneller das Angebot durchgehen können. Alles ist gut und rasch vonstattengegangen, bis er dieses wundervolle Pferd entdeckt hat. Er weiß nicht genau wie lange er schon hier steht und das Tier bewundert, aber er hat das unbestimmte Gefühl, schon viel zu viel Zeit vergeudet zu haben. Mit einem tiefen Seufzen und dem Wissen, das dieses Tier unerschwinglich für ihn ist, dreht er sich herum und entdeckt Alathe am anderen Ende des Stalles. Sogleich blickt er beschämt zu Boden, denn die Bardin führt fünf Pferde und zwei Ponys an den Zügeln hinter sich her. „Also ich hätte schon eine Auswahl getroffen, Terbor. Wie sieht es bei dir aus?“
„Ja, also eigentlich...“
Alathe blickt an Terbor vorbei und lacht schallend auf. „Ich verstehe. Du bist nur zu diesem hübschen Kerl gekommen.“
„Nun ja.“
Die Bardin lächelt ihren Freund herzlich an. „Ich habe schon für uns alle ordentliche Tiere herausgesucht, aber wenn du magst, dann nehmen wir eben den Rappen anstelle des Fuchses, den ich für dich gedacht habe.“
„Das wird nicht nötig sein. Er wird viel zu teuer sein und mit aller Macht muss man ja dein Geld auch nicht ausgeben.“
„Ganz wie du meinst, Chef.“
Terbor nickt und mustert dann die Tiere. „Für wen sollten den die Ponys sein?“
„Rewo und Kalina müssen ja auch mit etwas reiten können.“
„Wir wollen schnell sein, da können wir uns nicht mit Ponys herumschlagen. Rewo und Kalina müssen mit auf unseren Pferden reiten.“
Alathe sieht ihn an. „Das stimmt, daran habe ich gar nicht gedacht.“
„Dafür bräuchten wir aber noch ein Pferd auf dem wir einen Teil der Ausrüstung verstauen können. Mehr als eines wird nicht nötig sein.“
Alathe grinst breit. „Dann nehmen wir doch den Rappen mit und schon haben wir alles was wir brauchen.“
„Alathe, das wird doch viel zu...“
Die Bardin winkt ab. „Wir geben die beiden Ponys zurück und legen noch ein bisschen was drauf. So geht es am schnellsten oder bist du vielleicht anderer Meinung?“
Terbor lächelt und sagt: „Ich bin ganz und gar keiner anderen Meinung.

Während Alathe mit dem Eigentümer des Stalls noch über Sättel und Zaumzeug verhandelt, führt Terbor die neuerworbenen Pferde aus dem Stall heraus. Adirië, Adorg und Kalina kommen auf den Galater und die Pferde zu. „Das sind aber hübsche Pferdchen“, sagt Adorg.
„Ich hoffe ihr habt einen Wagen für mich organisiert. Ich verstehe mich nicht sonderlich mit Pferden“, sagt Kalina.
Adirië sieht sich um. „Wo ist Alathe?“
Terbor blickt den dreien entgegen. „Alathe schließt gerade die Verhandlungen ab und nein Kalina, du bekommst weder Pferd noch Wagen. Du wirst mit jemandem reiten, wie auch Rewo. Wir wollen schnell unterwegs sein, und da können wir uns nicht mit einem Wagen aufhalten.“
Adorg sagt schnell: „Du kannst bei mir mit reiten.“
Die Zwergin sieht skeptisch zu dem jungen Galater. „Du lässt mich auch sicher nicht runter fallen?“
Adorg schüttelt vehement den Kopf. „Niemals!“
Adirië sieht zu Terbor. Der Galater rollt mit den Augen. Adirië grinst ihn an. „Wollt ihr mit vielleicht, mal helfen die Pferde zu satteln? Wir haben noch viel zu tun.“ Alathe schleppt einen Sattel hinter sich her. Sogleich geht Terbor zu ihr, nimmt ihr den Sattel ab und wirft ihn auf den Rücken einer Stute, die ihm die Bardin zeigt. Mit einer Routine, als wären sie nur Stunden und nicht Jahre getrennt gewesen, machen sich die Freunde an die Arbeit. Terbor und Adirië satteln die Pferde, Kalina zieht die Riemen fest und Adorg und Alathe streifen den Tieren das Zaumzeug um. Innerhalb kürzester Zeit haben die Freunde die Pferde vorbereitet und sitzen auf, wobei Kalina tatsächlich hinter Adorg Platz gefunden hat. Das Packpferd hat ein Geschirr bekommen, an dem schon die Habseligkeiten der drei ehemaligen Zirkusleute angebracht sind.
„Wie lange habt ihr eigentlich frei bekommen?“, fragt Terbor Adirië, die neben ihm an der Spitze reitet.
„Solange wir ihr uns braucht. Sehr, sehr lange.“
Terbor sieht seine Freundin von der Seite an und nickt leicht. „Ich verstehe.“

Einige Zeit später schleppt Kalina Sack um Sack an Verpflegung und Ausrüstung zu den Pferden, wo Adorg und Alathe damit beschäftigt sind, alles auf die Tiere zu verteilen. Sie befinden sich in einer kleinen Seitengasse des Marktes. Ein wenig abseits von ihnen stehen Terbor und Adirië und gehen gemeinsam durch ob sie alles haben.
„Decken?“
„Haben wir in doppelter Ausführung falls sie nass werden“, antwortet Adirië mit Blick auf eine Liste.
