Das Erbe der Göttin

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Thorn La Fahr
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Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

„Hallo?“
Die Stimme vom Eingangsportal ist volltönend und trotzdem vorsichtig. Johinzahin würde sie trotzdem unter Hunderten sofort wiedererkennen. Noch bevor sie sich zum Eingangsportal gedreht hat, verlässt ein Name laut geschrien ihre Lippen. „Terbor!“ Dann fliegen nur noch ihre Röcke, als sie mit ausgestreckten Armen auf den Hauptmann der Gefährten zueilt und Freudentränen ihre Wangen hinab rinnen.
Johinzahin hat offensichtlich alles um sich vergessen. Terbor aber nicht, der mit etwas geweiteten Augen nicht nur der Prinzessin entgegen blickt, sondern auch die anderen in der Halle sieht. Vor allem sieht er eine Person, mit der er im Leben nicht gerechnet hätte. Nicht nur die in ihn einschlagende, junge Frau nimmt ihm aber die Sicht, sondern vor allem Kelg, der sie beide bei Seite drängt und brüllend auf Wetoq zu rennt. „Mörder!“
Dann kommt auch Wetoq wieder in Terbors Blickfeld. „Barbar!“, schreit der Söldnerhauptmann und rennt auf Kelg zu. Die beiden schlagen mit ungeheurer Wucht ineinander und liegen, aufeinander einschlagend, innerhalb eines Lidschlages auf dem Boden. Doch wieder wird sein Blick verstellt. Jetzt von den Gefährten, die rasch in die Halle eilen. Während er die weinende Johinzahin in einem Arm hält, versucht er mit dem anderen die Freunde aufzuhalten. „Nein!“, brüllt er, „keine Waffen!“
Doch die beiden Grafen ziehen bereits erneut ihre Waffen und nicht nur die beiden, sondern auch der andere Mann in der Halle, der Terbor irgendwie an sich selbst erinnert, als er jung und in dessen Alter gewesen ist. Noch bevor die Gefährten aber zu ihren Waffen greifen können, steht Zascht mitten in der Halle und wirft seine Kapuze zurück. Die beiden Grafen erstarren in ihrer Bewegung und panisch sehen sie zu dem Vicya. Etwas verwirrt Terbor der Ausruf des dritten Mannes. Das „nicht schon wieder“, passt irgendwie nicht ganz ins Bild und steigert die Verwirrung des Galaters noch mehr. Zum Glück fühlt er sich mit dieser Verwirrung aber nicht allein. Seine Freunde blicken verdutzt auf die beiden sich prügelnden Männer, auf die drei anderen, aber auch und nicht zuletzt, auf die Gräfin. Diese steht einfach nur da. Einer Marmorsäule gleich.
Dann scheppern die Waffen der Grafen zu Boden. Die Fassungslosigkeit in ihren Gesichtern hat einen Namen. Jubilierend und singend sirrt Trischa den Treppenaufgang hinab. „Schaaatzzz!“ Schon klammert sich die winzige Pixie an die Nase des Vicyas und bedeckt sie mit Küssen – vielen Küssen. Und Zascht lächelt.
Unverwandt branden die Stimmen aller auf und jeder versucht von dem anderen zu erfahren, wer hier eigentlich wer ist und was überhaupt gerade passiert. Wenigstens beteiligen sich die Diener nicht an dem Chaos. Auch die beiden Grafen stehen still und starr. Es ist nicht zu sagen, ob noch immer wegen des Vicyas oder jetzt wegen der Pixie. Oder ob der Tatsache, wie die beiden miteinander umgehen. Narek ist auch ganz ruhig. Aber er, der sowohl Zascht, wie auch Trischa schon gesehen hat, braucht sich an dem Geschreie nicht zu beteiligen. Er weiß, warum sie hier sind. Nur das sie ausgerechnet jetzt eintreffen mussten, passt ihm wenig. Trotzdem will er das heillose Durcheinander nicht auch noch vergrößern.
Das Chaos wird von einem schrillen, lauten und vor allem gebietenden Schrei durchbrochen. „Ruuuheee!!!“
Niemand anderes als die Gräfin Salena hat diesen Ruf ausgestoßen und jeder Laut verklingt in der Eingangshalle. Die Stille wirkt unnatürlich. Sogar Kelg und Wetoq verharren mitten in ihrer persönlichen Vergnügung und starren zu der Gräfin, die dort mit hoch rotem Gesicht und Feuer in den Augen steht wie ein Feldmarschall, der seinen Armeen bei einer Übung zusieht und überhaupt nicht mit dem Einverstanden ist, was sich unter seinen Blicken abspielt. „Johinzahin! Erklär mir sofort, wer diese Leute sind, die du ganz offensichtlich kennst!“
Johinzahin lässt umgehend Terbor los und macht sogar einen kleinen Knicks vor ihrer Mutter, denn sie weiß, dass bei dieser Stimme nicht mit ihr zu spaßen ist. Rasch stellt sie sich neben ihren Bruder. Die beiden greifen einander bei den Händen. „Ja!“, ruft die Gräfin, als sie ihre Kinder sieht, wie sie sie nur allzu oft in Kindertagen gesehen hat, wenn sie beide gemeinsam etwas angestellt haben. „Wir sprechen uns auch noch mein Sohn! Also! Ich höre.“
Während sich die junge Galaterin sammelt, steht weiterhin die Welt still, wie es scheint. Terbor erkennt neidlos an, dass selbst er wie ein einfacher Soldat vor seinem General stramm steht. Sofort empfindet er eine gehörige Portion Respekt vor der Gräfin.
„Ja, also“, stammelt Johinzahin, „das sind meine Freunde. Die, von denen ich dir immer erzählt habe. Die mich befreit, aufgenommen und mir geholfen haben, Vater zu rächen. Sie sind meine... unsere Ehrengäste, Mutter. Ich wusste nicht, dass sie kommen. Aber da sie jetzt hier sind, sind wir ihnen zu Dank verpflichtet.“
Der Kopf der Gräfin wandert umher, mustert jeden der Gefährten und ihr Blick wird etwas weicher. Die Ansicht von Zascht und Trischa scheint sie immer noch nicht so sehr zu erstaunen, aber als ihr Blick auf Rewo hängen bleibt, werden ihre Augen größer. „Was macht der Kaiap da?“
Rewo fährt herum. Der Morgenstern, den er schon in der Hand hält, fällt zu Boden. „Du kannst ihn wieder haben“, sagt er zu der Rüstung an ihrem Gestell an der Wand. Rewo hat zwar auch einfach geplaudert, als alle geredet haben, aber er hat seine Worte an die wirklich spannenden Personen auf den Wandteppichen und Bildern an den Wänden des Saals gerichtet, an die Büsten, die auf Podesten herum stehen und nicht zuletzt an die vielen Rüstungen, die den Saal zieren und ihm etwas Martialisches geben. Er geht mit ausgestreckter Hand auf Johinzahins Mutter zu, um sie zu begrüßen. „Ja, ich. Rewo mein Name, meine Dame. Du hast ein wirklich schönes Haus, muss ich sagen. Vielleicht können wir ja was tauschen? Ich hab wirklich tolle Sachen in meinem Sack.“
Gerade noch rechtzeitig kann Salena die mit Ringen an den Fingern verzierte Hand hinter dem Rücken verstecken. Rewo lächelt sie breit an. Die Reaktion kennt er. Es ist eine schöne Reaktion. Sie macht das Leben so viel spannender. Aber sein untrügliches Auge hat schon erkannt, dass da aufregende Glitzersachen an den Fingern der Frau sind. „Du bist toll, weil du Josis Mama bist. Josi ist eine echt Liebe und dann bist du bestimmt auch nett.“
Salena sieht auf Rewo hinab und dann zu ihrer Tochter und übergeht den Kaiap einfach, der nach einigen Augenblicken den Kamin entdeckt und schon darauf zueilt. In Asche lassen sich immer so tolle Dinge finden.
