Das Erbe der Göttin

Die Area zur Geschichte. Der besseren Übersicht halber.

Moderatoren: Thorn La Fahr, Garbosch, Moha

Benutzeravatar
Thorn La Fahr
Ledain
Ledain
Beiträge: 3974
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 15:54
Wohnort: Lemurain
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

Alathe sieht die Gefährten davon eilen und sich in das Kampfgeschehen stürzen. Ihr Gesicht ist eine Maske der Wut. Unschuldige Bauern sind das hier. Unschuldig sind auch Elár und sie gewesen. Immer wieder muss sie ihr unruhig tänzelndes Pferd zügeln. In ihr sieht es nicht anders aus. Sie sieht einen Ork in einen kleinen Stall rennen, aus dem zugleich der Schrei eines Mannes an ihre Ohren dringt, der nicht aus den Kehlen eines Orks stammen kann. Ein weiteres, lautes Orkgrunzen hört sie, das nach einer Begrüßung klingt. Der Schrei des Mannes bricht ab.
In dem Moment fliegt jede Vernunft in Alathe davon. Nicht nur das Morden so wenige Schritt von ihr entfernt legt in ihr einen kleinen, sonst gut versteckten Hebel um, sondern auch, dass ihr die Rüstungen der Orks mit Gewalt zurück in ihre Erinnerungen drängen. Die Bardin gibt ihrem Pferd die Sporen und galoppiert zu dem Stall. Wie eine Artistin springt sie aus dem Sattel, als sie den Stall erreicht. Sie zieht ihr Messer und stürzt in den Stall. Vor ihr hacken die Orks mit ihren Waffen auf eine blutige Masse ein, die eben noch ein lebendiger Mann gewesen ist. Ungewollt stößt sie einen spitzen, lauten Schrei aus. Die Orks fahren von ihrem schaurigen Handwerk herum. Doch für den ersten ist es schon zu spät. Seine Bewegung hat es Alathe nur umso leichter gemacht. Bevor er einen Laut von sich geben kann, lässt er schon die Waffe fallen und reißt die Klauenhände zu seiner Kehle, in dem hoffnungslosen Bemühen den Lebenssaft aufzuhalten, der aus dem sauberen Schnitt hervor quillt. Der andere Ork hat kaum Gelegenheit, seine Waffen hoch zu reißen, als Alathe in einem Schwung, den sie in all der Zeit mit den Freunden Zascht abgeguckt hat, das Messer über die Kehle der Kreatur zieht. Der Arm des Orks wehrt den Hieb ein wenig ab, so dass noch ein Gurgeln aus dessen Kehle dringt. Trotzdem sackt er gemeinsam mit seinem Mörderfreund zu Boden, wo sich die Lebenssäfte der Orks mit dem des Stallknechts vereinen.
‚Im Tod sind alle gleich‘, denkt Alathe, als sie hinter sich ein Geräusch hört.

„Bleib stehen! Feigling!“, brüllt Kelg dem Ork hinterher und folgt ihm weiter mit weit ausholenden Schritten, das Schwert hoch über dem Kopf erhoben.
Nur noch wenige Schritte hinter dem Ork, rennt Kelg in den Stall und bremst seinen massigen Körper, als auch der Ork aus vollem Lauf abbremst. Er nimmt die Körper auf den Boden wahr, wie auch die Gestalt, die über den Toten steht. Trotzdem lässt der Barbar sich die Gelegenheit nicht entgehen und zieht das Schwert mit aller Kraft von oben her und dann seitlich durch.

Alathe fährt herum und sieht in das Gesicht eines weiteren Orks. Aus reinem Reflex reißt sie das Messer hoch. Kurz wundert sie sich, warum in den Augen des Orks Angst zu lesen ist. Dann fliegt der Kopf schon in hohem Bogen davon. Der Körper sackt zusammen und mehr Blut spritzt über Alathes schönes Gesicht und ihren Körper. Sie blinzelt das Blut aus den Augen. Für sie sieht es aus, als wäre Kelg geradezu aus dem Boden gewachsen.
Kelg blickt Alathe und sagt: „Seit wann ergehst du dich in Messerarbeit, kleine Bardin?“ Doch die Worte bleiben ihm fast im Halse stecken, als er die Augen seiner Kampfgefährtin sieht. Kalt, voller Wut und Hass. Unwillkürlich macht er einen Schritt zurück.
Doch Alathe beginnt zu lächeln und trotz der Toten und des Blutes scheint ein Sonnenstrahl an diese Stätte des Todes.
„Ich... danke erst einmal. Ich konnte nicht anders. Der Mann hat geschrien. Ich kam leider zu spät. Zu spät für den Knecht. Aber nicht zu spät für mich. Ich kenne diese Rüstungen. Diese Orks waren dabei, als sie meinen Elár geklaut haben. Irgendwie geht es mir jetzt sehr viel besser.“
Kelg nickt leicht. „Gut. Das sollte Terbor erfahren. Wir sind auf der richtigen Spur. Komm! Dein Messer und mein Schwert werden hier noch gebraucht.“
Ohne weitere Worte eilen die beiden aus dem Stall.

Zu einfach! Das ist alles, was Zascht durch den Kopf geht und er sein Schwert an der letzten der drei Orkleichen reinigt. Sie hatten nicht einmal die Zeit zu schreien. Der letzte hätte es vielleicht noch gekonnt. Aber bei diesem ist Zascht sich nicht einmal sicher, ob es wirklich sein Stoß durch das Herz der Kreatur gewesen ist, oder schon die Erkenntnis, einen Vicya vor sich zu haben, die ihn in das Reich des Todes geführt hat. Die Augen des Orks haben sich schon geschlossen, als er den Stich angesetzt hat. Das hat er deutlich gesehen.
Er schiebt das Schwert zurück in seine Scheide, als ihm das Abzeichen am Gürtel des Orks auffällt. Ein Wolfskopf. ‚Das ist interessant“, fährt es dem Vicya durch den Kopf. Er kniet sich noch mal hin und reißt das Abzeichen ab. ‚Terbor muss davon erfahren.‘ Gedanke und Tat sind eines. Schon tragen ihn seine Beine im schnellen Lauf weiter von hinten zum Gehöft.
Als er auf den Platz vor dem Wohnhaus des Bauern ankommt, sieht er Terbor und eilt auf ihn zu. Aus den Augenwinkeln nimmt er aber auch die sieben Orks wahr. Einer hat ein gebrochenes Bein, einer kann seinen Waffenarm nicht mehr nutzen und ein dritter zuckt mehr, als das er sich noch rührt. ‚Also vier.‘ Er gibt seinem Körper eine Drehung und zieht wieder sein Schwert.
Terbor stürmt sofort vor, als er den Freund sieht und gemeinsam, Seite an Seite, drängen sie auf die noch immer erschütterten Orks ein.
Als wären sie nie getrennt gewesen, halten die Schwerter der beiden grausame Ernte unter den vier Orks, die solch geballter Waffenkunst nichts entgegen zu setzen haben. So schnell wie es begonnen hat, ist es vorbei und vier tote Orks liegen in ihrem Blut auf dem Boden. Zascht wendet sich den Verletzten von Terbors wildem Ritt zu, aber dort beendet schon der Bauer mit seinem Dreschflegel die Existenz jener, die ihn überfallen haben. So wendet er sich Terbor zu und hält ihm das Abzeichen hin. „Sieh!“, fordert er den Galater auf.
Terbor wirft einen Blick auf das Abzeichen und hebt die rechte Braue. „Briganten und Orks unter einem Banner? Das gibt es doch sonst nur, wenn ein Fürst auf Krieg aus ist und das gefällt mir überhaupt nicht. Da steckt also wirklich etwas mehr dahinter. Aber lass uns darüber reden, wenn wir hier fertig sind und der Hof gesäubert ist.“
Zascht nickt leicht. Terbor sieht zu dem Bauern. Die Frage, ob der Landmann hier jetzt noch die Hilfe der beiden Kämpfer braucht, erübrigt sich, als er das wieder zuversichtliche Gesicht des Mannes sieht und auch die Dankbarkeit, die in seine Augen geschrieben steht. Dafür scheint er den Vicya neben Terbor gar nicht wahr zu nehmen, als ob dort einfach nicht stehen kann. Dass seine Augen etwas sehen, was nicht sein kann und es wegen des Orküberfalls sein muss. Der Galater und Zascht machen sich umgehend auf die Suche nach weiteren orkischen Plünderern und geben dem Bauern keine Möglichkeit, über seine Wahrnehmung zu sehr nachzudenken.

Wie eine Glocke klingt Kalinas Helm, als eine Orkklinge mit Wucht auf ihn prallt. Das Geräusch bringt sie wieder gänzlich zur Besinnung. „Das ist Zwergenstahl, Abschaum!“, brüllt sie und springt im gleichen Moment auf. Die Axt noch immer in der Hand, greift sie sie mit beiden Händen und dreht sich einmal im Kreis. Vier Orks können bei Seite springen. Ein Fünfter hält die Waffe mit seinem Leib auf. Kalina grunzt und mit aller Kraft reißt sie die feststeckende Waffe los. Einer der Orks, der sich der Zwergin sofort wieder genähert hat, wird von Kalinas Kraft überrascht und der Rückschwung der Axt treibt dem Ork die stumpfe Seite in die Weichteile. Mit einem grausamen Schmerzensschrei klappt der Ork in sich zusammen. Kalina beendet den Schrei und auch das Leben des Orks mit einem wuchtigen Tritt in dessen Gesicht. Das Knacken der Wirbelsäule ist deutlich zu hören.
Endlich ist auch Adorg heran. Er springt vom Rücken seines Pferdes, zieht die Messer und rammt sie links und rechts einem Ork in den Hals. Wie ein Fleischer am Haken seine Waren packt, dreht sich Adorg mit dem Ork. Keine Sekunde zu früh. Denn die Klinge eines Orks bohrt sich in den zuckenden Leib seines Kameraden. Adorg benutzt die Leiche wie einen Schild. Er weicht langsam zurück, während der Ork immer wieder auf sie einschlägt und einsticht. Die Suche nach einer Lücke in der Verteidigung des Spielers endet mit Kalinas Axt im Hinterkopf des Orks.
„Pass auf!“, schreit die Zwergin panisch auf.
Adorg reißt die Messer aus dem Hals des Orks und fährt herum. Die Bewegung rettet ihm das Leben, denn das Schwert des letzten Orks schneidet so nur das Hemd des Galaters auf und ritzt die Haut des Oberarms. Kalina reißt mit aller Kraft die Axt aus dem Schädel des Orks, denn obwohl ihre Warnung das Leben ihres Liebsten gerettet hat, ist dieser im Kampf mit zwei Messern gegen das längere Schwert des Orks ohne echte Chance, denn Adorg trägt obendrein keine Rüstung.
Adorg gelangt zu der gleichen Einsicht und wirft sich zur Seite. Die Klinge fährt um Haaresbreite über seinen Rücken hinweg. Katzengleich rollt der Spieler sich auf dem Boden ab und steht schon wieder, noch bevor der Ork ihm recht gefolgt ist.
Keiner, weder Adorg, noch Kalina und auch nicht der Ork hören das heran galoppierende Pferd. Der Ork sieht nur noch einen silbrigen Blitz, als Adirië ihren Streitkolben in das Gesicht des Unglücklichen schwingt. Die gewaltige Wucht durch den Galopp des Pferdes und den Schwung ihres Armes verwandelt den Schädel des Orks in eine Masse aus Fleisch, Knochen und Gehirn.
Hart zügelt Adirië ihr Reittier durch. „Könnt ihr beide eigentlich nicht einmal auf euch allein aufpassen?“, ruft sie wütend und reitet weiter, bevor Kalina oder Adorg auch nur ein Wort sagen können. Adorg sieht seiner Schwester hinterher. „War das nur ein Traum?“
Kalina bekommt ihre Axt endlich los und eilt zu ihrem Liebsten. „Egal! Was ist mit deinem Arm?“
„Noch dran.“ Adorg sieht sich um und dann Kalina an. „Man sind wir gut!“
„Gut?“, ruft die Zwergin. „Gut? Wir, und vor allem du, haben ein unverschämtes Glück! Das ist alles.“
Adorg steckt seine Messer zurück und als hätte er sie nicht gehört, greift er sie mit beiden Händen am behelmten Kopf, beugt sich zu ihr und küsst sie stürmisch. Kalina stößt ihn unwirsch nach einem kleinen, genüsslichen Moment von sich. „Können wir das wallende Blut zur Ruhe bringen, wenn wir hier fertig sind, du Kindskopf?“
„Aber die Scheune brennt!“
„Na und? Hier sind keine 10 Schritt vom Hof hoch stehende Felder!“
Adorg raunt: „Ich liebe es, wenn du so redest.“
Kalina verdreht die Augen und packt ihn fest am unverletzten Arm. „Komm, du Liebesgott! Oder verlässt du neuerdings den Tisch, bevor die letzte Karte ausgespielt worden ist?“
Adorg grinst Kalina an und gemeinsam lassen sie die fünf toten Orks hinter sich zurück.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Mo 25. Okt 2010, 19:44, insgesamt 2-mal geändert.
Benutzeravatar
Isabella
Magier/-in
Magier/-in
Beiträge: 141
Registriert: Mi 5. Nov 2008, 19:36

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Isabella »

Zascht deutet nach vorne und Terbor erkennt zwei Orks, die an dem Wohnhaus vorbei in die Felder fliehen wollen. Der Galater wird noch eine Spur schneller, kann aber nicht mit dem Vicya mithalten. Zascht gewinnt spielerisch an Vorsprung und erreicht den ersten Ork, noch bevor dieser an dem Bauernhaus vorbei ist. Ein beinahe lässiger Hieb schickt den Ork zu Boden, wo er regungslos liegen bleibt. Terbor sieht dem flüchtenden Ork nach. Mit einem Mal galoppiert ein Pferd von rechts heran. Terbors Rappe. Er reitet quer hinter dem Ork, schnappt mit dem Maul zu, bekommt die Kreatur am Kragen zu fassen und befördert ihn so zu Boden. Der Hengst vollführt eine enge Kurve und kommt zu dem Ork zurück. Ohne jegliche Vorwarnung steigt er auf und lässt seine Hufe auf den Leib des Orks schmettern. Vier Mal steigt der Rappe auf, bis die Kreatur nur noch ein Klumpen Fleisch ist. Das Pferd wendet den Kopf und blickt Terbor an. Der Galater, der neben Zascht in einiger Entfernung zum stehen gekommen ist, hat das unangenehme Gefühl, dass der Rappe ihn vorwurfsvoll ansieht. Schließlich dreht das Pferd um und stolziert zum Bauernhaus. Terbor und der Vicya blicken sich an. „Gutes Pferd“, sagt Zascht. Der Hauptmann kann dem nicht widersprechen.
Er sieht zurück und ist erleichtert, als Kalina und Adorg auf ihn zukommen. Er hebt eine Augenbraue, als er Kelg und Alathe, Seite an Seite, ebenfalls auf sich zu eilen sieht. ‚Warum ist Alathe voller Blut?‘ Doch seine Aufmerksamkeit wird sogleich von Adirië in Beschlag genommen, die als einzige immer noch auf ihrem Pferd sitzt. Sie deutet immer wieder mit ihrem Streitkolben in die Richtung, in die die beiden Orks flüchten wollten. Mit einem Male wird ihm schlagartig etwas bewusst: Wo ist Rewo?

Rewo, der hinter Zascht sitzt bei dessen Angriff. Ist nicht sonderlich glücklich mit seiner Position, weil er nichts sehen kann worauf sie zureiten. Er ist viel zu klein und zu schmal als das er auch nur an Zascht vorbei gucken kann. Er klammert sich leidlich an den Sattel bei dem Galopp und wird fürchterlich durchgeschüttelt. Aber mit einem Mal lacht er glücklich auf. Er kann alles sehen, was sich vor ihm abspielt. Die brennende Scheune, die Orks, den Bauern mit seinem Dreschflegel. Als er merkt, warum er plötzlich alles sehen kann, bekommt er große Augen. Zascht sitzt nicht mehr vor ihm. Er sieht sich rasch um, aber das Pferd ist viel zu schnell und schon reitet er am Bauernhaus vorbei. „Reiten kann doch gar nicht so schwer sein.“ Schnell merkt er, dass er sich geirrt hat. Von seiner Position aus erreicht er nicht mal die Zügel, und seine kurzen Beine scheinen das Tier auch nicht sonderlich zu interessieren. 'Vielleicht erreicht man ja etwas mit Höflichkeit', denkt er sich. „Würde es dir etwas ausmachen anzuhalten?“
Das Pferd reitet in einem Bogen weiter.
„Anscheinend macht es dir was aus.“ Er versucht erneut an die Zügel zu kommen und streckt sich weit nach vorne. Da setzt das Pferd über einen niedrigen Zaun und Rewo, der nur auf dem Sattel liegt, wird in hohem Bogen abgeworfen. Er kommt hart auf dem Boden auf und kullert in ein Weizenfeld, indem er benommen liegen bleibt.
Er weiß nicht wie lange er da so gelegen hat, aber allzu lange kann es nicht gewesen sein, weil er zwischen den Ähren immer noch die Scheune brennen sieht. Oder brennt jetzt das Bauernhaus? Rewo rappelt sich auf und blickt sich um. Der Weizen steht gut und ist kurz vor seiner Ernte. Der Kaiap kann sich einfach keinen Überblick verschaffen. Zum zweiten Mal in relativ kurzer Zeit findet er es nicht gut so klein zu sein. Dann erinnert er sich an einen Zaun, über den das Pferd mit ihm hinweg gesprungen ist. 'Von dem dummen Pferd ist auch nichts zu sehen. Verräter.' Er folgt seiner eigenen Rollspur und kommt nach kurzer Zeit zu dem niedrigen Zaun. Er ist kaum höher als der Kaiap selbst. Rasch steht Rewo auf einer Zaunlatte und sieht sich neugierig um. Er erkennt dass er mindestens 1000 seiner Schritte von dem Bauernhaus entfernt ist. Und er erkennt noch etwas. „Ach du meine Güte.“ Eine Gruppe von 10 Orks läuft direkt auf ihn zu. Sie scheinen ihn nicht zu bemerken, denn sie blicken andauernd über die Schultern nach hinten. Sogleich lässt sich Rewo vom Zaun fallen. Fieberhaft denkt er nach. 'Den Schuh den ich erst neulich gefunden habe könnte vielleicht zu einem anderen … Rewo. Reiß dich zusammen. Denk an was anderes, was Wichtiges. Hatte nicht einer der Orks eine schöne Kette um den Hals? Orks!' Plötzlich weiß er was er zu tun hat. Er springt auf und beginnt, immer noch verborgen durch den hohen Weizen, seinen Cimtat über den Kopf zu wirbeln.

Terbor zuckt zusammen als er ein schauriges, Nerven und Ohren zerreißendes Geräusch wahrnimmt. Ein ihm sehr bekanntes Geräusch. Zascht neben ihm deutet aber genau in die Fluchtrichtung der Orks. „Es kommt von dort.“
„Los! Wir müssen Rewo helfen. Mir nach!“ Er sieht zu Adirië, die immer noch hoch zu Ross sitzt. „Reite du in ihre Flanke, halte sie auf!“
Gerade als Terbor los rennen will, legt sich Zascht Hand auf seinen Arm. „Warte. Es kommt näher.“
Der Galater sieht den Vicya fragend an, doch dann kann er es selber hören. Der heulende Cimtat kommt näher. Und mit ihm die Orks. Terbor grinst. „Sehr schlau. Er treibt sie direkt auf uns zu. Bildet einen Halbkreis.“
Kaum verlassen die Kreaturen den Weizen, stecken dem Vordersten zwei Messer in der Brust. Der Ork guckt verwundert auf die Schäfte und rennt weiter. Als er merkt, dass das sein Tod ist, grunzt er ärgerlich und bricht zusammen. „Guter Wurf, Adorg“, lobt Kelg und mäht mit einem Schwung seines Schwertes gleich zwei Orks nieder. Adirië schlägt einem mit ihrem Streitkolben den Schädel ein. Kalina trennt die Beine eines Orks in Höhe der Knie ab und Alathe erlöst die Kreatur von ihrem Leben. Terbor ersticht einen Gegner, weil der blindlings in sein Schwert gelaufen ist. Den Rest erledigt schnell und beinahe lautlos Zascht. Heftig atmend und immer noch voller Adrenalin wirbeln die Gefährten herum als Rewo aus den Weizen springt. Er bleibt stehen, sieht sich um und fragt mit beleidigtem Unterton: „Warum habt ihr mir keinen übrig gelassen?“
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Di 26. Okt 2010, 19:33, insgesamt 2-mal geändert.
Benutzeravatar
Thorn La Fahr
Ledain
Ledain
Beiträge: 3974
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 15:54
Wohnort: Lemurain
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

Terbor sieht sich noch einmal um. Die Bauernstube ist groß und schlicht eingerichtet. Trotzdem strahlt sie eine wohlige Gemütlichkeit aus, die er spürt, obwohl der Kampf gegen die Orks erst drei Stunden her ist. Er geht zu dem großen, breiten Kamin, der direkt neben einem gewaltigen Herd steht, auf dem Essen für eine große Familie und auch die Mägde und Knechte des Hofes gekocht werden kann. Überall an den Wänden stehen Schränke und hängen Regale. Einfache Schreinerkunst, aber solide und auf ihre Art von schlichter Schönheit. Die Orks sind nicht bis hier hin vorgedrungen. Alles ist reinlich und sauber. Der Tisch ist sogar eingedeckt. Doch würden sie in Zukunft zwei Gedecke weniger brauchen. Zumindest bis der Bauer Ersatz für den Knecht gefunden hat und eben die Magd. Sie haben die tote und entsetzlich verstümmelte Frau gefunden, als sie mit dem Bauern, seiner Frau, der Tochter, den zwei Söhnen und den verbliebenen vier Knechten und drei Mägden versucht haben, die Scheune zu löschen und an Tieren zu retten, was noch zu retten war.
Ein Schauer fährt Terbor über den Rücken, als er an den Moment zurück denkt. Er hat Kelg noch nie so erlebt. In blinder Wut und Hass wollte der Barbar gleich in die Richtung stürmen, in die die letzten Orks flüchten wollten. Nicht Terbor, nicht auch noch Adorg, sondern auch noch der Bauer selbst und zwei weitere Knechte sind nötig gewesen, um Kelg zurück zu halten.
Terbor schüttelt den Kopf, um die Erinnerung an die Augen des Freundes zu vertreiben. Er wärmt seine Hände an dem Feuer, dass jetzt im Kamin prasselt und versucht den Blicken sowohl der Bauersfrau, wie ihrer Tochter auszuweichen. Er kann die unendliche Dankbarkeit nicht ertragen, mit der sie ihn immer wieder ansehen, obwohl ihre Augen ob des Verlustes der beiden Leben von Trauer und Tränen gerötet sind.
Trotzdem sind sie zu spät gekommen, nur ein paar Minuten zu spät.
Er nickt der Bauersfrau zu und geht raschen Schrittes an ihrer Tochter vorbei, die mit ihren Brüdern einen weiteren Tisch an den Küchentisch anbaut, um ihn eindecken zu können. Nachdem sie die Scheune gelöscht hatten und es hinter dem Gesindehaus zwei frische Grabhügel gibt, hatte der Bauer vor ihnen allen gestanden und hinter ihm seine Familie und die Hofgehilfen. Er hat ihn und seine Gefährten zum Essen und auch bleiben über Nacht eingeladen. Die Blicke der vom Schicksal so hart getroffenen Landleute sind eindeutig gewesen. Sie hätten keinerlei Widerrede oder gar Widerstand geduldet, so hat Terbor eingewilligt.
Mit einer noch immer leicht zittrigen Hand, denn noch lange nicht ist die Anspannung von ihm gewichen, die sich während des Kampfes aufgestaut hat, greift er zur Klinke der Haustür. Die Tür springt jedoch direkt vor ihm auf und zunächst kommt einer der Knechte hinein. Er trägt ein frisch geschlachtetes Ferkel über den Schultern. Hinter ihm folgt eine der Mägde. Vier Hühner in den Händen. Dass sie noch so viele Tiere haben, die die Bauersleute sogar schlachten können, haben sie Zascht zu verdanken. Während sie alle mit dem Löschen der Scheune beschäftigt gewesen sind, ist Zascht in die Felder und hat gesucht, wie er Terbor später gesagt hat. Wie auch immer er es gemacht hat. Als der Bauer die Einladung zum hier bleiben vorgetragen hat, ist Zascht gerade aus den Feldern zurück gekommen. Und vor ihm ein ganzes Sammelsurium von Getier, dass dem Vicya vorweg gelaufen ist. Zurück in die Sicherheit des Hofs. Viel Arbeit hat Zascht mit dem zusammentreiben nicht gehabt, denn offensichtlich hat sich der Ruf der dunkelhäutigen Elben sogar bis zum Hausvieh durchgesprochen. Die Tiere hatten es ausgesprochen eilig und die Kühe sahen nicht so aus, als sei ihre heutige Milch wirklich genießbar.
Eine einzige, nicht mal kräftige Bö ist es gewesen, die eine Katastrophe hätte heraufbeschwören können. Plötzlich wie die Bö ist es da gewesen, das entblößte, schwarze Gesicht Zaschts. Das silberweiße Haar leicht vom Wind bewegt. Die feinen, spitzen Ohren deutlich zu sehen. Zascht ist wie angewurzelt stehen geblieben. Die Gefährten haben nicht minder zu ihrem Freund gestarrt, wie auch die Bauersleute. Aber genau da muss sich der Bauer erinnert haben, wie die Person ausgesehen hat, die Terbor zu Hilfe geeilt ist, als er allein den Orks vor dem Bauernhaus gegenüber gestanden hat.
Der Mann ist auf Zascht zugegangen und hat ihn genau gemustert. Er hat seine Arme weit geöffnet und Zascht in seine Arme geschlossen.
Terbor lächelt. Nicht, weil er den Gesichtsausdruck seines schwarzhäutigen Freundes jemals wieder vergessen würde, nein, vielmehr ist es die Wärme, die ihn in dem Moment durchflossen hat und jetzt auch wieder durch ihn fließt und sogar die Kühle aus seinen Knochen und Muskeln vertreibt, die Selbstvorwürfe, zu spät gekommen zu sein, kleiner werden lässt.
Nicht nur ihre eingeschworene, kleine Gemeinschaft ist also in der Lage, unsagbar alte Vorstellungen, Klüfte und Abgründe zu überwinden, sondern jeder ist. Es mag sein, dass die Gründe oft bitter und grausam sind, aber aus diesem kann doch Gutes erwachen und genau das ist hier geschehen.
So viele Jahre kennt Terbor Zascht schon, aber es ist das erste Mal gewesen, dass ein einzelner Galater und dann seine ganze Familie und Anvertraute ihre wohl begründete Scheu und Angst vor den Vicya abgestriffen haben. Die Zascht einfach nur angesehen und in ihre Herzen geschlossen haben. Auch wenn es aus reiner Dankbarkeit geschehen ist. Der Schritt war für die Leute groß und sicherlich nicht leicht. Aber auch, dass Zascht seitdem seine Kapuze nicht mehr über den Kopf gezogen hat, ist kein kleiner Schritt für den Vicya gewesen.
Fast zu spät bemerkt Terbor Kelg. Gerade noch kann er dem Barbaren aus dem Weg gehen, der einen weiteren, großen Holzbalken zur Scheune trägt, um sie abzustützen. Der Körper des Barbaren ist schweißnass. Aber genau das braucht Kelg wohl. Terbor weiß, dass auch sein Freund weiß, dass die junge Magd nicht die erste junge, tote Frau gewesen ist, die noch vor ihrem ganzen Leben gestanden hat, die sie gesehen haben und es wohl auch leider nicht die Letzte gewesen sein wird. Terbor weiß aber auch, dass dieses Wissen erst wieder in die Gedanken und vor allem Gefühle seines Freundes dringen muss.
Wenn Kelg früher in der Arena so aufgebracht gewesen ist, hat er die Tierkäfige gestapelt. Hier macht er sich auf gewisse Weise noch erheblich nützlicher und hilft dem Bauern.
Endlich sieht er den guten Mann. Neben Zascht steht er und erklärt dem Vicya etwas mit Händen, Füßen und dem Mund. Die ausladenden Gesten sind eindeutig. Der Bauer geht mit seinem Verlust offenbar in der Art um, dass er schlicht für die Zukunft plant und dem Vicya seine Pläne für den Wiederaufbau der Scheune darlegt.
Mit einem Lächeln auf den Lippen geht er zu den beiden hin. „Darf ich kurz unterbrechen? Wo auch gerade ihr beide zusammen steht, ist es umso praktischer.“
Der Bauer dreht sich halb und lächelt Terbor an. „Aber natürlich Herr!“
Terbor seufzt unmerklich. „Terbor. Ich bin alles, nur kein Herr. Meinst du, du kannst mir ein paar Fragen zu den Orks beantworten?“ Er mustert den Bauern. Der wettergegerbte, untersetze, aber kräftige Mann zeigt aber kein Zeichen, dass die Erinnerung noch zu frisch sei.
„Ich kann es versuchen, Terbor.“
Der Galater nickt. „Also gut. Fangen wir an. Kommt das hier öfter, so nah an Bezacht, vor, dass Orks Höfe überfallen?“
Der Bauer schüttelt den Kopf. „Nein, ganz und gar nicht. Orks sind hier eine absolute Seltenheit. Ich habe noch nie von einem Überfall gehört. Das muss der Erste sein und ausgerechnet mich hat es getroffen.“
„Keine Orks? Nicht einmal als Landarbeiter? Orks dienen dem, der sie füttert. Sie sind günstig und machen, was man ihnen sagt, wenn man es ihnen morgens immer wieder neu erklärt.“
Der Bauer schüttelt den Kopf. „Nein, wirklich keine Orks. Das hier ist gutes Land und vor allem auch recht gut besiedelt. Es gibt einige Einsiedlerhöfe, Dörfer und all das. Es gibt genug Arbeitskräfte, die selbst in der Erntezeit zur Verfügung stehen. Hier braucht es dazu keine Orks. Und ich bin dann auch bestimmt nicht der einzige, der gern etwas mehr gibt. Damit er eben nicht jeden Morgen alles neu erklären muss. Dass ich mir nicht die Nase zuhalten muss, um mit jemandem zu reden. Dass als Antworten richtige Worte kommen und auch mal ein Lächeln, das einem nicht die Haare grau färbt.“
Terbor schmunzelt ganz leicht. „Also weder Orks in Söldnerdiensten, noch in Arbeitsdiensten hier in der Gegend?“
Der Bauer schüttelt den Kopf.
Terbor sieht zu Zascht. „Dann schließt sich der Kreis. Alathe hat mir gesagt, als wir die Scheune löschten, dass sie sich absolut sicher ist, dass das Orks waren, die sie und Elár überfallen haben. Ich war erst skeptisch, denn Söldnerorks gleichen sich überall wie ein Ei dem anderen. Aber wenn es hier eigentlich keine Orks gibt, dann kann es nur so sein.“
Zascht nickt. „Und wir können ihnen jetzt wieder leicht folgen. Es gibt eine deutliche Spur, die uns zu ihrem Lager führen wird. Sollten wir das nicht nutzen?“
„Das habe ich auch schon überlegt. Aber eine Nacht Ruhe und Erholung wird uns gut tun. Was ich am Ort des Überfalls sah, lässt mich schließen, dass wir etwa die Hälfte der Orks, die den Überfall auf Alathe und ihren Liebsten begangen haben, hier jetzt umgekommen sind. Wir könnten also einen weiteren großen Kampf vor uns haben und ob wir sie noch mal so überraschen können, das wissen wir nicht. Wir sollten ausgeruht sein. Und wie du sagst, wir können ihnen jetzt wieder leicht folgen. Wir sind keinen Tag hinter ihnen. Obendrein sind wir mit den Pferden schneller.“
Zascht nickt. Sein Hauptmann hat eine Entscheidung getroffen. „Das Abzeichen?“
„Zeig es dem guten Mann hier“, sagt Terbor.
Zascht greift in eine Umhangtasche und hält dem Bauern das Wolfsabzeichen hin. „Kennst du das?“
Der Mann sieht es sich genau an und überlegt eine Weile. „Also hier aus der Nähe kenn ich es nicht.“ Er beugt sich etwas vor, als sei er Weitsichtig. „Aber Moment... könnte das ein Lorbeer sein, was der Wolf im Maul hat?“
Terbor und Zascht sehen sich überrascht an und schon hängen die drei über dem Abzeichen und sehen es sich ganz genau an. Zascht, mit den besten Augen der Drei, sagt: „Ich hab es nicht gesehen. Es stimmt. Es ist der Zweig einer Pflanze.“
Der Bauer und Terbor sehen sich an und sagen im gleichen Moment: „Herzog von Weißenwolf!“
Zascht zieht die Luft ein. „Der Weißenwolf?“
Terbor nickt leicht. „Ja, der Weißenwolf. Einer der sieben mächtigsten Männer ganz Galats. Und einer der Sieben, die diese Welt von den Alten Völkern gereinigt sehen wollen.“
„Das würde erklären, warum sie im Schieferwald waren. Die Mari dort!“, sagt Zascht.
Der Bauer sagt mit großen Augen und erschüttert. „Aber, aber... das könnte Krieg bedeuten! Wie die Barden erzählen vertreiben die Sieben nicht nur die Alten Völker, sondern hinterlassen verbrannte Erde. Und warum hat er Orks in seinem Dienst? Auch sie gehören so gesehen zu den Alten Völkern.“
Terbor lacht freudlos auf. „Wie ich schon sagte. Wer die Orks füttert, dem folgen sie. Zu jedwedem Ende. Als die Sieben und somit auch Weißenwolf groß wurden, war die Freundschaft zwischen Galatern und den Alten Völkern noch lebendig. Sie brauchten aber Armeen und wenn jemand zu etwas nütze ist, dann übersehen solche Leute wie Weißenwolf schon einmal, dass in ihren Diensten die stehen, die sie eigentlich los werden wollen. Egal, wie weit sein Land im Westen liegt, hier gibt es noch die Alten Völker. Wenn er herkommen will, dann wird er kommen und diese Orks sind ein erster Vorbote.“ Terbor bedeckt die Augen mit der Hand. „Göttin... warum immer ich? Hätte es nicht einfach nur eine schlichte Entführung sein können? Einfach nur Ver und ein paar Orks?“
Zascht legt dem Freund die Hand auf die Schulter. „Aber wir unternehmen etwas?“
Terbor sieht den Vicya an und nickt. „Ja... allein wegen Elár.“
„Ich verstehe, warum die Orks im Dienst des Herzogs sind. Aber Ver ist doch auch kein reinblütiger Galater und mit seinen spitzen Ohren eher zu den alten Völkern zu rechnen.“
Terbor hebt die Schultern. „Ich weiß es nicht. Er wird seine Gründe haben und Abschaum gesellt sich gern zu Abschaum und gerade Ver schätze ich so ein, dass er zu jenen gehört, die mit Kusshand ihr eigenes Blut verraten würden.“
Zascht nickt leicht. „Einverstanden.“
Terbor sieht zu dem Bauern. „Die Nachricht sollte die anderen Einsiedlerhöfe erreichen. Und auch Bezacht. Sicher ist sicher.“
Der Bauer nickt. „Das wird es, Terbor, das wird es.“
„Wer ist der nächste Adlige hier? Vielleicht weiß man dort mehr über Weißenwolfs Treiben. Bezacht ist eine freie Stadt“, sagt Terbor.
„Wir hier gehören zu Bezacht. Das geht bis fast nach Triefenbach hin. Die Leute da gehören zu niemandem. Und sie sagen es auch nicht großspurig, damit keiner neugierig wird und Begehrlichkeiten entstehen. Im Osten ist der Wald. Im Norden Wildnis. Also... bleibt nach Westen hin nur das Landgut der Geroteths als Nächstes.“
Terbor sieht den Bauern an und dann zu Zascht. „Habe ich gerade allein das Gefühl, als würde sich ein Kreis schließen?“
Zascht schüttelt den Kopf. „Nein.“
„Ich habe gehofft, dass ich nicht nur allein so denken würde. Also gut. So oder so müssen wir also Josi besuchen gehen. Mir wäre wohler, wenn es unter schöneren Umständen wäre. Aber sei es, wie es sei. Das sind Neuigkeiten. Ich gehe sie den anderen erzählen. Und ich fange mit Alathe an. Mit ihr habe ich eh noch ein Hühnchen zu rupfen.“
„Ich kann dir helfen, es den anderen zu sagen“, sagt Zascht.
Terbor schüttelt den Kopf. „Ich mach das allein. Wenn du mithilfst, stehen hier gleich die Hälfte unserer Truppe voll gerüstet und zum Krieg bereit.“ Er grinst den Vicya schief an.
„Ist es das denn nicht?“
Terbor sieht kurz Hilfe suchend zu dem Bauern, der aber offensichtlich nicht großartig anders denkt, als Zascht. Der ehemalige Söldner seufzt. „Ruhig Blut... noch wissen wir zu wenig. Nur ein paar Zusammenhänge.“ Er dreht sich ohne eine Antwort abzuwarten um. Dann hält er aber noch mal inne und sieht den Bauern an. „Kann ich Nachricht von hier nach Bezacht schicken? Meine... Frau. Sie muss wissen, dass es etwas länger dauern könnte, bis ich wieder zu ihr komme.“
Der Bauer nickt. „Und wenn ich persönlich zu ihr reite!“
Terbor lächelt dankbar. „Ein Knecht wird reichen. Aber wo wir bei Pferden sind. Wir bräuchten noch eins. Für unseren etwas groß geratenen Freund dort. Wir bezahlen natürlich. Da lass ich diesmal nicht mit mir diskutieren.“ Dabei deutet er zu Kelg, der den nächsten Baumstamm heran schleppt.
Der Bauer lächelt. „Ich habe ein paar Zugtiere im Stall – gehabt. Aber Zascht hat sie wieder gebracht, zumindest die meisten. Eines wird euren großen Freund tragen können.“
„Gut!“ Terbor nickt. „Wir handeln es beim Essen aus. Ich muss erst mit den anderen sprechen.“ Und endgültig macht er sich auf die Suche nach Alathe.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Fr 29. Okt 2010, 19:53, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Thorn La Fahr
Ledain
Ledain
Beiträge: 3974
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 15:54
Wohnort: Lemurain
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

Alathe sieht mit großen Kulleraugen zu Terbor hinauf. Sie lässt den Redeschwall ihres Freundes über sich ergehen, nachdem sie festgestellt hat, dass ihn weder tränenfeuchte Augen, noch eine bebende Unterlippe davon abhalten würden, ihr seine Meinung zu sagen, was ihre Auffassung von Befehlen und Gehorsam angeht.
Zum wiederholten Mal kommt er auf die Gefahr zu sprechen, in die sie sich begeben habe, und ob sie meine, dass ihr ungeborenes Kind nicht etwas wichtiger sei. Was sie sich dabei nur gedacht habe, einfach in das Kampfgeschehen einzugreifen, und ob diese Unvernunft mit irgendeiner weiblichen Eigenart im Bezug auf Männer zu tun habe.
Obwohl ihre Augen die ganze Zeit über Terbors Blick erwidern, nimmt sie trotzdem ihre Umgebung war. Vor allem ihre Ohren sind viel mehr auf das Geschehen auf und um den Hof gerichtet, als auf die Worte Terbors. Sie kann ihren Freund schon verstehen, aber sie findet eindeutig, dass er übertreibt. Vor allem, da sie sich jetzt wirklich viel besser fühlt. Natürlich, sie hat ihren Elár noch nicht zurück, aber das würde jetzt bestimmt nur noch eine Frage der Zeit sein. Sie sind auf der richtigen Spur.
Ergeben nickt sie, um Terbor erst gar nicht auf den Gedanken kommen zu lassen, dass sie ihm nicht wirklich zuhört.
Irgendwie hat er sich in den Jahren nicht wirklich verändert. Sie ist sich ziemlich sicher, diese Predigt schon mehr als nur einmal gehört zu haben. Kurz fragt sie sich, warum er es nicht einfach dran gibt, sie auf diese Art ermahnen zu wollen. Dann aber erkennt sie mit vollkommener Gewissheit, dass Terbor das einfach nicht kann. Terbor ist Terbor – und jene zu ermahnen, die er liebt und um die er sich sorgt, gehört einfach zu seinem Wesenszug. Und dafür liebt sie ihn. Auch deswegen wächst die Zuversicht in ihr, dass alles wieder gut werden würde mit jedem immer aufgebrachteren Wort, jeder lauten Silbe, die der Hauptmann von sich gibt, bis sein Redeschwall in einem Röcheln vergeht, er die Arme in die Luft wirft und sich rasch abwendet.
Als er dabei sagt, dass er noch einen Brief schreiben müsse, wird Alathe hellhörig, entscheidet sich aber dagegen zu fragen, wem er schreiben wolle. Zu verführerisch ist der Duft, der aus dem Wohnhaus an ihre Nase dringt, und magisch angezogen macht sie sich auf den Weg zu der guten Stube.