„Lampenöl?“
„Für mindestens 10 Tage, wenn wir es nicht übertreiben.“
„Seil?“
„Vier Rollen.“
„Hm, im Großen und Ganzen sollten wir das Wichtigste haben. Den Rest haben wir in unseren persönlichen Sachen.“
Die Galaterin nickt zustimmend. „Wir gehen davon aus, dass wir nicht lange unterwegs sein werden. Für mehr Vorräte bräuchten wir mehr Zeit und die haben wir nach deinen Worten nicht.“
Der Hauptmann nickt langsam. „Wenn wir länger warten, dann ist die Spur nicht mal mehr kalt, sondern womöglich überhaupt nicht mehr vorhanden. Wenn wir Alathe helfen wollen, dann müssen wir schnell handeln.“
„Du hast ja Recht, Terbor, es ist ja nur...“ Adirië verstummt. Terbor, der auf mehr von ihr wartet, sieht sie an, jedoch ruht ihr Blick weder auf der Liste noch auf Terbor, sondern verliert sich irgendwo auf dem Marktplatz. „Adirië? Was ist denn?“
„Was?“ Sie blinzelt und schüttelt leicht den Kopf. „Nichts, es ist nichts. Alles in Ordnung.“
Terbor runzelt die Stirn, sieht sie nachdenklich an und sagt: „Wenn du es sagst. Komm gehen wir zu den anderen. Es ist Zeit, die Stadt zu verlassen.“
Adirië nickt nur leicht und wirft noch einen Blick auf den Markt. Sie hat ihn sofort wieder erkannt, jenen Mann, den sie vor mehr als vier Jahren geheiratet hat, um ihm zu Helfen. Ihr war vollkommen entfallen wie angenehm Jorok aussieht und beinahe hätte sie Terbor auf ihn aufmerksam gemacht, damit sie ihn begrüßen kann. Aber Adirië ist sehr wohl bewusst das ihre Freundin Alathe um ihren Geliebten bangt. Es wird hinterher noch genügend Zeit bleiben um Jorok zu begrüßen. Nachdem Adirië keine geregelte Arbeit mehr hat, wird sie sehr viel Zeit haben, wenn ihre Freunde und sie erst mal Elár befreit haben.

Der Ritt zurück zu Isondras Kräuterladen verläuft schweigend. Ein jeder ist mit seinen Gedanken beschäftigt. Adorg und Kalina mit dem Abenteuer, das auf sie wartet, Alathe in Angst um ihren Geliebten, Adirië in Erinnerungen an Jorok und Terbor, der jeden möglichen Schritt im vornherein planen möchte. Die Gefährten steigen von den Pferden und betreten den Kräuterladen.
„Wir haben alles bekommen. Zascht, Rewo mir ist es gleich wie ihr es macht, aber ihr müsst unentdeckt die Stadt verlassen. Wir treffen uns am Waldrand und zwar in einer halben Stunde.“
Der Vicya nickt unmerklich und zieht schon die Kapuze seines Umhanges tief in sein Gesicht. Rewo springt von dem Stuhl auf dem er gesessen hat und sagt: „Kein Problem. Ich gehe in die Kanalisation. Da entdeckt mich niemand.“
„Gut“, sagt Terbor. „Dann brechen wir auf.“
Rasch verabschieden sich die Gefährten von Isondra doch als Terbor etwas sagen will, legt sie nur einen Finger auf seine Lippen und sieht ihn an. Terbor blickt seine Frau kurz an, dann versteht er. Es ist alles gesagt worden zwischen ihnen. Er küsst Isondra zum Abschied und die Tränen, die ihr über die Wangen rinnen, werden in seiner Erinnerung nicht verblassen. Er streicht ihr liebevoll über eine Wange und verlässt dann den Laden fluchtartig. Er steigt auf den Rappen und sieht sich um. Zascht ist schon nicht mehr zu sehen. Seine anderen Freunde sehen ihn abwartend an. Wortlos dreht er sein Pferd um und reitet Richtung Stadttor.

Unbehelligt verlassen sie Bezacht. Sie lassen sich Zeit, spornen die Pferde nicht an, denn sie werden den Treffpunkt vor Rewo und Zascht erreichen. Als sie den Waldrand erreichen, lassen sie die Pferde grasen. Kalina will vom Pferd rutschen, doch Terbor schüttelt den Kopf. „Wir bleiben alle im Sattel.“
Kalina sieht ihn fragend an. „Aber warum denn? Wir werden sicherlich noch Zeit haben bis die beiden kommen.“
„Darum geht es nicht. Es ist hellster Tag und die beiden sind nicht gerade unauffällig. Wir sollten in der Lage sein, so schnell es nur geht los reiten zu können.“
„Terbor hat Recht“, sagt eine leise Stimme, die aus den Schatten der Bäume kommt. Die Gefährten wirbeln herum und sehen Zascht, der vollkommen entspannt aus dem Schatten tritt und Adirië die Zügel für sein Pferd abnimmt.
„Wie, bei Korks dickem Daumen bist du so schnell hierhergekommen?“, fragt Kalina.
Zascht schwingt sich in den Sattel und seine Zähne blitzen kurz in dem schwarzen Gesicht auf. „Vicya“, sagt er kurz angebunden.
Terbor schmunzelt. Er gesteht sich ein, dass er auch am liebsten eine Antwort auf Kalinas Frage gehört hätte, aber das Zascht überhaupt hier ist, beruhigt Terbor ungemein.
„Bleibt nur noch Rewo“, sagt Adorg.
„War ja klar, dass Senf sich wieder verspätet. Er ist so unzuverlässig, nervig und einfach störend.“ Kalina unterstreicht ihre Worte, indem sie mit der linken Faust in die rechte Handfläche schlägt. Prompt wäre sie beinahe vom Pferd gefallen, wenn Adorg nicht schnell einen Arm um sie gelegt hätte. Die Zwergin rutscht wieder in eine sichere Position und grummelt leise vor sich hin, während Adorg breit grinst. Er ist aber klug genug kein Wort zu sagen. Mit einem Mal hören die Gefährten einen Schrei. Sie drehen sich zu der Stadt um und bemerken zunächst nur etwas Bewegung am Stadttor.
„Kann irgendjemand erkennen, was dort los ist?“ fragt Terbor.
„Ich glaube die Wachen haben etwas entdeckt“, sagt Adorg. „Ich kann aber nicht erkennen was.“
Terbor seufzt leise. „Ich habe da so eine Ahnung.“
Adirië sieht den Galater an. „Du meinst doch nicht...“
„Jetzt kann ich es erkennen!“, ruft Adorg.
Die Gefährten folgen seinem ausgestreckten Arm. In der Nähe der Stadtmauer, etwas links der Straße, befindet sich ein Strauch. Just in diesem Moment flitzt eine sehr kleine Person aus diesem Strauch in Richtung Waldrand. Die Wachen haben die Person entdeckt und mit lautem Rufen setzen vier Wächter ihr nach.