„Ich verstehe. Ich sehe ein paar eher ungewöhnliche Zeitgenossen und offensichtlich... war deine Geschichte wirklich wahr.“
„Mutter!“, ruft Johinzahin entsetzt aus. „Ich würde dich nie belügen!“
„Zumindest nicht was so was angeht. Was mich wirklich ein wenig beruhigt“, antwortet ihr ihre Mutter.
„Mutter!“, sagt jetzt Ableg. „Ich habe ihr immer geglaubt. Ich weiß wann Johinzahin mal ein bisschen kreativ wird. Aber doch nicht bei so was. Du hast doch wohl nicht geglaubt, dass deine Tochter einfach verschwindet und... Nein, das kannst du nicht geglaubt haben!“
Salena macht eine wegwischende Handbewegung. „Es ist nicht von Belang, was ich geglaubt habe. Ich sehe hier zwei Begleiter von dir, von dem einer sich mit einem von Johinzahins Freunden prügelt. Da sie sich offensichtlich kennen, muss es sich um ein Wiedersehensritual handeln, das mir nicht geläufig ist.“
‚Interessante Hand, die beiden gereicht wird, um eine Peinlichkeit zu vermeiden!‘, denkt Terbor und er sieht auch, wie Wetoq und Kelg verstehen. Sie sich sogar gegenseitig hoch helfen, den Kopf vor der Gräfin neigen und still vor sich hin bluten.
„Außerdem“, fährt die Gräfin fort, „sind hier Graf Korack und sein Sohn. Eigentlich nur Gäste. Deine Freunde fallen hier genau ein, als dein Bruder mit zwei Leuten kommt, die über marodierende Orks zu berichten wissen, von denen aber auch Graf Korack zu wissen scheint.“
„Was? Orks?“, unterbricht Terbor die Gräfin. „Wir sind auf diese Orks getroffen.“ Doch schon bereut Terbor seine Worte, als ihn der eisige Blick der Gräfin trifft. Salena nickt nur leicht, als sie in der folgenden Stille fortfährt. „Gut. Ich mahne ungern ein zweites Mal Ruhe an. Also wissen die Freunde meiner Tochter, auch Söldner, wie es scheint, von diesen Orks. Das ist wichtig für dieses Land. - Natürlich sind deine Freunde unsere Gäste, Johinzahin. Für das, was sie getan haben, aber auch wegen dem, was sie wissen“ Sie klatscht in die Hände und sieht die versammelte, stillstehende Dienerschaft an. „Was ist los, meine Herrschaften? Ihr könnt zählen, also richtet entsprechend Zimmer her und gebt in der Küche Bescheid!“
Als die Diener sofort in Bewegung geraten, ist sich Terbor sicher, dass die Gräfin selbst Halbtote noch davon überzeugen würde, in eine Schlacht zu ziehen. Er fragt sich kurz, wie viel Johinzahin da von ihrer Mutter mitbekommen hat.
Salena sieht in die Runde. „Wo das mit der Unterkunft geregelt ist, ich aber auch sehe, dass einige sich hier austauschen wollen, ich jetzt aber wirklich Informationen brauche, machen wir es wie folgt...“
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Mi 30. Nov 2011, 20:45, insgesamt 1-mal geändert.
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Moad
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Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Moad »

26.
Ist es Tag oder Nacht? Ver kichert lautlos in sich hinein. Es ist ohne Belang. Er weiß weder was Tag noch Nacht bedeutet, noch in welchem Zusammenhang sie mit den Begriffen hell und dunkel stehen. All dies sind Dinge aus einem Leben, an das er sich nicht mehr erinnern kann. Irgendetwas tief in ihm lässt Ver kurz Bedauern verspüren, doch bevor er sich klar werden kann warum, ist es auch schon wieder verschwunden, vergessen.
Er liegt zusammen gekauert in einer Ecke des Schweinestalls auf dem schlammigen Boden. Seine Kleidung hängt in schmutzigen Fetzen an seinem Leib und seine Stiefel sind ihm schon lange weggenommen worden. Wenn er sich bewusst wäre, dass er einen mehr als erbärmlichen Anblick bietet, dann würde er etwas dagegen unternehmen.
Vor geraumer Zeit hat sein Leib gezittert. Er wusste nicht warum, sondern nur das sein Leib es getan hat. Irgendwann hat er sich in den Schlamm gelegt und das Zittern hat aufgehört. Ob es gut ist oder schlecht weiß er nicht zu sagen. Es ist nur anders und so bleibt er einfach liegen.
Seine Kehle schmerzt. Das ist auch so ein Eindruck, der ihm nichts sagt, aber von dem er annimmt, dass es etwas bedeutet. Es ist vollkommen aus seinem Kopf verschwunden, dass er, seitdem man ihn hier eingesperrt hat, ununterbrochen geschrien und gebrüllt hat. Stundenlang. Vielleicht Tage. Solange bis seine Stimme den Dienst versagt hat und Ver nicht einmal mehr ein Krächzen heraus bekommen hat.
Seine Hände schmerzen. Er hat, solange er noch schreien konnte, mit seinen Fäusten gegen die Holzwände des Stalls geschlagen. Auch nachdem seine Stimme versagt hat, hat er weiterhin auf die Wände eingeprügelt. Bis seine linke Hand gebrochen ist. Danach hatte er nur den einen Gedanken gehabt, dass es recht sinnlos sei, mit nur einer Hand gegen die Wand zu schlagen. Seitdem liegt er einfach nur da, die linke Hand unbewusst schützend an den Leib gepresst, und er scheint sich voll und ganz auf das Atmen zu konzentrieren.