Am nächsten Morgen verabschieden sich die Gefährten ein wenig wehmütig von dem Bauern, seiner Familie und seinen Mägden und Knechten. Trotz der Schäden und der Trauer um den Verlust geliebter Freunde, haben die einfachen Bauersleute eine heimelige Atmosphäre um die Freunde zu zaubern vermocht, derer sie nicht gleichmütig entfliehen können.
Egal, ob es das gute und reichliche Essen gewesen ist oder der dampfend heiße Zuber, aus dem sich gerade die Frauen hatten nur sehr schwer wieder heraus bewegen können. Sie alle sind mit weichen und warmen Betten belohnt worden und keine schweren oder gar bösen Träume haben die Gefährten in der Nacht heimgesucht. So reiten sie vom Hof. Neben- und hintereinander. Ein jeder wendet den Blick noch mal zurück, hebt die Hand und erwidert so den Gruß der Familie, die sie leider selbst in einer ungewissen Zukunft zurück lassen müssen, während sie selbst einer ebenso wenig klaren Zukunft entgegen reiten. Vor allem das Pferd Kelgs, ein stattlicher, großer Hengst mit weichem Fell um die Fesseln scheint diese Zukunft zu fürchten, denn immer wieder wirft er den Kopf zurück, mustert den gewaltigen Barbaren auf seinem Rücken und beerdigt mit jedem Schritt die Hoffnung daran, dass der Mann freiwillig abnehmen wird.

17.
Erneut lässt Ver die Augen über die versammelte, grunzende und stinkende Meute seiner Orks gleiten. Nein, es besteht wahrlich kein Zweifel. Ein gutes Drittel fehlt. Mit plötzlicher Eindringlichkeit erinnert er sich an den Bauernhof, den sie ein paar Stunden vor der Nacht passiert hatten. Eindringlich erinnert er sich an die begehrlichen Blicke vieler seiner Schergen und auch an die Geräusche, die ihn mitten in der Nacht hatten auffahren lassen, denen er dann aber keine Beachtung mehr geschenkt hat, nachdem es rasch wieder Still im nächtlichen Lager, mitten in diesem kleinen Waldstück, geworden ist.
Mit einem Schlag gegen den Schädel des Ersten der Orks, gibt er ihm den Befehl, hier auf ihn zu warten. Dann treibt er seinem Pferd brutal die Sporen in die Seiten und galoppiert wild aus dem Wald hinaus und den Weg zurück, den sie gekommen sind. Wenig achtet er darauf, dass sein Reittier hier leicht über das Unterholz straucheln könnte und ein Abwurf ihm leicht das Genick kosten könnte. Zu heiß brennt die Wut in seiner Kehle.
Speichel spritzt von seinen Lippen, als er die Orks lautstark verflucht und verwünscht. Einen ganzen Tag würde ihn das kosten, denn die Orks würden ihm nur zu Fuß folgen können. Zwar sind Orks für ihre Größe schnell unterwegs auf ihren Füßen, aber nichts desto trotz ist ein Pferd schneller und er hat das einzige Pferd. Nicht ganz. Auf dem zweiten Pferd würde Elár reiten, wie auch schon die Tage zuvor. Aber das nur festgebunden und ganz und gar sein Gefangener. Sein Spielzeug, sobald sie zurück sein würden. Wenn seine Orks aber weiterhin solcher Eskapaden anheimfallen, würde es ewig dauern und Geduld gehört in diesem Fall nicht zu Vers Tugenden. Endlich wieder will er mit dem Sänger allein sein und in aller Ruhe jene Spiele ausprobieren, die er sich in den Jahren zuvor für ihn ausgedacht hat. Er würde zwei oder drei der Orks um ihren Kopf erleichtern, um sie anzutreiben und die Zeit wieder heraus holen. Oh ja. Grinsend reitet Ver voran.
Ver bemerkt nicht, wie ihm bei diesen Gedanken schleimiger Geifer die Mundwinkel hinab rinnt und auf seine Weste tropft. Er bemerkt auch nicht, wie die zwei Stunden vergehen, in denen er das Pferd bis an die Belastungsgrenze treibt, um den Einsiedlerhof möglichst schnell zu erreichen. Trotzdem mahnt ihn eine innere Stimme, nicht einfach über den letzten Hügel zu reiten, der den Hof umkränzt, sondern abzusteigen, das Pferd stehen zu lassen und gebückt die Anhöhe zu erklimmen, um über die Kuppe zu sehen.
Der Anblick, der sich ihm bietet, lässt sein Blut erst gefrieren und dann zu glühender Lava in seinen Venen werden. Es ist nicht der Anblick, wie seine Orks dort unten abgeschlachtet werden. Das Leben seiner Begleiter ist ihm vollkommen egal. Vielmehr erkennt er nach nur wenigen Augenblicken, wer dort unten unter den grünhäutigen Wesen wütet.
Die Erkenntnis vernebelt seine Sinne. Schwärze kommt über seine Augen. Orgastisch zuckend fällt er zu Boden und Schaum umrandet seinen Mund.
Nur der Stand der Sonne verrät Ver, dass er gute zwei Stunden auf der Hügelkuppe vor sich hin getobt haben muss. Er fühlt sich schwach und entkräftet. Aber das Feuer in seinen Venen hat nicht nachgelassen. Mit verzerrtem Gesicht schleppt er sich zurück zu seinem Pferd, das sich leidlich vom Hinritt erholt hat, in der Zeit in der Ver nicht Herr seiner Sinne gewesen ist. Ohne sich noch einmal umzublicken steigt er in den Sattel und treibt sein Pferd zurück. Dass er es dabei nicht zu Schand reitet, liegt einzig an seiner eigenen Schwäche.
Nur Tiere werden Zeuge des Rittes von Ver und selbst diese suchen das Weite, als sie die vom Wahn verzerrten Augen sehen. Ununterbrochen sprudeln Verwünschungen und Flüche auf dem Weg zurück über seine Lippen. Mehr und mehr Geifer besudelt die nicht gerade sauberen Sachen Vers.
Panisch versuchen die Orks aus seinem Weg zu kommen, nachdem er gleich dreien den Kopf abgeschlagen hat, die ihm auf seinem Weg in das Lager entgegengekommen sind. Das Blut besudelt sein Gesicht und verwandelt seine Kleidung endgültig in ein braunrotes Etwas. Trotzdem kühlt es die heiße Lava in Vers Venen etwas. Sein Lächeln aber bleibt das eines Wahnsinnigen, als er mit ausholenden Schritten auf Elár zueilt und er sich über ihm aufbaut.
Der entsetze Blick des Halbelben lässt ein tiefes Gefühl der Genugtuung in Ver zurück. Wortlos und mit überlegenem Lächeln steht er über seinem ehemaligen Geliebten.
„Was?“, fragt Ver mit kalter und doch bebender Stimme.
Elárs Entsetzen wandelt sich langsam. Er verzieht die Lippen angewidert. Da sowohl seine Beine, wie auch Arme gefesselt sind, kann er nur sprechen. Und selbst hier ist seine Stimme noch immer volltönend, und mehr ein Gesang voller Melancholie. „Du hast da was im Gesicht.“
Mit einer fahrigen Geste greift sich Ver an die Wangen und blickt emotionslos auf das blutige Stück Orkfleisch. Er wirft es von sich und ignoriert den Aufschrei des Orks, in dessen Trinkbecher der kleine Überrest landet.
„Besser?“
„Nicht wirklich. Du wirkst erregt.“
Ver lacht freudlos auf. „Ist das so? Vielleicht erwachen immer noch Gefühle in mir, wenn ich dich sehe, mein liebster Elár. Aber hoffe nicht allzu sehr darauf.“
„Ich meinte eine etwas andere Erregung“, sagt Elár.
Das Mitleid in der Stimme des Halbelben lässt die Wut in Ver wieder aufkochen und kurz scheint es, als wolle er seinen Gefangenen treten. Doch Ver beherrscht sich. „Was weißt du schon?“, kreischt Ver mit sich überschlagender Stimme. Die Orks zucken bei diesem Warnsignal zusammen und sind alle sehr beschäftigt. Sie räumen das Lager auf, soweit Orks in der Lage sind, auf zu räumen. Sie bilden eine für Orks typische lose Gruppe. Zum Abmarsch bereit. Orks sind nicht klug, aber sie als vollkommen dumm zu bezeichnen, wäre falsch. Vor allem dann, wenn sie sehr genau spüren, dass es um ihr Leben geht. Und in der Stimmung, in der sich ihr Anführer im Moment befindet, ist er unberechenbar. Das haben sie schnell und schmerzvoll gelernt.
„Ich weiß“, beginnt Elár erst mit langsamer Stimme, die dann immer fester wird, „dass es gestern mehr Orks waren. Ich weiß, wenn ich dich ansehe, dass nicht alles so ist, wie du es gern hättest. Ich weiß, dass ich dich hassen sollte, doch ich kann nur Mitleid für dich empfinden. Ich weiß, dass ich damit das einzige Wesen auf der Welt bin, das dich nicht am liebsten tot sehen würde. Sieh in die Gesichter der Orks, Ver. Sieh alle an, die dich sehen.“ Elárs Stimme wird beschwörend. „Ver, lass mich gehen. Lass mich gehen und ziehe deiner Wege. Du bist dem Tod einmal entronnen. Begreife doch, dass dir eine einmalige, zweite Chance gegeben wurde. Wenn du mich nicht ziehen lässt, wirst du sterben, auch wenn es meinen Tod bedeuten sollte.
Du willst leben, sonst wärst du nicht hier. Niemand, den ich kenne, hätte sich aus den Trümmern befreien können. Du willst leben. Wirf es nicht einfach so wieder weg, Ver... lebe und lass mich gehen. Nimm mich mit und du wirst sterben. Das sehe ich genau. Das ist es, was ich weiß!“
Dunkelheit umnachtet Ver erneut und gutturale Laute dringen schreiend über seine Lippen, während Geifer und Schaum von ihnen tropfen. Er weiß nicht mehr, wie er Elár auf das Pferd bekommen hat. Aber er sieht, dass sie wieder weiter ziehen. Die Orks schwitzen und fluchen um sie herum. Er sieht an Elárs zum Teil aufgequollenem Gesicht, dass er die Worte seines ehemaligen Geliebten nicht ungestraft gelassen hat. Was weiß Elár schon? In einem Moment der Klarheit, fragt Ver sich, was der Halbelb wirklich weiß. Ob er ahnt, dass sein Liebchen und ihre verfluchten Kumpane ihnen auf der Spur sind. Aber in einem hat Elár auf jeden Fall recht. Wenn diese Verfluchten sie einholen sollten, würde nicht nur er sterben, sondern Elár mit ihm. Zweite Chance! Pah! Einzig und allein seine innere Kraft hat ihn überleben lassen. Seine Kraft und der unbändige Wunsch nach Rache, die heiß in ihm glüht.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Mi 19. Jan 2011, 20:48, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Garbosch
Veteran
Veteran
Beiträge: 3230
Registriert: Do 5. Jun 2008, 19:24
Wohnort: Zwergengasse, Ahinjamuhr, Thrumumbahr.
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Garbosch »

„Das ist ja leichter als einem Mütterchen den Gehstock abzunehmen“, sagt Wetoq und deutet auf die gut sichtbaren Spuren auf dem Boden und in den Gebüschen. Wetoq trägt einen schäbigen, fadenscheinigen, grauen Reisemantel. Der Galater sah noch nie besonders vertrauenerweckend aus, aber mit diesem zweifelhaften Kleidungsstück angetan, sieht er wahrlich wie ein Vagabund und Herumtreiber aus. Ein Vagabund mit Pferd. Der zottelige Schecke, irgendeine Mischung aus den Bergen, passt zu Wetoq wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Ein schäbigeres Pferd hat Narek noch nie zu Gesicht bekommen, und insgeheim ist er sich sicher, dass das auch Wetoq so beabsichtigt hat. Erst auf dem siebten oder achten Blick erkennt man, dass das Tier durchaus eine Zierde seiner Rasse ist.
„Ich habe schon Mütterchen gesehen, die mit ihrem Gehstock Stadtwachen verprügelt haben“, erwidert Narek.
Wetoq lacht schallend. „Ich hatte dir immer geraten dich von solchen Städten fernzuhalten.“
„Das habe ich ja.“
„Hm“, macht Wetoq. „Vielleicht meinte ich das in einem anderen Zusammenhang. Wie dem auch sei. Auf jeden Fall kann ein Blinder diesen Spuren folgen. Offensichtlich verfolgen sie jemand.“
Narek musste dem zustimmen. Die Gruppe um Wetoqs liebsten Feind, wie sein alter Freund Terbor gerne bezeichnet, hat zielstrebig die Verfolgung anderer Spuren aufgenommen. Während Narek noch überlegt, was eigentlich vor sich geht, fällt ihm ein reflektierender Lichtblitz in einem der Büsche zu seiner linken auf. Er gleitet aus dem Sattel und hält darauf zu. Im Gegensatz zu Wetoq, der sich einen Teufel um sein Äußeres schert, legt Narek einen gewissen Wert darauf. Sein schwarzbrauner, langer Reisemantel ist von guter Qualität. Er ist nicht neu, aber auf seinen wenigen Besitz achtet der junge Galater durchaus. Im selben Maße, wie Wetoqs Pferd einem Klepper gleicht, ist Nareks Hengst prächtig anzusehen. Zugegeben er ist schon ein wenig in die Jahre gekommen, manche würden sagen, dass er alt ist, aber Narek bezeichnet ihn lieber als rüstig. Das braune Fell glänzt noch immer, und auch den elegant geschwungenen Hals, weiß der Hengst noch immer in eine überlegende Pose zu werfen.
„Was hast du denn vor?“, fragt Wetoq, als er sieht, dass sein Freund abgestiegen ist.
„Ich möchte wissen, wen sie verfolgen. Das würde uns durchaus gut tun, das in Erfahrung zu bringen. Schließlich sollten wir auch ein wenig vorbereitet sein.“
„Gibt es etwas das uns beide aufhalten könnte? Von Drachen einmal abgesehen. Aber ich bin mir sicher, das es nie...“
„Orks.“ Narek hat sich abgehockt und etwas aus dem Busch gezogen.
„Mach dich nicht lächerlich. Orks verspeisen wir beide noch vor dem Frühstück.“
Narek funkelt seinen Freund ein wenig ungehalten an, als er wieder aufsteht. „Ich spreche von denen, die deine Freunde verfolgen.“ Er hält ein kleines, hässlich gekrümmtes Messer hoch.
Wetoq hebt eine Augenbraue. „Orks? Warum gibt Terbor die Behaglichkeit seines Heimes auf, um Orks zu jagen? Aus Spaß an der Freud bestimmt nicht. Er ist kein Schlächter.“
„Also nicht so wie du?“ Narek grinst ihn breit an, aber als er merkt, dass sein Freund diesmal nicht auf den Spaß eingeht, stellt er das Grinsen ein.
„Wie weit vor uns sind sie denn?“, fragt Wetoq.
Narek sieht auf die Spuren am Boden. „Schwer zu sagen. Vielleicht einen halben Tag.“
„Das reicht. Wir verfolgen sie weiter. Solange die Spur so deutlich ist, halten wir den Abstand. Ich möchte nicht, dass sie auf uns aufmerksam werden. Das könnten wir schwerlich erklären, warum wir ihnen folgen.“
„Das kann man mir nicht mal richtig erklären. Also gut.“ Narek wirft das Messer zur Seite und schwingt sich wieder in den Sattel. Die beiden Söldner nehmen ihre Verfolgung wieder auf.

Am Vormittag des nächsten Tages zügelt Narek plötzlich sein Pferd durch und deutet in eine Richtung. „Was ist denn das?“
Wetoqs Pferd geht noch ein paar Schritte, bevor der Galater reagiert und das Tier anhält. Er sieht zu seinem jungen Freund und folgt dessen Fingerzeig mit seinen Augen. „Ich würde sagen... Bäume. Wie schon die ganze Zeit über.“
Narek wirft ihm einen säuerlichen Blick zu.
„Schon gut“, murmelt Wetoq und sieht noch einmal in die Richtung. Zunächst sieht er wieder nur Bäume. Doch da scheint noch irgendetwas anderes zu sein. Schlagartig fällt es ihm auf. „Rauch.“ Zwischen den Baumstämmen und dem Strauchwerk hindurch ist Rauch auszumachen. Undeutlich aber vorhanden. Narek setzt seinen Hengst wieder in Bewegung, und Wetoq folgt seinem Beispiel. Sie Reiten eine Zeitlang weiter, bis sie endlich einen freien Blick auf den Rauch haben.
„Für ein Lagerfeuer ist es zu viel Rauch. Niemand stellt sich so blöd an und verursacht so viel Rauch bei einem Lagerfeuer“, sagt Wetoq.
„Da stimme ich dir allerdings zu. Die Rauchsäule ist auch viel zu dicht für ein einfaches Lagerfeuer“, gibt Narek zu bedenken.
„Ein Haus?“
„Möglich.“
„Interessiert es uns?“
Narek sieht zu den immer noch sehr deutlichen Spuren, denen sie folgen. Er drückt seine Sporen in die Flanken des Pferdes und reitet einige Schritt weiter. Dann hält er sein Reittier an und sieht zu dem Rauch. „Ich denke es interessiert uns sogar sehr.“
Wetoq eilt an seine Seite und sieht, wie die Fährte auf den Rauch zuhält. Er runzelt die Stirn. „So langsam macht das keinen Spaß mehr. Dieser Fährte kann ein jeder folgen. Wo bleibt nur die Herausforderung bei dem Ganzen.“
Narek zuckt mit den Schultern. „Wir können ja auch umkehren, wenn das unter deiner Würde ist, weil zu einfach.“
„Versuchst du gerade, witzig zu sein? Es geht um das Prinzip. Wenn ich jemand verfolge, dann sollte er sich schon Mühe geben und die Spuren so gut es geht verwischen.“
Narek sieht seinen Freund an. „Das nächste Mal solltest du es ihnen aber auch sagen, dass du sie verfolgst. Wie sollen sie das entsprechend würdigen, wenn du daraus ein Geheimnis machst?“
Der ehemalige Söldnerhauptmann macht den Mund auf, blickt kurz verdutzt drein, schließt den Mund wieder und gibt seinem Pferd die Sporen. Während er meckernd der Fährte nachreitet, folgt ihm Narek mit einem sehr breiten Grinsen.

„Was denkst du?“, fragt Narek. Er und Wetoq sitzen auf ihren Pferden am Waldrand und blicken über ein Feld auf die leicht rauchende Scheune, und auf die langsam schwächer werdende Rauchsäule hinter dem Wohnhaus.
„Wenn unsere Freunde hier nicht vorbeigekommen sind, dann fresse ich mein Pferd mitsamt Sattel.“
Der Schecke scheint nervös zu schnauben, während er versucht, die Augen zu seinem Reiter hin zu drehen.
„Ich denke, wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie dafür nicht verantwortlich sind.“
Wetoq nickt. „Richtig. Wenn dann haben sie es beendet. Fragen wir doch die Leute da drüben.“
„Einverstanden“, sagt Narek. „Aber wir Reiten offen und langsam hinüber. Diese Leute haben offensichtlich viel durchgemacht. Wir wollen ihnen keine Angst einjagen.“
Wetoq rollt mit den Augen. „Du bist zu weich.“
„Man muss ja nicht ständig irgendwelche Kämpfe provozieren.“
„Und wo bleibt der Spaß dabei?“
Im Schritt reiten sie über das Feld. Ein Ruf ertönt, und die Bewohner des Bauernhofes laufen zu dem Wohnhaus. Ein älterer Mann, anscheinend der Bauer, stellt sich mit einer Mistgabel bewaffnet beschützend vor die Seinen.
Narek hebt langsam seine Arme und zeigt den Leuten seine offenen Handflächen. „Wir sind Freunde. Wir wollen euch nichts Böses“, ruft er dabei den verängstigten Bewohnern zu. „Na los, mach es mir nach“, zischt er Wetoq zu. Dieser seufzt, zeigt aber ebenfalls seine offenen Handflächen. Das beruhigt den Bauern, denn er lässt die Mistgabel einige Fingerbreit sinken.
„Was ist denn hier geschehen, Freund“, fragt Narek mit einem besorgten Unterton.
„Orks. Sie haben uns überfallen und wenn diese netten Reisenden nicht vorbei gekommen wären, dann hätten diese Biester uns alle abgeschlachtet. So sind wir wenigstens mit dem Leben davon gekommen. Der Göttin sei Dank. Es ist sehr erleichternd zu wissen, dass es noch selbstlose Leute auf der Welt gibt.“ Bei diesen offenen Worten des Bauern, nicken die anderen hinter ihm und einer Frau rinnen Tränen die Wangen herunter.
Wetoq sitzt mit einem Male kerzengerade auf seinem Pferd. Narek aber beeilt sich, die Fragen zu stellen. Sein Freund hat manchmal eine Art an sich, die die Leute etwas verstören können. Gelinde gesagt. „Reisende? Was für Reisende denn?“
Der Bauer, der offensichtlich sehr angetan ist von seinen Rettern, erzählt nur zu gerne. „Unheimlich nette Leute. Wenn auch eine seltsame Mischung, wie ich ja sagen muss. Da war ein Riese von einem Mann, von der Statur ähnlich wie dein grimmiger Freund hier, nur ohne Haare auf dem Kopf. Dann was da noch eine Zwergin und sogar ein Kaiap. Aber der hat uns nichts gestohlen. Auf jeden Fall haben wir noch nichts vermisst. Sehr ungewöhnlich. Eine sehr gut aussehende Frau war auch dabei und noch zwei, die sahen mir wie Geschwister aus und... stell dir vor: Sogar ein Vicya. Ich dachte, wir wurden nur von den Orks gerettet, damit der Vicya uns abschlachtet. Aber das tat er nicht. Er war sehr höflich, muss ich ja sagen. Bestimmt ein Adeliger. Wenn es so etwas bei Vicya gibt. Und dann war da noch ein sehr netter Mann dabei, der Anführer, wie es aussah. Er...“
„Terbor“, sagt Wetoq und der Bauer nickt heftig. „Ja, genau so hieß er. Kennt ihr die Leute etwa?“
Narek kommt seinem Freund zuvor. „Aber natürlich kennen wir sie. Sie sind unsere Freunde. Wir wollten uns in Bezacht treffen aber wir hatten uns verspätet.“
„Da macht euch mal keine Sorgen“, sagt der Bauer mit einem freudigen Lächeln. „Sie sind nur etwa einen halben Tag vor euch.“
„In welche Richtung sind sie geritten?“
Der Bauer deutet. „In diese Richtung.“
„Sagten sie, wo sie hin wollten?“
„Ich dachte, ihr wolltet sie treffen?“
„Ja sicher, aber unser weiteres Ziel hatten wir noch nicht festgelegt.“
Der Bauer nicht leicht. „Ich verstehe. So wie es aussah, wollten sie die Orks weiter verfolgen. Dann wundert es mich nicht, wenn sie ein anderes Ziel haben, als ihr ursprünglich geplant hattet.“
Narek seufzt innerlich auf. Das ist gerade noch mal gut gegangen. „Ja, genau das. Gut dann folgen wir ihren Spuren einfach weiter. Habt vielen Dank.“
„Macht es gut.“
Narek und Wetoq Reiten weiter. Doch Narek folgt nicht der Richtung, die der Bauer ihnen genannt hatte, sondern er reitet hinter das Wohnhaus und schon sehen sie einen Scheiterhaufen. Sie halten daneben an und Narek gleitet aus dem Sattel.
„Sie haben ganze Arbeit geleistet“, sagt Wetoq. „Das sind eine Menge Orks.“
„Das kannst du laut sagen.“ Narek wühlt mit der Stiefelspitze ein wenig in den verkohlten Überresten.
„Magst du mir sagen, was du hier zu finden hoffst?“
Narek hält inne, bückt sich und hebt etwas auf. „Das hier.“ Es ist zur Hälfte verbrannt, aber dennoch kann man ein annähbares Wappen erkennen, wie sie gerne an Söldner gegeben werden. Nur mit Schwierigkeiten erkennt Narek einen Wolfskopf. Er reicht es Wetoq.
Der sieht sich das an und fängt zu grinsen an. „Bist du jetzt meiner Meinung, dass es eine verdammt gute Idee war, ihnen zu folgen? Das hier deutet auf sehr viel Spaß hin.“
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Do 27. Jan 2011, 20:20, insgesamt 2-mal geändert.
Benutzeravatar
Thorn La Fahr
Ledain
Ledain
Beiträge: 3974
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 15:54
Wohnort: Lemurain
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

18.
Terbor sieht sich nicht minder verwundert um, als seine Gefährten. Entweder sind die Entführer Elárs dümmer, als es sein kann oder aber irgendetwas ist faul. Das Lager jener, die sie verfolgen ist so schnell und schlampig abgebrochen worden, dass es aussieht, als könnten die Orks jeden Augenblick wiederkommen. Die Spuren, die sie hier hin geführt haben, sind so deutlich gewesen, dass man ihnen auch blind hätte folgen können.
Sein Blick fällt auf Alathe, die neben einer erloschenen Feuerstelle hockt und von Adorg in den Armen gehalten wird. Der Spieler versucht die Freundin zu trösten, wo kein Trost gespendet werden kann. Tränen rinnen der jungen und schönen Galaterin die Wangen hinab. Terbor seufzt leise. Er weiß, dass auch er es fühlen könnte, wenn Isondra hier gewesen wäre und er an der Stelle von Alathe den Entführern hinterher jagen müsste. So bemerkt er Adirië erst, als sie schon neben ihm steht.
„Kannst du mir erklären, was das soll, Terbor? Hier stimmt doch was nicht. Das stinkt zum Himmel. Entweder ist das die dümmste Falle der Welt oder die Beste. Oder aber die Orks und Ver haben vollkommen jedweden Verstand verloren.“ Sie deutet in den Wald. „Selbst den Weg, den sie von hier aus genommen haben, kann sogar ich sehen und ich bin wahrlich nicht die beste Fährtenleserin vor der Herrin.“
Terbor wendet sich ihr zu und lächelt schief. „Ja. Normalerweise kann das wirklich nicht normal sein. Oder aber sie sind sich vollkommen sicher und rechnen nicht mit einer Verfolgung. Lass es 50, 60 Orks sein. Das ist schon eine Streitmacht, der man sich nicht mal eben in den Weg stellt. Auch wir sollten eine solche Gruppe nicht auf die leichte Schulter nehmen.“
Adirië überlegt und nickt dann leicht. „Du meinst, es könnte ihnen einfach egal sein, ob sie verfolgt werden oder das sie noch nicht einmal bemerkt haben, dass wir es tun?“
„Ja. Denn ich glaube, dass Ver dachte, dass er Alathe für immer aus dem Weg geschafft hat.“
„Das wäre natürlich ein Vorteil für uns. Nur wenn es wirklich so viele sind, wie du glaubst, haben wir tatsächlich ein Problem.“
Terbor nickt. „Aber eines, um das wir uns erst kümmern müssen, wenn wir sie eingeholt haben. Wobei ich eigentlich nicht vor habe, dass wir uns ihnen in einem offenen Kampf stellen. Sie rasten. Also verbringen sie irgendwo die Nächte. Wir können Elár also einfach zurück klauen.“
Adirië grinst ihren Hauptmann an. „Wir haben einen Zascht?“
„Wir haben einen Zascht!“, sagt Terbor mit ruhiger Stimme, aber ein Lächeln umspielt seine Lippen.
„Wir müssen dann nur Alathe irgendwo festbinden. Sie wird ihre Rache an Ver nehmen wollen. Eine endgültige Rache.“
„Ich habe die Hoffnung, dass die Wiedersehensfreude bei ihr solange anhält, dass selbst sie einsieht, dass eine neuerliche Verfolgung keinen Sinn macht.“
„Alathe ist eine Frau“, erwidert Adirië skeptisch.
Terbor seufzt. „Ja, ich weiß. Und das ist auch die große Unbekannte in meinem Plan.“
„Ich finde nicht, dass es eine Unbekannte ist. Also ich an ihrer Stelle würde Ver folgen und ihn zur Strecke bringen.“ Adiriës Stimme klingt eine Spur trotzig. „Und wenn Alathe entscheidet, wie ich vermute, dass sie entscheidet, werde ich meiner Schwester im Herzen selbstverständlich zur Seite stehen.“
Terbor fährt sich mit der rechten Hand über die Augen. „Ruf einfach die anderen zusammen. Wir reiten weiter. Hier werden wir eh nichts mehr finden können.“
„Wie du meinst!“ Adirië fährt auf den Absätzen herum und ihre Stimme klingt alsbald befehlend durch den Wald.

„Sie können sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!“ Alathes Stimme klingt schrill.
„Beruhige dich, kleine Bardin!“, sagt Kelg an ihrer Seite und streichelt ihr beruhigend über den Kopf. Sein Blick folgt der Straße, die in sanften Schwüngen gen Osten und Westen führt und dabei die niedrigen Hügel des Graslandes um sie herum zerschneidet. „Sie haben die Straße genommen. Es ist der schnellste Weg. Da sie, wie wir, aus dem Osten kamen, werden sie kaum hier wieder zurück gelaufen sein. Der Weg ist also klar und die Straße ist zu trocken, als das wir ihre Spuren erkennen könnten.“
Alathe wirft Kelg einen dankbaren Blick zu und die Gefährten treiben ihre Pferde in einen Wegstunden zehrenden Kanter an.

Drei Tage und drei verwüstete Orklagerstätten neben der Straße später reiten die Gefährten noch immer die Straße gen Westen entlang.
„Ich habe mich das schon immer gefragt, wie Orks nur so schnell laufen können, ohne irgendwann einfach zusammen zu brechen“, sagt Terbor zu niemand speziellen. „Drei Tage jetzt auf offener Straße und wir sehen noch rein gar nichts von ihnen, obwohl wir nur einen Tag hinter ihnen gewe...“ Doch Terbors Stimme bricht abrupt ab. Nicht nur er, sondern alle zügeln ihre Reittiere durch, als sie einmal mehr die Kuppe eines Hügels erreichen. In blankem Entsetzen starren sie hinab in das weite Tal vor ihnen.
Terbor erinnert sich, als sie das letzte Mal vor Jahren durch Triefenbach gekommen sind, bei ihrer Verfolgung von Fürst Malinquor, dass der Ort wahrlich keine Augenweide gewesen ist, aber was er und seine Gefährten nun sehen, scheint einem schrecklichen Albtraum entrissen. Wie ein Krebsgeschwür liegt die Stadt, denn das ist Triefenbach jetzt, in dem Tal. Durchzogen von schlammigen Straßen, obwohl die Sonne schon seit Tagen scheint. Selbst auf die Entfernung ist zu erkennen, wie die Bewohner sich apathisch und gebückt auf den Straßen bewegen. Von einer Last niedergedrückt, die unsichtbar auf ihren Schultern liegt. Sie teilen sich die Straßen mit Haustieren, die kaum als solche zu erkennen sind, suhlen sie sich doch offen im Schlamm. Und daneben die Kinder, selbst nicht mehr als Schatten ihrer selbst. Kleine Gesichter, die verlernt haben zu lächeln oder gar zu lachen.
Aus unzähligen Schloten steigt schwarzer Rauch in öligen Schlieren in den Himmel. Geruch von Pestilenz liegt widerwärtig in der Luft und legt einen Schleier aus Dreck über alles um die Stadt herum und überzieht es mit einem unnatürlichen Film von Farben, die aus der verrückten Fantasie eines kranken Gehirns entsprungen sein müssen.
Um den Kern des ehemaligen Dorfes sind Dutzende von neuen Häusern entstanden. Doch haben diese Gerippe aus Holz und Stein den Namen nicht verdient. Wie der ekle Auswurf eines Riesen wirken sie. Weder beschützend noch warm. Einfach aus dem Boden gestampft, um einer größer werdenden Schar Einwohner Herr zu werden, die willenlosen Sklaven gleich von diesem Ort und einem nicht nachvollziehbaren Versprechen angelockt worden sein müssen.
Weiter nach Norden hin sind die saftigen, grünen Wiesen verschwunden. Dort erstreckt sich nun so weit das Auge reicht ein Acker aus Schlacke, wie es ihn nur in einer der Höllen geben kann. Zerstörte Erde unter den Hufen von grausamen Dämonen. Hier und da treten giftig grüne oder gelbe Wolken aus dem Erbrochenen der Manufakturen hervor und reichern den stinkenden Odem der Stadt zusätzlich an.
„Seht ihr? Seht ihr, was euer Volk dieser wunderbaren Welt antut!“, ruft Kalina voller Hass mit tränenerstickter Stimme hinaus. Zascht wendet den Kopf vor dem Grauen ab.
„Ich... ich weiß, ich sehe es... auch wenn ich es nicht glauben will“, sagt Terbor mit seltsam hohler Stimme.
„Ich will da nicht hin!“ Rewos Stimme klingt seltsam piepsig.
„Niemand will das“, sagt Terbor.
„Wenn niemand das wollte, warum gibt es dann dieses Geschwür?“, fragt Kalina bissig.
„Ich weiß es nicht, Kalina. Ich weiß es wirklich nicht. Gib mir bitte nicht die Schuld an etwas, was ich selbst niemals zulassen würde, wenn ich es verhindern könnte“, sagt Terbor ruhig. „Ich verstehe dich doch.“
„Es... es tut mir leid“, sagt Kalina. „Aber es sind Galater dort unten. Es ist dein Volk. Auch wenn ich weiß, dass du nichts dafür kannst.“
„Wie wäre es dann, wenn wir einfach hier die Straße verlassen und südlich einen großen Bogen um sie machen?“, fragt Adorg.
„Dafür!“, sagt Zascht.
„Und was, wenn die Orks hier irgendwo die Straße verlassen haben?“ Ihre Stimme klingt hin und her gerissen von dem tiefen Wunsch, diesen grausamen Ort möglichst weit zu umreiten und der Angst die Spur, der sie folgen, zu verlieren.“
„Dann kehren wir um, wenn wir kein Nachtlager der Orks finden sollten. Kommt! Ich will mir das nicht mehr ansehen müssen!“, sagt Terbor hart.
Schweigend, die Köpfe starr nach Süden auf das noch lebendige Grün gerichtet, folgen die Gefährten ihrem Hauptmann.