„Ich reiße ihm jeden Finger einzeln aus! Dieser dumme, unverantwortliche...“ Terbor verstummt, knirscht aber mit den Zähnen.
„Ich hole ihn“, sagt Zascht und bevor irgendjemand etwas erwidern kann, galoppiert der Vicya auf Rewo zu. Die Freunde beobachten gespannt das Wettrennen zwischen Zascht und den Wachen.
„Reiten wir zwischen die Bäume. Es muss ja nicht sein, dass sie uns an der Anzahl erkennen, und das wir eben noch durch das Tor geritten sind.“ Terbor lenkt sein Pferd zwischen die Bäume und die anderen folgen ihm. So können sie ungesehen verfolgen, wie Zascht in vollem Galopp einen Bogen beschreibt, um dann Rewo am Kragen zu packen und vor sich auf das Pferd zu ziehen. Im gestreckten Galopp fliegt das Duo auf den Wald zu. Zascht lenkt das Pferd geschickt zwischen die Bäume, wo er dann zum stehen kommt. „Ich war weit genug entfernt. Sie konnten mich bestimmt nicht erkennen.“
Terbor nickt und funkelt Rewo an. „Warum hörst du nicht auf das was ich sage? Denkst du wir machen einen lustigen Ausflug? Denkst du, wir haben nichts anderes zu tun, als das wir uns aus den Schwierigkeiten herausarbeiten, in die du uns andauernd bringst?“ Mit jedem Wort ist Terbor lauter und Rewo dafür umso kleiner geworden. Adirië legt ihre Hand auf Terbors Unterarm. „Beruhige dich, Terbor. Das hat keinen Sinn.“ Terbor sieht die Bardin an, winkt ab und sagt: „Zascht? Rewo reitet mit dir.“ Er wendet das Pferd und reitet los.
Rewo sieht dem Galater nach. „Das ist gut, weil ich so auf Zascht aufpassen kann, nicht wahr?“ Er sieht zu dem Vicya hoch und das Lächeln, das dieser zeigt, trägt dazu bei, dass sich Rewo nicht mehr so sicher ist, ob Terbor ihn damit wirklich belohnt hat.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Di 5. Okt 2010, 19:39, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

15.
„Du siehst ungewohnt aus. Irgendwie entspannt und erholt“, sagt Adirië.
„Und was bedeutet das?“, fragt Zascht und sieht Adirië an.
„Dass du dich verändert hast. Du wirkst nicht mehr so starr und fest, wie es früher der Fall gewesen ist. Was hast du die Jahre über gemacht?“
Zascht deutet nach links in den Wald hinein. „Ich habe da gelebt.“
Adirië seufzt. „Auf jeden Fall bist du nicht gesprächiger geworden. Schön. Du hast im Schieferwald gelebt. Allein?“
Zascht schüttelt den Kopf. „Nein.“
Adirië sieht geradeaus und verdreht die Augen. „Nein - schön für dich.“ Ihr Kopf ruckt wieder zum Vicya. „Zascht! Bitte. Etwas mehr Information. Mit wem hast du dort gelebt?“
Zascht deutet nach vorn und zum Waldrand. „Mit ihnen dort.“ Dann reitet er in die Richtung, in die er gedeutet hat. Adirië blickt ihm verblüfft hinterher. Hilfe suchend sieht sie zu den anderen, die eher amüsiert ihren Blick erwidern. Aber nur solange, bis die Pferde ein wenig scheuen. Gute 100 Schritt von ihnen entfernt wächst eine Gestalt aus dem Gras am Waldrand. Genau in der Richtung, in die Zascht reitet.
„Ist das nicht eine Mari?“, ruft Rewo und krallt sich am Sattel fest und versucht besser an Zascht vorbei sehen zu können.

Zascht springt aus dem Sattel und geht die letzten Schritte auf Chri zu. Zascht wundert es nicht, dass sie es ist, die hier gewartet hat, wie es scheint. Gewartet auf ihn. Sie lächelt Zascht an und sagt: „Ich wollte dir ein Lebewohl wünschen.“
Zascht bleibt direkt vor ihr stehen. „Das ist sehr freundlich von dir. Es kann einige Zeit vergehen, bis ich wieder komme. Wir müssen einer Freundin helfen. Die Briganten, die ihr im Wald getötet habt, könnten damit zusammen hängen. Ich werde meiner Freundin und auch euch helfen. Wenn ich wiederkehre, dann wird allen geholfen sein.“
Würde Adirië jetzt neben Zascht stehen, würde sie sich wohl fragen, was sie falsch macht, aber Chri nickt nur leicht. „Du passt auf dich auf.“ Es ist eine Feststellung.
Zascht nickt.
Rewo sieht neugierig zu den beiden.
„Ich werde dich vermissen.“ Chri legt ihre Arme um Zaschts Hals und schmiegt sich an ihn.
„Ich werde auch dich vermissen“, sagt Zascht leise. Er drückt seine Nase in das Fell der Mari und schnuppert unhörbar.
„Ich hätte gerne noch einmal mit dir das Lager geteilt, Zascht.“
„Wir werden es nachholen, wenn ich wieder zurück bin und du mich noch in deinem Lager willkommen heißen willst.“
„Das werde ich, Zascht. Das werde ich.“
„Ich danke dir.“
Chri lächelt und entblößt ihre scharfen Zähne. „Rede nicht. Küss mich!“
Zascht sagt kein Wort. Seine Lippen vereinen sich mit Chris zu einem langen, innigen Kuss.
„Ah, das ist wie Nefrathi und Helofain gemacht haben oder?“ Rewo sieht sich um, aber da ist niemand, der ihm antworten könnte.

Die Gefährten sehen zu den beiden, die am Waldrand stehen. Erst nur verblüfft. Dann auch erstaunt. Ein regelrecht kollektives Stöhnen ist zu hören, als Chri und Zascht sich küssen. Einzig Alathes Augen beginnen zu leuchten. Sie seufzt wohlig. Bilder von Elár und ihr gleiten an ihrem geistigen Auge vorbei. Sie hören auch nicht auf, als die Mari sich in den Wald zurück zieht und Zascht zu den Freunden geritten kommt.