Ver steht an einem Fluss. Es ist weder ein Boden vorhanden auf dem er steht, noch ein Ufer, Böschung, Bäume oder ein Himmel. Es gibt nur Schwärze, ihn selbst und den Fluss. Ver weiß, dass der Fluss früher schnell aber vollkommen ruhig dahin floss. Jetzt ist er reißend. Wie in der Frühlingsschmelze oder nach einem tagelang anhaltenden Wolkenbruch. Auch fließt der Fluss nicht mehr ruhig. Unzählige große Steinbrocken und Felsen lassen das Wasser wild aufwirbeln, zu einer einzigen großen Stromschnelle werden. Auf dem wild fließenden Wasser kann er Blätter ausmachen. Unzählige Blätter, die vollkommen willkürlich durcheinander gewirbelt werden. Ver beugt sich nach vorne und versucht genaueres zu erkennen. Zunächst tut er sich schwer einzelne Blätter zu fixieren. Doch nach geraumer Zeit kann er Einzelheiten auf den Blättern ausmachen. Gesichter, Namen, Geschichten, ganze Bilder. Er versucht ein Blatt, auf dem ein Gesicht abgebildet ist, das ihm vertraut vorkommt, mit seiner Hand zu greifen. Aber er ist viel zu langsam, der Fluss zu reißend. Schließlich glaubt er die Lösung gefunden zu haben. Mit der linken Hand versucht er ein Gesicht zu erwischen und mit der rechten Hand den dazu passenden Namen. Ohne Erfolg. Dann versucht er dasselbe mit den Bildern und den dazugehörigen Geschichten. Aber immer wieder ist er zu langsam und der Fluss zu schnell. Mit einem tiefen Seufzer der Resignation setzt er sich an den Fluss und blickt traurig in die wilden Wasser. Er spürt mehr als das er es sehen kann, dass der Fluss immer weniger Wasser mit sich führt. Er wird dadurch nicht ruhiger, nur sehr schnell leerer. Ein Teil Vers empfindet Trauer, weil der Fluss bald versiegen wird. Der andere Teil, der sehr viel größer ist, ist aus irgendeinem Grund, den Ver merkwürdig findet, erleichtert, dass es den Fluss bald nicht mehr gibt.

Herzog Karak von Weißenwolf steht in hundert Schritt Entfernung von dem Gasthaus das ihm als Hauptquartier dient. Es ist kurz nach Sonnenaufgang und es verspricht ein ausgesprochen schöner Tag zu werden. Eine sanfte Brise lässt das kurze Gras zu seinen Füßen nur wenig hin und her wiegen. Der Herzog hat diesen Morgen dazu genutzt, seine prachtvolle Rüstung anzulegen. Für das ungeübte Auge mag es so aussehen, dass das auf Hochglanz polierte Metall und die unzähligen feinen Verzierungen, die natürlich immer wieder Wolfsschädel zeigen, einzig und alleine zu einer Prunkrüstung gehören, wie man sie so oft in den Hallen der Adeligen stehen sieht. Von Weißenwolf hat eine nicht unerhebliche Summe für diese Rüstung ausgegeben. Denn er wollte, dass sie genau so Aussieht, dass ein jeder denkt, dass er einfach ein weiterer, überheblicher Adeliger ist. Doch das Metall ist so oft gefaltet worden, immer wieder und wieder das sie eine Härte besitzt, die keine normale Rüstung aufweisen kann. Der dazu passende Helm, der die Form eines Wolfsschädels hat, liegt in seinem Zimmer. Heute Morgen zieht er nicht in den Kampf. Noch nicht. Aber seine Untergebenen sollten ihn so sehen. Sehen, dass dieser Moment ein Wichtiger ist und auf den noch viele Folgen werden.
Neben ihm steht die Baroness Myriella von Weidenar. Klein, zierlich, unglaublich schön aber kalt und ernst wie der Tod. Das Mädchen imponiert dem Herzog. Sie ist eifrig, vielleicht ein wenig zu ungestüm, aber ihr Herz ist am rechten Fleck. Leute wie sie sind es, die den Herzog Stolz auf seine Rasse machen und der Grund warum er dies alles tut. Zumindest ist es ein Grund, ein guter Grund.
Zerata steht einen Schritt hinter der Baroness und beobachtet alles mit klarem Blick und wachem Verstand. Es verwundert den Herzog ein wenig, dass die Baroness sich ausgerechnet diese Frau als Vertraute ausgesucht hat, aber immerhin ist sie eine gute Kämpferin und kein Mann wird es wagen sich unflätig in ihrer Gegenwart zu benehmen. So hat man ihm das zugetragen. Sein Blick fällt auf seinen treuesten Untertan und Freund Oriq von Wallau. Der Hauptmann steht vier Schritt von ihm entfernt, die Hände gelassen auf der Parierstange eines riesigen Schwertes ruhend, das mit der Spitze im Boden steckt. Von Wallau trägt ebenfalls eine Rüstung, aber nicht dieselbe, die er von früh bis spät trägt. Diese ist ebenfalls reich verziert, aber mit den Symbolen der Gerechtigkeit. Das Metall ist geschwärzt worden, damit die silbernen Symbole ganz besonders hervorstechen. Der Blick des Hauptmannes ist starr nach vorne gerichtet und nichts, rein gar nichts kann man in diesem Gesicht aus Stein lesen.
Um die vier ist ein Freiraum von etwa 15 Schritt Durchmesser. Diesen Kreis bilden die Galater aus dem Heer. Alle Galater die nicht anderweitig Dienst haben. Die Orks befinden sich im Lager. Der Herzog fand es nicht der Mühe wert, sie auch her bringen zu lassen. Zum einen sind sie nicht intelligent genug, um zu verstehen, was hier bald geschehen wird, und zum anderen ist es auch nicht notwendig.
Es kommt ein wenig Unruhe in den Kreis. Die Männer und Frauen rücken auseinander und geben bald den Blick auf einen Gefangenen und dessen Eskorte frei. Vier Männer führen die in Lumpen gehüllte Gestalt durch einen Gang aus Kriegern. Einzig das Gesicht des Gefangenen wurde gesäubert damit die Angehörigen des Heeres ihn auch erkennen können. Und das tun sie. Ein Rumoren und Getuschel geht durch die Reihen, das dem Herzog ein flüchtiges Lächeln entlockt. Die Wächter bringen den Mann in den Kreis und stellen ihn vor einem Hackstock, der als Richtblock dient. Von Weißenwolf hebt eine Hand, und das Getuschel verstummt langsam bis nur noch der leise Windhauch zu hören ist.
Dann spricht der Herzog. Er spricht nicht laut, aber dennoch dringt seine eindringliche Stimme selbst bis in das letzte Glied. „Treue! Gehorsam! Ehre!“ Er dreht sich langsam im Kreis. „Ihr alle wisst was das bedeutet. Was es euch kostet es einzuhalten, und was es euch kostet wenn ihr das nicht macht. Treue gegenüber seiner Rasse, seinem Schwur ihr gegenüber, und natürlich auch mir gegenüber. Gehorsam euren Vorgesetzten gegenüber, wie auch mir. Ehre, dies alles selbst unter den schlimmsten Bedingungen zu erfüllen. Der Lohn ist groß. Nicht nur das Gold, das ihr in den Händen hält. Nein, sondern vor allem zu wissen, dass man seinem Volk einen unschätzbaren Dienst erweist. Der Ruhm wird euch sicher sein.“ Er macht eine kurze Pause. „Sofern ihr nicht eidbrüchig werdet. Zu Verrätern werdet. Dieser Mann hier wurde zum Verräter. Zum Verräter an mir, an unserer Sache und vor allem an euch, seinen Kameraden!“ Das Tuscheln setzt wieder ein, eindringlicher diesmal. Der Herzog weiß sehr wohl, dass diese Worte bei den meisten nur Worte sind, die die Zeit füllen. Die wenigsten haben dieselben Ideale wie er oder von Wallau. Die meisten wollen nur eine geregelte Mahlzeit, regelmäßigen Sold und ab und an was zu plündern. Genau aus diesem Grund nutzt von Weißenwolf jede Gelegenheit die sich ihm bietet, um eine Ansprache zu halten. Diejenigen die bei ihm unter Sold stehen sollen wissen, wie er denkt und handelt. Und mit der Zeit wird sich seine Einstellung auch bei den anderen festsetzen. Er sieht kurz zu dem Gefangen. „Dieser Mann hat mit den Unreinen gemeinsame Sache gemacht. Dieser Mann stellt seine persönlichen Bedürfnisse über die unseren. Dieser Mann dient nur sich selbst und nicht der höheren Sache derer wir uns alle verschrieben haben. Dadurch hat er mich verraten, euch verraten und vor allem alle Galater auf unserer schönen Welt.“ Erneut macht er eine wohl gesetzte Pause. „Ihr habt die Anklage gehört. Wie denkt ihr sollte man den Mann bestrafen?“
„Tot! Tot! Tot!“
Der Herzog lächelt fein. Die meisten dürften schreien, weil sie den Kerl hassen. Andere brüllen weil ihre Freunde brüllen. Aber einige rufen, weil er, der Herzog, sie erreicht hat. Erneut hebt er eine Hand und die Stille kehrt schlagartig zurück. Der Herzog geht gemessenen Schrittes um die Wachen herum und bleibt vor dem Gefangenen stehen, zwischen sich nur noch den Richtblock. Er sieht dem Mann ins Gesicht. Der blickt nur teilnahmslos auf den Richtblock.