Terbor und die anderen Hocken im hohen Gras neben der Straße. Deutlich sind die vielen Lagerfeuer zu erkennen, denn die Nacht hat ihren Mantel aus Dunkelheit über das Land gelegt. Eigentlich sind es zu viele Feuer für 60 Orks, aber wer weiß schon, wie die ihre Nächte verbringen. Terbors Nerven sind zum Zerreißen angespannt. Und mit jeder Minute, die vergeht, wird es nicht besser. Erst als ein lautloser Schatten auf sie zu kommt und Zascht leise sagt: „Ich bin es!“, entspannt sich der Galater etwas.
„Und? Sind sie es?“, fragt er den Vicya. Die Blicke der anderen liegen auf den Lippen des schwarzhäutigen Freundes.
Doch Zascht schüttelt den Kopf. „Nein.“
„Wer ist es dann?“, fragt Alathe atemlos.
Zascht sieht Alathe an, dann die anderen und schließlich Terbor. „Das“, sagt er ungewohnt gedehnt, „solltet ihr besser mit eigenen Augen sehen.“

Seit zwei Stunden nun sind sie schon in dem Lager der Leute, die sie freundlich, gar herzlich, empfangen, aufgenommen und eingeladen haben, bei ihnen die Nacht zu verbringen. Doch noch immer glaubt Terbor sich eher in einem Traum, denn im Hier und Jetzt.
Sein Blick fällt auf Kelg, der mit breitem Grinsen zu zwei jungen Zwergenzwillingen hinab blickt. Die Jungen reichen dem Barbaren nicht einmal bis zum Knie hinauf. Dabei versuchen sie den Riesen grimmig anzusehen und halten zwar echte, aber nicht einmal handspanngroße Einhandäxte in den Händen. Kalina ist derweil direkt daneben an einem anderen Feuer tief in einem Gespräch mit den Eltern der Zwillinge vertieft. Nicht unweit davon würfelt Adorg mit drei Faunen. Dem Gesicht des Spielers ist deutlich anzusehen, dass der Spielverlauf nicht dem entspricht, wie er es sonst gewohnt ist. Er scheint zu verlieren. Adorgs Schwester hingegen zeigt mit Stolz ihren Streitkolben in einer Gruppe von einem halben Dutzend Kentauren herum, die großes Interesse an der Waffe, aber auch an der jungen Galaterin zeigen. Kurz grinst Terbor breit und fragt sich, ob Adirië sich bewusst ist, worauf sie sich einließe, würde sie auf dieses andere Interesse eingehen, das nicht ihrer Waffe gezollt wird. Doch Terbors Herz rutscht ihm tief in den Magen, als er weiter guckt und Alathe zwischen drei jungen Elbenmädchen sieht. Die Vier singen ein uraltes, elbisches Liebeslied. So schön und herzzerreißend, dass sich um die Vier eine ganze Gruppe von Angehörigen allerlei Völker versammelt hat, um ihnen in Verzückung zu lauschen. Rewo hingegen sitzt einem anderen Kaiap gegenüber. Der Sack dieses Kaiap ist noch größer als Rewos. Die beiden sind so vertieft darin, Dinge zu tauschen, das sie die Welt um sich herum vergessen haben. Doch die Krönung all dessen ist Zascht und die zwei anderen, die ihn oder die er gefunden hat. Die anderen beiden sind eine Frau und ein Mann seines Volkes. Hand in Hand stehen sie in fünf Schritt Abstand Zascht gegenüber. Um die drei ist ein leerer Raum, den keiner zu durchschreiten wagt. Die Mauer des Rufs der Vicya leistet hier einmal mehr ihren Dienst. Alle drei aber wirken mehr wie Statuen, denn lebender Wesen. Würde nicht hin und wieder einer von ihnen blinzeln, könnte man sie wirklich für aus Stein gehauen halten. Mit atemloser Spannung sehen die zwei zu Zascht und Zascht zu den beiden. Terbor hat nicht die geringste Ahnung, ob sie auch nur ein Wort gewechselt haben und wenn nicht, ob sie es noch machen werden. Er hat keine Ahnung, ob dieses Belauern eine Art der Bedrohung ist, oder ob die drei gerade eine wirklich gute Zeit miteinander verbringen. Und noch weniger hat Terbor eine Ahnung, ob er aus seinem Freund zu dieser Begegnung jemals ein Wort wird hervor locken können.
„Immer noch so erstaunt?“, fragt da der Mann neben Terbor. Es ist ein alter Elb. Sein Gesicht ist von Falten durchzogen und sein ganzes Auftreten ist von erhabener Würde.
Der Hauptmann reißt den Blick von den Gefährten und sieht in die Augen des Mannes. Wie leicht es doch wäre, sich in diesen Brunnen aus Weisheit und Lebenserfahrung zu verlieren. „Ja, Erhabener“, sagt Terbor höflich. Es hat keiner Erklärung oder Vorstellung bedurft, um Terbor sofort klar zu machen, dass der Elb der Führer dieser so ungewöhnlichen Gruppe von Angehörigen unterschiedlichster Völker ist. „Wie kommt es, dass ihr hier seid und dabei so... so...“
„Gemischt sind?“, vervollständigt der Elb die Frage Terbors mit einem Schmunzeln.“
„Ja, Erhabener.“
„Mein Junge, du kennst dein Volk und immer mehr grassiert unter ihnen das Gehabe das schöne Antlitz dieser Welt nach ihrem Dünken zu verändern. Dabei bedienen sie sich derer Mittel, die widernatürlich sind. Sie nehmen keine Rücksicht darauf, dass sie so die Mutter, die uns alle gebar, auf immer zerstören und sie ihrer Herrlichkeit berauben. Wir sind einfach eine Gruppe Gleichgesinnter, die dieses Tun nicht mehr ertragen können, aber auch sehen, dass die Galater nicht einfach von dieser Welt getilgt werden können. So ziehen wir nach Osten, denn ich hörte, dass dort eines der großen Tore ist, die die Weisen, Magier und Beschwörer unserer Völker errichtet haben, um jene wie uns zu unserer Nachbarwelt zu führen. Auf das wir dort leben können, wie wir es wollen. Auch wenn es uns schmerzt, dass wir dafür die Orte unserer Geburt zu verlassen haben, so müssen wir an die Zukunft unserer Kinder denken.“
Eine seltsame Angst und Trauer packt Terbors Herz in kaltem Griff. „Ihr zieht also auch von dannen, wie so viele andere schon und wohl noch mehr nach euch? Erhabener, diese Welt wird leerer sein, wenn ihr alle gegangen seid. Ihr Licht nicht mehr so strahlend.“
„Bei dem Brodem, den viele deines Volkes in die klare Luft entlassen, müssen wir dafür nicht einmal gehen, mein Sohn.“
„Ich weiß“, sagt Terbor traurig. „Und ich bin ehrlich... ich weiß selbst nicht mehr, ob ich all das noch ertragen kann und wirklich hier alt werden möchte. Wir haben heute Morgen gesehen, was mein Volk der Erde antut und am liebsten würde ich mit euch ziehen. Ihr werdet selbst noch zur Stadt Triefenbach kommen und sie wohl in noch größerem Bogen umwandern, als wir es taten.“
Der alte Elb greift Terbors Hand und drückt sie. Doch schreckt der Galater nicht zurück. Vielmehr fühlt er sich plötzlich an seinen Vater erinnert. An eine Zeit, als dieser so hoch über ihm aufragte, wie Kelg gerade über den Zwergenzwillingen. „Deine Zeit mag noch kommen, da du diese Entscheidung treffen musst. Denn mehr als nur an deinen Begleitern sehe ich in deinen Augen und in deinem Herz, dass auch du das Land liebst und es nicht zerstört sehen willst. Und es mag die Zeit kommen, dass es dich nicht mal mehr retten wird, dass du ein Galater bist. Denn der Wolf hat seine Jagd begonnen und hetzt unsereins unbarmherzig bis in den Tod. Der Wolf ist auferstanden und will die Alten Völker von ihrer angestammten Heimat vertreiben und uns vernichten. Es mag die Zeit kommen, dass auch jene nicht mehr sicher sind, die den Alten Völkern nahe stehen – so wie du.“
Terbor schluckt hart und erinnert sich an den Wolf auf dem Abzeichen. „Ist es schon so schlimm gekommen? Wir haben Zeichen des Wolfes selbst entdeckt.“
Der Alte nickt. „Es ist so schlimm und doch nur der Anfang. Wenn ihr weiter nach Westen zieht, dann reitet ihr einer Gefahr entgegen, die vielleicht deine Freunde mehr betrifft, die nicht deines Blutes sind. Aber du bist nicht wirklich minder in Gefahr. Nicht nur der Raubbau an der Erde vertreibt uns. Jetzt ist es auch das Schwert und die Axt.“
Terbor schweigt eine Weile. „Wenn es wirklich so schlimm kommt, dann will ich hier nicht bleiben und ich glaube, meine Frau auch nicht. Denn auch wir wollen unser Kind nicht in einer solchen Welt aufwachsen sehen. Wisst Ihr mehr über den Wolf?“
Der Alte schüttelt den Kopf. „Nein. Wir wissen, dass er ein Adliger deines Volkes und sein Hass auf uns unnatürlich groß ist. Aber mehr weiß auch ich nicht, denn ich kann es nicht wagen, zu ihm zu gehen, um zu fragen, warum er es tut.“
Ein wenig sanfte Ironie schwingt in der Stimme des Alten mit, und Lachfältchen sind jetzt um seine Augen zu sehen. Stark fühlt Terbor ein tiefes Bedauern, diesen alten Mann nicht zu einer Zeit getroffen zu haben, in der er ihm einfach lauschen könnte, wie er Geschichten aus längst vergangenen Zeiten erzählt. Die reich an Fröhlichkeit sein müssen, wenn er selbst in dieser für ihn dunklen Stunde das Lächeln noch nicht ganz verloren hat. „Ich verstehe“, sagt Terbor. Nun selbst mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. „Aber wir sind auf der Suche, denn jener wunderschönen Maid, die mit den Töchtern deines Volkes die Nacht in heimelige Wärme taucht, wurde ihr Gemahl und Vater ihres ungeborenen Kindes geraubt. Von einer Gruppe Orks unter der Führung eines bösen Mannes und vielleicht steht dieser sogar in den Diensten des Wolfes. Erst müssen wir Alathes Gefährten befreien. Dann können wir Eurer Worte gedenken und uns besprechen.“
Der Alte sieht Terbor an und sagt mit wütender Stimme: „Heute Morgen sahen wir zwei Reiter und eine Gruppe von Fünfdutzend Orks. Sie kamen uns auf der Straße entgegen. Jedoch wichen sie uns in weitem Bogen aus. Wir ließen es geschehen, da wir ja in unterschiedliche Richtungen gingen. Wenn dies jene Häscher sind, die ihr sucht, so sei das Schicksal verflucht, denn wir hätten den Entführten zu befreien vermocht!“
Terbor setzt sich kerzengerade auf und ergreift die Hände des Alten. „Seid Ihr Euch sicher? Zwei, die nicht Orks waren und dann gute 60 Orks?“
Der Elb nickt.
„Dann ist es trotz der Fügung des Schicksal, dass wir Alathe ihren Geliebten noch nicht zurück in ihre Hand geben können, eine glückliche Fügung, sind wir doch jetzt gewiss, dass wir der richtigen Spur folgen und Elár noch lebt.“ Terbor lässt den Alten los. „Verzeiht mir. Ich muss es Alathe sagen!“
Sanft lächelt der Elb Terbor an. „Gewiss, mein Sohn!“
Doch Terbor ist schon auf dem Weg. Er sucht sich einen Weg durch die Zuhörerschaft und ruft auf halben Weg: „Alathe, wir sind ihnen auf den Fersen und sie sind uns nur noch etwas über einen halben Tag voraus! Elár ist bei ihnen und lebt!“
Die Bardin hört sofort auf zu singen. Ohne auch nur die Frage zu stellen, woher Terbor es weiß, springt sie auf und fällt ihm um den Hals. Sie vergräbt ihr Gesicht weinend vor Glück an seiner Schulter. In diesem Moment erheben die drei Elbinnen ihre Stimmen zum Höhepunkt des Liedes in den Himmel hinauf. Und so rein und klar, voll silberner Schönheit sind ihre Stimmen, dass sich der Sopran, das Alt und das Kontraalto zu einer einzigen, göttinnengleichen Stimme vereinen und selbst Terbor es nicht mehr vermag, seine Tränen zurück zu halten. Wird ihm doch in dem Moment schmerzlich bewusst, wie gern er doch jetzt Isondra in seinen Armen halten würde, und dass diese Stimmen selbst den Brodem über Orten wie Triefenbach zu vertreiben vermochten. Doch gibt es zu viele Triefenbachs und zu wenige elbische Maiden wie diese drei am Lagerfeuer.
Benutzeravatar
Garbosch
Veteran
Veteran
Beiträge: 3230
Registriert: Do 5. Jun 2008, 19:24
Wohnort: Zwergengasse, Ahinjamuhr, Thrumumbahr.
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Garbosch »

Es wird schon dunkel, als Narek sein Pferd zwischen den Bäumen zurück lässt und zum Waldrand geht. Er späht an Baumstämmen vorbei in der Hoffnung, Wetoq zu sehen. Vor über einer Stunde ist sein Freund aufgebrochen, um heraus zu finden, wie viel Vorsprung die Verfolgten haben. Sie vermuten zwar, dass sie maximal eine Stunde hinter ihnen sind aber zur Sicherheit wollte Wetoq nachsehen. Narek hatte überlegt, ob er nicht ein Feuer machen sollte, um eine warme Mahlzeit zuzubereiten. Die letzte hatten sie vor zwei Tagen, und etwas Warmes im Bauch würde ihnen gut tun. Aber er hat sich dagegen entschlossen. Wenn sie wirklich nur noch eine Stunde hinter ihnen sind, dann könnte ein Feuer, egal wie gut es abgeschirmt sein mag, ihre Position verraten. Immerhin haben die anderen einen Vicya dabei. Hoffentlich denkt Wetoq daran. Nicht, dass er ihnen zu sehr auf die Pelle rückt. Mit der zunehmenden Dunkelheit, wird es für Narek immer schwieriger etwas zu erkennen. Dunkle Schemen, von denen er weiß, dass sie Bäume sind, scheinen sich plötzlich langsam und bedrohlich auf ihn zu zubewegen. Aus dem Augenwinkel nimmt er noch eine flüchtige Bewegung wahr. Seine Hand legt sich langsam auf den Schwertgriff. Der Galater flucht leise, als er merkt wie dumm er sich benimmt. 'Idiot' schalt er sich stumm. 'Jedem Anfänger in seiner ersten Woche wird das eingebläut. Nicht in die Dunkelheit starren.' Bei solchen Kleinigkeiten merkt er, dass er viel zu verkrampft ist. Er macht sich einfach Sorgen um seinen alten Freund.
Er hält unwillkürlich den Atem an, als er eine Bewegung ausmacht. Diesmal hat er es richtig gemacht und sieht eindeutig die vorsichtigen Bewegungen eines Mannes, der ein Pferd führt. Narek gibt das Zeichen, den leisen Ruf einer Gelbschwanzschleiereule von sich, und beobachtet, wie Wetoq die Richtung ändert und auf ihn zukommt.
„Wo warst du denn solange?“, fragt Narek ungeduldig.
„Was glaubst du denn wo ich war? Ich hab mal eben ein Puff gefunden und mir den Verstand rausgevögelt. Schwachkopf. Ich habe unsere Freunde gesucht und dabei muss man ein wenig vorsichtig sein, weil sie ja einen Vicya dabei haben. Dummkopf.“
Narek ist sehr froh, dass es Nacht geworden ist. Es wäre ihm sehr peinlich, wenn sein Freund seinen hochroten Kopf sehen könnte. „Du hast ja Recht. Tschuldige. Also was hast du herausfinden können?“
Wetoq brummt verstimmt, doch dann antwortet er seinem jungen Freund. „Wir hatten Recht. Sie lagern keine Stunde von hier entfernt. Wenn sie ihre Richtung beibehalten, wovon wir ausgehen können. Dann kommen sie Morgen nach Triefenbach.“
„Triefenbach?“
„Ich war vor etlichen Jahren mal dort. Ein Schandfleck. Etwas was jeder vernünftige Galater ausradieren müsste.“
Narek runzelt die Stirn. „Warum?“
Wetoq winkt ab. „Du wirst es sehen. Egal ob sie dort einkehren wollen oder nicht, ich Reite auf jeden Fall drum herum. Das wird so oder so nicht ihr Ziel sein.“
„Warum denn nicht?“
„Wenn du ein bisschen das zusammenzählst, was du über die Leute weißt, die wir verfolgen, dann würdest du darauf kommen, das die am ehesten dieses Kaff dem Erdboden gleich machen würden. Mir geht es da nicht anders.“
Narek zuckt mit den Schultern. „Ich werde es ja sehen. Jetzt komm. Ich habe einen guten Platz für die Nacht gefunden.“

Noch vor Sonnenaufgang stehen die beiden Männer auf und verzehren ein kaltes Frühstück bestehend aus altem Brot und Trockenfleisch. Als Narek alles zusammen räumt, um sich bereit für den Aufbruch zu machen, sieht er wie Wetoq auf einem Baumstamm sitzt und seinen rechten Stiefel repariert, indem er die lose Sohle mit zwei Lederbänder an dem Stiefel befestigt. „Du hättest was sagen sollen, Wetoq. Soviel Geld muss sein, dass wir nicht in Lumpen herumlaufen müssen.“
Wetoq zuckt mit den Schultern. „Die Stiefel sind doch nur sehr gut eingetragen, mehr nicht.“
Narek schüttelt den Kopf und verstaut die Vorräte in den Satteltaschen.

„Was bei der Herrin Strapsen!“, entfährt es Wetoq. Narek keucht ungläubig. Die Männer zügeln ihre Pferde durch. Sie stehen auf einem Hügel und blicken in das Tal hinab, in dem die Stadt Triefenbach liegt. Über der Siedlung hängt der schwarze Brodem aus den Schornsteinen wie eine riesige Hand, die die Stadt im Griff hält.
„Ich verstehe was du mit Schandfleck meinst“, sagt Narek mit großen, ungläubigen Augen.
„Bei allen Höllen. Das ist viel schlimmer geworden. Als ich hier das letzte Mal war, waren es nur ein paar Häuser, zwar genauso dreckig, aber es hielt sich noch im Rahmen. Jetzt aber... Sieh es dir an. Sie töten das Land. Ich habe so etwas noch nie gesehen.“
Narek sagt leise: „Es ist einfach nicht zu glauben, zu was unser Volk fähig ist. Wir kämpfen für Geld aber das dort. Für kein Geld der Welt.“
„Eigentlich sollte man da runter reiten und das Ganze ausradieren. Jeden einzelnen Abschlachten, die Häuser schleifen und die Maschinen in Brand setzen. Ich hätte gute Lust dazu.“
„Es geht mir nicht anders, aber wir haben leider keine Zeit.“
Wetoq funkelt seinen Freund böse an. „Wir nehmen uns die Zeit.“
Narek deutet in eine Richtung, unweit von Triefenbach entfernt. „Gerne, aber was machen wir mit denen die wir verfolgen?“
Wetoq runzelt die Stirn und folgt Nareks Fingerzeig. Eindeutig kann er in einiger Entfernung die Gefährten reiten sehen. „Hm... Du hast Recht. Das erledigen wir später. Wie es aussieht, haben sie dieselbe Idee wie wir. Das Geschwür umgehen. Ich würde sagen, wir legen einen Zahn zu und umgehen die Stadt auf der anderen Seite. Es ist die direkte Umgebung einer Siedlung und somit ist es nichts Ungewöhnliches wenn Reisende unterwegs sind.“
Narek nickt. „Einverstanden. Vor allem mit dem Umgehen. Ich glaube wenn man den Rauch einatmen muss, dann wandelt man kurz darauf in der Herrin Gärten.“
„Wenn sie einen überhaupt hinein lässt, weil man so stinkt“, brummt Wetoq und gibt seinem Pferd die Sporen. Sie reiten im gestreckten Galopp in einem großen Bogen um die Stadt herum. Erst als sie Triefenbach hinter sich gelassen haben, zügeln sie ihre Pferde zu einer langsameren Gangart durch. Narek lässt seinen Blick schweifen, und nach einer Weile kann er die Gefährten erkennen, die ebenfalls ihre Pferde etwas ausruhen lassen. Er deutet zu ihnen rüber. „Wir sind auf gleicher Höhe. Jetzt sollten sie uns wirklich nicht mehr entkommen können.“
„Das will ich auch hoffen. Das Ganze muss sich schon lohnen.“
„Wo wir gerade von lohnen sprechen. Warum hast du neulich bei dem Bauernhof eigentlich gemeint, dass dieses Abzeichen Spaß bedeuten würde? Kennst du denn das Abzeichen?“
„Den Wolf? Ja, kenne ich.“
Narek sieht seinen älteren Freund an. „Ja, und?“
„Und was?“
„Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Erzähl mir etwas darüber.“
Wetoq blickt geradeaus und zunächst scheint er Narek nicht antworten zu wollen. „Ich kenne nur Gerüchte. Von einem mir bekannten Söldner weiß ich aber ein wenig mehr. Falls das nicht auch nur Gerüchte sind. Aber dieses Abzeichen besagt, dass die Orks zu den Truppen von Herzog Karak von Weißenwolf gehören.“
Narek überlegt und sieht zu den weit entfernten Gefährten rüber. Dann dreht er den Kopf und sieht Wetoq an. „Du meinst doch hoffentlich nicht den Herzog von Weißenwolf? Dieser verrückte Kerl, der sich ein eigenes Königreich schaffen will?“
„Das Problem bei dem Kerl ist, dass er nicht verrückt ist. Er ist viel gefährlicher. Vor einigen Jahren, bevor ich in den Dienst von Malinquor dem Versager kam, machte mir ein Freund ein Angebot. Er ist Hauptmann im Dienste des Herzogs von Weißenwolf und würde noch fähige Männer brauchen. Geld sei kein Problem. Der Herzog bezahlt wirklich gut. Aber mir gefiel die allgemeine Dienstanweisung nicht.“
Narek lacht leise. „Als ob dir jemals auch nur eine Dienstanweisung gefallen hätte.“
„Ich bin Söldner, kein Mörder.“
Narek blickt ihn an. „So schlimm?“
„Eigentlich schlimmer. Ich habe kein Problem jemanden zu töten, hatte ich nie. Aber der Herzog wollte mehr, viel mehr. Er ist ein verfluchter Spez... Spezi... Speziesist.“ Wetoq spuckt das nicht einfache Wort geradezu aus. „Alles was nicht Galater sind, ist in seinen Augen Abschaum und verdient es nicht zu leben. In erster Linie bedeutet das, die Siedlungen der anderen Völker angreifen und so viel Schaden wie möglich unter den Zivilisten anrichten. Und so etwas mache ich nicht.“
Narek nickt düster. „Ich verstehe dich. Und wie. Das jemand mit so einer Ansicht auch noch durch kommt ist sehr bedenklich.“
„So einigen gefiel das damals auch nicht und andere Adelige wurden in Kenntnis gesetzt. Bevor sie dem Herzog auch nur etwas anhaben konnte, hat er seine Söldnerarmee aufgelöst. So glaubte man zumindest. Offiziell hieß es, dass ihm das Geld ausging. Was ich nicht glaube.“
„Und was bedeutet jetzt das Auftauchen des Abzeichens hier und jetzt?“
„Wenn ich das wüsste, Narek. Tatsache ist, dass die dort drüben dem auf den Fersen sind. Und so langsam möchte ich gerne wissen, was sie vorhaben. Wissen sie, wem sie da auf den Fersen sind? Denn eines vermute ich ganz stark, mein Freund; der Herzog hat wohl wieder Geld und rührt sich. Wir sollten die Augen offen halten.“
Narek nickt langsam und beobachtet wie die Gefährten außer Sicht reiten. Er runzelt die Stirn, als sich aus einem kleinen Wäldchen zu seiner Rechten eine Gruppe von zerlumpten und dreckigen Reitern löst. Nach wenigen Sekunden weiß er schon was diese Gestalten vorhaben. „Du meinst wegen solchen Kerlen die Augen offen halten?“
Wetoq folgt seinem Blick und runzelt die Stirn. Als auch ihm klar ist, dass die Reiter den Gefährten offensichtlich folgen, nickt er langsam. „Genau das. Auch wenn das wohl wirklich nur arme Schlucker sind, die keine Lust mehr haben auf diese abscheuliche Arbeit. Ich kann sie verstehen.“
„Und was machen wir jetzt? Sie werden den anderen bestimmt einen Hinterhalt stellen wollen.“
Wetoq grinst. „Sollen sie doch mal versuchen. Kelg allein würde die ganze Bande wohl nicht einmal zum warm werden reichen. Dennoch. Das würde sie verzögern und wenn es Verwundete gibt, dann reiten sie womöglich nicht weiter, und ich mag zumindest irgendwann noch an ein Ziel kommen.“
Narek zieht die Augen zu Schlitzen zusammen und sieht Wetoq an. „Was hast du vor?“
Wetoq kratzt sich an seinem unrasierten Kinn. „Lass mich überlegen. Hm... Ich glaube das dürfte gehen. Sofern ich mich erinnere, befindet sich ein Hohlweg etwa einen Tagesritt von hier. Das wäre der perfekte Ort für einen Hinterhalt. Während die anderen durch den Hohlweg reiten, kann man bequem Steine von oben herab regnen lassen. Ich denke dort wird sich das Gesindel verschanzen.“
Narek nickt leicht. „Das klingt logisch.“
„Was bedeutet, dass wir vor ihnen dort ankommen sollten. Dann stellen wir die Falle und schon sind wir die Strauchdiebe los.“
„Und was wenn die Banditen nicht solange warten wollen?“
Wetoq rollt mit den Augen. „Was wenn, was wenn. Dann haben wir Pech gehabt.“
Narek runzelt die Stirn.
„Also gut“, Wetoq seufzt. „Du hast ja Recht. Also verfolgen wir sie erst mal unsererseits. Dann sehen wir weiter. Das ist viel zu kompliziert.“
„Kompliziert?“ Narek lacht. „Aber 20 Banditen zu zweit eine Falle stellen.“
„Es gibt nichts Einfacheres.“

Wetoq liegt auf dem Bauch und späht durch einen Busch. Vor ihm liegt in gut 1.000 Schritt Entfernung ein großes Lager. Lagerfeuer für eine kleine Armee sind entfacht, und um sie herum sieht man auch sehr viele Leute. Zunächst hatte er schon befürchtet, sie sind den Orks zu nahe gekommen, die die Gefährten verfolgen. Dann war die Überraschung aber viel größer, als es sich herausgestellt hat, dass das Lager von Angehörigen verschiedener Rassen bevölkert wird. Und noch mal überraschender, wenn nicht sogar ärgerlich, ist die Tatsache, dass die Gefährten sich in das Lager begeben haben. 'Es wird immer komplizierter. Können die nicht einfach daran vorbei reiten? Nein, sie müssen allem und jeden die Hände schütteln.' Wetoq muss sich aber auf der anderen Seite eingestehen, dass es ziemlich klug ist, die Nacht dort zu verbringen. Wenn er an Terbors Stelle wäre. Ungeduldig wartet Wetoq auf Nareks Rückkehr. Der junge Galater hat sich angeboten, die Banditen auszuhorchen. Zweifellos werden die ebenfalls angehalten haben und sich fragen, was sie nun tun sollen. Wetoq wünscht sich nicht zum ersten Mal, seit er hier wartet, dass er selber hätte gehen sollen. Nicht, dass er kein Vertrauen in Nareks Fähigkeiten hat. Vielmehr hasst er es, untätig herumzuliegen und warten zu müssen.
Ein leises Rascheln von seiner linken Seite sagt ihm, das Narek zurückkehrt. Geduckt nähert sich sein Freund und kauert neben ihm nieder. „Anfänger“, sagt Narek abfällig. „Sie haben Halt gemacht und beratschlagen sich. Ich konnte so nah herankommen, dass ich ohne Probleme ein Pferd hätte anfassen können.“
„Und was haben sie vor?“
„Sie werden weiterreiten. Und zwar genau dorthin, wo du gesagt hast. Zu diesem Hohlweg. Sie reiten die Nacht aber nicht durch. Drei Stunden wollen sie noch abreißen, dann Halt machen für die Nacht. Vor Sonnenaufgang brechen sie wieder auf. Drei Stunden reichen für einen guten Hinterhalt.“
Wetoq nickt leicht. „Was würdest du davon halten, wenn wir uns nicht lange aufhalten und ihnen einen kleinen nächtlichen Besuch abstatten?“
„Ich dachte du bist kein Mörder. Die Banditen im Schlaf abzuschlachten ist nicht gerade die feine Art.“
Wetoq grinst ihn an. „Wer sagt denn, dass wir sie im Schlaf abschlachten? Wir wecken sie vorher natürlich. Wenn jemand schnell genug ist, dann kann er vielleicht noch seine Waffe ziehen.“

„Bist du sicher, dass wir zwei das hinbekommen werden?“, flüstert Narek. „Es sind ziemlich viele.“
„Aber klar schaffen wir das“, antwortet Wetoq leise. „Wir machen es wie besprochen. Du umkreist das Lager und nimmst dir die andere Wache vor. Ich kümmere mich um die auf dieser Seite. Wenn die ausgeschaltet sind, dann rein ins Lager. Ich gebe dir fünf Minuten. Dann schleiche ich mich ins Lager.“
„Fünf Minuten sind nicht gerade viel“, erwidert Narek flüsternd.
Wetoq sagt leise: „Dann schleiche schneller. Ich mag wenigstens noch ein paar Stunden schlafen, bevor die Sonne wieder aufgeht.“
Narek nickt und dann macht er sich lautlos auf den Weg, das Lager der Banditen zu umrunden. Er hat ja schon immer gewusst, das Wetoq ein verwegener Mann ist, aber 20 Banditen zu überfallen, auch wenn die Überraschung auf ihrer Seite ist, grenzt schon an Wahnsinn. Stumm zählt er die Sekunden. Eine Minute ist schon vorbei und er hat noch einen weiten Weg vor sich. Er muss sich sputen, aber dabei so leise wie möglich sein. Wenn man unter Zeitdruck ist, ist es schwer, allen Zweigen aus dem Weg zu gehen. Wenigstens lärmt seine Ausrüstung nicht. Das Entklappern beherrscht er wirklich gut. Zwei Minuten. Er ist besser vorangekommen als er gedacht hat. Zwischen den Bäumen kann er die Wache sehen. Banditen. Stellen zwar zwei Wachen auf aber deren Radius beschränkt sich gerade mal auf den Bereich, den sie mit ausgestreckten Armen erreichen können. Drei Minuten. Woher kommt denn das Gebüsch? Sie hätten sich doch mehr Zeit nehmen sollen, um die Umgebung zu Erkunden. Narek nimmt den Umweg in Kauf. Vier Minuten. Jetzt wird es eng. Wo ist die Wache hin? Verdammt. Er huscht weiter und wäre beinahe mit dem Wachmann zusammen gestoßen. Der arme Mann starrt ihn an. Narek aber handelt einfach. Mit zwei Schritten ist er bei dem Kerl. Ein Griff, eine Drehung, auf der ein hässliches Knirschen folgt und Narek lässt den Toten lautlos zu Boden gleiten. Fünf Minuten. Gerade noch Rechtzeitig. Er huscht lautlos weiter, diesmal direkt in das Lager. Die Banditen liegen alle sehr nahe zusammen um das fast erloschene Feuer. Auf der anderen Seite erkennt er Wetoq, der sich langsam nähert. Sein Freund bleibt stehen und sieht zu den schlafenden Körpern. Dann hebt er seinen Kopf und sieht Narek direkt an. Er beginnt zu Grinsen und zieht sein Schwert. Narek tut es ihm gleich und das scharfe Geräusch, wenn Klingen aus den Scheiden gleiten ist für einen Moment das einzige Geräusch in dem Lager. Banditen wären keine Banditen wenn sie einen festen Schlaf hätten. Die Notwendigkeit stets fluchtbereit sein zu müssen, verleiht einen leichten Schlaf. Sogleich regen sich einige der Männer. In diesem Moment schlagen Wetoq und Narek zu. Wie zwei Berserker kommen sie über die Banditen. Narek achtet darauf, dass er nur diejenigen erschlägt, die auch eine Waffe in der Hand halten. Aber nach wenigen Sekunden verwirft er das wieder. Wenn ihn einer der Gesetzlosen festhalten kann, dann ist er so gut wie tot. Stahl dringt durch Kleidung und Fleisch. Durchtrennt Sehnen und Knochen. Die Schreie der Sterbenden oder tödlich Getroffenen hallen über den Lagerplatz.
So schnell wie es begonnen hat, endet es auch. Narek sieht sich schwer atmend um. Überall liegen Leichen herum. Er sieht Wetoq, der methodisch zwischen den Körpern herum geht.
„18“, verkündet Wetoq. „Wir haben alle erwischt.“
Narek nickt leicht. „Sollen wir sie wegschaffen?“
„Wozu? Lassen wir sie ruhig liegen. Vielleicht entdecken die Gefährten sie ja. Dann haben sie was zum Grübeln.“
„Willst du immer noch behaupten, dass du kein Mörder bist, Wetoq?“
„Sie hätten sich ja wehren können. Im Grunde ist alles nur eine Sache des Blickwinkels. Sieh es mal so. Es waren Gesetzlose. Wir haben der Gesellschaft einen Dienst getan.“
Narek lässt den Blick über die ärmlich in Lumpen gekleideten Strauchdiebe gleiten. Tagelöhner, denen ihre Verzweiflung in die Gesichter geschrieben steht. Narek ist sich nicht mehr ganz so sicher wie sein Freund.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Di 8. Feb 2011, 20:25, insgesamt 2-mal geändert.
Benutzeravatar
Thorn La Fahr
Ledain
Ledain
Beiträge: 3974
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 15:54
Wohnort: Lemurain
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