Zascht reiht sich wieder an Adiriës Seite ein. Sie starrt ihn unverhohlen und mit offenem Mund an. Doch der Vicya zeigt keine Reaktion, als er sie ansieht. „Da habe ich gelebt. Bei den Mari. Warum reiten wir nicht?“
„Hab ich doch gesagt, dass das eine Mari ist“, sagt Rewo.
Adirië schüttelt den Kopf. „Ihr habt euch geküsst!“
„Tut das eigentlich weh? Die Mari hatte ganz schön scharfe Zähne“, sagt Rewo.
„Wir liegen auch beieinander, wenn sie es mir gewährt“, sagt Zascht.
Kalina schlägt auf Adorgs Rücken ein und zwingt ihn so, an Zaschts andere Seite zu reiten. „Die hat dich ja fast aufgefressen, Zascht!“
„Es war schön“, sagt Zascht.
„So, wie sie dich gepackt hat, liebt sie dich!“, sagt Adirië.
„Oh ja, sie liebt ihn“, seufzt Alathe leise und wohlig etwas weiter abseits.
„Oh ja… und er sie auch. Ich hab das genau gehört. Aber wenn sie dich frisst, tut das wirklich weh“, sagt Rewo.
Kalina gibt Rewo einen Schlag in den Nacken. „Sei doch mal ruhig.“ Sie sieht zu Zascht. „Liebst du sie?“
„Ich mag sie.“
Adirië beginnt zu grinsen. „Du liebst sie. Das ist ja… niedlich.“
„Ich bin nicht niedlich“, sagt Zascht.
„Ich mag niedlich sein. Das hilft beim ausleihen von Sachen“, sagt Rewo.
Kalina gibt Rewo wieder einen Klaps mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. „Ruhe Senf!“
Adirië fährt ungerührt fort. „Jetzt verstehe ich auch deinen entspannten Gesichtsausdruck!“
„Dann bin ich froh und wir können weiter reiten“, sagt Zascht.
„Kannst du mich nicht auch mal küssen? Dann weiß ich, ob das weh tut“, fragt Rewo mit Blick auf Kalina.
Kalina greift Rewo beim Nacken und zischt: „Ich kann dir auch einfach einen Scheitel mit meiner Axt ziehen, Senf.“
„Er ist doch nur neugierig“, sagt Adorg. Was ihm sofort auch einen Schlag auf den Hinterkopf einbringt.
„Halt den Mund und dich da raus!“, knurrt sie.
Adorg verzieht das Gesicht, schweigt aber still.
Alathe lenkt ihr Reittier an Terbors Seite. „Warum bedeckst du deine Augen mit der Hand, Terbor? So hell ist die Sonne nicht. Findest du das nicht auch total toll mit den beiden. Vicya und Mari! Hach, das ist bestimmt eine Ballade wert.“ Sie seufzt leise und blickt in die Ferne. „Ich werde sie schreiben und dann mit Elár gemeinsam singen. So wie bisher immer.“ Sie nickt und sieht wieder Terbor an.
Der Galater sieht Alathe an, schüttelt den Kopf, sieht zu den anderen und dreht seinen prächtigen Rappen. „Bitte… lasst uns einfach weiter reiten. Wir sind eine Stunde unterwegs und schon jetzt frage ich mich, was mich da nur geritten hat.“
Alathe schmollt, bleibt aber an Terbors Seite.
„Ihr habt den Hauptmann gehört!“, sagt Zascht und reitet zwischen den anderen hervor, um Terbor zu folgen. Adirië und Kalina sehen sich an.
„Wir sind noch nicht fertig oder?“, fragt Adirië.
„Ganz und gar nicht!“, antwortet Kalina und grinst ihre Freundin an.
„Guuut“, sagt Adirië zufrieden und gibt ihrem Pferd die Sporen.
Kalina grinst und stupst Adorg in den Rücken. „Los! Mach das Pferd laufen… steh hier nicht rum. Wir haben einen weiten Weg vor uns.“
„Ja Liebste.“ Adorg seufzt, schüttelt leicht den Kopf und bildet alsbald mit der Zwergin den Abschluss.

Fröhlich tanzen die Flammen durch das Lagerfeuer des Nachtlagers. Der Geruch des Abendessens liegt noch wie ein Teppich über dem Platz, der von oben wie ein Stern aussieht, denn mit dem Feuer in Mittelpunkt, bilden die ausgerollten Schlafrollen die Strahlen des Sterns. Noch sitzen die Gefährten um das wärmende Feuer herum und erzählen sich die Geschichten, die sie in den letzten Jahren erlebt haben. Drei Tage sind seit ihrem Aufbruch von Bezacht vergangen. Mehr als ein Abend, sehr viel mehr als nur einer, werden nötig sein, um alle Neuigkeiten und Erlebnisse auszutauschen, wie sie festgestellt haben. Selbst Terbor, der offenbar das ruhigste Leben von allen geführt hat, gesteht sich ein, dass sein Leben mehr aufregende Momente hatte, als es ihm bewusst gewesen ist. Und es erfüllt ihn mit Freude und Stolz, wenn die Freunde auch an seinen Lippen hängen, wenn er kleine Anekdoten zum Besten gibt, die er mit seiner Liebsten erlebt hat.
Einzig Zascht steht etwas abseits. Er hat dem Feuer den Rücken zugewandt, um seine Augen vor dem Licht zu schützen. Er sieht in die Dunkelheit. Wie selbstverständlich, hat er die Wache übernommen. Seine Sinne sind auf die Umgebung gerichtet. Nicht nur seine guten Augen, sondern auch sein feines Gehör und nicht zuletzt seine Nase. Unwillkürlich rümpft er sie. Seine Hand zuckt zum Schwertgriff und er beugt sich leicht vor.
Nur eine kleine Bewegung, die sofort alle Gespräche am Feuer verstummen lässt. Die Gefährten lassen sich nach hinten fallen, greifen zu ihren Waffen und liegen still. Lassen sich ihre Sinne jetzt auch auf die Umgebung einstellen, obwohl sie nicht einmal wissen, warum Zascht gezuckt hat. Terbor schiebt sich auf dem Bauch langsam auf den Vicya zu und sieht aus dem Gras zu ihm auf. Zascht wirkt so wie ein lauernder Turm in der Dunkelheit.