„Das Verbrechen wurde erläutert, die Anklage ausgesprochen. Hiermit verurteile ich, Herzog Karak von Weißenwolf, den Verräter Ver zum Tode. Möge er in einer anderen Welt von anderen Leuten Vergebung erfahren. In dieser Welt ist das nicht mehr möglich.“ Er nickt seinem Hauptmann zu und geht dann wieder langsam zu seinem Platz zurück. Oriq von Wallau gibt den Wachen ein Zeichen und zwei von ihnen zwingen Ver in die Knie und drücken seinen Oberkörper herunter, so dass sein Kopf auf dem Richtblock zum ruhen kommt. Ver lässt das alles ohne Widerstand geschehen. Er hat seinen Kopf seitlich geneigt und so kann der Hauptmann in sein Gesicht sehen, als er näher kommt. Von Wallau sucht sich einen sicheren Stand, packt das Schwert am Heft und schwingt es über den Kopf. Dort verweilt er einen Moment und in diesem Moment sieht der Hauptmann einen dankbaren Ausdruck in Vers Gesicht. Das Schwert saust nieder und mit dem Krachen von Knochen und Knorpel dringt das Schwert hindurch und trennt den Kopf Vers sauber vom Rumpf. Die Stille um sie herum ist vollkommen. Als der Kopf in dem Korb, in dem er aufgefangen wurde, zur Ruhe kommt tritt der Herzog vor um hineinzusehen. Die toten Augen Vers sehen zu ihm herauf und von Weißenwolf ist sich einen Augenblick sicher, dass sie ihn anklagend ansehen.
Zuletzt geändert von Thorn La Fahr am Mo 9. Jan 2012, 00:07, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Ailitha No Fahr »

27.
Sie sitzen um den massiven Eichentisch des kleinen Salons in bequemen Sesseln. Sie, das sind die Gräfin von Geroteth, der Graf von Himlaith, Wetoq, Terbor und Adirië. Der Duft von Tee und Gebäck liegt genauso in der Luft wie der von Tannenholz, das im Kamin vor sich hin prasselt. Die Hauptfarbe des Raumes ist das dunkle Braun des Eichenholzes, aus dem nicht nur der Tisch und die Stühle geschreinert sind, sondern auch die Regale. Sie sind vollgestellt mit Büchern und kleinen, wie großen Andenken aus fremden Ländern. Der tote Graf muss in seinem Leben weit herum gekommen sein. Auch hier hängen Ölgemälde an den Wänden. Langst verstorbene Ahnen der alten Familie von Geroteth.
„Wo wir also die Vorstellung hinter uns haben, sollten wir gleich damit beginnen, dass Euer und unser Wissen zusammengeführt wird.“ Salenas Blick fixiert Wetoq. „Am besten fangt Ihr an, Wetoq.“
Der Söldner verzieht das Gesicht. Nicht wegen der Worte der Gräfin, sondern wegen des mit Jod getränkten Tuchs, mit dem die Magd hinter Wetoq dessen aufgeplatzte Braue über dem rechten Auge abtupft. Das Auge selbst ist zugeschwollen. Die Haut darum herum leuchtet schon jetzt in den schönsten Blau- und Grüntönen. Wetoq öffnet den Mund nicht allzu weit. Nicht, weil seine Lippen noch immer blutig wären, sondern weil ein Schlag Kelgs seinen Kiefer so gut getroffen hat, dass ihn das Knirschen im Gelenk stört. Die Schmerzen ignoriert er einfach, da er sich in den letzten Monaten selten so gut gefühlt hat, wie jetzt in diesem Moment. Entsprechend ungewohnt leise und dumpf ist seine Stimme. „Eigentlich gibt es nicht wirklich viel zu erzählen. Narek und ich waren auf Reisen und als wir an den Grenzen des Landes ritten, fiel uns eine Gruppe von Orks auf. Normalerweise beachten wir Orks nicht wirklich. Es gibt genug Gutsbesitzer, die Orks als billige Arbeitskräfte einsetzen. Doch diese waren bis an die Zähne bewaffnet.
Als wir in einem Gasthaus für die Nacht einkehrten, trafen wir auf Euren Sohn, Gräfin Salena, und berichteten ihm davon. Denn Geroteth ist nicht dafür bekannt, Orks als Arbeitskräfte einzusetzen, und erst Recht nicht, sie unter Waffen zu haben. Unser Verdacht bestätigte sich wegen der Reaktion Eures Sohnes. Damit war für uns die Sache eigentlich erledigt. Doch Euer Sohn bestand darauf uns Euch vorzustellen und gegebenenfalls auch in Euren Dienst zu nehmen, so Ihr entschließen würdet, dass diese Orks eine Bedrohung sein könnten. So sind wir also hier.“
Terbor wirft Wetoq einen mehr als zweifelnden Blick zu. So viel Freundlichkeit von Wetoq? Nein, da muss viel mehr hinter stecken. Was er hier aber bestimmt nicht offen zugeben würde. Ein Gefühl sagt Terbor, dass Wetoqs Anwesenheit viel mehr mit ihm selbst zu tun hat. Wahrscheinlich sogar mit der ganzen Horde und nicht zuletzt mit Johinzahin. Zumindest wenn es um Narek geht. Terbor sind die Blicke, die der junge Söldner der Prinzessin zugeworfen hat, nicht entgangen. Doch wegen der Blicke hat er schon entschlossen erst einmal nichts zu unternehmen, denn sie waren anders als die Blicke, die Söldner normalerweise hübschen, jungen Mädchen zuwerfen. Gegen Schwärmereien hat Terbor nichts einzuwenden – solange sie höflich und anständig blieben.
Wegen seiner Gedanken bekommt er fast nicht mit, wie die Gräfin sich bei Wetoq bedankt und dafür Terbor ins Auge fasst.
„Nun, Terbor, Söldner und Freund meiner Tochter? Und auch Ihr, Adirië, was könnt ihr den Worten Wetoqs hinzufügen.“
Adirië sieht Terbor an. Ihr Blick fragt ihn nur, ob er anfangen möchte oder ob sie soll. Dass sie sich vor so etwas nicht mehr drückt, erfüllt Terbor mit Stolz. Er hat sie gut ausgebildet. Dass er sie Jahre nicht gesehen hat, in denen Adirië in der Gauklertruppe nicht stehen geblieben ist, vergisst er in diesem Moment. Er lächelt sie an. Mit einer einladenden Geste der Hand reicht er das Wort an sie.