19.
Sie liebt den Geruch. Sie hat ihn schon immer geliebt. Und hier ist auch schon immer einer ihrer Lieblingsplätze gewesen. Hier im kleinen Hinterhof der Bäckerei des Schlosses hat Johinzahin schon immer zwei Leidenschaften frönen können. Zum einen den Geruch der frischen Honigküchlein genießen, die sie so sehr liebt. Zum anderen aber kann sie hier sitzen, ohne dass ihre Mutter, selbst wenn sie einmal vorbei käme, meckern würde, sie sei unschicklich gekleidet, denn in der Bäckerei arbeiten nur Frauen und das, seit Johinzahin denken kann.
Nur mit einem Oberkleid angetan, sitzt sie auf einer kleinen Bank. Kein Mieder und keine Unterröcke behindern sie oder bringen sie zum Schwitzen. Den Rocksaum hat sie bis über die Knie gezogen und genießt die warme Sonne nicht nur an ihren Schenkeln, sondern auch in ihrem Gesicht. Den Duft der Kuchen in ihrer Nase und die wundervolle Aussicht vor ihren Augen. Nicht nur die des Anwesens mit seinen Gärten, sondern auch ein ganzes Stück des Landes ihres Vaters. Die weiten Wiesen und Felder. Kleine Haine. Und sogar den See, in den sie als Kind so oft gefallen ist, kann sie im Sonnenlicht von hier aus glänzen sehen.
Bilder der Kindheit drängen sich ihr auf. Wie sie allein, mit ihrem Bruder, aber auch den Kindern der Bediensteten hier gespielt hat. Frei jeder Sorge und doch wohl behütet. Sie hat eine gute, eine schöne Kindheit verlebt. Das weiß sie jetzt. Und sie weiß, dass sie das ihren Eltern zu verdanken hat. Ein liebevolles Lächeln umspielt ihre Lippen, als sie in den Himmel hinauf sieht und dann seufzt.
Johinzahin streift sich eine widerspenstige Strähne ihres Haares aus dem Gesicht. Immer wieder fällt sie ihr kitzelnd auf die Haut, obwohl der Wind nicht der Rede wert ist. Aber das tat sie eigentlich schon immer, so dass sie die Bewegung ihrer Hand nicht einmal wahrnimmt. Ganz anders hingegen nimmt sie den kleinen Schatten wahr, der plötzlich in ihr Blickfeld sirrt. Ihr Mund klappt nach unten, als sie gegen die Sonne die kleine, geflügelte Gestalt sieht. Sie trägt einen winzigen Strohhut und eine Latzhose. Ihre Füße sind nackt und ihr wallendes, feuerrotes Haar quillt unter dem Strohhut hervor.
„Starr mich nicht so an, Süße, gerade du solltest wissen, dass das unhöflich ist!“
„Trischa?“
Die kleine Pixie wirft sich in Pose. Der Strohhut droht, vom Haar regelrecht weggesprengt zu werden, so dass die winzige Frau gezwungen ist, ihn unelegant zu retten. „Wie ich leib und lebe!“
„Trischa!“ Große, runde Tränen kullern Johinzahins Wangen hinab. Mit einer raschen Bewegung greift sie das kleine Feenwesen und drückt es sich an die Wange.
Trischas Flügel sirren wild. Sie ächzt und doch bedeckt sie Johinzahins Wange einen Moment mit den winzigen Küsschen ihrer Lippen. „Ich freu mich auch, dich zu sehen. Aber könntest du deine Freude etwas zügeln und mich nicht gleich umbringen?“
Die junge Adlige lässt Trischa sofort erschrocken los. Die Pixie sackt durch und landet im Schoß Johinzahins. „Danke schön!“ Dabei zieht Trischa den Strohhut fest über die wallenden Locken und sieht sich um. Sie blickt Johinzahin auf die Beine, pickst ihr mit einem Finger in den Bauch und sieht hinauf. „Du hast ganz schöne Krautstampfer bekommen, meine Liebe. Und ist das da Speck an deinen Hüften?“
Johinzahins Gesicht wird knallrot und empört ruft sie: „Bist du nur gekommen, um dich über mich auszulassen? Ich freu mich auch, dich zu sehen!“
Trischa legt sofort einen Finger über ihre Lippen. „Pssst! Sei etwas leiser! Wenn jetzt eine der Frauen aus der Bäckerei kommt und mich sieht, ist hier mehr los, als in eurem Hühnerstall!“
Johinzahin dreht rasch den Kopf. „Du hast recht. Vielleicht sollten wir einfach ein bisschen gehen.“
Trischa grinst breit. „Eine hervorragende Idee.“ Sie sirrt auf und setzt sich auf die Schulter der Freundin. „Wenn deine Mutter dich sieht, wird es Ärger geben. Du bist fast nackt – würde sie wohl sagen.“
Johinzahin winkt ab und steht auf. Auf den Garten des Schlosses zugehend, sagt sie: „Das ist mir jetzt gerade ganz furchtbar egal.“
„Na ja, stimmt auch wieder. Welcher Mann fühlt sich von Krautstampfern schon angezogen. Aber deinen Hintern würden wohl einige mögen.“
„Trischa!“
„Was denn? Du warst mal weniger!“
Johinzahin seufzt. „Mutter hat es nun einmal gar nicht gerne, wenn ich mit dem Schwert übe.“
„Dann beweg dich einfach so. Oder hast du beschlossen, schon mal zuzulegen und dir dann viele kleine Kinder machen zu lassen?“
„Trischa!“, ruft Johinzahin entsetzt aus, bis sich ihr Gesicht verschließt. „Können wir nicht über was Anderes reden? Zum Beispiel, warum du hergekommen bist?“
Die Pixie küsst die Prinzessin auf das Ohrläppchen. „Ich hatte Sehnsucht nach dir und wollte verhindern, dass deine Schenkel noch dicker werden.“
Johinzahin knurrt. „Du klingst schon wie meine Mutter!“
Trischa grinst. „Ich habe nicht vor, dich zu verheiraten.“
„Können wir nicht wirklich das Thema wechseln?“, seufzt Johinzahin.
„Nein, können wir nicht.“
Die Galaterin sieht erstaunt zu ihrer kleinen Freundin.
„Guck nicht so“, erwidert die Pixie. „Wir können wirklich nicht, denn ich muss wissen, woran ich bei dir bin, Josi. Oh... jetzt guck mich nicht wieder so an. Ich hab dir eben schon gesagt, dass das wenig höflich ist. Hast du dir schon mal überlegt, warum deine Mutter dich unter die Haube bringen will?“
„Es ist halt so. Ich bin eine Adlige und die werden nun einmal verheiratet.“
„Ach komm! Hältst du deine Mutter wirklich für so einfältig und kurzsichtig? Du willst nicht heiraten und Kinder bekommen, aber andrerseits tust du auch nichts, was deine Beine davon abhält immer strammer zu werden und dein Po sieht aus, als wolltest du ins Tavernengewerbe wechseln!“
„Trischa!“, ruft Johinzahin empört aus.
„Du solltest mal auf deinen Po gucken und dich erinnern. Und ich glaube, du weißt selbst, dass ich Recht habe. Und dass deine Mutter dich nicht gerne mit dem Schwert sieht, ist doch nur eine Ausrede. Du weißt selbst, dass es eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt, deinen Körper kräftig zu halten. Aber auch das nutzt du nicht. Du willst nicht heiraten, aber so bleiben, wie du warst, willst du offensichtlich auch nicht. Weißt du eigentlich, was du willst?
Deine Mutter ist willensstark und besorgt um dich, wie sie es immer war. Sie will das Beste für dich. Und meinst du wirklich, sie würde nicht sehen, dass du nicht weißt, was du willst? Josi, du solltest dich entscheiden und dann mit der Willensstärke, die du auch von ihr hast, ihr gegenüber treten. Dann wird sie dir auch deine Entscheidungen überlassen. Also jammer nicht über dein ach so tragisches Schicksal, sondern finde wieder zu dir selbst und werde wieder die starke, junge Frau, die ich kennengelernt habe! Deine Mutter will das Beste für dich. Aber im Moment würde auch ich sagen, dass das Beste für dich ein Sessel vor dem Kamin ist, ein Stickrahmen und eine Schar Kinder, die dich auf Trab halten.
Ja, Süße, dein Vater ist tot und ich kann den Schmerz in dir sehr gut verstehen. Aber auch deine Mutter leidet unter dem Verlust. Trotzdem hat sie nach einer Zeit der Trauer wieder ihr Leben in Angriff genommen und versucht, all das hier um dich herum am Laufen zu halten. Im Sinne deines Vaters. Glaubst du ernsthaft, dass dein Vater gewollt hätte, dass du in Gleichgültigkeit versinkst und das deine Trauer immer mehr und mehr zu Selbstmitleid wird? “
Johinzahin bleibt stehen und sieht Trischa mit offenem Mund an. Dann klappt sie die Kiefer knirschend zusammen und presst zwischen den Lippen hervor: „Das... ist direkt.“
Trischa grinst. „Natürlich ist es das. Du kennst mich. Aber vor allem verstehst du keine andere Sprache. Deine Mutter hat es jetzt seit Jahren durch die Blume versucht und es hat nicht wirklich geklappt.“
Die Galaterin holt tief Luft. „Also gut. Warum bist du wirklich hier? Warum willst du wissen, ob ich wieder... Verantwortung übernehmen kann? Und woher weißt du das mit meiner Mutter, dass sie mich verheiraten will? Hast du etwa in meinen Gedanken gelauscht?“
Trischa grinst noch breiter. „Na also... geht doch. So kenn ich dich. Ich fang mal mit dem Einfachen an. Ich hab nicht deine Gedanken belauscht, ich hab euch belauscht.“
Johinzahin sieht Trischa verblüfft an. „Wie?“
Die Pixie sieht sich um und deutet zu einer Blume. „Schmetterling.“
Johinzahin zieht die Nase niedlich kraus. „Moment. Du hast dich irgendwie in einen Schmetterling verwandelt und dann meine Mutter und mich beobachtet?“
„Ja!“
„Und du hieltest es nicht für nötig, dich mir zu offenbaren?“
„Ja!“
„Du bist ein Biest! Zwar winzig, aber doch ein Biest!“
„Ja!“
„Hast du eine Ahnung, wie sehr ich dich vermisst habe?“
„Ja – Moment! Braus nicht auf. Ich hatte furchtbar viel zu tun die letzten Jahre und ich weiß, dass du mich nicht weggelassen hättest. Und bevor ich Bekanntschaft mit einem geworfenen Kissen mache, habe ich mich für den Schmetterling entschieden.“
„Kissen?“ Johinzahin sieht ihre Freundin fragend an.
Trischa macht eine wegwerfende Handbewegung. „Nicht so wichtig.“
„Moment! Heißt das, dass du jetzt hier bleibst?“
„Ja!“
„Oh Trischa!“
Die Pixie surrt schnell auf und flüchtet vor der Hand der Galaterin.
„Bleib stehen, du Biest!“
„Nichts da! Das werd ich lieber von einem Kissen aus dem Himmel geholt, als in einer liebenden Hand zerquetscht zu werden!“
„Aber ich will dich doch nur küssen!“
„Das ist auch vollkommen in Ordnung, aber wenn dann küsse ich. Ist dir schon mal aufgefallen, dass ich recht klein bin?“
„Oh...“
„Ja! Oh...“
Johinzahin grinst, dreht Trischa die Wange hin und tippt sich darauf.
Trischa lacht auf, fliegt aber zu Johinzahins Nase und bedeckt sie mit vielen kleinen Küsschen, bis die Prinzessin kichert. Dann setzt das Feenwesen sich wieder auf die Schulter.
Johinzahin lächelt glücklich und wischt sich Tränen aus den Augen. „Und warum bleibst du jetzt?“
Trischa wird augenblicklich ernst. „Lass uns besser weiter gehen.“
Johinzahin sieht nachdenklich zur Freundin, setzt sich aber sofort wieder in Bewegung.
„Also, wo fange ich an“, sagt Trischa und tippt sich dabei mit einem winzigen Zeigefinger an die Lippen. „Du weißt, dass die Alten Völker diese Gestade verlassen.“
Johinzahin nickt. „Ja, ich weiß es und ich weiß auch warum. Ich hab erst vor einigen Wochen Triefenbach gesehen. Es war furchtbar.“
Trischa nickt. „Ja, das ist einer der Gründe. Aber jetzt ist es wohl wieder so weit, das auf uns Jagd gemacht wird. Elben, Zwerge, die Feenwesen und all jene von uns, für die ihr Galater manchmal nicht einmal Namen habt.“
„Was?“ Die junge Galaterin sieht Trischa entsetzt an.
„Ja. Du hörst richtig. Eigentlich wurde schon seit langer Zeit auf uns immer wieder Jagd gemacht. Aber jetzt wird es wirklich schlimm. Denn es ist organisiert und im großen Stil. Es gibt jemanden, der uns wirklich von dieser Welt getilgt sehen will.“
„Wer?“, fragt Johinzahin atemlos.
„Herzog von Weißenwolf.“
Die Prinzessin runzelt die Stirn. „Irgendwie scheint der Name mir etwas zu sagen. Aber ich weiß nicht, wo ich ihn hin packen soll.“
„Wundert mich nicht. Beides. Leider ist dein Vater tot. Er könnte dir einiges erzählen und ich fürchte, es wird Zeit, dass du ein bisschen was über die Vergangenheit deines Blutes weißt. Ich hoffe, er hat deiner Mutter so einiges erzählt und vielleicht auch noch deinem Bruder.“
„Aber du scheinst es doch auch zu wissen, warum sagst du es mir dann nicht einfach?“
„Ja, aber ich denke, es ist besser, wenn du versuchst, ihnen vorsichtig etwas zu entlocken. Ich kann es erzählen. Im Notfall. Würde es aber ungern tun. Es ist etwas sehr Persönliches.“
Johinzahin sieht Trischa an.
„Nein, versuch es erst gar nicht. Keine Kulleraugen, keine bebende Unterlippe. Erst, wenn es nicht anders geht. Du kannst das, also versuch es erst bei deiner Familie.“
Johinzahin seufzt. „Und wie soll ich anfangen?“
„Es geht ein paar Generationen zurück. Zeig dich endlich interessiert. Womit wir wieder bei dem wären, dass du deiner Mutter zeigen solltest, dass du auf eigenen Beinen stehen kannst.“
„Ja, ja. Du hast Recht und ich werde es tun. Aber was hat dieser Weißenwolf jetzt mit dir direkt zu tun und warum bist du deswegen hier?“
„Das ist eigentlich einfach. Er hat eine Armee um sich geschart und treibt die Alten Völker zur Flucht. Diesmal aber hat er auch all die Galater auf dem Kerbholz, die noch mit den Alten Völkern befreundet sind. Er macht keinen Unterschied und radiert alle aus, die sich gegen seine Meinung stellen oder gar erheben könnten. Es ist ihm egal, wer und wie viele getötet werden. Auch vor Frauen und Kindern macht er keinen Halt. Eher ist es so, dass er gerade Letztere dazu missbraucht jedweden Widerstand der Kämpfer zu brechen und sie seelisch zu töten, so dass der leibliche Tod als Erlösung angesehen wird.“ Trischas Blick verschleiert sich.
„Göttin!“, haucht Johinzahin.
Trischa nickt. „Es ist furchtbar. Ein See aus Blut bleibt hinter Weißenwolf zurück, wenn die Leute nicht fliehen oder sich ihm ganz und gar unterwerfen. Uns hingegen bleibt nur die Flucht oder der Tod. Und das Schlimme ist, seine Scharen sind letztendlich auf dem weg hier her.“
„Göttin!“, ruft Johinzahin entsetzt aus. „Dann müssen wir etwas tun! Ich muss alle warnen. Wir wollen hier doch nur in Frieden leben. Die Leute haben immer noch Kontakte zu den Elben in den Wäldern. Sie leben mit der Natur und in ihr. Aber was soll ich denn machen? Ich bin nur eine junge Frau! – Ach Göttin! Wäre doch nur Terbor hier! Er wüsste, was zu tun ist.“ Ein plötzlicher Funke der Hoffnung glimmt in Johinzahins Augen auf. „Ich werde ihm Nachricht schicken. Er wird kommen. Er muss kommen.“
Trischa hebt die Hände und lächelt sanft. „Ruhig, ganz ruhig. Weißenwolf steht noch nicht an den Grenzen dieses Landes, auch wenn seine Späher schon weit vorgedrungen sind und Erkunden. Was Terbor angeht. Dein Wunsch könnte in Erfüllung gehen. Ganz ohne Botschaft.“
Johinzahin sieht Trischa fragend an. „Wie?“
„Sie sind auf dem Weg. Und nicht mehr wirklich weit, aber sie haben da noch etwas zu erledigen. Sie werden vorbei kommen, denke ich. Wenn nicht, muss ich halt nachhelfen.“
„Sie kommen? Sie? Die anderen auch? Wann?“ Wieder kullern Tränen Johinzahins Wangen hinab, die vor Freude rot glühen und ihr ganzer Leib zittert.
Doch Trischa wirft nur die Arme in die Luft und hebt ihr kleines Gesichtchen gen Himmel. „Warum ich?“ Dann scheint sie zu lauschen. „Ja, ist ja schon gut!“ Sie sieht zu Johinzahin und sagt: „Ich dachte, nur Männer hören nicht zu. Da habe ich mich wohl geirrt. Ich habe doch gerade erst gesagt, dass sie zwar auf dem Weg sind, aber noch was zu tun haben. Ich weiß also nicht, wann sie kommen werden. Nur das sie kommen werden. Denn sie müssen kommen. Da hast du Recht.“
„Aber woher weißt du das alles?“
Trischa seufzt. „Auch das habe ich gesagt. Dass ich viel zu tun hatte, die letzten Jahre und nicht wirklich Zeit, länger bei dir zu bleiben, weil ich schlicht und ergreifend ständig unterwegs war.“
Johinzahin sieht ihre kleine Freundin mit hektischen Flecken im Gesicht an. „Dann weißt du auch, wie es ihnen geht. Was ihnen alles widerfahren ist in der Zeit, als wir uns getrennt haben. Jetzt spann mich doch nicht so sehr auf die Folter, Trischa. Erzähl schon! Meine Freunde kommen! Da will ich sie angemessen begrüßen, und es kann nicht schaden, wenn ich schon so einiges weiß.“
„Da spricht wohl eher eine seltsam übertriebene, natürliche Neugier“, murmelt Trischa. Dann seufzt sie und erklärt lapidar. „Nefrathi und Helofain haben das gemacht, was Elben so machen, wenn sie Zeit haben. Das versteht niemand außer Elben, aber das ist auch gut so. Ich musste ziemlich viel an ihren Träumen rumfuschen, dass sie sich wenigstens mal ein bisschen wieder in Bewegung setzten, aber sie haben es gemacht. Bin ich auch wirklich stolz drauf. Isondra und Terbor betreiben den Kräuterhandel. Sie werden übrigens Mama und Papa. Und sie versuchen Rewo möglichst aus Ärger zu halten. Klappt nicht immer, aber doch erstaunlich gut. Rewo hat die Gossenkinder unter seine Fittiche genommen und ich weiß nicht, ob das die größere Katastrophe ist, oder das er natürlich seine Freunde nicht allein lassen konnte. Kelg hat seinen Müßiggang abgelegt und war der Meinung, dann gleich mal mit Trollen wieder ins Abenteurerleben einsteigen zu müssen. Das Fell mag ja wirklich warm sein, aber ob es so schick ist, wie er sagt, ich weiß nicht. Über Geschmack lässt sich aber bekanntlich streiten. Aber er riecht etwas streng, weil er es nicht so recht gegerbt hat. Zascht hat sich verliebt, zumindest geübt, sich zu verlieben. Vicya sind darin nicht so gut, weißt du? Ziemlich viel Babies machen hat er mit Chri geübt. Darin ist er wohl besser. Zumindest Chri scheint dieser Meinung zu sein. Ich frage mich ja, ob da nun schwarze Katzen bei rauskommen würden oder Vicya mit Katzenaugen und Schwanz. Aber wo war ich? Ach ja, für Kalina, Adirië und Adorg lief es eine ganze Zeit nicht so gut. Ihre Eltern haben ihren Zirkus verloren, aber sie haben den mit Geld von Alathe und Elár zurückgekauft. Alathe ist übrigens auch schwanger und sie haben Elár entführt. Deswegen sind sie ja auch unterwegs.
Ja, ich denke, das war es dann so, was in den letzten Jahren passiert ist.“ Trischa grinst Johinzahin stolz ob ihrer Zusammenfassung an, wird aber von der Schulter der Prinzessin katapultiert, als diese wie vom Blitz getroffen stehen bleibt. Sirrend und fluchend fliegt Trischa vor das Gesicht Johinzahins. „Heee!“
„Was?“, schreit Johinzahin förmlich. „Das kann doch wohl nicht wahr sein! Da platzt du einfach in mein melancholisches Dasein, erzählst mir Horrorgeschichten und dann erdreistest du dich auch noch, das Leben meiner liebsten Freunde mal eben runter zu leiern, als sei es die Einkaufsliste des Senneschalls!“ Sie schlägt sich mit dem Handrücken der rechten Hand in die Linke. „Ich will Details! Sofort! Isondra schwanger! Alathe schwanger! Und was ist mit Kalina und Adorg? Da hast du gar nichts gesagt! Zascht verliebt! Und was ist das für eine schreckliche Nachricht, dass Elár entführt worden ist?“
Trischa seufzt. „Ich hab doch gesagt, dass ich jetzt hier bleibe und so wie Weißenwolf nicht an den Grenzen steht, werden auch unsere Freunde bestimmt nicht in 10 Minuten an deine Tür klopfen! Wir werden wirklich Zeit haben, uns in aller Ruhe zu unterhalten, Josi.“
„Das ist mir aber vollkommen egal, ob sie das machen oder nicht. Ich will alles wissen. Alles! Hörst du! Und das ganz genau und in Einzelheiten.“
Trischa verdreht die Augen und sagt bissig. „Du hättest ja Briefe schreiben können, anstatt in deinem eigenen Selbstmitleid zu versumpfen. Dann wüsstest du das Meiste... na ja... ein paar von ihnen waren schlecht zu erreichen. Oder gar nicht. Na gut, ich gebe zu, dass Briefe nicht so fruchtbar gewesen wären, aber du hättest es wenigstens versuchen können.“
„Ja, ja. Erzähl schon!“
„Mutter! Da lässt sie sich vier Jahre Zeit und will dann in fünf Minuten alles nachholen, was sie versäumt hat. Du bist schlimmer als Kelg!“
„Ja, ja. Erzähl schon!“ Dann blitzen Johinzahins Augen listig auf und schnurrend sagt sie: „Weißt du... wir könnten uns einfach ganz gemütlich unter einen Baum am See setzen und du erzählst einfach ganz von vorn. Natürlich erst, nachdem ich dir einen schönen, gebratenen Hühnerschenkel besorgt habe. Was meinst du?“
Trischas Augen beginnen umgehend gierig zu funkeln und sie schürzt die Lippen. Auf der Stelle dreht sie in der Luft. „Worauf wartest du noch?“
Johinzahin lächelt sehr zufrieden, rafft ihren Rock und läuft los. Zurück zum Schloss. Mit einer aufgeregt sirrenden Pixie an ihren Haarspitzen. Kurz bevor sie sich in einen Schmetterling wandelt, ist zu hören: „Du kleines, hinterhältiges Ding mit großem Po hast mich jetzt reingelegt oder?“
Benutzeravatar
Garbosch
Veteran
Veteran
Beiträge: 3230
Registriert: Do 5. Jun 2008, 19:24
Wohnort: Zwergengasse, Ahinjamuhr, Thrumumbahr.
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Garbosch »

20.
Terbor hockt, mit dem Rücken an einen Baum gelehnt und starrt in die Dunkelheit. Das Licht der Sterne beleuchtet schwach die Umgebung. Es ist eine jener Nächte, in der man meint mehr zu sehen, als eigentlich vorhanden ist. Der Galater sieht nach links und dann nach rechts. Er weiß, dass seine Freunde sich irgendwo versteckt halten, und da er sie nicht ausmachen kann, müssen es recht gute Verstecke sein. Er blickt wieder nach vorn, auf die allmählich kleiner werdenden Feuer der Orks. Seine Freunde und er haben einen Plan geschmiedet. Einen sehr einfachen Plan, der in der Hauptsache darauf beruht, dass sie Zascht bei sich haben. Die scherzhaft gemeinte Aussage Adiriës erwies sich als beste Möglichkeit. Terbor geht noch einmal alles in Gedanken durch. Zascht soll sich einfach ins Lager der Orks schleichen, Elár ausmachen und ihn dann schlicht und ergreifend mitnehmen. Terbor und die Anderen sollen dafür sorgen das Zascht mit Elár entkommen kann, falls der Vicya entdeckt werden würde. Terbor hofft inständig, dass das nicht der Fall sein würde. Die Orks wären zwar überrascht, aber immer noch in der Überzahl.
Soweit so gut. Wie es zu erwarten gewesen ist, ist der meiste Widerstand von Alathe gekommen. Nicht dass sie etwas dagegen gehabt hätte Elár zu befreien, nein, vielmehr hat ihr die weitere Vorgehensweise nicht gefallen. Sie hat nicht weiterziehen wollen, ohne es Ver heimzuzahlen. Adirië ist sofort an der Seite der Freundin gewesen und hat ihr zugestimmt. Terbor kann sie gut verstehen, aber das Wichtigste ist erst einmal, Elár außer Gefahr zu bringen. Dann kann man immer noch mit dem Bastard abrechnen. Außerdem ist sich Terbor sicher, dass es Alathe mehr schaden als nützen würde, wenn er zuließe, dass sie ihre Rache bekommt. Sie hat noch nie kaltblütig einen Mord begangen und Terbor ist der Meinung, dass sie das auch niemals machen sollte. Und dann ist da auch noch die Sache mit der Gerechtigkeit. Alathe soll Gerechtigkeit widerfahren. Dafür würde er, Terbor, schon sorgen. Bei der Göttin! Er würde am liebsten selber rüber laufen und dem Bastard den Kopf von den Schultern schlagen. Es war auch nicht sehr hilfreich als Zascht angeboten hat, im vorbeigehen, Ver die Kehle durch zu schneiden. Zascht wird tun, was man ihm gesagt hat und Alathe ist bei Kelg. Terbor hofft, dass der mäßigende Einfluss des Barbaren die Bardin davon abhalten wird, Dummheiten zu machen.
Der Galater versucht irgendetwas an den nur noch schwach brennenden Feuern auszumachen. 'Wo bist du Zascht? Wo?'

Der Vicya bewegt sich lautlos und unsichtbar durch die Nacht. Nur selten fällt das Licht der Sterne auf sein weißes Haar. Sein Körper, seine Gliedmaßen funktionieren von alleine. Kein Stock, kein Buschwerk entgeht des Vicyas Blick auf seinem Weg zu dem Orklager. Behände setzt er seine Füße auf den Erdboden. Kein Laut ist dabei zu hören. Früher, als er gerade neu an der Oberfläche gewesen ist, hat er erfahren müssen, wie viel Lärm das ganze grüne Zeug verursachet, wenn man sich darin nicht zu bewegen weiß. Seit er Terbor und die Anderen kennen gelernt hat, hat er sehr viel gelernt. Noch mehr, seit er bei den Mari, bei Chri lebt. Durch sie hat er Verständnis für die Wildnis bekommen und weiß jetzt um die Geheimnisse ein Teil von ihr zu werden. Darüber hinaus hat er Gefühle kennen gelernt, an die er früher nicht mal ansatzweise gedacht hat. Knackiger? Ja, sein Leben hat sich sehr verändert. Zum Guten.
Er kann zwei Wachtposten ausmachen. Anhand deren Bewegungen vermutet Zascht, dass beide innerhalb von 30 Minuten so Müde sind, dass sie nichts mehr mitbekommen werden. Der Vicya verharrt regungslos auf dem Bauch liegend und mustert die schlafenden Gestalten. Schon bald hat er Elár ausgemacht, der nahe bei einem der Feuer liegt. Dem Plan, den Terbor und die anderen sich ausgedacht haben, hatte Zascht natürlich zugestimmt. Es ist die einzig logische Möglichkeit ihn zu schicken, um Alathes Liebsten zu befreien. Von Anfang an ist Zascht bewusst gewesen, dass er die Lösung sein würde. Er hätte es auch erwähnt, wüsste er nicht, dass seine Freunde ihren Spaß daran haben, einfache Lösungen zunächst immer zu verkomplizieren.
Ein wenig muss er noch warten. So kann er es sich leisten, einen amüsierten Gedanken an Rewo zu verschwenden. Der Kaiap hat Zascht unbedingt helfen wollen. Er hat sogar schmollend mit dem Fuß aufgestampft und wieder und wieder lamentiert, dass er auch so leise sein kann, wie Zascht. Der Vicya muss zugeben, dass dies der Wahrheit entspricht. Rewo kann lautlos sein, wenn er will. Nur leider will er auch nie seinen lärmenden Sack zurücklassen. So hat Zascht dem Kaiap erzählen, dass, falls er entdeckt werden würde, er, Rewo, ihn mit seinem Cimtat decken müsste. Nur indem Kelg Rewo dessen Cimtat entwendet hat, hat verhindert werden können, dass der Kaiap schon mal probehalber seine Waffe wirbeln lässt, um dieses furchtbare Geräusch ertönen zu lassen.
Zascht sieht, dass der eine Wachtposten sich an einen Baum gelehnt hat und seine Brust sich gleichmäßig hebt und senkt. Ein kurzer Blick zu der anderen Wache sagt dem Vicya, dass dieser ebenfalls schon im Stehen schläft. Langsam und lautloser als es Katzen vermögen, setzt er sich in Bewegung. Eine einzige Unbekannte gibt es in dem Plan; in welchem Zustand sich Elár befindet. Zascht hat nur herausgefunden, das er noch am Leben ist, aber wie sehr geschunden, oder ob er überhaupt in der Lage ist zu laufen, das entzieht sich seiner Kenntnis. Manche Probleme können erst dann gelöst werden, wenn sie auftauchen. Leider liegen die Orks dicht gedrängt um Elár herum. Er hat zwar ein wenig mehr Freiraum, den er sich wohl erkämpft hat, um dem Gestank der Orks ein wenig zu entfliehen, aber mehr als zwei Schritt sind es auch nicht. Zascht bleibt nichts anderes übrig, als über diverse orkische Gliedmaße zu steigen. Eine einfache Übung. Nur der Rückweg dürfte sich schwieriger gestalten. Mit bedacht hat der Vicya einen Weg ausgewählt, der ihn nicht an Ver vorbeiführt. Zu groß ist die Versuchung, ihm im vorbeigehen einfach einen Dolch in ein Auge zu rammen.
Quälend langsam nähert er sich der schlafenden Gestalt Elárs. Erst als er neben ihm kniet, kommt Zascht ein weiteres Problem in den Sinn. Wenn jemand mitten in der Nacht aufgeweckt wird, und als erstes das Gesicht eines Vicyas sieht, dürfte dessen Freude nicht übermäßig groß sein. Zascht zuckt mit den Schultern. Dafür ist es jetzt auch zu spät. Er versucht ein freundliches Gesicht zu machen und mit einem Finger an seinen Lippen rüttelt er ganz sachte an Elárs Schulter.
Elár reißt sogleich die Augen auf. Als er den Vicya sieht, ist blankes Entsetzen in seinem Blick. Bevor er aber auch nur einen Laut von sich geben kann, zwinkert Zascht ihm zu. Schon oft hat der Vicya diese Geste bei seinen Freunden gesehen und offensichtlich wirkt sie wirklich beruhigend. Elárs Gesichtsausdruck verwandelt sich in grenzenlose Verblüffung. Zascht hält seinen Finger immer noch an die Lippen, zum Zeichen, das es ratsam wäre, ruhig zu sein. Er mustert Alathes Gefährten und stellt fest, dass er sich in guter Verfassung befindet. Mit den Augen deutet er Elár den Weg an, den er gekommen ist und zeigt dabei auf die schlafenden Orks. Elár nickt und gibt damit seine Bereitschaft kund. Zascht schleicht lautlos voran und Elár beweist, dass auch er sich so zu bewegen weiß. Als Zascht den Kreis der Orks verlassen hat, wirft er einen prüfenden Blick auf die beiden Wachtposten. Zufrieden bemerkt er, dass sich beide im tiefen Schlaf befinden. Er blickt zurück zu Elár und sieht, wie der Barde mit dem rechten Fuß auf eine Dolchscheide tritt. Er rutscht ab und kann nur mit einem Ausfallschritt verhindern, dass er über die schlafenden Orks stürzt. Doch das harte Aufsetzen des Fußes hat zwei Orks aus dem Schlaf gerissen. Zascht ist schnell, sehr schnell. Doch bevor er sich rühren kann hört er ein leises Surren, kurz gefolgt von einem zweiten. Zwei dumpfe Geräusche folgen dem Surren und der Vicya sieht, dass den beiden Orks je ein Pfeil aus der Stirn ragt. Er dreht den Kopf und aus seiner Deckung kommt Helofain hervor, mit in seinen Bogen eingenocktem Pfeil. Der Elb deutet mit einem Nicken an, das er ihren Rücken deckt. Zascht nimmt Elár am Arm und führt ihn leise weiter, gefolgt von Helofain. Aus den Schatten, zu Zaschts rechten, schält sich eine weitere schlanke Gestalt und sogleich erkennt er Nefrathi. Sie lächelt kurz, Zascht nickt, und zu viert machen sie sich auf den Weg zurück zu den Gefährten, als ob die Elben niemals von ihren Freunden getrennt gewesen sind.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Mi 2. Mär 2011, 20:37, insgesamt 2-mal geändert.
Benutzeravatar
Thorn La Fahr
Ledain
Ledain
Beiträge: 3974
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 15:54
Wohnort: Lemurain
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

Noch während Zascht sagt: „Ich war erfolgreich. Wir sollten trotzdem so schnell wie möglich ein gutes Stück Weg zwischen uns und die Orks bringen!“, fliegen sich Alathe und Elár in die Arme. Die beiden sinken in einen Strudel aus Küssen und Tränen, während sie sich wie Ertrinkende fest halten. Doch die Blicke der Gefährten liegen nicht auf dem im Freudentaumel liegenden Paar, sondern auf den beiden Elben, die ruhig neben Zascht stehen und die die Blicke der anderen mit stoisch zu nennender Ruhe erwidern. Der Vicya sieht zu seinen Begleitern. Und als ob ihm jetzt erst auffallen würde, dass sie dort stehen, sagt er: „Ich habe Nefrathi und Helofain im Lager der Orks getroffen. Helofain war eine große Hilfe. Er erschoss zwei Orks, die wach wurden.“ Zascht sieht zu Terbor. Sein Blick spiegelt die Hoffnung wider, dass das eigentlich genug der Erklärung sein müsste. Aber seine Hoffnung ist Vergebens. Die Gefährten starren die beiden Elben weiterhin an, bis Terbor plötzlich hervor platzt: „Wie bei der Göttin kommt ihr denn hier hin?“
Helofain sagt ruhig: „Da waren die Orks.“
Alle sehen Helofain an. Aber er spricht nicht weiter. Nur Zascht nickt zufrieden. Schon immer hat er es gemocht, dass sein Schüler auch kein Freund vieler Worte gewesen ist.
Terbor bedeckt seine Augen mit der rechten Hand und seufzt.
Nefrathi lächelt fein, streichelt ihrem Gefährten über den Arm und macht einen Schritt vor. Mit ihrer sanften Stimme sagt sie: „Die Späher der Sippe, der wir uns anschlossen vor drei Jahren, haben berichtet, dass eine Gruppe von Orks durch die Lande streifen würde. Die Beschreibung ihres Anführers und eines offensichtlichen Gefangenen kam uns zu bekannt vor, als das es ein Zufall hätte sein können. Also machten Helofain und ich uns auf, uns diese Orks und ihren Anführer einmal anzusehen. Wir haben sie schon die zweite Nacht beobachtet und wir hatten keinen Zweifel, dass der Anführer Ver sei und sein Gefangener Elár. Wir wollten Elár heute Nacht selbst befreien, als wir Zascht sahen und ihn erst einmal machen ließen und ja, jetzt sind wir hier. Aber Zascht hat Recht. Wir sollten wirklich etwas Raum zwischen die Orks und uns bringen. Dann können wir immer noch Weiteres besprechen.“ Helofain und Zascht sehen Nefrathi an und nicken. Erleichterung in den Gesichtern, dass sie noch einmal wiederholt, was sie beide doch schon längst gesagt haben.
Trotzdem wird der Aufbruch der nun um zwei angewachsenen Gruppe nicht gerade zu einem geregelten Rückzug. Zu sehr ist es gleichzeitig ein rasches Satteln der Pferde, ein herzliches Umarmen und Begrüßen und das stellen von Fragen, die dann doch nicht beantwortet werden können. Vor allem gestaltet es sich schwierig, Alathe und Elár auf Alathes Pferd zu bekommen, da die beiden einfach nicht voneinander lassen können. Nach einigen Flüchen, wohlgemeinten Beschimpfungen und beschwörenden Worten, bindet Kelg die beiden einfach mit einem Seil zusammen, verfrachtet sie auf das Pferd und bindet sie dort noch mal fest.
Adirië überlässt den beiden Elben ihr Pferd und gesellt sich zu Terbor auf sein Reittier. Endlich, nach gut 20 Minuten, setzen sich die Gefährten im Galopp in Bewegung. Immer die Straße entlang weiter in Richtung Westen. Keiner von ihnen vermag zu sagen, warum sie diese Richtung gewählt haben, anstatt zurück zu reiten, um wieder nach Bezacht zu kommen. Und doch geschieht es einfach, unabgesprochen und wie selbstverständlich.

Zwei Wegstunden später halten sie an einem kleinen Hain unlängst der Straße an. Endlich können sie dort einander so begrüßen, wie es sich für Freunde und Gefährten wie sie es sind sich geziemt. Außerdem nehmen auch Alathe und Elár an der Begrüßung mit Teil, denen bei dem scharfen Ritt durch die Nacht wieder Sinn in den Geist hinein getrieben wurde. Sie bilden einen Kreis, um die nötigsten Neuigkeiten auszutauschen, verzichten aber wohlweißlich auf ein Lagerfeuer. Nachdem Elár über seine grausame Zeit unter Vers Hand berichtet hat, fällt Schweigen über die Freunde und nur Alathes leises Schluchzen ist zu hören, die ihren Gefährten wieder fest in ihre Arme geschlossen hat.
Vielleicht, um die gedrückte Stimmung aufzuhellen, wendet sich Adirië an die beiden Elben und fragt mit einem Lächeln: „Und? Seid ihr beide endlich verheiratet?“
Nefrathi wendet sich der Freundin zu. „Natürlich heiraten wir und keiner von euch bekommt eine Einladung! Adirië, ich bitte dich!“
Die Galaterin lächelt freudig: „Na ja... wir waren unterwegs. Sie hätte uns nicht erreicht haben können.“
Nefrathi aber auch Helofain schütteln ihre Köpfe. „Nein“, sagt die Elbin. Dafür hätten wir schon Sorge getragen, dass euch die Einladung erreicht. Euch alle! Aber wir sind verlobt.“
Helofain nickt freudig und Zascht wirft beiden einen zufriedenen Blick zu.
„Aber die Zeit der Verlobung dauert bei uns Elben eine ganze Zeit. In gut zehn Jahren könnt ihr dann in etwa mit einer Einladung zu unserer Hochzeit rechnen.“
„Ui!“, wirft Rewo ein. „Dann hab ich ja noch viel Zeit für ein Geschenk.“
„Die hast du wirklich, Senf!“, sagt Kalina grinsend. „Ich freu mich so sehr für euch beide. Also ist bei euch alles gut?“
Helofain nickt. „Ja, die Liebe ist ein starkes Band zwischen uns beiden.“
Adorg grinst breit: „Oh! Wie habe ich das vermisst, solcher Art Worte zu hören!“
Die anderen lachen, bis auf Zascht und Nefrathi. Und Helofain wirft dem Spieler einen undeutbaren Blick zu. Adorg hebt die Hand. „Schon gut... es ist wirklich schön, euch wiederzusehen. Jetzt sind wir eigentlich fast wieder alle beisammen.“
„Das stimmt“, sagt Kelg. „Wieso sind wir eigentlich ohne Zögern nach Westen geritten? Anstatt zurück in den Osten. Zurück nach Bezacht.“
Terbor versteht seinen ältesten Freund. „Dimmentor muss ganz in der Nähe sein. Vielleicht deswegen. Irgendwie hat dort alles so richtig begonnen, findet ihr nicht auch? Vielleicht trieb es uns deswegen nach Westen.“
„Und nicht viel weiter nach Westen sind die Ländereien von Johinzahins Familie. Wenn, dann wäre das ja wohl der größte unterbewusste Antrieb. Und wo wir alle eh schon hier sind, wäre es mehr als angebracht, wenn wir ihr einen Besuch abstatten würden oder?“, sagt Nefrathi.
Mehr als nur ein zustimmendes Nicken folgt Nefrathis Worten. Adirië sagt: „Außerdem wissen wir nicht, wie die Orks und schon gar nicht, wie Ver reagieren werden, wenn sie herausfinden, dass wir Elár zurückgeklaut haben.“
Elár grinst schief, aber breit und erleichtert, als er Adiriës Wortwahl hört. Doch wird sein Gesicht von Alathes Hinterkopf verdeckt, die ihren Liebsten erneut stürmisch küsst. Offenbar nur, weil sein Name gefallen ist.
Adirië schüttelt grinsend den Kopf, als sie das sieht, wird dann aber umgehend wieder ernst und fährt fort. „In Dimmentor wären wir besser dran und noch mehr dann wohl bei Johinzahin. Bis dahin werden sich die Orks wohl kaum wagen. Vor allem, wo sie offensichtlich größere Ansiedlungen umgangen haben. Und selbst bei dem Einsiedlerhof hatte ich den Eindruck, als wäre es mehr ein Unfall gewesen, den Ver so gar nicht beabsichtigt hatte.“
Terbor nickt. „An deinen Worten ist etwas dran, Adirië. Wir machen es so. Also auf. Die Nacht ist noch nicht zu alt und schlafen können wir dann in Dimmentor. Bringen wir weiter Raum zwischen uns und Elárs Häschern! Und wenn wir Glück haben und Alathes und Elárs Lippen nicht eine dauerhafte Bindung eingegangen sind, kann er uns sagen, ob er nicht mitbekommen hat, was Vers Pläne waren.“
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Mo 7. Mär 2011, 22:37, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Thorn La Fahr
Ledain
Ledain
Beiträge: 3974
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 15:54
Wohnort: Lemurain
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

21.
Einmal mehr reibt Oriq von Wallau mit dem Ärmel seines Gambesons über die glänzend polierte Halsberge, um anschließend mit der Hand durch sein kurzgeschorenes, braunes Haar zu fahren. Der Hauptmann der Armee Herzog Weißenwolfs ist mittleren Alters und bietet in seiner Rüstung, dem am Heft reich verzierten Schwert, das in einem prächtigen Gehänge ruht und dem strahlenden, konisch geformten Helm, den er jetzt unter dem linken Arm trägt und dessen roter Federbusch hinter seinem Rücken leicht vom Wind bewegt wird, ein imposantes Bild. Stärke, Selbstsicherheit und auch ein Hauch von Arroganz geht von ihm aus. Das Gesicht ist kantig und hart. Ein ständiger Glanz liegt in seinen hellbraunen Augen, der aber keine Gefühlsregung zeigt. Eine fingerlange Narbe zieht sich quer über sein Kinn. Ein Andenken, das er aus seiner Jugendzeit zurückbehalten hat, als er noch die Kunst des Schwertkampfs erlernt hat.
Erneut lässt er den Blick durch das chaotische Lager gleiten. Ein Drecksloch, wie er es niemals zugelassen hätte. Auch nicht bei diesen Unterwesen, diesen Orks, die seine Reiterei zu einem Kreis zusammen getrieben hat wie Vieh. Und Vieh ist es, wie er die grünhäutigen, vor Angst schwitzenden und stinkenden Kreaturen nur bezeichnen kann. Auch wenn dieser Anblick ein kurzes, brutales Lächeln in seine Mundwinkel meißelt, kann Oriq immer noch nicht verstehen, wieso sein Lehnsherr auf diese Tiere als Bestandteil seiner Armee zurückgreifen kann. Diese Welt gehört den Galatern. Davon ist der Hauptmann überzeugt. Und nicht nur den Alten Völkern muss das endlich klar werden, sondern auch den Orks. Für die Alten Völker ist kein Platz mehr auf Galat. Aber auch nicht mehr für die Orks.
Platz auf dieser Welt ist aber auch nicht mehr für Halbblüter. Schon gar nicht für vollkommen verrückte Halbblute, wie jene erbärmliche Kreatur, die jetzt vor ihm steht. Sabbernd. Geifernd. Vollkommen dem Wahn anheimgefallen. Es scheint Oriq, als sei sogar Blut in den Speicheltropfen, die immer wieder seine Halsberge besudeln und die er immer wieder weg wischt. Kurz überlegt er, ob er diesem erbärmlichen Leben nicht ein Ende setzen soll. Hier und jetzt. Ein tragischer Unfall. So etwas geschieht. Gerade solchen, die Oriqs Vorstellungen von Disziplin nicht entsprechen. Oder eben solchen, die nicht seiner Vorstellung von persönlicher Stärke auch nur annähernd nahe kommen.
Kühl und ohne jede Emotion erhebt er zum dritten Mal die Stimme. „Ver, würde es Euch etwas ausmachen, endlich wie ein zivilisiertes Wesen zu sprechen? Ich verstehe kein Wort von dem, was Ihr mir hier entgegen spuckt. Ich habe Euch eine einfache Frage gestellt. Ich will eine einfache Antwort. Was macht Ihr hier? Ihr seid nicht einmal annähernd dort, wo der Herzog Euch hin ausgesandt hat. Und was redet Ihr von einem Geschenk?“
Doch wieder folgen nur Krächzlaute und sabberndes Gestammle. Mit energischen Schritten lässt der Hauptmann den vollkommen vom eigenen, blutigen Speichel besudelten Ver stehen, lässt ihn zurück in seiner eigenen Welt. Er geht zu dem Kreis von Orks. Seine Reiter bilden eine Gasse für den Galater. Hochmütig blickt er über die Orks hinweg und bellt: „Versteht einer von euch unsere Sprache und kann sie auch sprechen?“
In dem folgenden Geschubse schält sich rasch ein einzelner Ork heraus, der zu Oriq kommt und sich vor ihm auf den Waldboden schmeißt. Oriq gesteht sich ein, dass ihm diese Geste der Unterwürfigkeit gefällt und er sie von seinen Untergebenen nicht gewohnt ist. ‚Vielleicht ist es doch nicht so schlecht, dieses Vieh zu benutzen‘, geht es ihm kurz durch den Kopf, als der Ork mit gutturaler, aber doch deutlich verständlicher Stimme sagt: „Herr?“
Oriq macht keine Anstalten, den Ork aufstehen zu lassen. „Also gut, Scherge. Was macht ihr hier. Ihr solltet ganz woanders sein!“
„Führer Ver hat es so befohlen, Herr“, antwortet der Ork.
Oriq blickt kurz zu Ver und dann wieder zu dem Ork zu seinen Füßen. Die anderen Orks und selbst die Soldaten des Hauptmanns zucken furchtvoll zurück, als sie in das Gesicht Oriqs sehen. „Um was zu tun, Ork?“
„Er führte uns nach Westen. An den Städten vorbei. Im Osten liegt eine große Stadt.“
„Bezacht!“, fährt Oriq dem Ork ins Wort. „Ihr wart doch wohl nicht in Bezacht!“
„Nein, nein“, beschwichtigt der Ork schnell. „Er führte uns in den Wald nördlich der Stadt. Dort überfielen wir ein Gauklerpaar. Ein Weibchen und ein Mann.“
„Warum?“
„Das hat Führer Ver nie gesagt. Er murmelte immer nur was von Geschenk.“
Oriq runzelt. „Wohl ein Geschenk für sich selbst, was? Was geschah?“
„Wir nahmen Elár mit.“
„Das ist doch ein verfluchter elbischer Name. Zumindest klingt er so. Wollte euer Führer sich da etwa eine Gespielin jagen? Aber wieso so weit weg von eurem eigentlichen Auftragsgebiet.“
„Nicht das Weibchen, Gebieter“, sagt der Ork fast vorsichtig. „Ver selbst schlug das Weibchen nieder. Wir nahmen den Mann mit. Er wollte Elár für sich. Er sollte sein eigenes Geschenk sein. Aber er sprach davon, dass er sein Auftrag wäre.“
Der Galater starrt den Ork an und knurrt dann so gefährlich leise, dass die Orks und Soldaten noch mehr zurückweichen und so eher eine Birne bilden und nicht mehr einen Kreis. „Das ist abartig! Widernatürlich!“ Wieder wirft er Ver einen Blick zu. „Was geschah dann?“
„Wir sind querfeldein bis hier hin. Vielleicht wollte Führer Ver dorthin, wo uns der Hohe Gebieter hin schickte“, sagt der Ork und ist stolz auf sich, dass er das kleine Zwischenspiel am Bauernhof vergisst zu erzählen.
„Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wo ist dieser Elár? Ich habe keinen Elb gesehen, als wir euch hier heute Morgen fanden.“
„Er ist geflohen, Herr. Heute Nacht. Er muss befreit worden sein. Zwei von uns waren tot heute Morgen. Elbenpfeile steckten in ihnen.“
„Und was hatte dann Ver mit seinen Händen in den Gedärmen eines Orks zu suchen, als wir kamen?“
„Elár ist entkommen, Herr. Ver wollte uns nicht glauben. Er glaubte, wir hätten ihn gefressen. Er drohte uns, jeden aufzuschlitzen. Um Elár in uns zu suchen. Krukznach war der Erste. Er hat ihn aufgeschlitzt. Wir danken Euch, Gebieter. Ihr habt uns gerettet.“
Kurz fragt sich Oriq, wieso die Orks so einen Respekt vor einem eindeutig Verrückten haben und sich einzeln aufschlitzen lassen würden, doch er tut es mit der leichtesten Begründung ab. Es sind halt dumme, stinkende Orks. „Es war Zufall. Wir patrouillierten etwas außerhalb des festgelegten Gebietes, Ork.“
„Herr?“
„Was ist?“
„Sollen wir die Elben nicht verfolgen, Herr?“
Der Hauptmann winkt ab. „Wieso Kräfte an zwei Elben vergeuden. Sollen sie doch rennen. Wenn sie nicht schnell genug rennen, werden wir dieses Geschmeiß sowieso noch bekommen und sie dem geben, was sie so lieben – als Dünger – ihren Bäumen. Nein, wir werden des Herzogs Befehle nicht so sträflich missachten, wie euer Führer es tat und nur in unseren Gebieten bleiben, bis auf die Erkundungstrupps. Von dem ihr eigentlich auch einer wart.“
„Ja, Herr!“
Oriq nickt und strafft sich. Er hebt den Kopf. „Gut. Ork, du bist mir für deine Leute verantwortlich. Seht zu, dass das Lager hier abgebrochen wird. Ihr kommt mit uns zurück zum Quartier des Herzogs. Und verscharrt die Leichen.“
„Ja, Herr!“, sagt der Ork. Deutlich erleichtert. Weniger ob der neu gewonnenen Verantwortung, sondern viel mehr, das sein Kopf noch auf seinem Hals ruht. Er steht auf, wobei er es vermeidet, den Hauptmann anzusehen. Während die Soldaten den Wachkreis auflösen, grunzt der Ork Laute. Worte der harten, kehligen Sprache seines Volkes. Die Orks machen sich rasch daran, den Befehlen zu folgen.
Oriq aber winkt zwei der Soldaten zu sich und geht mit ihnen zurück zu Ver. Das Halbblut hat sich noch nicht gerührt. Er brabbelt noch immer spuckend Worte, die nur er selbst verstehen kann und von denen nur Geschenk und jetzt auch Elár für den Hauptmann verständlich sind. Trotzdem stellt Oriq sich stramm vor Ver und beginnt zu sprechen, als hätte er jemand ganz Normales vor sich. „Ver! Hiermit setzte ich Euch im Namen Eures eigenen Lehnsherrn fest. Die Anklage lautet auf: Befehlsverweigerung, Fahnenflucht und widernatürliche Unzucht mit einem Elben. Möge der Herzog Euch Eurer gerechten Strafe zuführen!“
Oriq ist klar, dass Ver ihn nicht verstanden hat. Deswegen blickt er auch den beiden Soldaten, die Ver bei den Achseln greifen und mit sich schleifen, nicht nach. Doch muss dem Gesetz, dem galatischen Gesetz, dem Gesetz seines Lehnsherrn, genüge geleistet werden. Trotzdem stellt sich ihm die Frage, wieso der Herzog jemanden wie Ver in seinen Dienst genommen hat. Noch sehr viel mehr, als die Frage um die Dienstbarkeit von Orks. Doch seine Gedanken werden unterbrochen, während die Soldaten Ver auf seinem Pferd festbinden, denn das Halbblut heult laut auf. „Terbor! Elár!“ Es liegt so viel Verzweiflung darin, dass selbst Oriq kurz zusammen zuckt. Doch dann grinst der Hauptmann einmal mehr kalt. „Terbor? Noch ein elbisches Männchen für dein Bett, Ver? Glaub mir... wenn es nach mir geht, wirst du nie wieder ein Bett sehen. Geschweige denn einen Gespielen!“
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Do 10. Mär 2011, 20:31, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Linisai La Ferenoria
Veteran
Veteran
Beiträge: 1303
Registriert: Sa 7. Jun 2008, 10:59
Wohnort: Lemurain/Albaron
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Linisai La Ferenoria »