„Was ist los, Zascht? Was hast du bemerkt? Wir sind doch direkt an der Straße und die ist sicher – heißt es“, wispert Terbor.
Zascht sieht nicht einmal zu Terbor, als er leise erwidert: „Ich hab etwas gerochen. Aber es ist merkwürdig.“
„Was ist merkwürdig?“
„Es roch kurz nach Troll, Schweiß und Urin.“
„Das ist eine merkwürdige Mischung.“
„Ich weiß.“
„Wo kommt es her?“
Zascht deutet die Straße entlang. Genau in die Richtung, aus der der leichte Wind weht. Terbor richtet sich langsam auf und stellt sich neben Zascht. Auch die anderen erheben sich jetzt, als sie sehen, dass ihr Anführer aufgestanden ist. Doch sprechen sie noch immer kein Wort. Trotzdem bilden sie eine Wand hinter den beiden. Die Hände an den Waffen.
„Da kommt jemand. Zu Fuß“, sagt Zascht.
Terbor kneift leicht die Augen zu, nickt dann aber. „Es könnte einfach nur ein Reisender sein. Genauso wie wir.“
„Einer, der nach Troll, Schweiß und Urin riecht?“, fragt Zascht skeptisch.
Terbor zuckt mit den Schultern. „Du hast keine Ahnung, wonach Leute alles riechen können. Du warst zu lange nicht mehr in einer Taverne.“
„Da riechen sie nach Bier, Wein, Schnaps, Schweiß und allerlei Körpersäften.“
Terbor seufzt. „Du hast eine gewisse Art, einem alle angenehmen Sachen irgendwie zu vermiesen, Zascht.“
Der Vicya nickt. „Ich weiß.“
Dabei sehen jetzt auch alle die massige, große Gestalt, die am Rand der Straße und in Richtung Bezacht entlang geht.
„Zu groß für einen Troll“, sagt Zascht.
Terbor nickt. „Ist er es denn, der nach… na eben so riecht, wie du sagtest?“
Zascht nickt.
„Es stinkt nach Kaiap!“, grollt es da von der Straße.
Rewos Arm zuckt sofort hoch und er schnuppert an seiner Achsel.
„Ich hab dir gestern schon gesagt, dass du dich waschen sollst!“, knurrt Kalina.
„Kelg?“, ruft Terbor verblüfft.
„Und nach Zwerg riecht es auch!“, erschallt es lauter und fröhlicher von der Straße.
Kalinas Arm zuckt nach oben. Rewo beginnt zu grinsen.
„Jetzt riecht es auch nach Barbar!“, sagt Zascht. Er entblößt die Doppelreihe strahlend weißer Zähne und entspannt sich sichtlich.
„Kelg!!!“, ruft Terbor und rennt auf die zottelige Gestalt zu.
Aber Alathe ist schneller und holt rasch auf. Sie überholt Terbor und schlägt förmlich in die weit geöffneten Arme des Riesen ein. Dann laufen alle. Bis auf Zascht, der sich gemächlicher nähert.
Er sieht dann den Barbaren auch unter der reinen Wucht der eintreffenden Freunde zusammen brechen. Was folgt, ist eine Begrüßung, wie man sie nur unter Freunden finden kann, die sich mehr als nahe gestanden haben, mehr gemeinsam erlebt haben, als viele, viele andere und die sich viel zu lange nicht mehr gesehen haben.
Die Monde Galats sind ein sichtbares Stück weiter gewandert, als die Gefährten gemeinsam um das neu entfachte Feuer sitzen und die Worte nur so umher fliegen.
„Warum trägst du ein Trollfell?“, fragt Adorg.
„Warum riechst du nach Pipi?“, fragt Rewo.
„Was machst du hier, bei der Göttin?“, fragt Terbor.
Kelg verdreht die Augen. „Weil ich einen oder mehrere getötet habe. Ich bin ziemlich tief gefallen und weiß es nicht mehr so genau. Weil ich es ein bisschen gerben will, damit es mir nicht verfault, also muss ich rein pinkeln. Ich find ein Trollfell toll. Und ich war halt in der Nähe, als ich den Berg runter gefallen bin und wollte dich mal besuchen kommen, Terbor. So… und wenn ihr mich mit euren Fragen weiter löchert, dann geh ich wieder heim.“
Schon sitzt Alathe auf Kelgs Schultern. Sie schlingt die Beine und die Arme um den Riesen und ruft. „Nein, nein, du gehst nicht. Du musst mir helfen, Elár wieder zu finden.“
Kelg hebt Alathe wie ein Kind von seinen Schultern und setzt sie sich auf den Schoß. „Schon gut, schon gut. Aber dann bitte erklärt alles in Ruhe. Jeder nacheinander. Ich bin Barbar. Ich stinke nach Troll, Pisse und Schweiß – und denke langsam. Also nehmt Rücksicht!“ Er grinst in die Runde und hört dem folgenden Gelächter zufrieden zu. Doch viel ernster der Geschichte Alathes. Auch Zascht erzählt noch einmal von den Briganten im Wald. Und auch den anderen Geschichten, wie alle nach Bezacht fanden, lauscht er aufmerksam. Als endlich Stille um das Feuer einkehrt, seufzt er leise und streichelt Alathe, die noch immer auf seinem Schoß sitzt, durch das Haar. „Ich komme mit… natürlich. Selbst wenn ihr nur einen Ausflug machen wollen würdet, würde ich mitkommen. Wir sind wieder zusammen. Endlich!“
Alathe schlingt sofort die Arme um Kelg und bedeckt sein Gesicht mit dankbaren Küsschen. Terbor atmet auf und legt dem alten Freund die Hand auf die Schulter. „Dann können wir wieder Golems töten!“, sagt ein strahlender Rewo.
Kalina seufzt. „Du könntest erst mal die Geruchsläuse unter deiner Kleidung töten, Senf!“
„Du dann aber auch“, sagt Rewo.
„Du riechst wundervoll“, sagt Adorg leise.
Kalina sieht zu Adorg und lächelt ihn verheißungsvoll an.