Adirië lächelt Terbor an, setzt sich sehr gerade in ihren Sessel auf und beginnt zu erzählen. „Unsere Geschichte ist ein wenig Länger. Es begann damit, das Alathe und Elár auf ihrer Reise überfallen und Elár entführt wurde. Alathe, die den Angriff überlebte, konnte die Bande identifizieren. Es waren Orks unter der Führung eines gewissen Ver. Einem uns bekannten, nicht gerade beliebten Zeitgenossen.“
Die Gräfin nimmt sehr wohl wahr, wie Wetoq bei Nennung des Namens das Gesicht verzieht und durchaus überrascht ist. Doch rasch konzentriert sie sich wieder auf die Erzählung Adiriës.
„Sie waren nicht weit von Bezacht und da sie wusste, dass Terbor mit seiner Frau und noch anderen unserer alten Truppe dort lebte, ging sie natürlich zu ihm, um Hilfe zu bitten. Er gewährte sie ihr. Seltsamer Weise trafen zu fast dem gleichen Zeitpunkt auch mein Bruder, Kalina und ich in der Stadt ein. Obendrein auch Zascht, der Vicya, denn er ist im Schieferwald auf Renegaten getroffen, die den Frieden des Waldes verletzt haben.“
Terbor holt das Emblem mit dem Weißenwolfs hervor. „Das wurde bei den Renegaten gefunden.“
Der Blick des Grafen von Himlaith verdüstert sich. „Das ist das Wappen von Herzog von Weißenwolf.“
Wetoq runzelt die Stirn. „Das habe ich auch schon gesehen. Ja, natürlich. Bei den Orks.“ Dass er da viel mehr gesehen hat, vor allem auch reguläre Truppen des Herzogs, verschweigt er wohlweißlich, da das Fragen aufwerfen würde, ob er wirklich so zufällig hier ist.
„Dieselben Orks, die eben auch Elár entführt hatten“, sagt Terbor.
Die Gräfin hebt die Hand. „Eines nach dem anderen. Lasst Adirië erst zu Ende erzählen.“
Adirië trinkt einen Schluck und fährt fort. „Wir folgten den Spuren der Orks. Orkspuren sind kaum zu übersehen, so hatten wir es leicht. Nur leider waren wir nicht schnell genug. Sie hatten derweil einen Bauernhof überfallen. Einige der armen Leute dort getötet. Wir töteten einige der Orks, denn sie waren noch immer mit dem Morden und Plündern beschäftigt, aber es waren nicht alle der Meute. Von den Bauersleut, die wir retten konnten, erfuhren wir dann auch zum ersten Mal von Weißenwolf, da der Bauer das Wappen kannte.
Wir folgten ihnen weiter in den Südwesten und hinter Triefenbach konnten wir die Orks stellen. Wobei stellen nicht wirklich das richtige Wort ist. Es waren zu viele. Wir konnten keinen Angriff riskieren. Aber wir haben einen Vicya in unseren Reihen und der konnte Elár in der Nacht heimlich befreien. Mit der Hilfe von Nefrathi und Helofain. Den beiden Elben unter uns, die genau in dem Moment zu uns gestoßen sind.“ Adirië sieht Terbor an. „Also wenn man das mal zusammen fasst, sind das wirklich reichlich zu viele Zufälle auf einen Haufen. Als ob wir im wahrsten Sinne wieder zusammen geführt worden wären.“
Terbor hebt die Schultern. „Was soll ich sagen? Ich habe selbst keine Erklärung. Die Wege der Göttin sind unerklärlich und wahrscheinlich trifft es das noch am genauesten. Eine echte Erklärung werden wir wohl nie erhalten. Haben wir bis jetzt ja noch nie.“
Adirië nickt und sieht wieder zu der Gräfin. „Sei es, wie es sei. Wir waren jetzt Geroteth so nah, dass es sträflich gewesen wäre, Johinzahin nicht zu besuchen. Wir sind Freunde. Also machten wir uns auf den Weg. Davon ab sahen wir schon ein Problem mit diesem Weißenwolf. Jemand, der Ver in seinen Dienst nimmt, obwohl wir alle dachten, er sei tot, muss ein unangenehmer Zeitgenosse sein. Denn dieser Ver war einer der Schergen der Leute, die auch Eure Tochter entführt sehen wollten und mit ihr erheblich Schlimmeres vorhatten, als ich es hier nennen möchte.“
Das Gesicht der Gräfin wird eisern. „Ich weiß davon, Adirië, und es muss wirklich nicht mehr davon gesprochen werden. Allein weil Ihr alle sie vor diesem Schicksal bewahrt habt, wird mein Dank auf ewig Euer sein.“ Sie blickt den Grafen an und ihr Gesichtsausdruck wird ein gutes Stück sanfter. „Nun, mein lieber Freund, was habt Ihr dem Ganzen zuzufügen.“
Korack fährt mit dem Zeigefinger durch den fein gestutzten, silbrigen Bart. „Ich denke, ich muss jetzt sogar etwas weiter ausholen. Ich denke mal, Ihr alle kennt die Geschichte um die legitime Königin ganz Galats, Jahanzin. Sie wurde geliebt und hielt ein offenes, freundschaftliches Verhältnis zu allen Völkern dieser Welt. Doch sieben Herzöge, verblendet in ihrem Rassenhass, setzen sie ab und forderten Galat für die Galater und nur für die Galater. Das um jeden Preis. Die Geschichte ist verworren. Viel Mysteriöses und wenig Klarheit sind darin. Schon gar nicht über das Schicksal der Königin.“
Terbor und Adirië, auch Wetoq sagen nichts, nicken aber bestätigend. Salena von Geroteth sagt ruhig. „Ja, ich kenne sogar einiges der Geschichte. Vielleicht einiges mehr, denn mein Mann hatte das Blut der Königin in seinen Adern fließen.“
Terbor runzelt die Stirn. Er ist sich sicher, dass Johinzahin darüber nichts wusste. Zumindest damals nicht, als der Weg ihrer Vergeltung begann.
Korack sieht Salena erstaunt an. „Davon wusste ich nichts. Aber dadurch wird wohl auch klar, warum Eure Tochter entführt wurde. Der eine Grund, denn mehr als besonderes Blut fließt damit in ihren Adern.“
Wetoq reibt sich leicht das Kinn. Eine Braue erhoben.