„Das war ja wohl mehr als interessant.“ Nareks Stimme klingt in seinen eigenen Ohren seltsam rau. So viele Stunden haben er und Wetoq zusammen gekauert in dem Busch verbracht und sich nicht gerührt und dabei kein Wort gesprochen. Obwohl sie die ganze Nacht nicht ein Auge zugemacht haben, verspürt der junge Galater keine Müdigkeit. Einzig seine eingeschlafenen Glieder machen sich schmerzhaft bemerkbar. Mit ungelenken Bewegungen befreit er sich aus dem Unterholz und richtet sich auf. Nareks Gelenke knacken vernehmlich, als er sich streckt. Hinter sich hört er leise Wetoq lachen. „So ist das, wenn du erst einmal in mein Alter kommst.“ Der grobschlächtige Mann wendet sich ab und erleichtert sich in den Busch, in dem sie beide eben noch gelegen haben. Narek wendet sich ab und seufzt. „Ja, ja… wenn ich mich dann auch benehme, wie du, dann will ich lieber darauf verzichten, so alt wie du zu werden. Also, was meinst du? Das war doch wirklich mal interessant.“
Wetoq verschließt seine Hose wieder und wendet sich dem Gefährten zu. „War es und ich glaube, Terbor würde eine Menge für das geben, was wir gehört und gesehen haben. Irgendwie ist bei dem erbärmlichen Arenawächter immer was los. Ich frage mich wirklich, womit er das verdient hat.“
Narek wirft Wetoq einen schalen Blick zu. Der Söldnerhauptmann hat seine Worte ernst gemeint. Dessen ist Narek sich sicher. „Ich glaube, ihm wäre ein friedliches Leben viel wichtiger und lieber.“
„Dann soll er mit mir tauschen. Wenn er mir auch seine Leute lässt, würde ich mehr als gerne an seine Stelle treten“, sagt Wetoq grinsend.
„Dann lassen wir ihnen die Informationen also zukommen?“, sagt Narek eifrig.
Wetoq lacht auf. „Und wie stellst du dir das vor, mein junger Freund? Sollen wir einfach zu ihnen reiten und uns auf einen netten Plausch bei ihnen einladen, während uns die Frauen nur in Lendentüchern Tee und Weintrauben reichen?“
„Ja warum denn nicht? Auch wenn du dir das mit den Lendentüchern und wohl auch den Weintrauben aus dem Kopf schlagen solltest.“
„Bist du wirklich so dumm oder tust du nur so?“, knurrt Wetoq unwillig. „Die Leute kennen mich. Und wo jetzt die beiden Elben auch wieder bei ihnen sind, habe ich einen Pfeil im Auge stecken, sobald sie mich nur sehen und das wird sein, bevor wir sie sehen. Weißt du, wie lange es dauert, bis so ein Stück Holz aus einem rausgeeitert ist?“
„Na so schlimm wird es nicht sein.“
„Nicht so schlimm?“, ruft Wetoq lachend und doch ist keine Freude darin. „Viel schlimmer. Sie haben mich verdammt lang verfolgt und ich glaube nicht, dass sie so einiges, was dabei geschehen ist, einfach vergessen haben. Und selbst dich werden sie gesehen haben. Und sie werden gesehen haben, dass du nicht auf ihrer Seite gefochten hast.“
Narek schluckt leicht. „Aber du sagst selbst, dass bei ihnen was los ist und willst ihnen doch folgen.“
„Ja, aber wir müssen es geschickt anstellen. Der Vicya allein wäre für mich Grund genug, ihnen selbst bei Tageslicht nicht näher als 50 Schritt zu kommen, wenn es sich vermeiden lässt.“
„Allein wegen dem?“, fragt Narek erstaunt.
„Allein wegen ihm! Hast du heute Nacht nicht zugesehen? Ich hatte den Eindruck, du hättest nicht geschlafen.“
„Habe ich auch nicht und ich gebe zu, dass er wirklich gut war. Aber wenn die Elben nicht gekommen wären, hätte es auch anders ausgehen können.“
Wetoq lacht schrill. „Ja, es wäre erheblich mehr Blut geflossen. Aber bestimmt nicht das des Vicyas.“
Narek hebt die Brauen. „Du hältst so viel von ihm und seinem Können?“
„Ich habe es gesehen, Narek. Mehr als mir selbst lieb ist, ja.“
Narek schluckt und fragt verunsichert: „Und was können wir dann deiner Meinung nach tun?“
„Wir folgen ihnen weiter und warten auf eine günstige Gelegenheit.“ Wetoq geht ein paar Schritt auf und ab. Dann bleibt erstehen und sieht Narek eindringlich an. „Was ich jetzt sage, bleibt unter uns. Wenn das raus kommt, ist mein Ruf im Arsch.“
Narek kann ein Grinsen nicht unterdrücken. „Und auf was für eine glorreiche und Ruf vernichtende Idee ist mein oh würdiger Lehrmeister gekommen? Lass mich an deiner Genialität Teil haben.“
„Lass das!“, bellt Wetoq. „Ich kann mir einigermaßen denken, wo sie hin wollen. Das ist ein widerlich sauberes Land. Aber wenn Weißenwolf wirklich in der Nähe ist, werden wir sehr gute Gelegenheiten haben, gewisse Dinge zu tun, die Terbor und seinem Gefolge gefallen dürften. Wenn sie Angenehmes von uns hören, bevor sie uns sehen, könnte uns das behilflich sein, ein Treffen mit ihnen zu überleben. Anders kann es nicht gehen. Darauf verwette ich den dicken Arsch der Schankmaid in dem Loch in Bezacht, in dem wir gehaust haben.“
Narek lacht auf, nickt dann aber. „Die Idee ist wirklich gut und könnte funktionieren. Außerdem verspreche ich dir, niemals ein Wort zu sagen und immer zu behaupten, dass alles, was wir in Zukunft also tun werden, ganz aus Versehen geschah und es nie in unserer Absicht lag, anderen außer uns und unseren Geldsäckeln in die Hände zu spielen.“
Wetoq grinst. „Braver Junge!“
Narek verneigt sich spöttisch. „So wie du nicht den Vicya an deinem Fell hängen haben willst, will ich nicht, dass du mir auf die Pelle rückst. Aber sag mir, was du vermutest, wo sie hin wollen.“
„Es ist nicht mehr weit, bis zur Burg, wo ich lang für Fürst Malinquor gearbeitet habe. Also ist es auch nicht mehr weit, bis zu den Ländereien der von Geroteths. Jenen Ländereien, von denen ich eben sprach.“
„Aha“, sagt Narek.
Wetoq grinst. „Du wirst wohl da dein Blondchen wiedersehen können.“
Sämtliche Farbe entweicht aus Nareks Gesicht. Er schließt kurz die Augen, nur um eben jenes wunderschöne Gesicht vor sich zu sehen, dass ihn so lange in seinen Träumen verfolgt hat – und immer noch verfolgt. Er räuspert sich und wendet sich rasch von Wetoq ab.
Mit gehässigem Unterton sagt Wetoq: „Ich wusste doch, dass dir das gefallen würde. Du bist der Kleinen ja eh verfallen.“
„Ist gar nicht wahr!“, knurrt Narek.
„Soll ich die Titten der Schankmaid auch noch verwetten?“
„Mach doch, was du willst!“, sagt Narek rau.
Wetoq lacht und geht zu Narek. Er legt ihm freundschaftlich den Arm um die Schulter. „Warum so brummig. Ich weiß doch, dass du dich in sie verliebt hast, obwohl du sie nur ein paar Augenblicke gesehen hast und sie nicht mal flach legen konntest, um zu wissen, was du wirklich an ihr hättest.“
„Sprich nicht über sie, als sei sie eine Hure“, knurrt Narek.
„Oh, oh… ja Herr Ritter und Streiter für die Ehre der Kleinen.“
„Mach dich nicht lustig über mich, Wetoq!“, sagt Narek gefährlich leise.
Doch Wetoq lacht. „Ich mach mir nur sorgen um dich. Sie ist eine Adlige und du bist ein mittelmäßiger Söldnerhauptmann.“
Narek schnauft beleidigt.
„Na gut“, sagt Wetoq. „Mittelmäßiger Söldnerhauptmann mit Potential und Ambition.
Narek knurrt.
Wetoq grinst. „Junge! Von ihr Träumen ist ja das eine… aber denk doch mal nach. Du wirst nie ihre heißen Schenkel spüren können, nie an ihren zarten, weichen Brüsten knabbern können und nie werden sich ihre Lippen mit deinen messen. Auch wenn das bestimmt toll wäre, denn sie muss wie Milch und Honig schmecken, so wie sie aussieht.“
Narek knurrt lauter.
„Junge, ich will dich wirklich nur vor einer riesen Dummheit bewahren. Das kann nicht gut ausgehen.“
„Das lass mal meine Sorge sein.“
„Na besser nicht. Wenn man dich nur an sie erinnert, wird dein Verstand ausgeschaltet. Das erschreckende daran ist, dass er dir dann nicht mal in das Klappmesser in deiner Hose rutscht. Das ist bedenklich. Das riecht gefährlich nach richtiger Liebe und die hat bekanntlich noch nie zu was Gutem geführt. Schon gar nicht bei den Männern des Schwertes, wie wir beide es sind.“
„Ja, ja… ich kenne deine Meinung und ich weiß, was du tust, damit du auch ja nicht in die Verlegenheit kommst, dich jemals zu verlieben.“
Wetoq lacht. „Dann bin ich beruhigt. Mein Ruf! Du weißt.“
Narek seufzt. „Ja, ich weiß.“
Der ältere Galater mustert den Jüngeren und sagt dann. „Na gut. Lass uns zurück zu den Pferden. Nicht, dass die sich gegenseitig aufgefressen haben, als wir hier zur Nichtstuerei verdammt waren. Lass uns Terbor und den anderen folgen.“
„Das ist doch tatsächlich etwas Gutes aus deinem Munde. Ich bin erstaunt, Wetoq.“
Der Söldnerhauptmann lacht und mit Narek an seiner Seite gehen sie zurück zu der Stelle, wo sie die Pferde zurück gelassen hatten. Dabei will ein liebliches Gesicht, das von goldenem Haar umrahmt wird, nicht aus Nareks Gedanken weichen.
Benutzeravatar
Thorn La Fahr
Ledain
Ledain
Beiträge: 3974
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 15:54
Wohnort: Lemurain
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

22.
Die Gefährten reiten in das Dorf hinein. Nichts hat sich in Dimmentor verändert, als sie hier vor fünf Jahren nach der Befreiung von Johinzahin gelagert und bevor sie die Verfolgung von Fürst Malinquor aufgenommen haben. Hier und da hat ein Haus einen neuen Anstrich oder auch ein neues Dach bekommen, aber die Häuser sind die Selben. Der Marktplatz ist weiterhin der Treffpunkt der Bewohner und selbst die neugierigen Blicke, die die Truppe um Terbor treffen, haben sich nicht verändert. Kinder laufen ihnen schon seit dem Dorfrand hinterher und schreien dabei fröhlich durcheinander.
Selbst die Sonne erhellt mit ihren warmen Strahlen die Wiederkehr. Nicht nur für Terbor fühlt es sich an, wie das Zurückkommen an einen vertrauten Ort, auch wenn sie sich nicht lange dort aufgehalten haben.
„Hier hatte ich einen wundervollen Auftritt“, sagt Alathe zu Elár, die vor ihm auf dem Sattel sitzt. Sie hat sich an ihn geschmiegt und die Arme um ihn geschlungen, als wolle sie ihn nie wieder los lassen.
„Es war ein guter Abend“, bestätigt sie Helofain. Auch wenn dessen Mimik nicht auf seine Worte zurück schließen lässt.
Rewo wühlt in seinem Sack und holt einen Geldbeutel hervor. „Welch glücklicher Zufall! Den hab ich damals hier gefunden. Aber ich wusste ja nicht, wem er gehört. Vielleicht finde ich ja seinen Besitzer und kann ihn zurück geben.“
Kalina verdreht die Augen und nur ihre zu weit entfernte Position vor Adorg verhindert, dass sie dem Kaiap einen Schlag auf den Hinterkopf verpasst. „Kann man dich eigentlich nicht auch nur einen Lidschlag aus den Augen lassen, ohne dass du irgendwas anstellst, Senf?“
Rewo sieht die Zwergin beleidigt an. „Was denn? Ich hab ihn gefunden! Und stell dir nur mal vor, jemand Gemeines hätte den Beutel gefunden! Der hätte das schöne Geld bestimmt alles ausgegeben.“ Er schüttelt den Beutel hin und her und das Klimpern sich der darin befindenden Münzen, ist klar und hell zu hören.
„So kannst du ihm nicht kommen, Kalina. Das solltest du wirklich wissen“, sagt Adorg sanft und tätschelt den Helm seiner Liebsten.
Kalina dreht den Kopf zu ihm, gibt ein paar grummelnde Laute von sich und starrt einfach geradeaus. Adirië lacht auf und gibt ihrem Pferd die Fersen und reitet nach vorn an die Spitze, zu Terbor und Kelg.
Viel ernster fragt sie die beiden: „Habt ihr auch die Schanzen gesehen und die alten Fuhrwerke, mit denen sie die Straßen versperren könnten? Ich habe nicht das Gefühl, dass unsere Nachricht über marodierende Orks für die Bauern hier eine Neuigkeit sein dürfte.“
Terbor nickt. „Ja, ist mir auch aufgefallen. Aber es standen auch keine Wachen dabei. Also ist es wohl nicht allzu akut und alles wirkte auf mich, als hätten die Leute sich Mühe gegeben, ihr Verteidigungswerk eher zufällig aussehen zu lassen.“
„Es sind Bauern und Bauern geraten schon in Panik, wenn sie nur ein Gerücht hören“, wirft Kelg ein.
„Das mag schon stimmen“, sagt Adirië. „Die Frage ist, ob wir den Gerüchten wahre Worte folgen lassen sollten oder auch eher bei Andeutungen bleiben?“
„Ich würde sagen, wir schicken Zascht und Helofain heute Nacht aus. Sie sollen nachsehen, ob die Orks uns folgen. Und wenn sie es nicht machen, dann sollten wir die Bauern hier nicht noch mehr verängstigen. Vielleicht sind Ver und seine Orks uns doch nicht gefolgt“, sagt Terbor.
„Quartieren wir uns also wieder in der Dorfschenke ein? Wie beim letzten Mal?“, fragt die junge Gefährtin.
Terbor nickt erneut. „Es war ein gutes Gasthaus. Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Außerdem können wir alle eine oder zwei Nächte in einem richtigen Bett vertragen.“
„Und ein Bad!“, sagt Nefrathi, die hinten ihnen reitet. „Ihr... riecht, um es mal gelinde auszudrücken. Wäre Trischa bei euch gewesen, hätte sie es niemals zugelassen, dass ihr eure Körperhygiene so gehen lassen würdet.“
Kelg dreht den Kopf. „Wir waren ein wenig in Eile.“
„Ja, das ist mir bewusst. Aber wenn es keine Orks gewesen wären, hätte man euch eine Wegstunde gegen den Wind riechen können. Eile ist nicht immer alles, Kelg.“ Die Stimme der Elbin hat einen nicht zu unterschätzenden, ironischen Ton.
Kelg aber grinst nur breit. „Na so schlimm wird es schon nicht so sein. Männer müssen riechen.“
„Männer vielleicht. Aber keine Frauen und auch keine Männer, die mit Frauen reiten. Ich für meinen Teil bin wirklich froh, dass ich auf dem Ritt nicht erstunken bin!“
Adirië lässt sich zu ihrer Freundin zurück fallen. „Aber so schlimm ist es doch wohl wirklich nicht. Ich bin eine Frau und ich rieche nur ein bisschen beißenden Geruch, der von den Kerlen ausgeht.“
„Das wird an der Wolke deines eigenen Geruchs liegen, die dich umgibt, Adirië“, sagt Nefrathi spitz.
Die Galaterin lacht fröhlich, beugt sich im Sattel zu der Elbin und gibt ihr einen dicken Schmatzer auf die Wange. „Ich hab dich vermisst. Selbst deine ach so aufbauenden, liebenswürdigen Worte habe ich vermisst.“
Nefrathi sieht Adirië ein wenig perplex an. Dann huscht doch ein scheues Lächeln über ihr Gesicht und sie sagt: „Ja, ich habe euch auch vermisst. Es ist einfach nicht genug, immer nur den eigenen Liebsten zu Recht weisen zu können.“
Die beiden Frauen lachen.

Vor der Dorfschenke steigt Terbor von seinem Rappen. Das Tier funkelt Terbor an und versucht ihn zu beißen. Mit einem schnellen Klaps ans Maul unterbindet Terbor das Tier. „Untersteh dich!“ Die Augen des Tiers funkeln weiter, aber es bleibt ruhig und stolz stehen. Fast schon zu stolz. Terbor schüttelt den Kopf und sieht zu seinen Gefährten. „Alathe? Kommst du bitte? Ich denke, es ist am besten, wenn wir beide hinein gehen und mit dem Wirt reden.“
Die Bardin rutscht aus dem Sattel vor Elár und geht zu Terbor, wobei sie sich die Kleidung und das Haar richtet. „Aber natürlich doch.“ Sie blickt zu Adirië. „Pass mir gut auf Elár auf.“
„Wie gut?“, fragt Adirië keck.
Alathes Wangen erröten leicht. „So gut auch wieder nicht. Er soll mir nur nicht wieder abhandenkommen.“
„Du machst dir ein bisschen zu viele Sorgen, Alathe“, sagt Terbor und legt den Arm um ihre Schultern.
Die Bardin lächelt schief. „Ist ja nicht so, als hätte ich nicht jeden Grund dazu.“
Kelg steigt ebenfalls von seinem Pferd. Dieses wirkt auf seltsame Art erleichtert und es scheint, als würde es den Rücken strecken. „Du machst dich verrückt. Es ist vorbei. Du kannst wieder normal werden.“
„Da gebe ich Kelg Recht“, sagt Adirië.
Alathe seufzt. „Ich werde mich bemühen.“
„Mehr wollen wir auch gar nicht“, sagt Terbor lächelnd und zieht sie dann zum Eingang der Schenke.
Als sie beide in der Schank stehen, sehen sie, dass auch hier sich nichts gegenüber ihrem Aufenthalt verändert hat. Selbst die Tische und Bänke stehen noch so, wie sie es in Erinnerung haben. Da es noch nicht einmal Mittag ist, befinden sich nur ein paar Alte in der Schank, die sich mit Geschichten ihrer Jugend und Würfelspielen gegenseitig unterhalten.
Terbor nimmt wieder den Arm von Alathe und gemeinsam gehen sie zur Theke. Vorbei an Schankmaiden und Knechten, die den Boden und die Tische schrubben, den Kamin von Asche befreien. Neues Holz liegt schon bereit, am Abend Wärme in dem großen Raum zu verbreiten. Es riecht nach Seife und Holz, aber auch nach altem Rauch und Bier. Ein Geruch, den man niemals ganz aus einer Taverne vertreiben kann, wenn sie nicht gerade neu errichtet worden ist.
Hinter der Theke steht der Wirt und schon bevor sie den breiten Ausschank erreichen, blitzt das Erkennen in den Augen des massigen Mannes auf. „Ihr! Bei der Göttin! Es ist ein paar Jahre her, aber euch werde ich nicht vergessen. Vor allem Euch nicht, meine Dame!“ Er verneigt sich tief, was bei dem Mann nicht einmal vollkommen lächerlich wirkt.
Alathe setzt ihr strahlenstes Lächeln auf, was ihr dank der vorhergehenden Worte des Wirtes nicht schwer fällt. „Wir sind wieder da, guter Mann. Ihr habt Recht. Und wieder bitten wir für uns und unsere Gefährten um Kost und Unterkunft für...“ Sie sieht fragend zu Terbor.
„Ein oder zwei Nächte“, sagt der Galater mit einem Schmunzeln.
Der Wirt klatscht begeistert in die die Hände. „Wie viele seid ihr denn?“
„Zehn“, antwortet Terbor.
„Das ist überhaupt kein Problem. Derag! Toriak! Eilt nach draußen und helft den Herrschaften!“, ruft der Wirt. Schon hören zwei Knechte mit dem Putzen auf und eilen zur Schanktür.
„Wir haben auch Pferde“, ruft Terbor schnell aus.
„Und versorgt die Pferde der Herrschaften und bringt deren Gepäck zu den Räumen!“, brüllt der Wirt den beiden Männern hinterher, die ohne zu stoppen aus der Schank eilen.
„Danke!“, sagt Terbor mit einem Grinsen.
„Für meine Gäste tu ich alles, mein Herr.“ Sein Blick aber wandert schon zu Alathe weiter. Er wringt das Handtuch, mit dem er eben noch Krüge geputzt hat in seinen Pranken. „Darf ich hoffen, meine Dame, dass Ihr uns heute Abend ein wenig Eurer Kunst vorführen werdet? Wie damals? Ein Abend, über den übrigens heute noch im Dorf gesprochen wird.“
Alathe strahlt, als wolle sie die Sonne verblassen lassen. „Ich dachte, Ihr würdet schon nicht mehr fragen, guter Mann!“
Terbor ist beeindruckt. Alathe hat den Wirt jetzt in ihrer Hand. Das ist zu sehen und noch mehr zu fühlen.
Der Wirt klatscht wieder begeistert in die Hände. „Wenn Ihr irgendetwas braucht, dann lasst es mich wissen. Und natürlich geht Euer Essen, Euer aller Essen heute Abend auf mich.“
Alathe verneigt sich gekonnt. „Ich werde es Euch danken, guter Mann. Seid Euch versichert!“

Kalina sieht Derag neugierig zu, wie er die Pferde versorgt. Als die Tiere die Köpfe zufrieden in die Tröge mit Hafer gesteckt haben, überprüft er die Hufe und säubert sie. Dabei lässt er sich nicht von Kalina stören, blickt aber freundlich auf, als sie ihn anspricht. „Das Eisen sieht nicht gut aus. Da müsste wohl ein Neues hin.“
Derag antwortet ihr mit Bedauern in der der Stimme. „Ja, sehe ich auch. Aber wir können daran leider nichts ändern. Wir haben im Dorf keinen eigenen Schmied. Er ist vor fünf Jahren bei der Belagerung von Fürst Malinquors Burg gefallen und seitdem hat sich niemand Neues hier nieder gelassen. Der Hofschmied von den Geroteths zieht regelmäßig jetzt zu den Dörfern und schmiedet den Leuten, was sie brauchen.“
Kalina nickt leicht. „Ja, ich war bei der Belagerung dabei. Hm, habt ihr hier denn noch eine Esse? Eine kleine Schmiede?“
Der Knecht richtet sich auf und deutet auf einen kleinen, zugesperrten Schuppen im Hinterhof der Taverne. „Ja, haben wir und wenn es um Nägel geht, dann macht der Chef die auch selbst. Sie sind zwar krumm und schief. Aber wenn man einen Nagel braucht, dann braucht man ihn halt in dem Moment und nicht erst Tage oder gar Wochen später.“
Die Zwergin grinst. „Weißt du... ich bin eine Zwergin... fällt dir dazu was ein?“
Derag sieht Kalina an und ein Gesicht hellt sich auf. „Würdest du wirklich?“
Kalina nimmt den Helm vom Kopf und grinst noch breiter. „Ja, ich würde. Wenn du mir eure Schmiede aufsperrst und mir zeigst, wo ich Kohle und all die Kleinigkeiten finde, die zum schmieden notwendig sind. Dann mach ich neue Eisen für unsere Tiere, aber auch ein paar gerade Nägel für die Schenke.“
Begeistert klatscht Derag in die Hände und flitzt los. Kalina folgt ihm. Aber erheblich gemesseneren Schrittes. Auf halben Weg stoppt der Knecht abrupt und dreht sich zu Kalina um. „Würdest du vielleicht auch das ein oder andere Werkzeug reparieren? Den Bauern geht doch immer wieder was kaputt.“
„Das kann ich wohl tun. Unter der Voraussetzung, dass du für Bier und was zu beißen sorgst. Oder die Bauern. Das ist mir egal.“
Derag lacht auf. „Das lässt sich einrichten. Mit Sicherheit!“
Und nachdem der Schuppen geöffnet und die kleine Esse in Betrieb genommen ist, hallt alsbald das helle Klingen eines regelmäßig und gekonnt geschwungenen Schmiedehammers über den Innenhof der Taverne. Nicht mal eine Stunde später bildet sich dort eine langsam anwachsende Schlange von Dorfbewohner. Männer wie Frauen. In den Händen schartige Feldwerkzeuge oder Kuchengerät, das der Ausbesserung bedarf. Ein jeder hat einen kleinen Korb mit Naturalien dabei, so dass Kalinas leibliches Wohl mehr als nur sicher gestellt ist. Tatsächlich türmen sich bald schon Bier-, Wein- und Saftschläuche, Wurstrollen, Käseviertel und Brote, auf dass die Gefährten über Wochen mit Proviant versorgt sind. Schlussendlich bleibt Kalina gar nichts anderes übrig, als die Dorfbewohner einzuladen, einiges des Mitgebrachten gleich an Ort und Stelle wieder zu verspeisen.
In späteren Jahren wird Kalina nicht müde, von diesem Tag als eine der besten Schmiedefeiern zu sprechen, die sie je in ihrem Leben erlebt hat.

Alathe und Adirië genießen das heiße Wasser um sich und spritzen sich gegenseitig mit dem wohligen Nass träge an. Die Frauen kichern immer wieder. Sie fühlen sich wieder sauber und sicher. Schaumberge zieren ihre Köpfe und ein ganzes Sammelsurium von Bürsten und Schwämmen schwimmt im Badewasser.
„Warum sitzt du eigentlich mit mir im Zuber und nicht mit Elár? Ich glaube, seinen Blick werde ich nie vergessen, als du ihn zusammen mit Kelg in den Zuber geschickt hast.“
„Ein bisschen Strafe muss sein.“
„Strafe für was?“, fragt Adirië erstaunt.
„Na, ist doch klar. Er hat sich doch entführen lassen und nicht ich. Immer muss man auf die Kerle aufpassen. Und so zeige ich ihm, dass ich das gar nicht amüsant fand. Nur ein bisschen versteht sich. Heute Nacht darf er dann ganz doll lieb zu mir sein.“
Adirië starrt die Freundin an. „Ehm... ich hab eben noch nachgesehen. Ich bin eine Frau und ich sollte andere Frauen ja durchaus verstehen. Aber das ist jetzt zu hoch für mich. Tagelang bist du auf der Kante zum Nervenzusammenbruch und jetzt... bestrafst du Elár dafür, dass er entführt wurde?“
„Ja genau“, sagt Alathe trocken.
Adirië lacht schallend auf. „Du bist ein elendes Biest! Weißt du das?“
Alathe lächelt. So lieblich und zart, dass selbst Adirië das Herz kurz stockt und sie sich zusammen reißen muss. Bis die Bardin sagt: „Ja natürlich! Das gehört dazu. Ich kann singen, ich kann tanzen, ich sehe umwerfend gut aus und wenn ich dann nicht auch noch ein Biest wäre, würde man mich einfach nicht ernst nehmen. Ein Biest zu sein ist alles, aber nicht einfach. Es ist eine Kunst wie das Siturmaspiel. Und deswegen muss es immer und immer wieder geübt werden, sonst kann ich mein Niveau einfach nicht halten.“
„Du bist einfach unmöglich, Alathe!“ Adirië beugt sich vor, greift die grazile Bardin bei den Schultern und dreht sie um. „Lass dir die Haare auswaschen... das ist ja wirklich unfassbar. Wo ist das liebe Mädchen, das ich kennen gelernt habe.“
Alathe lächelt sanft. „Irgendwo auf der Strecke geblieben auf unseren Reisen, aber irgendwo auch noch immer tief in mir drin. Bist du so lieb und flichtst mir ein paar Zöpfe? Die elbische Art? Das würde gut passen zu dem, was ich mir für Elárs und meinem Auftritt heute Abend ausgedacht habe.“
„Wie du es befiehlst, oh Schönste der Schönen!“
Alathe lacht. „Siehst du? Selbst bei dir funktioniert es!“
Nach diesem Kommentar wird der Boden des Zuberraums ziemlich nass, als die beiden Frauen miteinander verspielt im Zuber zu ringen beginnen und sich so das Auswaschen des Haarschaums wie von allein erledigt.

„Bist du nicht ein bisschen jung, mit so einer Schar mitzureiten?“, fragt der flachsblonde, hochaufgeschossene, aber spargeldünne Junge Rewo. Er steht in vorderster Front von einem guten Dutzend Kinder im Alter von sechs bis wohl etwa dreizehn oder vierzehn und ist eindeutig deren Anführer. Die Mädchen und Jungen beäugen den Kaiap neugierig. Vor allem den großen Sack auf seinem Rücken, der um ein vielfaches zu schwer für die drahtige Gestalt Rewos wirkt. Rewo grinst und geht offen und schnell zu dem Jungen. „Ah... nein, ich bin viel älter, als ich aussehe. Ich hab es mir irgendwo aufgeschrieben. Aber ist es wichtig, wie alt ich bin? Ich bin nämlich ein Kaiap!“
Geschlossen macht die Kindergruppe ein, zwei Schritt zurück und gerade die Jungen legen ihre Hände rasch auf ihre Hosentaschen und Beutel. Die Mädchen ziehen reihenweise Haarbänder aus Zöpfen, packen sie rasch in ihre Schürzen oder stecken sie hinter ihre Hemden.
Rewo grinst breit. „Ah... ich sehe, dass man euch das vollkommen Falsche über mein Volk erzählt hat. Ich glaube, ich muss das richtig stellen. Habt ihr vielleicht Lust auf eine Geschichte? Die Geschichte meines Volkes?“
Ein Dutzend Kinder macht zwei Schritte vor.
Rewo sieht sich um und sagt: „Ihr habt doch bestimmt einen Platz, wo ihr euch selbst immer Geschichten erzählt oder?“
„Ja! Die alte Linde. Gleich hinter Bauer Brisaks Hof“, sagt ein schmächtiges Mädchen von etwa zehn Jahren, um dessen langes, blauschwarzes Haar sie selbst Alathe beneiden würde und die mehr als nur Anzeichen dafür trägt, einmal zu einer Schönheit zu reifen, um die alle Jungs in der Gruppe buhlen werden.
„Mögt ihr mir dann eure Linde zeigen?“
Schon wird Rewo bei den Händen gegriffen und inmitten der Kinderschar aus dem Dorf gezogen, wo er bald den Mittelpunkt im sanften Schatten der gewaltigen Krone der Linde bildet. Und während er den Kindern eine Geschichte der Kaiap erzählt, packt er dabei immer wieder Kleinigkeiten aus seinem Sack aus, um seine Geschichte zu untermalen.
Nicht eines der Mädchen oder der Jungen geht ohne eine neue Haarschleife, neuen Schnürsenkeln oder sogar einem kleinen Beutel nach Hause, als vielstimmig der Chor der Mütter zum Abendessen ruft. Ein Ruf wie er in jedem Dorf, jedem Stadtviertel zu hören ist, seit Anbeginn der Zeit, wo Kinder aufwachsen dürfen in Freiheit und Verbunden mit der Natur, in Spaß, Spiel und Gemeinschaft mit Gleichaltrigen.
Viel haben die Kinder an den Abendtischen ihren Eltern zu erzählen und mehr als staunend hören die Eltern den Tageserlebnissen ihrer Kinder zu, denn auf einem guten Dutzend elterlicher Esstische liegen jeweils drei kupferne Münzen aus aller Herren Länder. Sie wollen kaum glauben, dass diese aus den Händen eines Kaiap in die Hände ihrer Kinder gewandert sind.
Rewo schlendert derweil allein und Blumen pflückend zurück zur Schänke. Er sieht auf den leeren Lederbeutel und lässt ihn mit einer geübten Bewegung in seinem Sack verschwinden. Er murmelt leise zu einem Finken, der ihn an trällert. „Na ja... ich hätte seinen Besitzer wohl doch nicht wiedergefunden. Und so bleibt das Geld doch im Dorf. Es ist wirklich falsch, was die Leute alles über Kaiap erzählen.“
Der Vogel hört sofort auf zu trällern als er das K-Wort hört. Während er sich rasch in die Lüfte erhebt, wirkt es, als würde er mit seinen zarten Krallen den Flaum seiner Unterfedern festhalten. Rewo sieht dem kleinen Racker beleidigt hinterher und ruft: „Es ist wirklich falsch!“

Der Dorfkrug ist bis zum letzten Platz gefüllt. Der Wirt, hinter seiner Theke durch die davor stehenden Bauern, nicht zu erkennen. Selbst eine ganze Reihe von Frauen ist anwesend. Fast die Hälfte der Gäste trägt ein Kleid. Terbor lächelt still in sich hinein. Mit einer Pfeife in der Hand, die ihm der Wirt geliehen hat, sitzt er zurück gelehnt auf seinem Stuhl. Die Beine weit von sich gestreckt, genießt er die Ruhe und das Gefühl, dass jetzt gerade nicht das Glück einer Freundin, eines Landes oder der Welt von ihm gerettet werden muss. Aber wenigstens hatte die Freundin ihn gefragt, ob er das überhaupt machen wolle. Im Gegensatz zu manch anderer Gelegenheit.
Das Essen ist fantastisch gewesen. Selbstverständlich bäuerlich und nicht von feiner Note, dafür aber so reichlich und handfest, wie es nur sein kann. Ein Blick zu Kelg beweist ihm, dass er wenigstens nicht der Einzige ist, der einen Nachschlag zu viel genommen hat. Auch die anderen sehen sehr zufrieden aus und räkeln sich mehr auf ihren Stühlen als sie sitzen. Helofain und Zascht sind noch nicht zu ihrer nächtlichen Patrouille aufgebrochen. Einzig Alathe und Elár fehlen.
Terbors Blick wandert zu der verbliebenen freien Stelle in der Taverne. Direkt in der Mitte ist ein fast perfekter Kreis offen geblieben, in dessen Mitte ein einzelner, leerer Stuhl steht. Noch ist von der Bardin und ihrem Liebsten nichts zu sehen, aber die Sonne ist auch noch nicht lange untergegangen. Mit jeder verstreichenden Minute steigt die Spannung bei den Tavernenbesuchern spürbar.
Und dann schallt ein einzelner Akkord, geschlagen auf einer Siturma, durch die Schank. Elár schreitet heran und die Masse der Leute bricht vor ihm auf wie Eis in der ersten Frühlingssonne. Still wird es und doch geht ein Seufzen durch die vor allem weiblichen Gäste, denn von den Strapazen der Entführung rein gewaschen, ist der Anblick des Mannes – Halb Elb, halb Dhalaru – einer, der tief verwurzelte Träume und Hoffnungen in Frauenherzen zu entfachen vermag. Doch schon wird das Seufzen vom Raunen der Männer überschattet. Denn wie eine Königin schreitet Alathe hinter ihm her. Wunderschön und nur in seidene, dunkelgrüne Tücher gewandet, die locken und doch zugleich verbergen, offenbaren und zugleich doch abweisen. Ihr Haar so schwarz wie Ebenholz und nur gebändigt durch einzelne, grazile Zöpfe, die sie absichtlich hier und da geöffnet hat und das Haar in Wellen über ihre nackten, schneeweißen Schultern fällt. Ihre Augen strahlen in einem überirdischen Licht. Als der Weg frei zu dem Kreis in der Mitte der Taverne ist, lässt Elár seine Finger virtuos über das Instrument gleiten. Es ist Alathes Siturma und doch weiß er das Instrument nicht weniger kunstvoll zum erklingen zu bringen, wie seine Gefährtin selbst. Eine getragene Melodie von zarter Traurigkeit, aber auch tiefer Hoffnung gleitet durch den Raum, wo nicht einmal mehr das Atmen der Gäste zu hören ist. Obwohl es die Klänge nur eines Instruments sind, fühlt es sich an, wie ein kleines Orchester aus Harfen, zarten Flöten und silbernen Glöckchen.
Elár setzt sich auf den Stuhl. Einmal umkreist Alathe ihn und dann beginnen sie beide gemeinsam zum Klang der Siturma zu singen. Und ihre Stimmen vereinen sich zu Honig und Wein, sind der fröhlich plätschernde Bach, wie auch der tiefe Wald.