Adirië quetscht sich zwischen die beiden. „Ihr habt doch nichts dagegen oder?“
Kalina und Adorg sehen an Adirië vorbei und sich an, als säße die Galaterin dort gar nicht. Adirië seufzt und verdreht die Augen.
„Und du trägst wirklich ein Kind unter dem Herzen, kleine Bardin?“, fragt Kelg leise.
Alathe nickt.
Kelg streichelt versonnen weiter durch ihr Haar und küsst sie sogar auf die Stirn. „Wir holen dir deinen Elár wieder, kleine Bardin. Versprochen.“
Wieder schlingt Alathe die Arme um Kelgs Hals und weint schluchzend in sein Trollfell.
Terbor sieht seufzend zu Zascht. Der Vicya sagt leise. „So ist es abgemacht.“
„Ich weiß. Es tut nur weh, Alathe so zu sehen.“
„Dann machen wir schneller und sehen es nicht mehr.“
Terbor grinst, legt seine Hand Zascht auf die Schulter und steht dann auf. „Nun gut, Mädels… ab in die Rollen. Morgen früh geht es weiter. Wir haben eine Aufgabe!“

Kurze Zeit später ist Kelgs sonores Schnarchen zu hören. Alathe liegt dicht am Barbaren angeschmiegt und sucht dessen Wärme und Geborgenheit. Auch Kalina und Adorg teilen sich eine Schlafrolle. Immer wieder fällt das Sternenlicht auf Adiriës Augen, wenn sie diese kurz öffnet, um zu gucken, ob da bei ihrem Bruder und der Zwergin unter der Decke Bewegungen sind, von denen sie findet, dass sie nicht hier her ans Lagerfeuer gehören. Rewo dreht sich immer wieder im Schlaf und murmelt ständig etwas von Zuckerkringeln. Terbor aber wiegt in seinen Träumen ein kleines Kind, das seine Züge trägt und das Lächeln, dass dessen Blubbern und Glucksen in das Gesicht der Traumterbors zaubert, spiegelt sich auch im Gesicht des schlafenden Terbors wider. Über all dem wacht Zascht. Er fühlt eine tiefe Zufriedenheit in sich. Als sei wieder etwas zusammengefügt, das getrennt gewesen ist. Trotzdem sieht er immer wieder in den Sternenhimmel hinauf. Die silbernen Lichter der Nacht sind auch nach all den Jahren an der Oberfläche für ihn noch immer das Wundersamste, das er je gesehen hat. Doch jetzt formen die Fackeln der Nacht immer wieder ein einziges Gesicht, in dessen Lächeln spitze Zähne aufblitzen und über ihn wachen. Leise singt der Wind sein Lied und darin hört er immer wieder die Worte: „Komm zurück.“

Während die Gefährten ihre Sachen packen, kniet Kalina vor dem nackten Rewo. Sie ist mit einem feuchten Tuch bewaffnet. „Senf, wenn du nicht sofort Ruhe gibst, dann zieh ich an was noch Kleinerem, das deinen Namen trägt!“
Rewo sieht Kalina verwirrt an, zappelt dabei weiter herum.
„An so was darfst du nicht mal denken“, ruft Adorg entsetzt, während er weiter die Decke einrollt. „Das tut uns Männern weh! Selbst dann, wenn nur darüber gesprochen wird!“
Rewo sieht zu Adorg und dann an sich hinab. Sein Kopf schnellt nach oben, und er starrt in die Augen der Zwergin. „Das würdest du nicht tun oder?“
„Du hast keine Ahnung, was ich alles tun würde, kleiner Mann!“
Rewos Arme schnellen nach oben und er steht vollkommen still da.
„Geht doch!“, sagt Kalina zufrieden und wäscht weiter.
Terbor sieht von den beiden wieder auf die Karte vor ihm. „Ist wie früher, nicht wahr?“
Kelg, der neben Terbor sitzt und auch die Karte studiert, nickt. „Alles andere wäre nicht richtig.“
Terbor seufzt. „Vielleicht hast du recht.“
Doch Kelg geht darauf nicht weiter ein. Er deutet auf die Karte. „Hier liegt ein Einsiedlerhof. Etwa ein dreiviertel Tagesmarsch. Ist auch die Richtung, in die wir wollen. Vielleicht erfahren wir dort etwas Neues und bekommen ein Pferd für mich. Ihr habt viel zu schmale Pferde besorgt. Die können mich kaum tragen und wir hätten auch ein Problem mit unseren Sachen. Ich will aber nicht die ganze Zeit rennen.“
Terbor nickt. „Machen wir es so, ja. Trischa fehlt uns einfach und unser Lager.“
„Sie ist aber nicht hier. Also müssen wir das Beste daraus machen.“
Terbor lächelt und sieht den Freund an. „Ja. Es ist gut, dich wieder dabei zu haben. Ich weiß nicht, was ich ohne deine Klarheit gemacht hätte.“
„Die Hand vor die Augen gelegt und geseufzt. So ein gutes Dutzend Mal am Tag.“
Terbor lacht schallend auf und schlägt ihm auf die Schulter. „Ich hab dich vermisst, alter Freund.“ Dann ruft er lauter: „Kommt, Freunde. Der Weg ist lang. Lasst uns aufbrechen.“
Wenig später reiten die Gefährten auf der Straße entlang. Neben ihnen läuft Kelg voller Kraft und Ausdauer in einem stetigen Trott einher. Gegen Mittag verlassen sie die Straße, um wie geplant zu dem Hof zu gelangen.
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Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Garbosch »

Für eine Weile reiten die Gefährten stumm hinter Terbor her. Dann lenkt Adirië ihr Reittier an Zaschts Seite. Sie sieht Rewo streng an, während der Kaiap irgendetwas in einem seiner Beutel verschwinden lässt.