Salena nickt leicht. „Ja, das war meinem Mann und mir auch sofort klar. Aber ich denke, das tut jetzt nichts zur Sache. Was hat das mit Weißenwolf zu tun?“
„Das ist eigentlich recht einfach. Der Herzog von Weißenwolf ist zwar nicht aus der direkten, aber aus einer indirekten Linie dieser sieben Herzöge entsprungen, die die Königin damals stürzten und leider ist er im Sinne dieses Nationalismus und Rassenhasses erzogen worden. Sein Ziel ist es eindeutig, Galat von allen Alten Völkern zu befreien, wie er es wohl nennt. Und wenn das nur durch ein Waten in Strömen von Blut möglich ist, hat er keinerlei Skrupel so vorzugehen. Er wird die Waffe sogar selber schwingen. Leider kommen bei ihm noch zusätzlich einige Faktoren hinzu. Seine Ländereien sind reich und groß. Seine Geldmittel gewaltig. Er ist ein strategischer Denker ohne Skrupel und hoch intelligent. Er verfolgt seine Ziele akribisch und pflegt sie zu verwirklichen. Dabei geht er nicht nur über die Leichen der Alten Völker, sondern auch über die seines eigenen Volkes, wenn es sein muss.“
„Wieso nimmt er dann Orks in seine Dienste?“, fragt Wetoq.
Korack zuckt mit den Schultern. „Sie sind günstig, es gibt viele und wer soll ihn aufhalten, wenn er sein Ziel erreicht hat, dann auch die Orks als Dank auszurotten? Orks sind leider in der Regel nicht klug genug, solche Gedankengänge nachvollziehen zu können. Sie dienen dem, wer sie füttert.“
Wetoqs Kiefer knirschen kurz. Er nickt. „Ja, verstanden. Klug und skrupellos. Darauf wäre nicht einmal ich gekommen und mein Ruf ist zu Recht nicht der Beste. Was macht er hier? Ich habe von ihm gehört, ja, aber viel mehr als den Namen kenne ich nicht. Seine Ländereien liegen ein gutes Stück von hier weg.“
„Leider nicht weit weg genug, fürchte ich“, sagt der Graf. „Der Herzog hat damit begonnen, sein selbst gestecktes Ziel zu verwirklichen. Er hat Truppen ausgehoben und Söldner, wie auch Orks angeworben und sein Heer ist... riesig. Ich habe es selbst schon gesehen, denn es wälzt sich in unsere Richtung.“
Der Graf fixiert die Gräfin. Salena blickt entsetzt zu Korack. „Ja, meine Teuerste. Es sieht viel Schlimmer aus, als Ihr wohl glaubtet. Diese Orks sind nur die Vorboten eines Sturmes. Eigentlich hätte ich überhaupt nicht kommen dürfen. Aber ich sah ein, dass ich, wenn in meiner Abwesenheit der Herzog an meinem Land steht, ich nichts, aber auch gar nichts tun kann. Ich gab den Befehl, dass wenn es so sein soll, jeder, der sich nicht einem solchen Mann unterwerfen will, fliehen soll. In die Richtung, die bleibt, nach Nordwesten. Letztendlich hier her. Aber Ihr, Salena, seid wie ich. Auch Ihr habt versucht mit den Alten Völkern zusammen zu leben, wo sich ihre und Eure Lebensbereiche berühren. Damit seid auch Ihr ein Erbfeind des Herzogs. Noch mehr, wo in eurer Familie das Blut der Jahanzin fließt. Und es würde mich nicht wundern, wenn das sogar einer der Gründe, wenn nicht sogar der Hauptgrund ist, dass er in diese Richtung zieht. Auch wenn ich nicht weiß, wie er wissen kann, dass das heilige Blut in dieser Familie hier fließt.
Liebe Salena. Wir müssen mit dem schlimmsten rechnen. Denn selbst wenn meine Untertanen fliehen, hier her kommen und wir uns verbünden, haben wir nicht annähernd die Macht, uns Weißenwolf entgegen zu stellen. Aber wenigstens können wir dann die Hoffnung haben, unter den geringstmöglichen Verlusten am Leben zu fliehen. Auch wenn ich nicht weiß, wo das Land sein soll, in dem wir vor Weißenwolf sicher wären.“
Salenas Entsetzen wird immer größer, ihre Augen feucht. Ihr Mund steht leicht offen, während ihre Lippen beben. „Was können wir tun?“, fragt sie mit erstickter Stimme.
Da sagt Terbor: „Gräfin. Ihr habt unsere Gruppe gesehen. Wir leben, was die Königin einst verkörperte und wir haben schon einmal gegen etwas wirklich Böses gefochten und gewonnen, als wir Euren Mann rächten und Eure Tochter vor einer ewigen Bedrohung durch Vampire befreiten. Ich weiß, ich spreche hier nicht nur für mich. Aber selbst wenn der Graf Recht behalten sollte und sich keine uns bekannte Macht Weißenwolfs Heer entgegen stellen kann, so wollen wir alles tun, um ihn aufzuhalten, Euch, Eurer Familie und Euren Untertanen die Flucht zu ermöglichen und den Herzog lehren, dass er sich nicht ungestraft nehmen kann, was er will!“ Terbors Augen werden groß, als ihm bewusst wird, was er soeben gesagt hat und seine Gedanken fliegen rasch zu Isondra und seinem ungeborenen Kind. An sie beide muss er auch denken. Dann aber wird ihm bewusst, dass er dadurch auch seine Familie beschützt, denn Weißenwolf wird in Geroteth nicht Halt machen. Er wird weiter ziehen und im Nordwesten liegt Bezacht. Isondra würde niemals unter einem solchen Herrn leben können. Genauso wenig wie er.
So bekommt er den mehr als dankbaren Blick der Gräfin nicht mit und auch ihre Worte dringen kaum an seine Ohren, als ihn die Sehnsucht nach seiner Frau übermannt. „Ich danke Euch, Terbor. Euch und den anderen. Den Freunden meiner geliebten Tochter. Doch viel mehr als Unterkunft, meinen Dank und einer Entlohnung vermag ich nicht zu bieten.“
„Das ist mehr als genug“, hört Terbor Adirië sagen und er nickt nur. Erst als Wetoq das Wort ergreift, kommt er mit einem Schlag in das Hier und Jetzt zurück.
„Narek und ich würden Euch ebenfalls bei Seite stehen. Wenn der Preis stimmt.“
Terbor sieht Wetoq mit zusammen gekniffenen Augen an. „Du warst dabei, als die Prinzessin gefangen gehalten wurde. Du warst dabei, als Malinquor floh. Vielleicht warst du sogar dabei, als sie entführt wurde. Du glaubst doch nicht, dass wir dir jemals vertrauen würden.“
„Aber Terbor“, sagt Wetoq und er schafft es irgendwie, ein wenig beleidigt auszusehen. „Gerade du weißt, wie das in unserem Geschäft läuft. Malinquor hat mich bezahlt. Der Kontrakt gilt, bis er ausläuft!“
Terbor fährt auf. „Als du gesehen hast, was Malinquor diesem armen Mädchen angetan hat, spätestens, als du begriffen hast, dass auch er nur das Werkzeug von Vampiren ist, hättest du den Vertrag brechen müssen!“
Wetoq schüttelt den Kopf. „Du hast gut reden. Sowas magst du machen, aber ich habe keine Freunde, die mir Kost und Logis bieten können, die mir auch in tiefster Wildnis ein annehmbares Leben geben können. Ich brauche das Geld. Und wird nur einer von uns Vertragsbrüchig, wird er nie wieder angeworben werden. Nicht, wenn sich ein Werber nicht darauf verlassen kann, dass er nicht allein dasteht, wenn er etwas macht, was seinen Söldlingen nicht gefällt. Das ist gegen den Kodex der Söldner und du hast ihn gebrochen!“
Adirië fährt auf. Doch Terbor legt ihr rasch die Hand auf die Schulter und drückt sie zurück in den Sessel. „Ruhig. So gesehen hat er Recht.“
„Aber für Monster zu arbeiten, davon steht nichts in dem ungeschriebenen Kodex der Söldner!“, braust sie auf.