So zart und licht hast du berührt
Mein Herz, mein Sein in mir gespürt
Gelegen dort am Jahresbaum
Wir uns gefunden unberührt

Die Zeit steht still, dein Haar an mir
Der Herzen Glut, ganz sanft zu dir
Nie mehr soll der Tag vergehen
Ohne hell dein Licht zu sehen

Am Jahresbaum es uns geschah
Die Göttin unsre Liebe sah
Sie legte ihre Hand auf uns
Ganz sanft, ganz zart

Und während sich so manche, durch harte Arbeit gestärkte Arme um weibliche Rundungen legen und Kleidärmel zum trocknen der Tränen benutzt werden, beginnt Alathe zu tanzen. Die Wände der Taverne verschwinden und die Sonne beginnt zu scheinen, obwohl sie erst gerade untergegangen ist. Die Welt verschwimmt in Wort und Melodie und Bardin und Barde ziehen ihr Publikum mit sanfter Hand aus dem Jetzt in die Welt des Traums, den sie in wundervollen Farben malen.
Zeit hat keine Bedeutung mehr. Vollkommen gefesselt von Alathe und Elár erleben die einfachen Bauern eine Nacht, die sie nie mehr vergessen werden. Und wie eine Ode an die einfachen Leute, die die Gefährten so herzlich aufgenommen haben, schließen die beiden ihren Vortrag mit einem Lied, das gerade die Bauern nur allzu gut kennen. Sei es aus eigenem Leid oder sie sich glücklich schätzen, in glücklicheren Landen zu leben.

Vertrieben geh ich durch die Nacht
Um Hab und Gut ward ich gebracht
Die Schergen nahmen auch mein Weibe hin
Nur noch Rache ist in meinem Sinn

Des Fürsten Leute waren es gewiss
Umso mehr mein Weibe ich vermiss
Den Elften konnt‘ ich heute nicht bezahlen
Konnt‘ von den Feldern keine Früchte tragen

Nun zieh ich umher ganz ohne Sinn
Weiß nicht einmal mehr wo ich bin
Kein Ziel steht jetzt vor meinen Augen
Die grausam Tat mir wird den Schlafe rauben

Wo soll ich hin? Bin so allein!
Werd niemals mehr ganz glücklich sein
Doch Rache nehmen kann ich nicht
Denn Kampfeskunst beherrsch ich nicht

Wer könnt mir nur bei Seite steh‘n?
Mit mir zusamm‘ zum Fürsten geh‘n?
Wer würd mir helfen in dem Leid?
Ach Göttin schenk‘ mir Neuigkeit!

Der Elben Bögen wäre fein
Doch wird hier kein Elb mehr sein
Die Wälder schlug ich nieder
Fand dort meine Felder wieder

Der Zwergen kraft den Fürsten schlägt
Doch kein Zwergenbarte sich mehr regt
Um ihren Lohn gedungen viel zu oft
Ist ein Idiot, wer auf Rückkehr hofft

Kein Kaiap wird den Fürst zu Tode treiben
Denn wer konnt‘ schon die Kaiap leiden?
Verschlossen wir doch Hof und Haus
Und trieben sie geschwind hinaus

Auf eine Pixie hoffen brauch nicht
Schon lang warn‘ sie im Lichte nicht
Vorbei die Zeit der Lieblichkeit
Wir uns üben nun in Einsamkeit

Ein Drache gar das Beste wär
Doch wo bekomm ich einen her?
Selbst heut schon sie Legende sind
Denn sie flogen mit dem Wind

Vielleicht ein Vicya kommt vorbei
Schneid’ meine Kehle jetzt entzwei
Ach weh, er könnt nehmen mir mein Leid
Doch sind sie weg vor Ewigkeit

Was haben wir getan? Wie konnten wir?
Sind in unsrer Not allein hier
Ich merk es jetzt, doch all zu spät
Wo meines Lebens Sinn vergeht

So streif ich nun umher
Wild und allein
Hab kein echtes Leben mehr
Will so nicht sein

Was haben wir getan?
Wie konnten wir?
Der freundschafts Bande sind vertan
Sind jetzt ganz alleine hier

So geh ich hin, kann nicht mehr leben
Würd alles für ihre Hilfe geben
Doch sie sind weg, fort, vorbei
So geh ich hin, mein Leben ist entzwei

Es dauert eine ganze Weile, bis die Gäste des Dorfkruges begreifen, dass Alathe und Elár zum Ende gekommen sind. Doch dann bricht ein so ohrenbetäubender Lärm los, dass nicht nur Helofain, Nefrathi und Zascht mit ihren feinen Ohren rasch das Weite suchen, auch Rewo verkriecht sich in einer Ecke und sieht mit riesigen Augen zu dem, was sich vor ihm abspielt. Denn die Freunde in der Mitte der Schank werden umringt und frenetisch gefeiert. Sie gehen in einer Menge unter, die sie selbst entfesselt haben. Doch sollte dies nur der Beginn einer noch lange andauernden Nacht sein.

Als Terbor wie automatisch von dem mit Käse belegtem Brot abbeißt, hat er das Gefühl, sich seit dem Abend nicht bewegt zu haben. Seine tief roten Augen nehmen die Gefährten nur verschwommen wahr, doch weiß er, dass es ihnen nicht einen Hauch besser geht als ihm. Zumindest jene, die es aus dem Bett bis an den Frühstückstisch geschafft haben, und das sind wahrlich nicht alle. Wenn er Kelg und Adorg so betrachtet, zweifelt er sogar daran, dass die beiden überhaupt ein Bett gesehen haben. Die trägen, fahrigen Bewegungen der Knechte und Mägde lassen ihn vermuten, dass er und die Gefährten nicht die einzigen mit einer viel zu kurzen und feuchten Nacht gewesen sind.
Erst gegen Mittag sind wirklich alle um den Tisch versammelt. Tot geglaubte Lebensgeister sind zurückgekehrt und vereinzelte, leise Gespräche bilden eine selbst für malträtierte Köpfe auszuhaltende Geräuschkulisse. In dem Moment wird die Eingangstür geöffnet und das helle Sonnenlicht verbindet sich mit stöhnenden Lauten. Zascht und Helofain, die sich irgendwann in der Nacht abgesetzt haben, sind zurück und gehen zum Tisch, an dem Terbor und die anderen sitzen. Helofain hebt kurz eine Braue und sieht Nefrathi an. Die Elbin ist die Einzige am Tisch, die keinerlei Beschwerden zu verspüren scheint. Sie sieht ihren Liebsten mit einem breiten Grinsen an. Ihr geht es sogar richtig gut, nachdem sie den – zugegeben müden und kurzen – Kampf mit den anderen gewonnen hat, keine Kräuter gegen Kopfschmerzen und andere, Zecherei bedingte Beschwerden auszugeben.
Helofain wendet sich Terbor zu. „Terbor, die Luft ist frei von Orkgestank und keine Spur ist zu finden. Selbst nach Norden und Westen hin nicht. Sie müssen die Verfolgung aufgegeben haben.“
Zascht bestätigt Helofains Worte mit einem knappen Nicken.
Terbor spürt die Blicke der anderen jetzt deutlich auf sich liegen. Er muss nicht lange überlegen. Leise sagt er. „Gesten habe ich noch gesagt, uns würde ein Bett gut tun. Heute Nacht habe ich nichts von einem Bett gespürt. Wir bleiben dann also noch wenigstens eine Nacht hier. Und dann geht es weiter zu Josi. Wir können wirklich nicht zurück, ohne unserer Prinzessin einen Besuch abgestattet zu haben.“ Der Galater ist nicht traurig darüber, dass seine Freunde seinen Entschluss mit stiller Freude aufnehmen. Einzig Kalina steht auf. Ihr zwergisches Naturell hat dafür gesorgt, dass der Alkohol in ihrem Blut in einer Geschwindigkeit abgebaut worden ist, von dem jedes andere Volk nur träumen kann. Während Zascht und Helofain sich setzen, um etwas zu essen, sagt die Zwergin: „Ich bin dann im Hof. Da waren noch einige Pfannen, Töpfe und Sensensicheln, die nicht so schlimm gestern aussahen, aber doch eine Ausbesserung brauchen können.“
Niemand sagt etwas zu Kalina. Nur Adorg steht auf, um ihr zu folgen. Doch als von draußen das helle Klingen des Schmiedehammers zu hören ist und die Gefährten in großer Zahl die Gesichter verziehen, kommt auch Adorg mit schmerzverzerrtem Gesicht zurück zu ihnen.

„Orks also habt ihr gesehen?“, fragt Oridork. Der alte, vom Wetter gegerbte Galater ist immer noch der Obmann Dimmentors.
Kelg nickt bestätigend. Der Barbar sitzt mit dem Obmann, Terbor und Adirië zusammen im Schatten eines Hauses auf einer Bank am Rand des Dorfplatzes.
„Das ist nicht wirklich etwas Neues“, fährt Oridork fort. „Wir haben nicht nur immer wieder von Orks gehört, sondern sie auch selbst gesehen. Euch sind vielleicht die Schanzen aufgefallen. Wenn die grünen Gesellen unangenehm werden, dann wissen wir uns schon zu schützen.“
„Ganze Rotten von ihnen sind also unterwegs und das ist gesichert?“, fragt Adirië nach.
Der Obmann nickt. „Ja, ist es. Im Westen braut sich was zusammen.“
„Weißenwolf?“, fragt Terbor.
„Ihr habt also auch schon davon gehört? Ja, Weißenwolf. Er scharrt ganze Armeen um sich, um sich seinen größten Wunsch zu erfüllen. Alle Alten Völker von Galat zu vertreiben.“
„Aber dann Orks? Sie zählen zwar nicht zu den Alten Völkern, aber jeder Elb oder Zwerg ist uns ähnlicher als ein Ork.“
„Ja, aber sie sind nicht so leicht zu beherrschen und schon gar nicht willfährig. Ein Mann wie Weißenwolf mag rassistisch sein, aber wenn er ein Schwert mehr haben kann, wird er es nehmen.“
Terbor seufzt. „Und ihr? Was macht ihr, wenn er auch hier hin kommt?“
Der Alte seufzt. „Gehen. Was bleibt uns übrig? Wir leben hier noch immer in Frieden mit den Alten Völkern und selbst euren Vicya haben wir gastfreundlich aufgenommen. Damals wie diesmal, wie euch bestimmt aufgefallen ist.“
Kelg lächelt. Ein seltener Anblick. „Das ist es uns sehr wohl, ja. Aber ist es wirklich so schlimm und sind alle des gleichen Sinns wie Ihr es seid? Das hier ist immerhin das Land eurer Väter und Vorväter.“
Oridork lacht freudlos. „Wir sind Bauern, aber nicht dumm. Und das Leben ist doch wichtiger, als das Land. Vor allem das Leben der Kinder. Wir haben gehört, dass die Alten Völker Galater, die der Hetzjagd auf die alten Werte überdrüssig sind, von ihnen mitgenommen werden. Genau das haben wir vor. Wenn die Alten Völker einen anderen Ort als Wert betrachten, dort zu leben, kann er für unsereins wahrlich nicht schlecht sein.“
Terbor nickt leicht. „Ein großer Schritt.“
Oridork hebt die Schultern. „Was sollen wir sonst tun? Ich hoffe, wir gehen nicht allein. Hier leben viele gute Leute und ihr Leben ist in Gefahr, wenn Weißenwolf kommt. Ich kann nur hoffen, dass sie sich uns anschließen werden, wenn, ja wenn Weißenwolf wirklich kommt. Aber was man hört, klingt nicht gut. Auch wenn es bisher nur Gerüchte sind.“
„Das würde eine Völkerwanderung bedeuten“, sagt Adirië.
„Was außer Krieg oder Hunger kann sonst so etwas auslösen? Oder eben ein Mann mit zu viel Macht, der falsch im Kopf und schwarz im Herz ist?“, erwidert Oridork.
„Wenn es so weit kommt, sind wir alle betroffen. Auch meine Frau. Was ich höre klingt nicht gut, und Bezacht ist auch nicht so weit weg“, sagt Terbor.
„Von da also kommt ihr her?“, fragt Oridork. „Ja, so weit ist Bezacht nicht weg und auch da leben noch ein paar gute Leute und die will der Herzog wohl austreiben. Leider.“
„Kann ich von hier aus einen Brief losschicken? Wäre das ein Problem. Ich will meine Frau nicht im Dunkeln lassen. Sie sollte das wissen, was wir erfahren haben.“
„Und schon mal packen?“, fragt Adirië.
„Mal keine Dämonen an die Wand! Ich hoffe, dass es nicht soweit kommen wird!“, sagt Terbor entsetzt. „Ich... ich werde Vater. Soll ich mit einer Schwangeren davon ziehen?“
Kelg legt dem alten Kampfgefährten die Hand auf die Schulter. „Keine Sorge. Isondra ist eine starke Frau. Sie ist viel stärker als du glaubst. Stärker sogar, als du fürchtest. Und vor allem würdest du niemals allein gehen. Wir würden dich alle begleiten.“
„Das stimmt!“, bestätigt Adirië
Terbor lächelt seine Freunde an. „Danke... ich weiß das zu schätzen. Und doch wäre es mir lieber, wenn Weißenwolf bliebe, wo er jetzt ist.“
„Das hoffen wir alle“, sagt der Dorfobmann. „Aber wenn, denkt an uns. Wenn ich wüsste, dass ihr uns begleitet und wir Bauern nicht allein gehen müssen, könnte ich sehr viel ruhiger schlafen.“
„Ich denke, Ihr könnt ruhiger schlafen“, sagt Adirië und mit dem Blick zu Terbor fährt sie fort. „Und die Ländereien von Josis Mama sind dann auch in Gefahr. Ich hoffe, wir erfahren dort mehr als nur Gerüchte.“
„Zumindest sollten die Quellen der Gräfin zuverlässig sein. Zumindest zuverlässiger als Gerüchte“, sagt Terbor.
„Ihr wollt weiter zu den Geroteths?“, fragt Oridork erstaunt. Dann aber beginnt er zu lächeln. „Aber natürlich. Die Prinzessin. Wie konnte ich das vergessen. Sie war bei euch. Sie ist eine noch größere Schönheit geworden und sie wird einmal eine großartige Gräfin sein.“
Adirië lacht. „Das wird nicht in Johinzahins Sinn sein.“
Oridork lächelt. „Aber im Sinn der Gräfin.“
„Was ist mit Johinzahins Bruder?“, fragt Terbor.
„Auf Reisen. Wie immer“, antwortet der Obmann.
„Du hältst nicht viel von ihm“, fragt Terbor neugierig.
„Er ist ein guter Mann. Aber ob er ein guter Graf wäre, wage ich zu bezweifeln. Wir können seine Waffenhand gegen Weißenwolf gebrauchen, wenn es so weit kommt. Aber seinen Verstand, um über uns zu herrschen, also da wäre mir die Prinzessin doch erheblich lieber.“
„Johinzahin hat nie über ihren Bruder gesprochen“, sagt Adirië.
„Das stimmt“, sagt Kelg.
Terbor hebt die Schultern. „Na ja. Alle Spekulation ist eh müßig. Wir werden hoffentlich bald schon wissen, wie Josi wirklich lebt und was ihre Erwartungen an die Zukunft sind – wenn es hier eine Zukunft gibt.“
Die vier sehen schweigend zum Brunnen in der Mitte des Dorfplatzes hin und beobachtet eine Weile die Frauen und Kinder, wie sie Wasser von dort holen und in Eimern zurück zu den Häusern tragen. Mit weniger schweren Themen vertreiben sie sich dann die Zeit, während vom Hof des Dorfkrugs noch immer das Klingen des Schmiedehammers zu hören ist.

Sogar erst zwei Tage später können die Gefährten von der Gastfreundschaft nicht nur der Dorfschänke, sondern des ganzen Dorfes lassen. Und mit vielen Worten und von fast dem gesamten Dorf, werden sie an einem schönen, sonnigen Morgen am westlichen Rand der Siedlung entlassen. Nicht ohne das Versprechen abgeben zu müssen, auf keinen Fall einfach vorbei zu reisen, wenn sie wieder einmal in der Nähe sind.
Jeder Abschied findet ein Ende und als die letzten höflichen Worte ausgetauscht sind, reiten sie dem Anwesen der von Geroteths mit prall gefüllten Satteltaschen entgegen, während ein Lied Alathes den Rhythmus der Pferdehufe bestimmt.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Fr 29. Apr 2011, 19:16, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Garbosch
Veteran
Veteran
Beiträge: 3230
Registriert: Do 5. Jun 2008, 19:24
Wohnort: Zwergengasse, Ahinjamuhr, Thrumumbahr.
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Garbosch »

23.
Es ist der größte Raum in dem Gasthof. Und der Schönste. Das versicherte zumindest der Wirt, unter ständigem Verbeugen. Herzog Karak von Weißenwolf ist es gleich. Er hat den Raum beschlagnahmen lassen und zugleich auch den gesamten Gasthof. Es handelt sich dabei um einen ganzen Komplex, bestehend aus dem Hauptgebäude mit dem großen Schankraum, kleinen, einfachen Gästezimmern und einem großen Aufenthalts- und Leseraum im ersten Stock, in dem sich jetzt der Herzog aufhält. Ein separates Gästegebäude mit größeren, schöneren, ruhigeren und somit teureren Zimmer, sowie ein Stall, machen den Gasthof komplett. Der Herzog hat einen seiner Adjutanten, einen jungen Leutnant, sagen hören, dass der Gasthof richtig idyllisch liegt. Am Rande des Waldes gelegen, ein kleiner Bach plätschert lustig an der Rückseite vorbei, blicken die Gebäude über eine weite, sanft geschwungene Ebene. Von Weißenwolf vermutet, dass man das wohl als Idylle bezeichnen kann. Es ist ihm egal. Er hat diesen Ort gewählt, weil er praktisch liegt und wegen der freien Fläche, die die Ebene bietet.
Von Weißenwolf steht an einem Fenster des ehemaligen Aufenthaltsraums und blickt über die Ebene. Unzählige Zelte, Lagerfeuer, Männer und Material sind zu sehen. Der Herzog, ein Mann in den 300‘ern mit viel Grau im Haar, einer schlanken, hochgewachsenen Figur und Gesichtszügen, die nie durch Freude oder Spaß berührt wurden, lässt seinen Blick wandern. Er nickt zufrieden. Wenn man nicht wüsste worauf man achten muss, dann hätte es den Anschein, eine vollständige Armee würde dort draußen auf der Ebene lagern. Doch von Weißenwolf weiß es besser. Er sieht ganz deutlich die unsichtbaren Linien zwischen einer Söldnerabteilung und einer anderen. Der Galater verzieht spöttisch seinen Mund. Söldner. Wenn es nach ihm ginge, dann würde er den Oberbefehl über eine Heerschar Soldaten führen, die seiner Sache, aber vor allem ihm gegenüber, den Treueeid geschworen haben. Aber Soldaten kosten Geld. Täglich. Egal ob sie kämpfen oder nicht. Die wenigen Truppen die dem Herzog gegenüber Loyal sind, hat er von seinen Ländereien hierher geführt. Diese bilden nun auch seine persönliche Wache. Der weit größere Teil seiner Streitmacht besteht aus Söldnern; und Orks, die zum Dienst gepresst werden. Söldner kosten auch ständig Geld, weil sie verköstigt werden müssen und ihren Grundsold erhalten, aber ihren Gewinn machen sie durch die Plünderungen, die allein deswegen unvermeidbar sind. Keine schöne Art um Krieg zu führen, aber der Zweck heiligt die Mittel. Schließlich dient die ganze Unternehmung nur einem einzigen Zweck: Die sogenannten Alten Völker von Galat zu vertreiben oder zu vernichten. Am besten ein paar von den jüngeren Völkern gleich mit, wie den Orks. Dazu kommen noch all diejenigen, die mit den Alten Völkern sympathisieren. Verräter an ihrem Volk gehören gleich mit entsorgt. Vor vielen Jahren, als Karak von Weißenwolf seinen Plan einigen vertrauenswürdigen Herzögen und Baronen vorgestellt hat, wurde er als Rassist bezeichnet und gar als Wahnsinniger. Damals hatte er nicht die Macht wie heute, sonst hätte sich dieses überhebliche Adelspack nicht so ihm gegenüber im Ton vergriffen. Er selber sieht sich als Idealist und Visionär. Und jetzt, da seine Pläne nicht nur Form angenommen haben, sondern gut angelaufen sind, zittern und bibbern dieselben Herzöge und Barone vor ihm und seiner militärischen Stärke. Das Vorgehen gegenüber diesen Adeligen ist denkbar einfach. Entweder man ist für ihn und kämpft an seiner Seite, oder man ist gegen ihn und wird vernichtet. Alles liegt klar und deutlich vor seinen Augen.
Seine Aufmerksamkeit wird von einer Reiterkolonne gefordert, die sich aus westlicher Richtung dem Gasthof nähert. Von Weißenwolf erkennt an der Spitze der Reiter seinen Heerführer, Hauptmann Oriq von Wallau, daran wie aufrecht er im Sattel sitzt. Den Reitern folgt eine Abteilung Orks zu Fuß. Wie diese Kreaturen mit heraushängenden Zungen den Reitern folgen, wirken sie wie räudige Köter die ihren Herren folgen, in der Hoffnung, ein fauliges Stück Fleisch zu bekommen. 'Vieh. Alles nur Vieh. Wenn ich sie nicht mehr brauche, werde ich sie auch wie Vieh abschlachten lassen.' Der Herzog verfolgt die Kolonne bis sie vor dem Gasthof anhält, Oriq von Wallau Befehle erteilt und dann von seinem Pferd steigt. Ein Stallbursche eilt sogleich herbei, um dem Hauptmann die Zügel abzunehmen. Die Reiter scheuchen mit Tritten und Hieben die Orks wieder auf, die sich einfach vor Erschöpfung dort nieder gelassen haben, wo sie stehen geblieben sind. Aus den Augenwinkeln nimmt von Weißenwolf eine Gestalt wahr, die von zwei Söldnern gehalten und zum Eingang geschliffen wird. 'Vermutlich ein Gefangener', fährt es ihm durch den Kopf. Er wendet sich vom Fenster ab und geht mit präzisen, langsamen Schritten zu seinem Schreibtisch, um sich hinter ihm nieder zu lassen. Mit den Fingern der rechten Hand fährt er die Maserung des dunklen Holzes auf der Tischplatte nach. Dieser Schreibtisch hat ihn ein kleines Vermögen gekostet. Die Schreiner und Tischler haben ihn so konstruiert, dass man ihn innerhalb weniger Minuten zerlegen und somit leicht transportabel machen kann. Dabei sieht er nicht wie ein gewöhnlicher Feldtisch aus. Wuchtig, aus dunklem Holz gefertigt und mit Einlegearbeiten aus Messing versehen, wirkt er eher wie ein gedrungenes Monster, zum Sprung bereit. Von Weißenwolf macht sich nichts aus Prunk und Luxus. Vielmehr soll der Schreibtisch beeindrucken, gar einschüchtern. Das zeigt auch schon seine Kleidung. Stiefel aus schwarzem Leder, eine ebenso schwarze Hose aus gutem Leinen und eine Tunika, deren graue Farbe es nicht vermag, dem ganzen Schwarz etwas Heiteres abzugewinnen. Einziger Schmuck ist die Gürtelschnalle, die sein Wappen, den Wolfskopf, darstellt. Kerzengerade sitzt er auf einem einfachen, unbequem wirkenden Klappstuhl und hält den Blick unverwandt auf die Tür gerichtet. Als es schließlich klopft, wartet er einen angemessenen Zeitraum, bis er mit fester, schneidender Stimme „Herein“, ruft. Die Tür öffnet sich und einer seiner Adjutanten kommt herein und verbeugt sich. „Euer Gnaden, Hauptmann von Wallau ist zurück und bittet Bericht erstatten zu dürfen.“
„Herein mit ihm.“
Der betagte Galater verbeugt sich erneut und verlässt den Raum. Gleich darauf betritt Hauptmann von Wallau den Raum und salutiert zackig. „Herzog von Weißenwolf, ich melde mich wieder zurück.“
Von Weißenwolf sieht seinen ältesten und vertrauenswürdigsten Kämpen an. „Setzt Euch, Hauptmann und berichtet.“
Oriq von Wallau setzt sich auf einen weiteren unbequemen Klappstuhl, der vor dem Schreibtisch steht, auch wenn es in dem Raum genügend andere, bequemere Stühle gibt. Ein Leben als Soldat lehrt Entbehrungen und Unbequemlichkeiten zu ertragen. Aber vor allem würde er es niemals wagen, sich mehr Luxus zu gönnen, als sein Herr sich gestattet. So kommt er auch ohne Umschweife zur Sache.

In dem Gang vor der Tür, hinter der Hauptmann von Wallau seinem Herzog Bericht erstattet, stehen zwei Söldner, die den sabbernden und unverständliches vor sich her brabbelnden Ver zwischen sich halten. Sie haben bemerkt, dass sie Ver aufrecht halten müssen, um zu vermeiden, das er auf alle Viere fällt und wie ein Tier zu scharren beginnt. Der linke Söldner, ein untersetzter, älterer Mann mit schütterem Haar sieht von Ver zu seinem Kameraden. „Was glaubst du, wird mit ihm geschehen, Grilek?“
Der Angesprochene, ein großer aber dürrer, schlaksiger Kerl, dessen Alter man nicht bestimmen kann, zieht geräuschvoll Rotz hoch. Doch bevor er ihn ausspuckt, sieht er sich um und wird gewahr, wo er sich befindet. Er verzieht das Gesicht, zuckt mit den Schultern und schluckt. „Das ist mir vollkommen egal. Hoffentlich knüpfen sie ihn auf oder schlagen ihm seinen Schädel vom Hals. Hast du mitbekommen, wie er seinesgleichen behandelt hat, Hamog?“
Hamog nickt. „Ja, die armen Orks. Vollkommen grundlos hat er sie verprügeln lassen oder es gar selbst übernommen. So führt man nicht, auch wenn es Orks sind.“
Grilek schnaubt und winkt ab. Dabei hat er Ver losgelassen. Rasch packt er wieder zu und zieht den Gefangenen wieder ganz auf die Füße. „Die Orks sind mir auch gleich. Abschaum, den wir auch noch loswerden, wie all die anderen. Aber dieser Ver war schon vorher nicht richtig im Kopf. Dennoch verstehe ich nicht, wie er, der auch kein reines Blut hat, sich so gegenüber seinen Mitrassen verhält. Keinen Anstand im Leib. Allesamt.“
Hamog nickt zustimmend. „Das ist allerdings wahr. Dennoch sehe ich das mit den Orks nicht so schlimm wie du.“
„Manchmal frage ich mich warum du hier bist, Hamog. Der alte Wolf hat doch ganz deutlich gesagt, was er vorhat. Die alten und die jüngeren Völker loswerden. Diese Welt soll gesäubert werden und uns gehören. Wie es eben schon immer so gedacht war. Was mich betrifft brauche ich keinen weiteren Anreiz. Freies Essen und das Behalten der Ausrüstung der von mir getöteten Feinde ist natürlich Standard. Das steht in jedem Kontrakt. Doch schließlich geht es hier um unser Volk und unsere Welt und so viel Ehrgefühl sollte jeder haben und sich der Sache anschließen.“
Hamog blickt beklommen zur Tür. „Schtt du Idiot. Du weißt genau was passiert, wenn er herausfindet das man ihn alten Wolf nennt.“
Grilek schnaubt erneut aber auch er blickt nervös zur Tür. „Ja, ja, schon gut. Auf jeden Fall bin ich seiner Meinung und sage dir, das wir für eine gerechte Sache kämpfen.“
„Da bin ich mir nicht so sicher. Ich finde, dass er übertreibt. Ich kann mich nicht erinnern, dass die alten Völker uns jemals etwas getan haben. Die Meisten sind uns freundlich gesinnt und die Anderen lassen uns weitgehend in Ruhe. Warum lassen wir sie nicht auch in Ruhe? Platz ist doch mehr als genug hier.“

Grilek seufzt. „Ach Hamog. Was hast du nur hier verloren.“
Hamog sieht seinen Kameraden an. „Ich brauche Geld. Was glaubst du, warum ich Söldner geworden bin? Als Söldner glaube ich nur an das Geld und muss keinen Treueeid auf irgendjemanden ablegen. Bei dem Herzog würde ich mir auch viel lieber die Zunge abbeißen, als ihm meine Treue zu schwören.“
„Er würde dich auch einfach zum Dienst pressen lassen, mein Freund.“
„Pah. Dazu müsste er mich erst mal erwischen“, erwidert Hamog.
Grilek grinst. „Du bist nicht gerade der Schnellste mit deinen viel zu kurzen Beinen und deinem viel zu großen Bauch.“
Hamog will gerade ansetzen, etwas zu erwidern, als die Tür aufgeht und Hauptmann von Wallau im Türrahmen erscheint. „Bringt ihn herein.“
Die beiden Söldner sehen sich an und in ihren Gesichtern steht die Frage, ob ihre Vorgesetzten etwas von ihrem Gespräch mitbekommen haben. Sie packen Ver fester, der immer noch sabbert und brabbelt und zerren ihn in den Raum. Die ungleichen Söldner salutieren vor ihrem Herrn und greifen dann schnell wieder Ver, um ihn erneut auf die Beine zu stellen. Von Weißenwolf erhebt sich, geht um den Schreibtisch herum und bleibt vor dem Wahnsinnigen stehen. Lange Zeit spricht niemand, während der Herzog den Gefangenen betrachtet. Eine eisige Stille breitet sich aus, nur unterbrochen von dem leisen Brabbeln Vers, bei der Hamog und Grilek unwillkürlich erschaudern. Schließlich bricht der Herzog das Schweigen, aber seine Stimme verstärkt das eisige Gefühl nur noch mehr. „So benimmt er sich, seit ihr ihn gefunden habt, Hauptmann?“
Von Wallau nickt. „Richtig. Keine Besserung seither. Die Orks sagen, dass er in diesen Zustand verfallen ist, seit sein Gefangener fliehen konnten, wie ich euch berichtete, Herr. Was sollen wir mit ihm machen? Hinrichten wegen seines eigenmächtigen Handelns?“
Herzog von Weißenwolf überlegt einen Moment, dann schüttelt er den Kopf. „Das hat keinen Sinn. Er würde das nicht mitbekommen. Haltet ihn in Gewahrsam und am Leben, Hauptmann, bis wir ihn gebrauchen können um ein Exempel zu statuieren.“
Der Hauptmann nickt und blickt Hamog und Grilek an. „Das übernehmt ihr beide. Falls er euch entwischt oder unter eurer Aufsicht wegstirbt, dann ist euer Leben verwirkt. Wegtreten.“
Die Söldner salutieren und packen dann wieder Ver, um ihn aus dem Raum zu schleifen. Als hinter ihnen die Tür ins Schloss fällt fragt Hamog: „Glaubst du sie haben gehört, was wir vorhin besprochen haben? Ich meine, weil wir ja jetzt diesen Irren am Arsch haben?“
Grilek lacht leise, aber freudlos. „Glaube mir, wenn sie etwas gehört hätten, dann wären wir jetzt auf dem Weg zum Schafott.“
Hamog nickt langsam, während sie Ver die Treppe runter und aus dem Gasthaus hinaus schleifen. „Immerhin dürften wir uns jetzt aus Kampfhandlungen heraus halten, denke ich. Hat doch auch was. Wo bringen wir ihn hin?“
Grilek sieht sich um und deutet dann zu einem kleinen, niedrigen Schuppen. „In den Schweinepferch. Nachdem seine ehemaligen Bewohner ihren Weg in unsere Bäuche gefunden haben, steht er so oder so leer. Genau das richtige Ambiente für unseren neuen Freund hier.“
Die beiden Galater lachen lauthals und so entgeht ihnen der leise Aufschrei Vers, als dieser in die Suhle geworfen wird: „Terbor.“
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Fr 20. Mai 2011, 20:40, insgesamt 2-mal geändert.
Benutzeravatar
Thorn La Fahr
Ledain
Ledain
Beiträge: 3974
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 15:54
Wohnort: Lemurain
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