„Warum tust du solche Sachen immer? Terbor hat dir doch gesagt, dass du aufpassen sollst. Außerdem lebst du doch schon so lange in Bezacht, dass du wissen solltest wie beliebt Kaiap dort sind.“
Rewo sieht sie mit großen, unschuldigen Augen an. „Das weiß ich doch alles, aber es war nicht meine Schuld.“
„Das sagst du auch immer. Wer hat deiner Meinung nach Schuld?“
„Ja also zuerst Zascht, dann ihr und der Wächter dann auch noch?“
Zascht dreht seinen Kopf ein wenig und blickt die Galaterin fragend an. Adirië sieht Rewo erstaunt an. „Zascht? Aber warum denn Zascht? Und warum denn wir? Was haben wir denn damit zu tun?“
„Weil ich so die Stadt verlassen habe wie er und nicht, wie ich ja wollte, durch die Kanalisation. Ihr sagt ja immer, dass ich dann stinke und das wollt ihr nicht. Also zumindest sagt das immer Isondra, und Terbor auch.“
„Ist ja gut, das kann ich verstehen. Und wie hat Zascht die Stadt verlassen?“
„Über die Mauer“, antwortet der Vicya ihr.
Die Zirkusartistin sieht ihren schwarzhäutigen Freund ungläubig an. „Wie kannst du mitten am Tag die Mauer ungesehen...“ Sie verstummt für eine Weile und sagt stattdessen: „Ich verstehe.“ Zascht nickt unmerklich, was Adiriës Aufmerksamkeit wieder auf Rewo lenkt. „Du hast also gedacht, du könntest dich genau wie Zascht unbemerkt über die Stadtmauer stehlen?“
„Ja natürlich, weil ich es ja auch kann“, antwortet Rewo mit dem für ihn typischen Trotz in der Stimme, wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlt.
Adirië ist darüber nicht glücklich, aber sie muss Rewo irgendwo recht geben. „Anscheinend aber nicht gut genug.“
„Doch, doch. Mich hat ja niemand gesehen. Da war nur dieser Mann...“
„Der dich gesehen hat.“
„Nein, hat es nicht...“
„Dann hat er dich gehört.“
Rewo sieht Adirië beleidigt an. „Ist das deine Geschichte oder meine? Magst du weiter erzählen?“
Adirië seufzt leise. „Also gut. Erzähl.“
Der Kaiap lächelt zufrieden. „Da war also der Mann da auf der Mauer und ich war schon drauf und dran über sie hinweg zu klettern, da...“ Er verstummt und sieht die Galaterin abwartend an. Diese will schon etwas anmerken, schließt dann aber den Mund und sieht ihren kleinen Freund neugierig an. Rewo lächelt breit und fährt fort: „Wo war ich? Ach ja. Dann sah ich diesen wunderschönen, fünf farbigen Beutel mit dem schicken Zickzack- und Wellenmuster drauf, der an seinem Gürtel hing.“
Zascht lässt es sich nicht anmerken, ob er dem Gespräch überhaupt folgt, doch Adirië seufzt erneut. „Und dann hast du den Beutel an dich genommen.“
„Aber nein, ich wollte ihn mir doch nur ansehen“, sagt der Kaiap unschuldig.
„Und da wurdest du dann entdeckt.“
„Nein.“
Adirië weiß nicht woher sie die Geduld und Ruhe nimmt, als sie Rewo fragt: „Und wie wurdest du dann entdeckt?“
„Ich... ehm... also... das... uh... ich... bin von der Mauer gefallen.“
„Du bist von der Mauer gefallen?“
Selbst Zascht zeigt nun eine eindeutige Regung; er hebt eine Augenbraue.
„Eigentlich wurde ich gestoßen“, sagt Rewo. „Ja, genau. Ganz hinterhältig.“
„Rewo...“ An Adiriës Tonfall hört der Kaiap, dass sie beinahe am Ende mit ihrer Geduld ist.
„Na gut. Ich wollte mir den Beutel ansehen und dabei bin ich über den Schaft eines Speeres gestolpert. Der Mann hat sich erschrocken, ist herumgewirbelt und hat mich dabei von der Mauer gewischt. Erst dann, als ich unten angekommen war, wurde ich entdeckt.“ Er strahlt stolz. „Aber ich hab mir nicht wehgetan. Ist ja doch so hoch die Mauer. Bin gut, nicht wahr?“
Adirië seufzt wieder. „Ja, ja. Ganz toll. Hoffentlich war es das alles Wert.“
„Schauen wir doch mal“, sagt Rewo und zieht einen fünf farbigen Beutel aus seinem Wams, der ein schönes Zickzack- und Wellenmuster aufweist, öffnet ihn und späht hinein.“Sieben Silber und vier Kupfer. Nur Geld? Wie langweilig.“
Adirië rollt mit den Augen und beschließt, dieses Thema fallen zu lassen. Sie mustert Zascht eine Weile.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Di 12. Okt 2010, 19:13, insgesamt 2-mal geändert.
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Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Garbosch »

16.
Mit Rücksicht auf Kelg, der an der Spitze neben Terbor trabt, reiten die Gefährten nicht schnell Die Straße entlang. Alle spüren, dass ihnen die Zeit davon läuft aber der Einsiedlerhof, von dem Kelg sprach, ist nicht mehr weit entfernt. Sobald sie für den Barbaren ein Pferd erstanden haben, würde die Verfolgung viel schneller von statten gehen. Die Stimmung der Gruppe ist gemischt. Zum einen freut man sich, endlich wieder zusammen und unterwegs zu sein, doch der Grund für das alles lastet schwer auf ihnen. Vor allem wenn ihre Blicke Alathe streifen. Adirië und die Bardin unterhalten sich leise miteinander. Adorg und Kalina flirten ausgiebig während Zascht von Rewo mit Fragen über seine Zeit bei den Mari gelöchert wird. Zum Erstaunen der Freunde gibt Zascht geduldig Auskunft. Zwar sind seine Antworten kurz und werfen mehr Fragen auf als sie beantworten, doch scheint dies ein Thema zu sein, das dem Vicya gefällt. Dennoch kann nicht einmal Rewo Zascht soweit ablenken, dass er seine Umgebung nicht mehr wahrnimmt. Mit einem Mal sitzt er kerzengerade im Sattel. Wenn der Vicya plötzlich angespannt ist, dann meist mit sehr gutem Grund. Adirië ist das nicht entgangen und sie sieht neugierig zu ihrem weißhaarigen Freund. „Was ist los, Zascht?“
Terbor dreht den Kopf und blickt den Vicya fragend an. Dessen Nase zuckt leicht. Er schnuppert. „Ich rieche Rauch.“
„Dann ist der Bauernhof nicht mehr weit entfernt“, sagt Kelg.