„Ruhig, meine Süße.“ Die Dolche, die Adirië ihm mit den Augen zuwirft, ignoriert er. „Als Malinquor mich verlassen hat, habe ich ihn nicht mehr unterstützt. Und als ich merkte, dass es mit den Werwölfen heiß her ging, wurde auch mir unwohl. Als ich aber bemerkte, dass es hier um Vampire ging, habe ich mich geweigert, den Vertrag, der glücklicherweise ausgelaufen war, zu verlängern. Und damit habe ich genau nach den Regeln gespielt. Wer mich bezahlt, dem bin ich ergeben. Bis in den Tod oder bis der Vertrag endet und wenn er endet, muss er neu ausgehandelt werden. Ich ließ Malinquor liegen. Die Kleine war doch dabei. Sie hat euch doch davon erzählt oder?“
Adiriës und Terbors Gesichter verdunkeln sich, aber sie nicken beide.
Wetoq lächelt, verzieht aber das Gesicht, als die Magd den Moment nutzt, um ihm etwas von der Wundsalbe auf den Mundwinkel zu tupfen. „Also? Wo liegt dann das Problem?“
Die Gräfin hat das Gespräch aufmerksam verfolgt. Sie steht auf und geht zu einem Schrank in dem Raum. Sie öffnet ihn und holt einen Lederbeutel raus. Es klimpert, als sie ihn zu Wetoq trägt und noch mehr, als sie ihn vor ihm auf den Tisch fallen lässt. „Damit also würdet Ihr mir gehören?“, fragt sie mit vollkommen ruhiger Stimme.
„Ihr solltet Eurer Geld nicht so offen gelagert halten“, sagt Wetoq und öffnet dabei den Beutel.
„Was ich mit meinem Geld mache, ist meine Sache, nicht wahr Wetoq? Ich vertraue meinen Bediensteten.“
Doch Wetoq hört sie gar nicht richtig. Er hat große Augen bekommen, als er in den Beutel geblickt hat. Er holt eine Münze hervor. Sie ist aus Gold und allein wegen seines Blicks werden die anderen Münzen in dem Beutel aus keinem anderen Material sein. „Damit, meine Gräfin gehöre ich Euch. Von mir aus bis ans Ende meines Lebens!“
„Ich will auch Euren Gefährten!“, sagt die Gräfin.
Wetoq grinst anzüglich. „Ich wusste, da ist ein Haken.“
Salena macht eine wegwerfende Handbewegung. „Ruhig. Ich will wissen, wie lange Ihr und Euer Gefährte mir dienen werden dafür.“
Wetoq wiegt den Beutel. „Ein Jahr und ein Tag.“
„Mit einer Option auf eine Verlängerung?“
Der Söldner nickt. „Auf jeden Fall.“
Die Gräfin sieht zu Terbor. „Ihr mögt ihm immer noch nicht trauen, aber ich kann ihm dann vertrauen?“
Terbor gefällt es nicht wirklich, was für eine Entwicklung das Ganze gerade nimmt, aber eine Lüge steht außer Frage. Durch zusammen gepresste Lippen zischt er: „Ja, das könnt Ihr wohl, Gräfin von Geroteth.“
Salena sieht wieder zu Wetoq, spuckt sich in die Hand und hält sie Wetoq hin. „Dann ist es abgemacht!“
Der Graf beginnt zu lachen, als er das sieht. Adirië und Terbor schauen verdattert drein. Mit einer solchen Reaktion der Gräfin hätten sie im Leben nicht gerechnet. Auch Wetoq blickt die Adlige verblüfft an, dann aber schlägt er ein, steht auf und verneigt sich. „Abgemacht! – Herrin!“
Korack ruft lachend. „Es scheint noch nicht lange her zu sein, meine Liebe, dass ihr einem armen Bauern einen alten Gaul aufgeschwatzt und dabei ein richtig gutes Geschäft gemacht habt.“
Die Gräfin entzieht ihre Hand der Pranke Wetoqs, dreht sich um und lächelt den Grafen an. „Lasst mir meine Geheimnisse, Graf. Frauen brauchen diese.“ Dabei setzt sie sich wieder an ihren Platz und sieht die drei anderen an. „Also, meine Herrschaften. Ich will keinen offenen Krieg zwischen Euch. Damit das klar ist. Ihr arbeitet für mich.“ Sie sieht Terbor an. „Und auch Euch werde ich das entsprechende Gold geben. Seid Euch dessen gewiss.“
Adirië knirscht mit den Zähnen, nickt aber. Terbor wirft Wetoq einen langen Blick zu, der den ungerührt erwidert. Als er wieder zur Gräfin sieht, ist sein Blick ruhig und Entschlossenheit ist alles, was in seinen Augen zu lesen ist. „Einverstanden, Gräfin. Aber wir dienen Euch wirklich aus Liebe zu Johinzahin. Es geht hier auch um ihre Zukunft und wir können nicht nur dabei stehen, wenn ein ganzes Land bedroht wird.“
Salena lächelt. „Ehrenhafte Gründe, aber Wetoq hat Recht. Von irgendwas werdet auch Ihr leben müssen und ich glaube kaum, dass Ihr immer hier sein werdet, wo natürlich ich für Eure Unterkunft und Versorgung sorgen werde!“ Sie strafft sich und sitzt kerzengerade da. „Also? Ich bitte um Vorschläge. Was müssen wir tun, was können wir tun? Ich gebe zu, dass mir jetzt gerade mein Mann, die Herrin möge ihn sanft zu sich genommen haben, schmerzlich fehlt. Also begebe ich mich in Eure Hände. Das aber voller Vertrauen.“ Dabei sieht sie vor allem Korack an und legt sogar die Hand in seine. Das entgeht den anderen dreien nicht und auch nicht der Magd, die sanft lächelt und einmal mehr Wetoq einen Grund gibt, das Gesicht zu verziehen.
Terbor räuspert sich und beginnt zu lächeln. „Ich denke, wir müssen mehr wissen und sollten deswegen Späher aussenden. Wir haben da gleich einige, die das in die ein oder andere Richtung hin können.“
„Wir sollten Helofain und Zascht schicken. Aber gemeinsam. Ich denke, sie sind beide den Umgang mit normalen Galatern nicht so sehr gewöhnt, dass sie jeweils allein unterwegs sein sollten“, sagt Adirië.
Terbor nickt leicht.
„Aber sie sind doch lange mit Euch umher gewandert oder?“, fragt die Gräfin mit leicht verwirrtem Unterton in ihrer Stimme.
„Das ist schon richtig, Gräfin. Aber wir sind auch nicht unbedingt normale Galater. Auf jeden Fall sind wir nicht die einfachen Bauern, Handwerker und Händler, die hier leben. Und es ist meist so, dass eher diese mit den beiden ein kleines Problem haben. Bei Zascht ist es kein Wunder, weil er ein Vicya ist. Helofain aber ist – anders. Es ist schwer zu beschreiben und Ihr solltet ihn besser selbst kennen lernen.“
„Auf jeden Fall wird der Vicya alles von den Leuten erfahren, wenn er nur die Kapuze herunter nimmt“, sagt Wetoq.