Zerata sieht zu der jungen Galaterin an ihrer Seite. Die Kriegerin hat noch nicht heraus gefunden, warum Hauptmann Oriq ausgerechnet ihr die Frau aufs Auge gedrückt hat. Sie hat wahrlich besseres zu tun, als jemanden herum zu führen und die Amme zu spielen. Sie ist Kriegerin. Kriegerin durch und durch und das Einzige mit dem sie Zeit verbringen will, ist das Schwert an ihrer Seite. Und ausgerechnet jetzt findet im südöstlichen Lager ein Wettfechten statt. Es gäbe einige Münzen zu gewinnen und sie ist hier mit diesem Mädchen. Die Kleine kann doch nicht älter als 20, höchstens 25 sein. Außerdem viel zu hübsch, oder besser unschuldig für ein Heerlager. Zerata schüttelt den Kopf, als sie den Blick noch mal über das mit einem perlenbesetzen Reif festgesteckte, blonde Haar gleiten lässt. Und auch das Kleid ist auf der einen Seite zu lieblich zart in seinen Farben gehalten, auf der anderen aber viel zu körperbetont. Die Kriegerin muss sich eingestehen, dass die milchig weiße Haut des Mädchens und die fast schon zu perfekten Proportionen einen Hauch von Neid in ihr wecken. Selbst das Gesicht ist von feinen, braven Zügen und die Nase einfach nur süß. Und was war sie schon dagegen? Gut, an ihr gab es kein Gramm Fett und auch kann niemand übersehen, dass sie eine Frau ist. Ihre enge, schwarze Lederhose und der gleichfarbige Brustpanzer, der von der Form eher einem Mieder gleicht, unterstützen diesen Eindruck immens. Aber ihr mittellanges, braunes Haar ist genauso wenig etwas Besonderes, wie ihre von der Sonne gebräunte Haut, und dass sie so groß wie die meisten der Kämpfer hier im Lager ist, ist auch kein Punkt auf ihrer Habenseite. Aber vor allem die Narbe in ihrem Gesicht, die sich von der rechten Schläfe über die ganze Wange hinab zieht und die immer farblich hervor sticht, als wäre sie beseelt und sich immer entgegen ihrer Hautfarbe in den Jahreszeiten anpasst, um ja hervor zu stechen, hat das Bild einer attraktiven Frau für die meisten Männer zerstört. Obwohl sie einmal hübsch war. Zerata hasst dieses Andenken an den verfluchten Elben, den sie vor vier Jahren in einem Wald überfallen hatte und der sich als etwas zu geschickt für sie erwiesen hat. Heute würde ihr das nicht mehr passieren. Zu viel hat sie in den Jahren gelernt. Aber heute ist nicht der Tag vor vier Jahren. Trotzdem hat sie der missglückte Überfall stärker gemacht und sie würde den Tag niemals vergessen. Sollte dieser Elb noch einmal ihren Weg kreuzen... Aber das Mädchen hier an ihrer Seite würden die Männer zerfetzen, wenn sie sie nur einen Augenblick aus den Augen lassen würde. Wie hat die Kleine noch mal geheißen? Wie soll sich eine Kriegerin konzentrieren, wenn sie neben einem frühreifen Kind einher geht, dessen Mund nicht eine Sekunde still steht? Myriella. Genau. Myriella von Weidenar. Baroness ihres Zeichens.
„Myriella?“
Das Geplapper hält an.
„Baroness Myriella!“, sagt Zerata entschieden und vor allem lauter. Das Geplapper neben ihr verklingt und die junge Frau sieht die Kriegerin mit großen Mädchenaugen an.
„Ja, Dame Zerata?“
Zerata lacht auf. „Spart Euch das Dame, Kind! Ich bin keine Dame. Ich bin ein tödliches Werkzeug, aber mit Sicherheit keine Dame. Erklärt mir, was bei allen Göttern Ihr hier macht.“
Myriella lächelt so lieblich, dass es Zerata einen Stich im Herz versetzt und sie zugleich den Männern, die sie immer wieder passieren, einen wilden Blick zuwirft, der grauenvolle Qualen verheißt, wenn sie auch nur einen anzüglichen Blick in Richtung der Baroness werfen sollten.
„Mein Vater hat mich her geschickt. Damit ich lerne.“
„Euer Vater?“, fragt die Kriegerin einigermaßen verblüfft. „Wieso schickt Euer Vater Euch in die Gesellschaft so rauer Gesellen? Ich denke, nein, ich weiß, dass es mit Sicherheit bessere Orte gibt, um für Euch einen angemessenen Ehegatten zu finden, Baroness.“
Die junge Frau lacht und selbst ihr Lachen ist mehr Musik, denn ein Laut aus dem Mund. „Aber liebste Zerata. Um einen Ehemann zu finden, bin ich wahrlich nicht hier. Eher ist es so, dass ich hier bin, damit ich überhaupt einen Ehemann finden kann.“
Jetzt wird Zerata wirklich neugierig. Trotzdem fragt sie eher vorsichtig. „Mögt Ihr mir erklären, was ein Heerlager dazu beitragen kann, dass eine junge, sehr attraktive Dame, wie Ihr es seid, überhaupt einen Mann zu finden vermag?“
„Oh, das ist eigentlich ganz einfach“, sagt die Baroness mit sanftem Lächeln. „Ich habe geschworen, dass ich nicht eher einen Mann zu meinem Gatten nehmen werde, bis nicht all das Land uns gehört. Und mit uns meine ich natürlich uns Galater und nicht alle die andere Brut, die dieses herrliche Land durch ihre reine Anwesenheit besudelt. Wir Galater sind ein rechtschaffenes, ehrliches, kluges und wunderbares Volk. Wir sind die Krone der Schöpfung und als solche ist es unser Recht und auch unsere Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass die Schönheit des Landes bewahrt wird, gar noch größer wird. Und natürlich, dass es zu keinerlei Vermischung mit dem unreinen Blut dieser Kreaturen kommt, die sich Alte Völker heißen.“
Zerata starrt die Baroness mit offenem Mund an. Doch diese fährt ungerührt inbrünstig fort.
„So schickte mein Vater mich hier her zu dem allseits geliebten Herzog Weißenwolf, damit ich meinen kleinen Beitrag zu diesem ehernen Ziel beitragen kann. Mein geliebter Vater natürlich in der Absicht, dass sich so mein heiliges Gelübde erfüllen möge. Ich hingegen stehe treu zu den Zielen des Herzogs und will ihn bei seinen Vorhaben unterstützen, so es meine Möglichkeiten nur zulassen.“
„Und welche Möglichkeiten sollen das sein, Baroness? Mir scheint es, dass Ihr nur die Kämpen mit Eurer Schönheit zu unterhalten vermögt und so die Moral der Truppen gestärkt würde.“
„So mag es sein!“, sagt Myriella fröhlich lachend. „Doch wurden ich und auch mein Vater etwas per Zufall gewahr, obwohl ich eher glaube, dass es göttlicher Fügung entsprang, das helfen wird. Vor drei Jahren griffen die Knechte meines Vaters einen Zwerg auf unseren Ländereien auf. Obwohl nur das Betreten unseres Landes durch die Brut strengstens bei Tode verboten ist, erdreistete sich dieses Ungeheuer, dieses Gebot zu missachten, um mit einigen der unwissenden Bauersleut Handel zu treiben und ihre eh schon beschränkten Gedanken mit falschen Ansichten zu erfüllen. Zum Glück konnten die Knechte dies noch rechtzeitig unterbinden.
So kam es, das dieser Zwerg in die Zellen der Burg meines Vaters verbracht wurde, um ihn der peinlichen Befragung zu unterziehen, und ihn alsbald, nachdem er seine Untaten gestanden hätte, dem Scharfrichter zu überstellen. Doch wollte mein Vater von diesem finsteren Gesellen aus gutem Recht hervor pressen, ob sich nicht noch andere seiner Art auf unseren Ländereien befinden mögen.
So kam es nun, dass ich mich zur gleichen Zeit in den niederen Gewölben der Burg befand, um mich an der dort einsitzenden Brut zu ergötzen, denn der Zwerg war nicht der Einzige. In dem Wissen, dass sie alle alsbald ihrer nur allzu gerechten Strafe zugeführt werden würden, summte ich ein kleines Lied, als mich mein Weg an der offen stehenden Tür zu jener Kammer vorbei führte, in der mein Vater und seine Knechte den Zwergen befragten. Ich sah dieses haarige Geschöpf. Dieses Experiment unser aller Mutter, das schon längst nicht mehr auf unserem heiligem Land wandeln sollte, und es durchfuhr mich ein heißes Feuer gerechten Zorns. Ich stürzte mich auf diesen Zwerg und riss ihm Haare seines Bartes aus und zerkratze seine Augen. Er schrie wie am Spieß. Gestammelte Worte blubberten über seine Lippen, welch Schande es wäre, ausgerechnet von einem Weibsbild – Weibsbild, für dieses Wort habe ich ihn noch leiden lassen, aber ich greife vor – Ungemach erleiden zu müssen. Da lachte mein Vater und er gewährte mir, in meinem Zorn fortzufahren. Während ich also den Zwergen für seine ungeziemenden Worte mir gegenüber, die auch immer wieder auf neue und schändliche Art über seine Lippen kamen, strafte, genossen mein Vater und seine Knechte offensichtlich, wie ich alle die feinen Werkzeuge die für eine ordentliche Befragung von Nöten sind, an dieser Kreatur ausprobierte. Und als ich ihm die Augen ausgestochen, die Nägel gezogen und den Bart abgeschmort hatte und gerade damit begann, ihm vorsichtig die Haut des Gesichts abzuziehen, da setzte mein Vater mit seiner Befragung ein.“
Zerata starrt noch immer, aber Myriella erzählt begeistert weiter, ohne die Kriegerin wahr zu nehmen.
„Alles, wirklich alles hat der Zwerg ausgespuckt!“
Zerata schließt den Mund und beginnt zu lächeln, als sie merkt, wie die Baroness die Pfade der hohen Sprache in ihrem Eifer verlässt und lässt sie weiter reden.
„So erfuhren wir, wo noch mehr seiner Brut unsere Lande besudelten. Und wir hätten noch viel mehr zu hören bekommen, wenn die Kreatur unter meinen Händen nicht viel zu rasch ihrer eigentlichen Bestimmung durch meine Hände zugeführt worden wäre. Ich muss gestehen, dass ich halt noch unerfahren war. Aber zum einen hatten wir einiges erfahren und zum anderen ist es so, dass das Land meines Vaters genau zwischen einem ausgedehnten Waldgebiet und einem großen Gebirge liegt. Zwei natürliche Lebensräume der Alten Völker. So war es gar nicht allzu schwierig, mir weiteres Material für meine Zungenlockerungsübungen zukommen zu lassen. Mein Vater, seine Knechte und ich wurden zu einer eingespielten Gruppe. Es gelang uns innerhalb von nur zwei Jahren, das Land von jedweder Brut zu befreien. Und ich sage Euch, wenn man der Brut Weiber, oder noch besser Welpen, nur hinreichend befragt, werden sie alle sehr genügsam und lauschen unseren Befehlen und kamen ihnen nach. Und jetzt bin ich halt hier. Um mein Gelübde zu erfüllen und das Land von allem Unreinen zu befreien!“
Zerata lacht und schüttelt den Kopf. „Baroness, ich gebe es zu, Ihr habt mich jetzt mehr als überrascht. Hinter der Fassade Eures hübschen Äußeren verbirgt sich eine Wölfin!“
Myriella macht während des Gehens einen artigen Knicks. „Vielen Dank ob Eures Lobes, Zerata.“
Die Kriegerin lacht. „Und warum wollt Ihr das Land frei der Alten Völker sehen?“
„Ist das nicht klar?“, erwidert die Baroness. „Es ist unsere und somit auch meine eherne Pflicht als Patriotin den Acker für unsere Kinder wohl zu bestellen, auf dass sie in Glück, Liebe und Frieden miteinander leben.“
„Ein ehrenwertes Ziel. Euch ist aber schon bewusst, dass Ihr dafür den Weg des Blutes angetreten seid?“
Myriella nickt bedauernd. „So ist es, Zerata. So ist es leider. Doch Opfer müssen erbracht werden. Doch ist das Blut der Brut für nichts weiter wie der Schmutz der Erde im Kräutergarten, den ich an meinen Händen trage, nachdem ich ihn von den Wildwüchsen befreit habe, auf das jene Pflanzen, die Nutzen bringen, frei wachsen können. Und wie ich jenen Schmutz von mir waschen kann, kann ich das Blut von mir waschen und mich später daran erfreuen, dass mein Streben erfolgreich war.“
Sie hat kaum zu Ende gesprochen, als neben ihnen ein Schrei erklingt. Zerata verflucht sich selbst, dass sie so von der Erzählung der Baroness gefangen worden ist, dass sie nicht mehr auf die Umgebung geachtet hat. Direkt neben ihnen beiden hat ein grobschlächtiger Söldner eine der Trossfrauen gepackt und ihr das Mieder aufgerissen. Der volltrunkene Kerl scheint nicht einmal zu merken, dass er sich mitten zwischen den Zelten befindet. Und er bekommt auch den Schrei der Baroness nicht mit.
Zerata reagiert aus reinem Instinkt. Ihre Faust kracht mit Urgewalt gegen die Schläfe des Mannes, der umgehend wie ein gefällter Baum zu Boden stürzt. Die Trossfrau sieht mit vor Schrecken geweiteten Augen auf die Szene. Sie zittert am ganzen Leib. Zerata aber weiß, dass solch ein Geschehen nicht selten das Los einer der Frauen ist, die einen Heerzug begleiten oder mit in den Lagern der Krieger leben. Sie dreht sich zu der Baroness, die solcher Art Verhalten wohl noch nie gesehen hat, doch schießt Myriella schon an ihr vorbei und legt schützend einen Arm um die schluchzende Frau und verdeckt mit ihrem Leib ihre Blöße, die sie mit geschickten Fingern zugleich ganz zu verbergen sucht. Streng sagt sie in befehlendem Ton. „Das darf nicht sein. Kein Galater darf Hand an einen anderen Galater legen. Niemals! Ihr zwei da! Kommt her und bringt diesen Manne vor einen Richter. Mir scheint es, dass übles Blut in seinen Adern fließt, wenn er zu solcher Tat fähig ist! Man möge ihn darauf hin befragen und entsprechend abstrafen.“
So bestimmend und herrisch ist ihr Ton, dass Zerata sofort den Befehlen gefolgt wäre, hätte die Baroness ihre Worte nicht direkt an zwei der Söldner gerichtet. Zerata gesteht sich ein, dass die junge Baroness tatsächlich etwas an sich hat, dass so nicht zu sehen ist und das die junge Frau in der Achtung der Kriegerin mächtig steigen lässt. Mit unverhohlener Bewunderung sieht sie zu Myriella.
„Und du, Frau, komm. Mein Zelt ist nicht weit und ich brauche eine Magd. Keine Unbill durch eines Mannes Tat soll dir fürderhin mehr geschehen.“ Dann sieht Myriella zu Zerata. „Und Ihr, Zerata, mir scheint es, wir verstehen einander gut. Ich weiß, dass ich eine junge und zarte Frau bin. Würde es Euch missfallen, mit mir ein Zelt zu teilen?“
Zerata lächelt und es ist ein freudiges Lächeln, wie ihr selbst bewusst wird. Sie kann gar nicht anders, als das Haupt zu neigen. „Es wäre mir eine Freude, Herrin!“

Wenig später sind Zeratas wenige Sachen in das weiträumige Zelt der Baroness verbracht und die beiden äußerlich so ungleichen Frauen sitzen sich an einem kleinen, runden Tisch gegenüber. Um sie herum sind feine Möbel und Teppiche und Behänge in zarten Farben, wie sie für jede junge Adlige typisch sind. Die Trossfrau, die nicht nur wieder gefasst aussieht, sondern auch ein neues Kleid trägt, das zwar wahrlich nicht nobel ist, aber bei weitem nicht mehr den Anschein von Lumpen hat, hat den beiden eine Karaffe mit Wein gebracht und sich dann mit einem noch nicht wirklich geübten Knicks von den beiden zurück gezogen.
Kriegerin und Adlige stoßen miteinander an und genießen einen Moment schweigend den tief roten, erdigen Wein. Über den Rand des Glases hinweg fragt Myriella: „Sagt mir, wie kam es zu dieser Narbe in Eurem Gesicht? Von Geburt an werdet ihr dieses Mal doch wohl kaum getragen haben oder?“
Zerata nickt leicht und versucht dem jetzt durchdringenden Blick der Baroness auszuweichen. Wieder fällt ihr auf, wie von jetzt auf gleich Myriella von einem Mädchen zu einer Herrin werden kann. „Das ist richtig. Ein Elb. Er...“
Myriella zieht die Luft scharf ein und hebt die freie Hand. „Ihr müsst nicht weiter erzählen. All den Rest kann ich mir denken und ist es nicht ein weiterer Beweis, dass all unser Streben richtig und unsere Pflicht ist?“ Eifer erfasst die Baroness einmal mehr. „Hiermit, meine liebe Freundin, schwöre ich Euch, dass ich nicht eher ruhen werde, bis diese schändliche Tat, die Euch ein Stück Eurer Selbst nahm, gesühnt und gerecht ist!“
Zerata lacht freudlos auf, doch hält sie inne, als sie im Blick der Baroness erkennt, dass es ihr vollkommen ernst damit ist. „Das... könntet Ihr wohl tun, Baroness.“
Myriella winkt ab. „Zerata! Es ist an der Zeit diese Förmlichkeit bleiben zu lassen. Ich bin Myriella für dich, wie du nur noch Zerata für mich sein wirst. Dein Gram ist meiner und wir sind einander nun Schwestern.“
Das geht Zerata nun doch ein bisschen schnell, aber sie hat nicht die geringste Ahnung, wie sie das der Baroness klar machen soll. Vor allem nicht, ohne gleich ihre Gnade zu verlieren. Denn es ist der Kriegerin bewusst, dass dieses junge Ding ein furchtbarer Feind sein könnte. „Nun gut, wenn es dein Wunsch ist, Myriella.“
„Das ist es... und nun sprich genau. Wo geschah es und wie sah dieser Elb aus. Nicht, dass sie eh alle das gleiche Aussehen haben.“
Zerata grinst schief und beugt sich vor, denn ihr kommt eine Idee. „Weißt du, seit Jahren schon grüble ich darüber nach, was ich mit dem Kerl mache, wenn er mir in die Hände kommt. Nachdem, was du mir erzählt hast, kannst du mir bestimmt ein paar sehr interessante neue Ideen zukommen lassen und mir auch sagen, ob meine Ideen machbar sind, ohne dass es für den Elb zu schnell vorbei wäre.“
„Das kann ich bestimmt!“, sagt Myriella mit ihrem Liebmädchenlächeln. „Dann erzähl mal. Nichts gefällt mir besser, als zu planen, wie wir die Brut angemessen von unserer Welt tilgen können!“
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Sa 28. Mai 2011, 19:42, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Thorn La Fahr
Ledain
Ledain
Beiträge: 3974
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 15:54
Wohnort: Lemurain
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

Seine Hoheit Karak von Weißenwolf geht mit militärisch exaktem Schritt, aber doch gemächlich durch die Reihen der Zelte seines Heeres. Ohne äußerliche Regung sieht er zu dem Zelt der Jungfer von Weidenar und beobachtet, wie sich die Eingangsplane hinter der Baroness und der Söldnerin Zerata wieder schließt. Diese beiden sind Frauen, wie er sie sich wünscht. Zielstrebig, mutig, klug und von dem Wissen erfüllt, dass ihr Volk die Krone der Schöpfung ist. Zwei Frauen, die für von Weißenwolf die Mütter einer vollkommeneren Generation Galater sein würden. Viel mehr dieser Frauen, ihrer Kinder und auch Männer, die ganz und gar hinter dem Volk der Galater stehen, würde er noch brauchen, denn er weiß, dass der Weg, der noch vor ihm liegt, lang sein wird. Lang und auch blutig. Aber was ist schon Blut, wenn am Ende die Befreiung Galats von den Untervölkern stehen wird? Diese Versuche der Schöpfung, bis die Krone in den Galatern selbst erreicht worden ist.
Ein leichter Schauer läuft von Weißenwolfs Rücken hinab. So wie es immer ist, wenn er an die Alten Völker denkt. Er hasst sie nicht, nein, denn sie können nichts dafür, dass sie noch immer auf Erden wandeln. Sie widern ihn einfach an. Ekle Geschöpfe, deren einziger Sinn darin gelegen hat, das Land für die Galater vorzubereiten und die Schöpfung nur vergessen hat, diese Diener wieder abzuberufen, nachdem dies geschehen war. Aber diesen Fehler würde er, Weißenwolf, jetzt korrigieren.
Sein Blick fällt auf drei Orks, die ihm aus dem Weg springen. Orks. Keine Alten Völker, aber auch wahrlich keine Galater. Sie waren nützlich. Man kann ihnen zwar keine schweren Aufgaben übertragen, aber sie können hervorragend eine Truppe verstärken und dienen als die Bauern, die in einem Krieg nun einmal als erste Fallen, wenn es in die Schlacht geht. Dabei waren sie willfährig und günstig im Unterhalt. Außerdem viel zu dumm, um zu begreifen, dass sie als nächstes dran sein würden, wenn erst all die Elben, Zwerge, Feenvölker und was es nicht noch so gibt und für das von Weißenwolf sich nicht einmal die Namen merken will, vertrieben worden sind oder mit ihren toten Leibern dafür sorgen, dass das Land fruchtbar bleiben würde.
Neben von Weißenwolf fallen zwei Söldner kriecherisch in den Schlamm auf ein Knie und grüßen ihn. Und doch sieht er sie nur kurz an und geht an ihnen wortlos vorbei. Es würde Opfer geben. Doch nicht alle Opfer würden umsonst sein. Gerade unter den Söldnern gab es nicht nur einige, sondern viele, die er schon immer eher als Aussatz seines Volkes angesehen hat. Und so würde er gleich zwei Probleme auf einmal lösen können. Der Aussatz würde gelichtet und die Alten Völker vertrieben werden. Sollen sie doch auf diese seltsam blaue Welt ziehen, die er ab und an am Nachthimmel durch ein gutes Fernglas beobachten kann. Es interessiert ihn nicht, wie sie es machen, dass sie dorthin gelangen können. Ihn interessiert nur, dass jedes dieser widerlichen Geschöpfe, die wie Unkraut auf Galat wuchern, von allein verschwindet und nicht unter seiner Hand und Befehl getötet werden muss. Dabei ist das Töten für ihn wahrlich kein moralisches Problem. Schon lange hat von Weißenwolf aufgehört, irgendetwas an oder gar in sein Herz dringen zu lassen. Manchmal fragt er sich tatsächlich, ob dieser Kampf, der nun schon fast sein ganzes Leben lang andauert, nicht sein Herz als Opfer verlangt hat. Wenn es so ist, so ist es ein Opfer, das er bereitwillig gegeben hat. Nein, all das Töten ist eine Frage der Logistik. Die Alten Völker zählen Millionen. Obwohl es mittlerweile mehr Galater als alle Alten Völker zusammen gibt, so ist das eine Masse an Toten, die verbrannt werden müssten und er würde ungern die herrlichen Wälder seiner Heimat abholzen, um diese zu verbrennen. Diese blaue Welt am Sternenhimmel ist deswegen eine Offenbarung, denn so konnte der Terror die beste Waffe in seinem jetzt schon Jahrzehnte andauernden Kampf sein. Zuerst rennen sie immer, wollen nicht kämpfen und wenn, machen sie es erst dann, wenn es zu spät ist. Jedoch wird jeder zu einem reißenden Wolf, wenn er mit dem Rücken zu Wand steht.
Kurz huscht tatsächlich so etwas wie ein kaltes Lächeln über von Weißenwolfs Gesicht, als er den Vergleich zu seinem eigenen Wappentier zieht.
Aber dank Balapurs, der blauen Welt, gibt es diese Wand nicht. Sie können weiter rennen und gehen – für immer. Er selbst hat kein Interesse an Balapur, könnte er die Welt ja nicht einmal erreichen. Deswegen bleiben die Kämpfe übersichtlich, der Terror wirksam und der Widerstand eigentlich gering. Manchmal hat er den Eindruck, dass die Flüchtenden nicht mal allzu unglücklich über ihr Los sind. Immer dann, wenn er hört, dass ganze Städte verlassen worden sind und nichts geblieben ist, außer den steinernen Zeugnissen ehemaligen Lebens, das in den Mauern und Häusern gelebt hat, ist es doch ein Beweis, dass er sogar ihnen, den eklen Geschöpfen, eine Gnade zuteilwerden lässt, die sie nicht im Mindesten verdient haben, die seine Pläne aber hinreichend unterstützen. So und nur so kann sich seine Hoffnung erfüllen, dass er das Ziel all seines Strebens noch zu Lebzeiten erleben kann. Zumindest in den Ländereien, die er seine Heimat nennt. Was mit den Ländern weit entfernt ist, Länder deren Namen er zum Teil nicht einmal kennt und deren Herrscher für ihn nur namens- und gesichtslos sind, steht auf einem anderen Blatt. Aber in den letzten Jahren hat er auch dorthin erste Kontakte geknüpft. Auch dort gibt es Männer und Frauen, die denken wie von Weißenwolf selbst und er guter Hoffnung ist, eine Allianz schmieden zu können, die sich schon bald über ganz Galat erstrecken wird. Auf das auch am hintersten Flecken der Heimat das Alte Volk vor die Wahl des Exodus oder des Todes gestellt werden kann.
Jetzt aber hat er noch ganz andere Sorgen. Etwas, womit er so nicht wirklich gerechnet hat. Zumindest nicht in diesem Umfang. Seit sein Tun immer weitere Kreise zieht, die Flucht der Alten Völker die Form von Völkerwanderungen angenommen hat und die geführten Kämpfe und Schlachten sich nicht nur in Gerüchten, sondern offen in Geschichte und Erzählung weit verbreitet haben, stellen sich ihm hier und da Galater entgegen. Eigene Volksgenossen, die mit den eklen Völkern paktieren.
Wütend ballt der Herzog die Faust und ein Trossweib, die das absolut kalte Gesicht von Weißenwolfs erblickt, als sie zwei schwere Wassereimer greift, erbleicht selbst.
Verräter! Abtrünnige! Verblendete, die sich gegen das eigene Volk stellen und somit gegen ihn. Und das, wo er nur das Beste auch für sie will. Wehrhafte Streiter, weise Gelehrte und auch das gesichtslose Heer der einfachen Leute, deren Handwerk aber nichts desto trotz und vielleicht sogar hauptsächlich, unverzichtbar für eine funktionierende Gesellschaft sind. Egal wie sehr er schon auf diese Leute eingeredet hat. Mit Argumenten, gar mit Flehen, hat er nichts erreicht. Nein, ihr Geist blieb eisern und nichts ließ sie von ihrer irrigen Meinung abbringen, dass man mit den Alten Völkern in Frieden leben müsse, dass sie auch ein unverzichtbarer Teil des großen Ganzen wären. Wie viele von diesen Leuten waren schon in den dunklen Kammern, die er all überall hat einrichten müssen deswegen, unter den Händen seiner treuesten Knechte dem Tode überstellt worden? Er hat sie nie gezählt. Letztendlich ist es ihm egal. Auch diese würde er wohl oder übel mit Stumpf und Stiel ausrotten müssen. Das böse Blut unter den Galatern selbst aber, die dieses Beschneiden des blühenden Baumes der Galater aber bringen würde, obwohl er dadurch noch besser und schöner und größer würde wachsen können, sind Probleme, mit denen er sich noch herumschlagen wird. Dessen ist er sich gewiss.
Gewiss ist Weißenwolf sich dann auch, als er aus seinen Gedanken in die Wirklichkeit seines Heerlagers zurück fällt und sich direkt vor dem Zelt der Baroness wiederfindet. Er stellt sich nicht die Frage, warum seine Füße ihn dorthin getragen haben. Jetzt, wo er hier ist, kann er auch etwas tun, was die Höflichkeit verlangt. Er kann der Baroness aufwarten. Denn auch wenn er vielleicht sein Herz auf dem Weg seines Kampfes verloren hat, so würde er niemals die Formen des Anstandes und der Ehre verlieren.
Er öffnet die Plane und tritt ein. Die Baroness und die Söldnerin sehen von Weißenwolf an und stehen rasch von ihren Stühlen auf. Mit einem Blick erfasst er das ungewohnt weiblich eingerichtete Zelt. Kurz blickt er verwundert die Magd der Baroness an, die ihm ohne Aufforderung einen weiteren Stuhl an den Tisch der beiden Frauen trägt. Er ist sich sicher, eine Frau, die genauso aussieht wie die Magd, schon des Öfteren im Heu verschwinden gesehen zu haben und das sie dabei mit der Wahl der Söldner, die sie begleitet haben, auch nicht wählerisch gewesen ist. Doch kann er sich das nicht von der Dienerin einer Hochgeborenen vorstellen. Vor allem, da die Baroness erst vor kurzem im Lager angekommen ist.
Die Söldnerin verneigt sich vor ihm. Tief, aber nicht so tief, dass es unterwürfig wirken würde. Das gefällt von Weißenwolf. Es unterstützt seine Meinung von Zerata und zeigt ihren ungebeugten Willen. Die Baroness Myriella von Weidenar aber macht einen anmutigen Knicks und breiten ihre Röcke dabei um sich, wie auch ihr Kinn schamvoll auf ihre Brust sinkt. Eine solche Blüte gezierter Weiblichkeit, eine Jungfrau, derer Könige sich rühmen würden, sie zum Weibe zu nehmen, hat von Weißenwolf selten gesehen und kurz ist es ihm, als wurde er eine einzelne, strahlend weiße Blume auf einem Feld herbstbraunen Grases sehen. Er legt die Hand an die Wange der Baroness, während die Söldnerin sich von selbst und ohne Aufforderung wieder gerade aufrichtet. Mit dem Daumen am Kinn, richtet er selbst die junge Baroness wieder auf. „Baroness, welch Zierde Ihr für Euer Geschlecht doch seid.“
Myriella macht einen kleinen Knicks und lächelt von Weißenwolf freudestrahlend an. „Ich danke Euch für Eure Worte, Euer Hoheit! Doch kommt Ihr unangekündigt und so war es mir nicht möglich, eine Euch geziemende Begrüßung vorzubereiten.“
Ein kühles Lächeln umspielt des Herzogs Lippen. „Ich habe mich zu entschuldigen, denn ich war es, der Euch noch nicht aufwartete. Ist es Euch genehm, mich jetzt zu empfangen?“ Doch der Herzog nimmt in dem dritten Stuhl bereits Platz.
„Eine Freude ist es uns, Herzog!“, versichert Myriella und sie, wie auch Zerata setzen sich wieder.

Während die neue Magd der Baroness neuen Tee für die angewachsene, kleine Runde kocht, lauscht sie nicht auf das Gespräch der drei. Sie denkt über ihren Tag nach. Und was mit einer Vergewaltigung zu beginnen schien, endete in vielleicht dem besten Tag ihres bisherigen Lebens. Nicht nur eine Anstellung mit einem regelmäßigen Lohn hat sie heute errungen, und wofür sie sich weder schlagen lassen, noch die Schenkel breit machen musste, nein, wie es scheint, würde sie vielleicht auch den Herzog jetzt öfter sehen. Zwar hatte sie noch nie ein anderes Weibsbild in Röcken in seine privaten Kammern oder das Zelt auf dem bisherigen Weg gehen sehen, aber er war ein Mann und Männer haben gewisse Bedürfnisse. Das weiß sie nur allzu gut. Jetzt, wo sie ständig Zugriff auf frische Kleidung und sogar Seife hatte, mit der sie ihren Körper waschen konnte und sie sich nur ein bisschen geschickt anstellen würde – ja, vielleicht wäre sie in der Lage noch ein paar Münzen dazu zu verdienen. Und das würden gewisslich größere Münzen sein, als die Kupferlinge, die sie immer von den Kerlen bekommen hat, mit denen sie im Heu oder den nächsten Büschen verschwunden ist.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Mo 20. Jun 2011, 19:19, insgesamt 2-mal geändert.
Benutzeravatar
Thorn La Fahr
Ledain
Ledain
Beiträge: 3974
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 15:54
Wohnort: Lemurain
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

24.
Dicke Qualmwolken ziehen durch die von Gerüchen nach Bier, Schweiß und Essen durchzogene Luft. Ablegs Blick schweift über das gute Dutzend Tische, an denen zwischen zwei und einem Dutzend Leute Platz finden. Natürlich sitzen an jedem Tisch Leute. Es ist lang nach Einbruch der Dunkelheit und die Bauern und Handwerker genießen ihren Feierabend. Aber auch Reisende sitzen an den Tischen. Ableg kann zumindest drei Kaufleute und deren Gefolge an einem der größeren Tische ausmachen. Deswegen sind auch die Wagen und Pferde im Hof gewesen. Der junge Galater kann trotzdem nicht ein Grinsen unterdrücken, denn die Taverne hat keine Zimmer. Die Leute würden mit dem Heuschober Vorlieb nehmen müssen. Und ihrer Kleidung nach zu urteilen, würde ihnen das wenig gefallen. Andrerseits sind Kauffahrer lange Reisen gewöhnt und vielleicht macht es ihnen weniger aus, als er denkt und eigentlich ist es nur Ausdruck seines eigenen Wunschs, endlich einmal wieder in einem richtigen Bett zu liegen. Mit warmen, weichen Decken und Kissen, bezogen mit weißem, frischen Leinen und einer Matratze, deren Füllung nicht nur noch aus Unaussprechlichkeiten besteht.
Als er weiter in die Schank hinein geht, werden ihm neugierige Blicke zugeworfen. Die eine oder andere Hand hebt sich zum Gruß, wenn der Handbesitzer den jungen Mann wiedererkennt. Aber niemand steht auf, um sich vor ihm zu verneigen, was Ableg mit zufriedener Genugtuung zur Kenntnis nimmt. Er nickt allen Leuten freundlich zu und sofort werden auch deren Gesichter weicher, auch wenn kein Erkennen darin steht. Sie wenden sich wieder ihren Gesprächen zu. Kein Ruf, keine Aggression, keine Provokation. Ja, dies ist ein gutes Land und es ist seine Heimat. Endlich wieder daheim.
Trotzdem hatte er sich entschlossen, die Nacht noch einmal hier zu verbringen und nicht schon heute zurück nach Haus zu kehren. Die Begegnung mit seiner Mutter würde warten können. Zumindest noch diese eine Nacht.
Seine Augen erkennen in einer Ecke den kleinen Dreiertisch, der dort sehr günstig steht, um die ganze Schank im Blick zu haben und auch die Eingangstür. Zwei Gestalten sitzen dort. Der eine grobschlächtig, bullig und ausgesprochen brutal wirkend. Der andere feiner, aber nicht wirklich viel weniger kräftig. Aber eine gewisse Intelligenz spricht aus seinem zwar gewöhnlichem Gesicht, das aber gewisse Merkmale hat, die Ableg nicht einmal fest machen kann, die aber seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Der Kleidung nach und noch viel mehr wegen der Waffen, die die beiden bei sich tragen, kann es sich nur um Söldner handeln und zumindest der grobschlächtige Kerl, wäre in der ganzen Grafschaft bekannt, allein wegen seines Aussehens. Die beiden waren Fremde. So wundert es Ableg auch nicht, dass um sie herum eine Art seltsamer Freiraum ist. Eine Art von unsichtbarer Kugel, von deren Hülle alles andere in der Taverne abprallt. Es geht keine wirkliche Bedrohung von den beiden aus. Aber doch ein seltsames Gefühl der Spannung und Aufmerksamkeit – und vor allem dem Wunsch allein gelassen zu werden, was sie auch nötigenfalls sehr deutlich klar machen würden.
Schon war Ablegs Neugier geweckt. Trotz der warnenden Rufe eines schon seit Kindesbeinen nur minder ausgeprägt vorhandenen Sinns für die eigene Sicherheit, der jetzt aber laut aufschrie und doch einmal mehr von Ableg mit einer winzigen, geistigen Bewegung bei Seite gewischt wird, setzt er sich genau auf den Tisch zu in Bewegung, zieht den Stuhl ohne ein Wort ab, setzt sich hin und grinst die beiden Männer an.
„Nabend die Herrschaften. Ableg mein Name. Ihr seid fremd hier, wie ich sehe. Wo kommt Ihr her und was bringt Euch in dieses verschlafene Nest.“
Zwei entgeisterte Gesichter sehen ihn an. Zufriedenheit macht sich in Ableg breit. Einmal mehr hat sich Dreistigkeit als die beste Art neue Leute kennen zu lernen erwiesen. Er kann sogar ein leicht amüsiertes Zucken um die Mundwinkel des Jüngeren der beiden erkennen. So sieht er nicht die große Pranke, die hervor schießt und sich um seine Kehle legt. Noch während der junge Galater über seinen viel zu gering ausgeprägten Überlebensinstinkt nachzudenken beginnt, sieht ihn der bullige und eindeutig ältere der beiden mit schneidendem Blick an. „Ich kann mich nicht erinnern, dich eingeladen zu haben, Bursche.“
„Ich mich auch nicht mehr“, röchelt Ableg und greift mit beiden Händen die Hand des Kerls. Nicht mit beiden Händen kann er diese Säule aus Muskelkraft bewegen, die hinter der Hand zum Körper des Mannes führt, nicht auch nur ein Stückchen, wie er leicht entsetzt feststellt. Er müsste mehr als leicht entsetzt sein, aber Ableg schiebt es sofort auf eben jenen verkümmerten Instinkt, das es nicht mehr ist. Doch dann fühlt er sich an seinem Hals angehoben und hat keine Zeit mehr, darüber nachzudenken.
„Also Bursche. Warum stehst du dann nicht einfach wieder auf und suchst dir einen anderen Platz. Da hinten. An der Theke.“
Der jüngere der beiden hebt leicht die Hand. „Warte doch mal. Wenn er doch reden möchte, so lass ihn. Ich habe mich eh gefragt, wie wir hier was rausbekommen sollen, wenn wir nicht mit den Leuten sprechen. Die haben Angst vor uns.“
Der Ältere nickt. „Ja, haben sie. Viel zu brav und sittsam. Nicht mal Huren haben sie und heute Morgen beim Pissen hab ich echt bemerkt, dass da was angeschwollen ist.“
Der Jüngere lacht. „Dann hast du hier Pech. Aber allein deswegen bekommen wir hier nichts zu hören, wie wir sonst etwas zu hören bekommen würden in Tavernen, in denen wir normalerweise sitzen.“
„Ich bekomm keine Luft mehr!“, röchelt Ableg.
„Halts Maul“, blafft der Ältere und sieht doch nur den Jüngeren der beiden Söldner an. „Ich soll den also loslassen, sagst du? Aber du redest mit dem Burschen. Bauern, Dörfler und dazu sind die auch noch nett. Nett! Nein, du redest mit ihm.“
„Dann lass ihn doch los.“
„Ja bitte“, röchelt Ableg.
„Oh!“, sagt der ältere Söldner.
Ableg plumpst auf den Stuhl, als der Ältere einfach loslässt. Gierig saugt er Luft in seine Lungen und umfasst doch sogleich die schmerzende Kehle. Allein, um zu fühlen, ob noch alles da ist, wo es sein sollte und nichts doch zerquetscht ist.
Der Jüngere sieht Ableg an und holt Luft. „Verzeih uns, aber wir sind anderes gewohnt. Mein Name ist Narek und mein Freund hier heißt Wetoq. Wir sind Reisende.“
‚Reisende‘, denkt sich Ableg. ‚Na gut, dann Reisende.‘ – „Das habe ich mir schon fast gedacht, Narek“, sagt er krächzend.
„Du scheinst von hier zu kommen. Sag mir, habt ihr hier Probleme mit Orks?“
Ableg hebt erstaunt die Brauen. „Mit Orks? Nein. Nicht das ich wüsste zumindest. Ich bin zwar von hier. Aber ich war eine Weile weg und komme so gesehen auch erst heute wieder Heim. Aber wenn wir wirklich Probleme mit wilden Orks hätten, wüsste ich es schon. Die Leute würden hier nicht so ruhig sitzen und es wäre auf jeden Fall das Thema. Nein. Eigentlich kann es keine Probleme mit Orks geben.“
„Du bist also ein Händler oder so was?“, fragt Narek. „Allein deine Kleidung zeigt schon, dass du weder Bauer noch Handwerker sein kannst.“
„Oder so was trifft es am besten“, sagt Ableg.
Derweil kommt der Wirt. „Habt Ihr einen Wunsch, Herr?“, fragt der Mann sehr höflich mit einem seltsamen Blick auf die beiden Söldner zur gleichen Zeit.
„Ja, bring uns drei Bier, Roraq.“ Ableg lädt nicht ungern Tischgesellen mit auf ein Bier ein. Hier aber hofft er, dass es Wetoq vielleicht etwas besänftigen könnte. Aber der blickt immer noch drein, als wolle er Ableg gleich alle Knochen einzeln im Leib brechen.
Narek wartet, bis der Wirt wieder gegangen ist. „Gibt es hier denn irgendwo Orks?“
Ableg schüttelt den Kopf. „Weder in den Wäldern, noch in den Dörfern. Niemand hier hält sich Orks als Arbeiter.“
„Also würde es die Leute hier vielleicht doch interessieren, wenn wir hier auf dem Weg eine ganze Rotte von Orks gesehen haben. Bewaffnet und gerüstet.“
Ableg reißt die Augen auf. „Was? Wo? Wann?“
„Keinen halben Tagesritt von hier!“, sagt jetzt Wetoq, der auf die Reaktion Ablegs reagiert und etwas mehr Interesse zeigt.
„Das ist auf jeden Fall schon in Geroteth. Mitten auf diesem Land. Ja, das muss jemand erfahren. Am besten wäre es, wenn ihr beiden morgen mit mir kämet. Damit meine Mutter das aus erster Hand erfährt.“
Die beiden Söldner lachen auf und Narek sagt: „Also Ableg… ich weiß nicht, was eine solche Information bei deiner Mutter soll.“
„Ganz einfach. Sie ist die Gräfin von Geroteth!“

Wie auf ein geheimes Kommando hin richten sich Wetoq und Narek aus ihrem Strohlager auf und blicken hinab auf den schnarchenden Grafensohn in ihrer Mitte.
„Er wird morgen furchtbare Kopfschmerzen haben“, sagt Narek.
Wetoq zuckt mit den Schultern. „Hatten wir nicht alle schon mal furchtbare Kopfschmerzen?“
Narek grinst seinen Freund an und deutet mit einer Geste zur Stalltür hin. Die beiden stehen endgültig auf und gehen hinaus in die tiefe, ruhige Nacht.
Sie stellen sich in eine nachtschattige Ecke des Stalls. Narek sieht Wetoq mit ernstem Blick an und flüstert: „Du willst sein Angebot doch wohl nicht annehmen.“
„Warum nicht? Du hattest wirklich Recht. Der Junge ist ein Geschenk. Von wem auch immer.“
„Wetoq, wir haben uns sehr viel Mühe gegeben, den anderen zu folgen, ohne bemerkt zu werden. Und jetzt willst du offen zu ihnen reiten?“
Wetoq nickt leicht. „Ja, natürlich. Wir mussten uns verbergen, weil Terbor und seine Leute uns zerrissen hätten. Ich gebe es ungern zu, aber wir zwei hätten niemals eine Chance gehabt.“
„Ach? Und jetzt haben wir eine größere Chance?“
„Ja natürlich. Jetzt können wir uns verbünden.“
„Verbünden?“, fragt Narek verblüfft. „Was sollte Terbor dazu treiben, sich ausgerechnet jetzt mit uns zu verbünden?“
„Doch nicht mit Terbor, du Idiot. Mit dem Jungen! So sind wir genau da, wo was los ist und sieh es mal so, du kannst der Kleinen die ganze Zeit wunderbar nah sein.“ Dann grinst Wetoq breit. „Und wer weiß. Vielleicht hat die Gräfin ja Lust auf einen richtigen Kerl.“ Er reibt sich über das speckige Wams. „Ich hatte noch nie eine Gräfin.“
Narek verdreht die Augen. „Bleib mal ernsthaft!“
„Auch ich kann träumen!“, sagt Wetoq leise lachend.
„Die ganze Sache ist verrückt. Das weißt du.“
„Ja, das ist sie, aber denk doch mal nach. Sie wird funktionieren. Diese Grafenfamilie hier... guck dich doch mal um, wie ihre Untertanen sind. Die kümmern sich und die Leute danken es. Die Grafenfamilie denkt erst an ihre Leute und das Land. Wenn da also Orks kommen und wie der Zufall es will, Terbors Leute und zwei gestandene Söldner wie wir, dann werden sie nicht zulassen, dass wir uns gegenseitig an die Gurgel gehen, weil sie wollen, dass wir helfen; dass wir zusammen arbeiten.
Natürlich werden Kelg und ich uns ein bisschen prügeln und vielleicht werden Terbor und ich auch das ein oder andere Wort wechseln, aber außer Platzwunden und vielen blauen Flecken wird nichts passieren. Eigentlich mag ich so was nicht, aber gerade jetzt ist was Anderes wichtiger. Das mit den Orks. Das will ich noch erleben, bevor Kelg und ich endgültig unseren Disput austragen. Wir verbünden uns mit dem Grafensohn. Terbor und die Kleine sind eh schon verbündet. Aber die werden dafür sorgen, dass wir schön die Füße gegeneinander ruhig halten. Dafür sind wir direkt da, wo was los ist. Und noch mal. Du bist bei der Kleinen.“ Wetoq grinst zufrieden und blickt dann verblüfft drein, als würde er sich selbst über seine lange Rede wundern.
Narek sieht seinen Freund aber nicht an, sondern nachdenklich und in sich gekehrt in die Nacht hinaus. Nach einer ganzen Weile sagt er: „Du könntest wirklich Recht haben. Das kann funktionieren.“
Wetoq schlägt Narek auf die Schulter, was den ächzen und das Gesicht verziehen lässt. „Natürlich wird es das. Vertrau mir.“
Narek verdreht wieder die Augen. „Nein, werde ich nicht. Aber wir werden morgen mit Ableg reiten.“
Wetoq grinst zufrieden. „Na also. Ich wusste schon immer, dass zu junge, zu blonde und zu dünne junge Mädchen doch für etwas gut sein müssen. Dann komm und lass uns endlich schlafen gehen. Ich habe keine Lust auf Kopfschmerzen morgen früh!“
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Di 25. Okt 2011, 19:19, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Thorn La Fahr
Ledain
Ledain
Beiträge: 3974
Registriert: Mi 4. Jun 2008, 15:54
Wohnort: Lemurain
Kontaktdaten:

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

Der Tag scheint sich von seiner schönsten Seite zeigen zu wollen. Die Sonne strahlt in goldenem Gelb über weite, fruchtbare Felder, auf denen das Korn dicht steht. Hier und da ziehen Wege gerade Linien durch die Flure, um die Wagen der Bauern an jede Stelle bringen zu können. Ein Duft von frischem, gesundem Leben liegt in der Luft. Kleine Haine, mal auf der Kuppe eines Hügels, mal in einer Senke, bringen grüne Farbe in das Gelb der Felder. Vögel singen ihre Lieder und Hasen huschen immer wieder von einem in das andere Feld und kreuzen so den Weg der Drei.
Die Straße ist gut ausgebaut und so breit, dass sich zwei Ochsenkarren begegnen können und keiner der Wagenlenker würde ausweichen müssen. So reiten sie ungezwungen nebeneinander. Narek sieht immer wieder recht erstaunt zu Ableg, der kein Zeichen auch nur eines kleinen Kopfschmerzes zeigt. Ganz im Gegenteil zu Wetoq. Obwohl der alte Haudegen natürlich auch nur aus reiner Natur und Gewohnheit so ein verkniffenes Gesicht aufgesetzt haben könnte. Es ist an der Zeit, das Gespräch des Vorabends weiter zu führen. Nicht nur inhaltlich, sondern auch von der Tiefe her weiter zu gehen, damit der Plan, den er und Wetoq besprochen hatten funktionieren kann.
„Warum eigentlich deiner Mutter alles sagen, Ableg. Das habe ich noch nicht verstanden und wir kamen dann so plötzlich auf die Orks, dass das unter ging. Eigentlich ist doch dein Vater der Graf oder? Und du hast doch nichts dagegen, wenn wir eine so vertraute Anrede benutzen oder?“, sagt der junge Söldner und sieht den Adligen mit echter Neugier an.
Ablegs Gesicht verfinstert sich. „Nein, ich habe nichts gegen die Anrede. Mein Vater ist tot. Umgebracht worden in einem feigen Hinterhalt von einem Fürsten, der das Wertvollste, was meine Familie besitzt, gestohlen hatte. Jetzt ist meine Mutter jene, die Herrin über dieses wundervolle kleine Stück Land ist.“
Narek sieht kurz erstaunt zu Wetoq, der ein plötzlich starkes Interesse an den Gurten seines Sattels zeigt. „Oh, das tut mir leid für dich. Aber wäre es dann nicht eigentlich eher üblich gewesen, dass das Amt an dich über ging? So kein älterer Bruder da ist, aber dann wäre deine Mutter auch nicht in den Amtsgeschäften. Und was war denn dieser wertvolle Besitz? Wenn es mir erlaubt ist, dies zu fragen.“
Ableg ist offensichtlich eine Frohnatur, denn schon lacht er wieder. „Ist es mir erlaubt, die Fragen von hinten aufzurollen?“
„Aber natürlich.“
„Also gut“, sagt der junge Galater. „Unser wertvollster Besitz ist meine Schwester. Ihr Haar so golden wie der Weizen hier. Die Haut wie Schnee. Ein Gemüt, das von der Sonne und der Göttin geküsst wurde. So wunderschön, dass es selbst mir als ihrem Bruder das Herz anrührt, wenn ich nur an sie denke. Alle Leute hier liegen ihr zu Füßen. Sie lieben sie von ganzem Herzen und nennen sie nur ihre Prinzessin voller Zuneigung.“
Ableg beginnt zu schwärmen und auch Nareks Blick wird weich. Trotzdem krallt sich eine Faust um sein Herz. Der Blick wird rasch giftig, als er aus den Augenwinkeln sieht, wie Wetoq in einer obszönen Geste das Becken auf dem Sattel vor und zurück bewegt und dabei grinsend zu Narek schaut. Als aber das Pferd Wetoqs den Kopf dreht und seinen Reiter empört ansieht, weil dieses eh schon der Meinung ist, wegen des Gewichts seines Reiters ein Recht auf sehr viel Selbstmitleid zu haben und jetzt von ihm auch noch absolut unverständliche Reitbefehle erhält, muss der junge Söldnerhauptmann wiederum lachen. Er schüttelt den Kopf und sieht zurück zu Ableg, der ungerührt fortfährt.
„Auf jeden Fall wurde Johinzahin befreit und das ist eine so lange Geschichte, die nicht mal ich in allen Einzelheiten kenne, dass hier jetzt kein Raum dafür ist. Vielleicht später einmal, wenn wir unseren Familiensitz erreicht haben.“
„Johinzahin ist der Name deiner Schwester“, fragt Narek mit gut zur Schau gestelltem Unwissen.
Ableg nickt.
„Ein schöner Name.“
„Naja“, sagt Ableg lachend. „Er wird ihrem Äußeren nicht wirklich gerecht, wie ich finde. Aber ich kenne keine andere Frau mit diesem Namen. Also ist er wohl einzigartig. Was wieder gut zu ihr passt. Und nein, ich weiß nicht, was meine Eltern dazu trieb, sie so zu nennen. Auf jeden Fall; Johinzahin ist wieder zurück. Und sie wird es sein, der meine Mutter die Amtsgeschäfte in die Hände leget.“
„Warum?“, fragt Narek. Nur, um Ablegs Redefluss noch mehr anzutreiben.
„Das Volk liebt sie. Außerdem handelt sie klug, be- und durchdacht. Sie ist für die Leute da, und die wollen ihr jeden Wunsch erfüllen. Wenn sie früher schlechte Laune hatte, war eine dunkle Wolke über dem Schloss. Aber lachte sie, war es wie ein Festtag. Und das hat sich nicht geändert. Sie wird eine gute Gräfin sein, denn das Wohl aller liegt ihr mehr am Herzen als ihr eigenes. Und sie will, dass dieses Wohl noch wächst.
Mich hingegen kennen die Leute nur. Sie sehen in mir einfach einen netten jungen Mann, der aber leider nicht allzu zuverlässig ist. Und damit haben sie Recht. Ich will immer wissen, was hinter dem nächsten Hügel liegt und ich ziehe einfach los, um nachzusehen. Ich lasse alles stehen und liegen. Das ist nicht gerade eine gute Eigenschaft für einen domestizierten Grafen, würde ich mal sagen. Außerdem kann ich mich kaum um mich selbst kümmern. Verantwortung für so viele Leute würde mich schlicht überfordern. Ich würde wegrennen. Und damit hätten die Leute hier sogar noch Glück, denn sicher ist, dass sie ohne mich als ihren Regenten auf jeden Fall besser dran wären.“
„Das ist eine sehr ehrliche Selbsteinschätzung und dann verstehe ich es auch. Aber mir scheint, dass du die Leute hier auch liebst und auch das Land und dass sie dich auch mögen.“
„Danke für das Kompliment. Und ja... sie mögen mich. Aber wahrscheinlich nur solange, bis ich anfinge idiotische Erlasse herauszugeben. Dass ich das Land liebe, ist für mich aber klar, denn siehe dich um! Es ist herrlich. Ich diene ihm eben auf meine Art. Bei all meinen Reisen habe ich meine Heimat nie vergessen. In jeder Stadt, jedem Land habe ich bei jeder Gelegenheit auf Geroteth hingewiesen, um Händler hier hin zu locken. Das kann ich. Darin bin ich gut. So habe ich den Wohlstand des einfachen Volkes auf meine Weise gemehrt und die Liebe der Leute und des Landes zurückgezahlt.“
‚So ein schlechter Graf würdest du gar nicht werden. Du brauchst nur noch mehr Jahre um häuslicher zu werden‘, denkt Narek. Laut sagt er: „Du stellst ein bisschen dein Licht unter den Scheffel. Aber es ist deine Entscheidung. Noch mal zurück zu Johinzahin.“ Jetzt schaut Narek Wetoq wirklich direkt und giftig an, als der wieder seine Lenden auf dem Sattel vor und zurück schiebt. Wetoqs Pferd schnaubt erbost. Narek seufzt und sieht zurück zu Ableg. „Und deine Schwester? Will sie? Kann sie überhaupt? Ist sie denn nicht an einen anderen jungen Herrn versprochen?“
Doch Ableg sieht verwirrt vorbei an Narek zu Wetoq. „Ist etwas?“
„Mir juckt der Arsch!“, sagt Wetoq grob.
„Ah...“ Ableg sieht rasch auf den Weg vor ihnen. „Versprochen? Was? Ach so.. ja... nein. Ich glaube, sie war es nie. Und wenn... sie hat nun wirklich einen eigenen Kopf. Johinzahin würde sich nie einen Ehemann vor die Nase setzen lassen. Den hätte sie schon längst vertrieben. Um ehrlich zu sein, Mutter versucht schon lange, sie in entsprechende Hände zu bekommen, aber Johinzahin hat wirklich jeden Aspiranten auf ihre Art auch wieder der Tür verwiesen. Mutter ist ein bisschen verzweifelt deswegen. Ich denke, sie sollte ihr einfach mehr Zeit lassen. Der Richtige wird schon kommen.“
Narek nickt heftig, ohne es selbst zu bemerken.
„Freilich muss dieser Freier erst einmal an mir vorbei“, sagt Ableg grimmig.
Wetoq sieht an Narek vorbei zu Ableg. Er lacht nicht laut, doch ein abfälliges Zucken umspielt dessen Mundwinkel. Aber er schweigt still.
Narek mustert Johinzahins Bruder mit neuen Augen und tatsächlich sieht er ihn das erste Mal richtig an. Die Abschätzung, dass Ableg nicht wirklich ein großes Problem darstellen würde, um an ihm vorbei zu Johinzahin zu kommen, vertreibt er rasch in den hintersten Winkel seiner Gedanken. Zu all den anderen, über jene junge Frau, von denen nicht wenige dort auch besser verborgen bleiben sollten, damit es ihm nicht Schweiß auf die Stirn und Röte ins Gesicht treibt.
Vor sich sieht er einen jungen Galater. Die Figur schlank und biegsam. Nur etwa eineinhalb Handspann unter zwei vollen Schritt groß. Das Gesicht fein gezeichnet. Ausdrucksstark. Und wie Narek jetzt sieht, ganz und gar der Bruder Johinzahins. Echte Neugier auf die Mutter macht sich in Narek breit, denn sie muss eine Schönheit sein. Ihre Kinder können auf jeden Fall die Geschwisterschaft niemals abstreiten. Halblanges, hellbraunes Haar, das er jetzt zu einem lockeren Zopf gebändigt hat. Ein paar Strähnen, die ihm immer wieder ins Gesicht fallen, Ableg so aber auch ein Stück Verwegenheit geben. Zusammen mit den langgliedrigen Fingern, die auch ein gewisses Maß an Stärke verheißen, würde der Adlige ein Frauenschwarm sein. Ja, die Frauen werden ihm zu Füßen liegen, wie sich Narek mit einem leichten Anflug von Eifersucht eingestehen muss. Schon jetzt in der braunen Reiselederkleidung, mit einem kurzen Breitschwert gegürtet, macht Ableg was her. Bedenklich findet Narek aber, dass er sich den Mann auch sehr gut in der üblichen, höfischen Kleidung vorstellen kann und das Ableg darin dann wahrlich königlich aussähe, obwohl Narek alle, die er in Samt, Brokat und Seide vorher immer nur als ausgesprochen Lächerlich empfunden hat – selbst seine ehemaligen Soldgeber. „Johinzahin ist also noch frei?“
Ableg sieht zu Narek und lacht. „Na, na! Du hast sie doch noch gar nicht gesehen, aber du wirst sie trotzdem sofort lieben. Deswegen allein verzeih ich dir das, was die Frage impliziert. Aber mach dir keine Hoffnungen. Sie selbst wird gar nicht wissen, was für einen Mann sie haben will.“
„Du liebst sie sehr, nicht wahr?“, fragt Narek ungewohnt sanft.
„Ja!“, stößt Ableg fest und bestimmt hervor. „Sie ist das Wichtigste für mich. Auch wenn sie selbst das vielleicht gar nicht so sehr weiß. Aber ich würde ohne zu zögern mein Leben für sie geben.“
„Sie ist also wirklich etwas ganz Besonderes, denn selbst du liegst ihr ja zu Füßen.“
Ableg lächelt. „Ja... und nicht mehr lange und du wirst wissen, warum. Und dann weißt du auch, warum es einfach keine andere Wahl geben kann, als das sie die Gräfin von Geroteth wird.“
„Ich bin gespannt“, sagt Narek lächelnd.
„Wenn ihr so weiter macht mit dem Beweihräuchern, wird mir schlecht. Die Luft ist schon ganz dick!“, grummelt Wetoq.
Ableg lacht. „Ja, ja, ich höre ja schon auf. So weit ist es nicht mehr. Und auch du, Freund Wetoq wirst zumindest bei einem Bier auf deine Kosten kommen.“
„Das klingt besser“, sagt Wetoq mit zufriedenem Unterton.
„Ich bin gespannt, wie Wetoq und ich aufgenommen werden“, sagt Narek mit Blick zu einem ehemaligen Mentor.
Ableg winkt lachend ab. „Mutter wird so viel mit mir zu schimpfen haben, dass ihr erst einmal gar nicht so sehr auffallen werdet und wenn sie mich ausreichend zusammengefaltet hat, wo ich mich wieder solange rumgetrieben habe, dann seid ihr einfach da und gut ist. Ich bin bei euch. Vertraut mir.“
Wetoq verdreht die Augen. Narek stößt dem Freund in die Seite und sieht dann zu Ableg. „Noch mal danke für die Einladung. Wir werden es zu schätzen wissen.“
„Oh, sag das besser noch nicht. Wenn das mit den Orks bestätigt werden sollte, dann wird Mutter nervös werden. Geroteth aber hat nicht wirklich viele Männer unter Waffen. Gerade das gute Dutzend, das wir schon immer als Wachen, aber mehr vor zeremoniellen Popanz und zur Schaustellung hatten, wenn hohe Gäste daheim waren. Ich weiß nicht einmal, ob sie wirklich kämpfen können. Was Johinzahin und ich an Waffenkunst gelernt haben, hat Vater uns beigebracht.“
„Auch deiner Schwester“, fragt Narek verblüfft.
„Ja, erstaunlich, nicht wahr. Aber Vater war immer der Meinung, dass auch eine Frau sich verteidigen können müsste. Und da muss ich ihm wirklich Recht geben. Was Frauen so geschehen kann, wirft kein gutes Licht auf uns Männer. Wir wären wohl ganz anders, würde uns selbst bei harmlosen Tändeleien rasch ein Dolch oder gar Schwert an die Kehle gehalten werden, wenn wir zu aufdringlich werden.“
„Das ist nicht von der Hand zu weisen. Und jene, die ins Söldnergeschäft einsteigen sind... wie soll ich es ausdrücken? Recht seltsam zumeist. Es gibt da nur wenige Ausnahmen. Frau, die halt wirklich einfach nur das Abenteuer suchen und sich ganz auf sich selbst verlassend durch das Leben kämpfen.“
Ableg sagt lächelnd. „Frauen haben auch in der Regel andere Waffen. Sie sind auf andere Art stark. Meine Mutter ist dafür ein sehr gutes Beispiel. Aber wenn jemand mit dem Schwert kommt und es einsetzen will, nutzen diese Waffen einer Frau nicht mehr wirklich viel, wenn sie selbst keine Waffe zur Hand haben oder nicht damit umzugehen wissen.“
Narek nickt und sagt verbittert. „Das stimmt und ich, obwohl ich selbst ein Söldner bin, habe solches Tun mehr als einmal mit der einzig gerechten Strafe belohnt.“
„Du hast sie getötet?“
„Nein. Also vielleicht doch.“
„Was hast du denn gemacht.“
„Ich habe sie entmannt. Wenn sie nicht verblutet sind, hatten sie eine lebenslange Strafe. Sind sie verblutet, war ihr Tod langsam und schmerzvoll“, sagt Narek lapidar, fast so, als wäre er gar nicht dabei gewesen.
„Guter Mann!“, stößt Ableg hervor.
Narek aber vertreibt mit einem Kopfschütteln die dunklen Erinnerungen. „Was ich jetzt noch nicht sehe, warum wir nicht zu früh danken sollten.“
„Na ja. Ist eigentlich einfach. Wir haben keine Leute unter Waffen. Nicht so wirklich. Mutter könnte die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und euch anheuern wollen. Ihr seid nun einmal Söldner.“
„Aber dann könnten wir doch noch mehr danken. Meinst du, wir würden so über das Land reiten, wenn wir uns gerade vor Aufträgen nicht mehr retten könnten?“, sagt Narek lachend und selbst Wetoq nickt grimmig, um seine Zufriedenheit zu verbergen. Denn seine Idee scheint aufzugehen.
Ableg lacht erleichtert, wie es scheint. „Dann ist doch alles in weißen Tüchern. Wundervoll! Aber jetzt erzählt mir aus eurem Söldnerleben. Ihr müsst doch unendlich viele kleine Geschichten erlebt haben, die einer Erzählung wert sind!“
Narek lacht. „Ach herje... wo soll ich da nur anfangen? Na gut, also...“
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Fr 28. Okt 2011, 19:09, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Elehazaar
Kämpfer/-in
Kämpfer/-in
Beiträge: 927
Registriert: Mi 10. Aug 2011, 10:52

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Elehazaar »

25.
Johinzahin hält die Tür zu ihren Zimmern nur einen Spalt weit offen. Ihr Blick gleitet durch die große Empfangshalle hin zu ihrer Mutter, die in der Mitte der Halle steht und wie eine Dirigentin die herum huschende Dienerschaft kommandiert.
Schon früh am Morgen ist ein Bauersjunge angerannt gekommen und hatte nach Luft japsend mitgeteilt, dass zwei hohe Herren in der Nacht bei ihnen im Dorf in der Schenke eingekehrt sind. Mutter hatte die Nachricht nur mit einem Kopfnicken quittiert, dem Jungen ein paar Münzen gegeben und ihn dann in die Küche geschickt, wo er sich stärken sollte. Johinzahin ist der festen Meinung, dass die Botschaft für ihre Mutter nicht wirklich überraschend gekommen ist. Als ihre Mutter dann zu ihr gekommen ist, um ihr unmissverständlich mitzuteilen, dass sie sich heute heraus zu putzen habe, wusste Johinzahin sogleich warum. Das die Gäste der Graf von Himlaith und sein Sohn sind, ist nur noch die Bestätigung gewesen. Wieder nur ein Graf mit seinem Sohn als Freier. Aber nun gut. Es ist nicht das erste Mal und Johinzahin ist sich sicher, dass es auch nicht das letzte Mal sein würde. Nur einer mehr auf der Liste, dem sie ihre Meinung zum verheiratet werden sehr deutlich klar machen würde. Ein wenig tut ihr der Grafensohn sogar schon leid.
Tatsächlich ist aber auch eine Spur Neugier da, wie sich Johinzahin eingesteht. Der Graf und sein Sohn können keine gewöhnliche Adlige sein. Der Bursche aus dem Dorf hatte nur von den beiden gesprochen und kein Diener ist an der Tür zum Anwesen erschienen, um die Ankunft der beiden hohen Herrschaften zu verkünden. Johinzahin ist sich fast sicher, dass die beiden einfach auf der Schwelle gestanden hätten. Damit waren die beiden auf jeden Fall anders, als die üblichen Gäste, die Mutter sich einlädt, um ihre Tochter unter die Haube zu bekommen.
Trotzdem sollten sie gleich wissen, woran sie mit ihr waren. Hübsch hatte sie sich gemacht. Oh ja, und wie hübsch. Ihr Busen blickt wogend und hoch zusammengepresst aus dem eng geschnürten Mieder hervor, eingefasst von goldener Spitze. Als ihre Kammerzofe ihr das Haar in vielen, kleinen Locken hoch gesteckt hatte, damit sie es sich über die nackte, rechte Schulter hat legen können, hatte das Gesicht der jungen Dienerin die ganze Zeit über die gleiche Farbe wie ihr Kleid. Rot. Blutrot. Mit goldenen Spitzenabsätzen. Oh ja, sie hat sich hübsch gemacht, aber die weiße Jungfräulichkeit, die ihre Mutter dabei im Sinn gehabt haben muss, hatte sie vollkommen ignoriert. Natürlich sah sie nicht aus, wie irgendeine Dirne, aber ganz bestimmt strahlte sie alles, nur keine Unschuld in diesem Gewand aus. Auch wenn das auf den Körper darin zwar schon zutraf, aber wissen musste das ja erst einmal keiner.
Johinzahin löst den Blick von der Eingangshalle und sieht noch einmal an sich hinab. Sollen dem jungen Grafen und vielleicht sogar seinem Vater doch die Augen raus fallen. Sie würde sich nicht verheiraten lassen. Alles, was sie will ist, den beiden hinterher winken, wenn sie wieder davon reiten.

Aufbrandende Hektik lässt Johinzahin wieder durch den Spalt blicken. Ja, sie kommen. Die Diener stehen Spalier, als die beiden Adligen in ihren Reitsachen herein kommen und auf Salena von Geroteth zugehen. Nur unterbewusst nimmt Johinzahin wahr, dass sowohl der Graf von Himlaith, wie auch sein Sohn in gutes, strapazierfähiges Leder, wie Botenreiter, gekleidet sind und nicht in die unter Adligen sonst üblich samtenen Reitsachen. Viel zu sehr ist sie gebannt vom Anblick der beiden Gäste ihrer Mutter.
Graf Korack dürfte das dreihundertste Lebensjahr bereits überschritten haben. Kurzgeschorenes, grausilbernes Haar umschließt ein ovales Gesicht, das einen tiefen Ernst zeigt, aber Falten um die Augen beweisen genauso, dass der Graf gerne und oft lacht. Aber selbst der feingestutzte Vollbart verbirgt nicht eine tiefe Melancholie, die in dem Grafen lebt. Sein Körper ist immer noch schlank und rank und dürfte, auch wenn dies nicht offensichtlich ist, die Kraft eines jüngeren Mannes inne haben. Ein feiner Schauer durchläuft Johinzahin und sie kann den einen Gedanken nicht unterdrücken: ‚Was für ein Mann!‘
Die junge Adlige muss ihren Blick regelrecht von dem Grafen los reißen, um auch seinen Sohn zu mustern zu können. Während sie von der Begrüßung der drei nicht wirklich etwas mitbekommt, ist ihr Blick ganz auf den Grafensohn gerichtet. Terok von Himlaith ist seines Vaters Sohn. Die Gesichtszüge sind sich sehr ähnlich. Auch wenn er das hellbraune Haar halblang trägt und kein Bart sein Gesicht ziert. Er wirkt jung und fast unschuldig, aber selbst aus der Entfernung kann man eine Reife in den strahlend hellblauen Augen sehen, die für einen Grafensohn mehr als ungewöhnlich ist. Sein Körperbau ist athletisch und strahlt eine verführerische Stärke aus.
Johinzahin gesteht sich ein, dass Terok verdammt gut aussieht und einmal mehr tut es ihr schon ein wenig leid, dass sie tun muss, was getan werden muss, um ihre Freiheit zu erhalten. Sie gibt sich einen Ruck, denn es wird Zeit für ihren Auftritt. Energisch öffnet sie die Tür ganz und schreitet wie eine Königin hinaus und dann langsam die Treppen hinab. Nur mit einem Ohr bekommt sie mit, wie ihre Mutter sie den beiden vorstellt. Zu sehr hat sie ihre Beute vor Augen. Trotzdem merkt sie allein am Blick ihrer Mutter, als sie sieht, was Johinzahin angezogen hat, dass eine längere und vor allem laute Diskussion folgen wird. Es ist ihr in diesem Moment aber egal. Das wird erst passieren, wenn die beiden wieder verschwunden sind. Und bis dahin kann sie sich einen Schlachtplan überlegen, wie sie ihrer Mutter mit welchen Argumenten, so daher gezogen sie auch sein mögen, gegenüber treten kann.
Johinzahin rauscht weiter voran und bleibt in den angemessenen drei Schritten vor den beiden stehen. Zwei Schritt neben ihrer Mutter macht sie einen absolut formvollendeten Knicks, den sie auch hält, wobei der weite Rock ihres Kleides sich kreisrund um sie legt wie eine Lache frischen Blutes. Mit den Händen den Rock haltend senkt sie den Blick, aber nicht den Kopf, als sie den alten Grafen begrüßt. Ein kleiner, aber doch deutlicher Affront der Höflichkeit unter Adligen in ihrer Rangordnung. „Mein Graf. Ich freue mich, Euch im Hause meiner Mutter und meiner Familie begrüßen zu dürfen.“
Sie spürt den Zeigefinger des Mannes an ihrem Kinn und wieder läuft ein Schauer durch ihren Leib. Der aber vergeht ziemlich schnell, als ihr Gesicht angehoben wird und sie in die grauen Augen des Grafen blickt. Da ist nicht die Spur von Entsetzen über ihr Tun oder ihr Kleid, sondern vielmehr eine große Portion Amüsement. Zwar kann sie das innere Schnauben ihrer Mutter deutlich hören, aber mit Korack, ihrem von ihrer Mutter auserwählten Schwiegervater, läuft es überhaupt nicht so, wie es sein sollte. „So ein schönes Kind. Ihr dürft Euch glücklich schätzen, Salena.“
Johinzahin errötet und senkt wieder ihren Blick, trotzdem kann sie das erröten ihrer Wangen nicht verbergen, denn die samtig rauchige Stimme des Grafen schleudert einen erneuten Schauer durch ihren Leib. Sie kann es nicht verstehen. Der Mann ist viel zu alt. Wenn schon, dann bei seinem Sohn. Nein! Nein!, schreit es in Johinzahin. Die junge Galaterin reißt sich zusammen. „Ihr seid zu gütig, mein Graf.“ Sie sieht ihn wieder an und Korack erwidert ihren Blick ohne Irritation und auch ohne Blick auf ihr Dekolleté.
„Dann darf ich Euch meinen Sohn vorstellen. Terok, begrüß die Blume aus dem Hause Geroteth!“
Johinzahin sieht den jungen Grafen direkt an. Wieder ein Affront, aber nur ein feines, fast zufriedenes Lächeln umspielt die Lippen Teroks. „Gräfin! Es ist mir eine Freude, Eure Bekanntschaft zu machen. Eure Mutter stellte Euch als Johinzahin vor, doch es sei mir erlaubt zu sagen, dass dieser Name keinesfalls der Schönheit Eures Antlitzes entspricht.“
Johinzahin erwidert seine Worte mit einem leichten, sich geziemenden Erröten und einem gehauchten: „Danke!“ Das alles geschieht automatisch. Eine Routine, die sie in vielen Stunden eingeübt hat. Doch erschüttert Johinzahin dabei nicht, dass nicht nur der Alte Graf, sondern auch Terok das sofort erkennt. Etwas im Blick des jungen Grafen irritiert Johinzahin zutiefst. Als er ihr mit vollendeter Höflichkeit wieder auf die Beine hilft, trifft sie der Blitz der Erkenntnis bis ins Mark. Terok sieht sie mit ihren eigenen Augen an. Er will sie nicht. Er will dasselbe wie sie! ‚Und ich dumme Henne liefer ihm auch noch eine Vorlage nach der anderen, um sein Ziel zu erreichen!‘, schreit es in Johinzahin. Alle Gedanken, ihn los zu werden, sind mit einem Mal fortgewischt. ‚Wie kann er es nur wagen! Wie kann er sich das nur wagen!‘ In Johinzahin explodiert die Idee, dass sie es diesem Kerl zeigen würde. Er würde sie anbeten! Sabbern, sobald er nur an sie denkt. Und wenn er im Staub vor ihr kriecht, dann erst würde sie ihn mit einem sanften, aber deutlichen Tritt verstoßen.
Korack von Himlaith und Salena von Geroteth aber missverstehen die funkelnden Blicke, die ihre Kinder austauschen gründlich und sehen sich plötzlich mit Blicken voller Erleichterung und auch Zufriedenheit an – und mit noch etwas mehr, was beiden aber in dem Moment nicht bewusst ist. Einzig Johinzahins Mutter ist sich eines bewusst: Das auch ihr der Anblick des alten Grafen durch den Leib fuhr, wie es das nicht mehr getan hat, seit ihr verstorbener Mann, Johinzahins Vater, sie das letzte Mal mit diesem einen, gewissen Blick angesehen, der ihren Willen in die tiefsten Tiefen ihres Bewusstseins vertrieben und sie beide, wie das einfache Bauersvolk, in die Scheune auf das Anwesen getrieben hat.
Benutzeravatar
Elehazaar
Kämpfer/-in
Kämpfer/-in
Beiträge: 927
Registriert: Mi 10. Aug 2011, 10:52

Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Elehazaar »

Nareks Augen weiten sich. Er sieht weder Wetoq, noch Ableg, noch die große, prunkvolle Halle. Er sieht nur sie. Da ist sie. Endlich. So wunderschön! So rein! So unschuldig! – Na ja, in dem roten Kleid wirkt sie nicht wirklich unschuldig, aber er will sie hier und jetzt unschuldig sehen. Aber wer um alles in der Welt ist der Kerl, der ihm den Blick auf dieses Schönste aller Wesen dieser Welt verstellt? Warum muss Ableg jetzt sprechen? Der Moment ist doch perfekt – fast perfekt.
Ableg spreizt die Arme vom Leib, setzt sein schönstes Lächeln auf und ruft: „Familie! Wie schön, dass ihr auch Freunde mitgebracht habt. Ich habe auch welche mitgebracht. Wir können eine wunderbare Wiedersehensfeier feiern!“
Alle Köpfe rucken zu Ableg herum. Mit Johinzahin geht die auffälligste Veränderung vor. Ihre Augen weiten sich und plötzlich blitzt darin ein Erkennen auf und umgehend ein Hass, der Ableg zwei Schritte zurück machen lässt. Selbst Narek nimmt automatisch eine Abwehrhaltung ein, die Hand fällt auf seinen Schwertgriff, obwohl er das gar nicht will. Wetoq, dem der Blick gilt, bleibt ganz ruhig. Er bleibt es auch noch, als die junge Adlige einen wilden Schrei ausstößt, zur Seitenwand rennt und aus einem Korb ein Schüreisen hervor reißt, um damit auf Wetoq zu zurennen. Sie schreit noch immer, das Schüreisen hoch über dem Kopf erhoben. Erst als sie Wetoq fast erreicht hat, wird aus dem Schrei ein Wort. „Mörder!“

Narek schließt die Augen. Auch über ihn bricht es herein. Natürlich. Alles was vor nicht einmal fünf Jahren geschehen ist. Wie hatte er nur vergessen können, dass Wetoq von dem Mann angeworben worden war, der Johinzahins Vater umgebracht hat? Und wie hatte er verdrängen können, dass die Prinzessin einen Söldnerhauptmann auf jeden Fall wieder erkennen würde, der zu jenen Männern gehört , der sie entführt und festgehalten hat? Er steht erstarrt da, als hätte sein Geist seinen Körper verlassen. Er kann nur noch beobachten. Die Zeit vergeht langsamer. Jede Bewegung Johinzahins ist ins unendlich Langsame verzerrt. Gleich würde es geschehen. Er muss etwas tun. Er muss… muss. Doch der einzige, der etwas macht, ist Wetoq. Und selbst viel später würde Narek von diesem Moment sprechen, dass er den grobschlächtigen, oft brutalen Söldnerhauptmann so nie zuvor erlebt habe. Denn Wetoqs rechter Arm schnellt nicht zu seinem Schwert, sondern nach oben. Er fängt den Arm der Prinzessin und den auf ihn nieder fahrenden Schürhaken so ab. Mit dem anderen Arm hält er sie bei der Schulter und so auf Abstand. Mit stoischer Ruhe lässt er die Tritte gegen seine Schienenbeine über sich ergehen. Keine Spur von Gegenwehr. Nicht der Hauch einer Spur von Gewalt. Alles, was er wirklich macht, ist einen Ruf ausstoßen: „Prinzessin! Lasst ab!“

„Was ist hier los?“, schreit Gräfin Salena mit schriller Stimme und der Moment der Zeitlosigkeit vergeht.
Die Hände der beiden Grafen von Himlaith fahren zu ihren schmalen Säbeln hinab. Doch nur der alte Graf kann seine Waffe wirklich ziehen, denn Wetoq stößt die Prinzessin endlich von sich. Die junge Frau landet genau in den Armen Nareks, der seine Arme schützend um sie legen will, doch irgendwie hat auch Terok einen Schritt in Richtung Johinzahins gemacht. Der Grafensohn legt ebenso einen Arm um sie. Die beiden Männer sehen sich an. Ihre Blicke haben keine Zeit, Worte zu tauschen. Johinzahin ruft wild aus: „Lasst mich sofort los! Ich reiß ihm das Herz raus!“
„Was ist hier los?“, ruft jetzt auch Ableg.
Johinzahin befreit sich aus den Armen von Narek und Terok. Sie zeigt mit dem Schürhaken auf Wetoq. „Dieses Monster hat Vater umgebracht!“, schreit sie.
Die Augen Salenas werden wild. Ableg zieht sein Schwert. Narek seufzt. Terok zieht seinen Säbel. Die ganzen Bediensteten stehen starr vor Schock.
Wetoq wirft die Arme in die Luft. „Das stimmt so doch gar nicht!“
„Ihr habt mich verraten. Wollt ihr eurer blutiges Geschäft jetzt zu Ende bringen?“, ruft Ableg.
„Nein, das stimmt so doch gar nicht!“, ruft jetzt Narek.
Terok hebt seine Klinge unter das Kinn von Narek. Doch bevor der junge Graf von Himlaith mit dem Mund Worte formen kann, schlägt Narek wie beiläufig gegen die Schwerthand des Mannes und die Klinge wird ihm aus der Hand geprellt. „Lasst das!“, ruft Narek regelrecht beleidigt, während Terok der scheppernden Klinge verblüfft nachsieht.
Wetoq deutet auf Narek und Terok. „Lasst den Blödsinn und seht genau hin. Würden wir euch irgendetwas tun wollen, so hätten wir es tun können. Ja, ich war einer der Hauptmänner jener Söldner, die Johinzahin gefangen hielten. Unter dem Befehl von Fürst von Malinquor. Ja, es waren auch meine Söldlinge, die Graf Agoraq getötet haben, die all die Männer getötet haben, die Johinzahin befreien wollten. Wir sind Söldner, wir dienen jenen, die uns bezahlen und wir empfangen ihre Befehle. Habt ihr noch nie Söldner bezahlt, die die Schmutzarbeit für eure Politik gemacht haben?“
Johinzahin schreit auf. Sie rennt wieder auf Wetoq zu. Doch jetzt hält Ableg sie an der Schulter auf. „Lass sein, Schwesterherz. Der Mann hat doch Recht. Hätte Vater gewonnen, wäre Malinquor von seinen Söldner getötet worden, deren Familie, wenn er eine hatte, so handeln würden, wie du es jetzt willst. Der Hauptverantwortliche ist Tod, Josi! Vater hat seinen Frieden. Lass ihn dort auch ruhen!“
Johinzahin wird auch etwas ruhiger. Ableg scheint eine sehr seltsame Wirkung auf seine Schwester zu haben. Derweil steht Korack neben der immer noch wild dreinblickenden Salena. Er beschützt, hört zu, ist aber ganz ruhig.
Ableg deutet auf Narek. „Was ist mit ihm?“
Johinzahin sieht zu Narek. Dessen Augen weiten sich kurz unter dem Blick. Die junge Prinzessin aber sagt: „Den kenn ich nicht.“
Narek holt tief Luft. „Ich… war einer der Hauptleute der Söldner der Vampire, Prinzessin.“
Johinzahins Augen weiten sich einmal mehr. Doch Ableg verstärkt den Griff an ihrer Schulter. Narek hebt rasch die Hände. Terok macht einen Schritt von dem Söldner zurück. Narek lacht freudlos. „Himmel! Wir wollen wirklich nichts Schlimmes. Fassen wir es kurz zusammen. Wetoq hier hat mich ausgebildet. Wir haben uns irgendwann getrennt, weil ich meine eigene Truppe aufmachen wollte. Das klappte auch soweit ganz gut. Wir sahen uns nach Jahren eben bei den Vampiren wieder, wohin er Malinquor begleitet hat. Aber der Vertrag zwischen den beiden war ausgelaufen. Wohl genau in der Zeit, wo all das Schlimme dort passiert ist. So war er dem Fürsten nicht mehr verpflichtet, da dieser auch nicht mehr die Mittel hatte, um den Vertrag zu verlängern. Davon ab, hätte er das eh nicht mehr gemacht. Wir sind Söldner, aber wir sind wirklich keine Monster. Als ich erfuhr, wem ich wirklich diente, stellte ich meinen Männern frei zu fliehen. Verdammt, Johinzahin… Wetoq war dafür verantwortlich, dass die Tiere kamen, erinnert Ihr Euch? Sie halfen Euch und nicht alle Männer dort gingen gegen Euch, Eure Freunde und die Waldleute vor. Wir dienen keinen Vampiren. Denn diese sind Monster und nicht wir. Sie haben uns genauso betrogen, wie sie Euch Leid zufügten, denn wie Ihr wisst, standen sie hinter all dem, was Malinquor Euch antat. Euch, Eurem Vater und so Eurer Familie. Wir haben Ableg getroffen und das per Zufall. Er hat uns mitgenommen, damit wir Euch oder vielmehr Eurer Mutter dienen können.“
„Was?“, ruft Johinzahin perplex.
„Wieso?“, fragt Salena atemlos.
„Erzähl weiter, Narek!“, drängt Ableg.
Narek nickt dem Grafen zu. „Es ist… Zufall, dass wir jetzt hier sind. Wir sahen auf dem Weg hier durch die Lande marodierende Orks in den Wäldern. Noch mal, wir sind keine Untiere. Wir wollten Bescheid sagen und als wir Ableg hier gestern in einer Taverne trafen und sahen, dass er nicht einfach nur ein Bauer ist, erzählten wir ihm davon. Wir wussten doch nicht einmal, wer er wirklich ist. Und er sagte uns, dass es hier eigentlich niemanden gibt, der gegen Orks vorgehen könnte, wenn sie Ärger machen würden. Also will er uns in den Dienst nehmen. Das ist die Wahrheit!“ ‚So fast‘, fügt er in Gedanken hinzu. Aber groß ist die Lüge nicht und da sogar eine Menge Wahrheit darin ist, ist sie sehr, sehr gut. „Wir haben keine Anstellung zurzeit. Also wären wir frei, zu helfen, so es hier zu Problemen kommen sollte.“
„Marodierende Orks? Hier?“, fragt Salena jetzt entsetzt.
„Also auch hier mittlerweile“, sagt Graf Korack und lässt den Säbel endlich sinken. Wetoq wirft dem Grafen einen Blick zu, der tatsächlich so etwas wie Dankbarkeit ausdrückt. Wird dadurch die Geschichte Nareks doch legitimiert. Auch Johinzahin lässt den Schürhaken sinken. „Was bedeutet das alles? Ist irgendetwas im Gange?“
„Das ist nicht so einfach, junge Herrin“, antwortet der Graf. „Aber ich will es erklären. Soweit ich davon weiß, aber es ist eigentlich keine Geschichte, die eine so liebliche Frau, wie Ihr es seid, hören sollte. Doch ich denke, wo ich weiß, dass Ihr wahrscheinlich einmal dieses Land führen werdet, noch mehr, wo ich weiß, was Euch widerfahren sein muss, während ihr Eurer Heimat entrissen wart, so will ich erzählen, was ist und was Ihr alles wissen müsst. Denn bedenkt, diese Herren, so zweifelhaft ihre Reputation auch immer sein mag, es kann gut sein, dass Ihr sie brauchen werdet.“
Antworten