„Dem stimme ich zu“, erwidert Zascht. „Es riecht aber nicht wie der Rauch eines kleinen Feuers, der durch einen Kamin entweicht.“
„Was willst du uns damit sagen?“, fragt Terbor.
„Da brennt was Großes. Vielleicht eine Scheune oder ein Haus. Und noch etwas, das ich aber nicht identifizieren kann.“
Terbor sieht fragend zu Kelg. Der Gesichtsausdruck des Barbaren wird sogleich grimmig und er läuft schneller. Terbor und die anderen schließen auf, und schon bald können auch die weniger empfindlichen Nasen der anderen den Geruch von Rauch wahrnehmen. Sie eilen weiter durch den Wald, während der Geruch immer intensiver wird. Plötzlich ruft Alathe: „Dort, seht!“ Sie deutet nach vorne und die Freunde können zwischen den Bäumen immer wieder das typische rot-orange flackern eines Feuers ausmachen.
„Es wird gekämpft“, sagt Zascht und tatsächlich dringt Kampflärm an die Ohren der Gefährten. Doch auch Schreie und ein Kreischen, das eindeutig von einer Frau stammt. Die Bäume werden immer weniger und als sie den Schutz des Waldes verlassen, zügelt Terbor sein Pferd durch. „Halt!“, ruft er, und seine Freunde folgen seinem Befehl.
Vor ihnen liegt eine Ebene. Sanfte Hügel schränken die Weitsicht ein wenig ein. Ein silbernes Band zeigt den sich schlängelnden Verlauf eines Baches an. Felder mit Weizen und Hirse ziehen sich über die Hügel hinweg. Links hinter dem niedrigen Bauernhaus befindet sich ein Hain. Offensichtlich Obstbäume. Zwischen dem Bauernhaus und der Scheune liegt ein hübsch angelegter Kräutergarten. Die ländliche Idylle stören nur drei Dinge, die aber erheblich. Die in hellen Flammen stehende Scheune, in der Nähe des Bauernhauses ein Feld, das ebenfalls brennt und gedrungene Gestalten, die mit Fackeln und brutal aussehenden Waffen in den Händen umher eilen.
„Orks.“ Kelg spuckt das Wort verächtlich heraus. Schon setzt er sich in Bewegung und rennt in das Feld hinein, auf dem Weg zum Bauernhaus. Terbor erfasst die Lage mit einem Blick. Vor dem Haus steht ein Mann. Vermutlich der Bauer. Er schwingt einen Dreschflegel und hält sich so die Kreaturen mehr schlecht als Recht vom Hals. An einem geöffneten Fenster steht eine Frau, die ihren Mann unterstützend, ihren Hausrat in Form von Tellern, Töpfen und dergleichen auf die Orks wirft.
„Zascht die Rückseite. Wir anderen helfen dem Bauern. Alathe du bleibst hier und hältst die Augen offen. Ich will nicht in eine Falle geraten. Auf geht’s.“ Terbor drückt seinem Rappen die Fersen in die Flanken, und beinahe wäre er aus dem Sattel geflogen, weil der Hengst einen großen Satz nach vorne macht, fast so, als ob er nur darauf gewartet hätte. Schon überholt er Kelg. Ein Blick zurück zeigt ihm, dass seine Freunde ihm zwar folgen, aber deutlich zurückfallen. Der Galater blickt wieder nach vorne. Der Rappe ist schnell, sehr schnell. Terbor zieht an den Zügeln, doch das Tier kümmert sich nicht darum. Im gestreckten Galopp rasen Pferd und Reiter auf die Gruppe Orks zu, die den Bauern bedrängen. „Halt! Hüh! Stopp! Bleib endlich stehen!“ Doch das Pferd reagiert nicht. 'Passt ja perfekt in die Gruppe', denkt Terbor, doch da prallt das Pferd auf die Orks. Terbor hält sich krampfhaft an den Zügeln und im Sattel. Der Rappe wird kein bisschen langsamer, als er durch die Orks einfach hindurch prescht. Die Kreaturen fliegen links und rechts davon. Dann ist Terbor auch schon durch. Ohne sein zu tun wird der Rappe langsamer und wendet. Terbor sieht, dass der Bauer alleine dort steht und sehr verdutzt drein blickt. Die sieben Orks liegen am Boden, rühren sich aber schon wieder. Der Rappe bleibt stehen. Bevor es sich das Pferd anders überlegen kann, springt Terbor aus dem Sattel und zieht sein Schwert. Jetzt hofft er nur noch, dass seine Freunde bald auftauchen, sonst wird es sehr eng für ihn.

Kalina späht unter Adorgs Arm hindurch und verfolgt das Geschehen. Eine Bewegung zur rechten Seite fordert ihre Aufmerksamkeit. Eine Gruppe von fünf Orks macht sich daran die brennende Scheune zu umrunden, um dann Terbor in den Rücken fallen zu können. Die Zwergin fuchtelt in die Richtung der Orks. „Da rüber. Schnell.“
Adorg folgt ihrem Fingerzeig, nickt und zieht so hart am Zügel, dass das Pferd einen Haken schlägt. „Was hast du vor?“
Kalina blickt grimmig drein. „Reite einen Bogen vor ihnen. Dann wirst du schon sehen.“
Der Spieler nickt nur und reitet im Galopp einen Bogen. Am höchsten Punkt aber stößt er einen Schrei aus. Kalina lässt sich einfach vom Pferd fallen. Adorg dreht den Kopf und sieht, wie seine Geliebte, die eine Kugel aus Stahl bildet, durch die Orks kullert. Wie die Kegel fallen die Monster um. Noch bevor Adorg reagieren kann sitzt Kalina und schwankt benommen hin und her. 'Verdammt. Ich komme zu spät.' Dieser Gedanke zuckt wie ein Blitz durch Adorgs Kopf als er das Pferd hart wendet, um seiner Geliebten zu Hilfe zu eilen.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Do 21. Okt 2010, 19:23, insgesamt 2-mal geändert.
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