„Das ist nicht Zaschts Art!“, ruft Adirië wütend dazwischen.
Graf Korack lacht leise. „Aber, aber! Nur ruhig Blut!“
Adirië funkelt auch ihn an.
Der Graf wendet sich an die Gräfin und sagt amüsiert: „Diese junge Dame hat Feuer.“
Salena nickt leicht, nimmt den Blick aber nicht von Adirië. „Ja, das hat sie und ich glaube so langsam zu wissen, woher meine Tochter so Manches hat, was ich vorher nicht an ihr entdecken könnte.“
Adiriës Wangen röten sich leicht. Wetoqs breites Grinsen ist laut in der folgenden Stille. Terbor räuspert sich leicht. „Ich denke, wir müssen alle einander noch näher kennen lernen. Auf jeden Fall werden die beiden die Gegend erkunden, damit wir früh genug gewarnt sind. Außerdem werde ich mich bei den Leuten umhören, wer von ihnen schon mal eine Waffe getragen hat, oder wer sich zutraut, eine kurze Ausbildung an ihr zu erhalten. Ich fürchte, wir könnten das bald nötiger haben, als wir es uns wünschen.“
Der Graf nickt leicht. Selina von Geroteth seufzt leise, senkt den Kopf kurz, nickt dann aber. Leise sagt sie: „Ja, ich fürchte auch. Und es ist besser wir sind zu viel, als zu wenig vorbereitet. Was auch immer dort kommen mag. Auch wenn ich fürchte, dass das die Leute in Angst versetzen wird, wenn hier zu einem Kampf gerüstet und vorbereitet wird.“
„Das wird es. Aber die Gerüchte über ein Heer haben sehr viel schnellere Beine, als jedes Heer der Welt. Wenn die Leute sehen, dass etwas getan wird, dann beruhigt es sie am Ende jedoch mehr. Wir können davon ausgehen, dass niemand oder zumindest nur wenige in Panik verfallen und Hals über Kopf fliehen. Was uns ja auch selbst noch geschehen kann“, sagt Terbor und sein Augen suchen das blasse Gesicht der Magd, die noch immer die Wunden Wetoqs durch die Schlägerei mit Kelg versorgt. Trotzdem sind ihre Ohren auf der Gespräche der Fünf gerichtet. Als sich ihre Augen treffen, werden die Wangen der Frau rosig.
Selina schluckt, nickt dann aber wieder. „Das macht Sinn. Aber ich möchte nicht, dass das Wort Flucht noch mal fällt, solange es unausweichlich scheint. Ich will dieses Land nicht zurück lassen. Meine Wurzeln sind hier.“
Korack nickt leicht. „Meine sind es in meinem Land. Aber ich bereite mich innerlich darauf vor, auch wenn es mir lieber wäre, meine Gebeine würden ruhen, wo ich geboren wurde und aufgewachsen bin.“
Der Blick, den die Gräfin und der Graf dann austauschen, gefällt Terbor gar nicht. Er nimmt sich fest vor, einen Blick auf die beiden zu haben.
„Ist die Elbe von euch nicht Heilerin? Da wäre es doch gut, wenn sie so was wie ein Lazarett in einem Stall einrichten würde und ein paar Kräuterfrauen zur Hilfe um sich sammelt. Alle Dorfgemeinschaften haben so Frauen“, sagt Wetoq in dem Moment.
Terbor nickt sofort. „Das ist eine gute Idee!“, gibt er ein wenig mürrisch zu. „Ich werde mit ihr reden und sie hat dann auch was zu tun, wo ihr Gefährte erst einmal eine Weile unterwegs sein wird.“
„Und wenn wir schon alles auf einen bewaffneten Konflikt ausrichten, so wenig wir ihn wünschen, aber so wahrscheinlich er wohl ist“, Adirië scheint dies sehr bewusst zu sagen, um gerade die Gräfin immer wieder auf das hinzuweisen, was aus den, wenn auch spärlichen Informationen, zu schließen ist, „sollte Kalina sich die nächste Schmiede schnappen und wir lassen verlauten, dass alle, die Waffen oder waffenähnliche Werkzeuge haben, sie sie zu ihr bringen sollen, damit sie auf Vordermann gebracht werden.“
„Wir haben eine Schmiede im Hof“, sagt Selina.
„Dann sollten wir diese auch nehmen“, sagt Terbor. „Das Anwesen wird für alle Leute der generelle Anlaufpunkt sein und für uns unser Hauptquartier.“
Die Fünf am Tisch nicken. Graf Korack von Himlaith sieht dann in die Runde. „Ich denke, wir werden uns in dieser Zusammenstellung in Zukunft regelmäßig treffen. Im Moment sollte das alles sein. Es gibt viel zu verdauen, viel nach zu denken und überstürzen müssen wir zum Glück nichts.“
Salena von Geroteth erhebt sich. „Vor allem müssen sich unsere Gäste erst einmal einrichten. Wollen bestimmt baden und wenn der Abend gekommen ist, so soll beginnen, was wirklich nötig ist – das einander kennen lernen.“
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Re: Das Erbe der Göttin

Beitrag von Thorn La Fahr »

„Vorsicht! Vorsicht!“ Rewos Rufe hallen durch die weite Eingangshalle. Dabei hüpft der Kaiap die Treppen, die ins Obergeschoss führen, auf und ab und um den Diener herum, der Rewos großen Sack über eine Schulter trägt. Der Diener behält Rewo derweil immer mit zumindest einem Auge im Blick. Er will sicher gehen, dass der Kaiap nicht ausgerechnet an ihm seinem Ruf gerecht wird, und er irgendetwas verliert, das sich dann bei Rewo wiederfindet.
Rewo und der Diener sind nicht die Einzigen, die geschäftig in der Halle herum und die Treppen auf und ab eilen. Ein halbes Dutzend Diener bringen das Gepäck der Gefährten hinauf und in die mittlerweile vorbereiteten Zimmer.
Rewo bleibt verdutzt stehen. Das „Vorsicht!“ erstirbt auf seinen Lippen, als er einen funkelnden Strassstein an einem der großen Kerzenständer entdeckt, die die Treppe in regelmäßigen Abständen zieren und den Weg hinauf und hinunter auch am Abend gefahrlos gangbar machen, so die dicken Kerzen auf den Spitzen der Ständer entzündet sind. „Oh, ist der schön!“ Mit flinken Fingern fährt er über den facettenreichen, klaren Stein, den kunstvolle Hände wahrscheinlich aus Bergkristall gefertigt haben. Rewos Fingernägel aber können nicht die üblichen, kleinen Ritze entdecken, die normalerweise immer noch da sind, wenn ein solcher Stein in etwas eingelassen wird. Der Kaiap runzelt die Stirn. Der Diener und sein Sack sind ganz weit nach hinten in seinem Geist gerutscht. Der Diener hat nichts gegen diese Entwicklung einzuwenden. Während Rewo in seinem Tun versunken eine Ritze sucht, die einfach da sein muss, bringt der Mann den Sack mit schneller gewordenen Schritten hinauf und in das Zimmer, das für Rewo vorgesehen ist. Ein Zimmer wohlweißlich, dass fast vollständig den Luxus vermissen lässt, die die Zimmer der anderen Gefährten aufweist. Zumindest ist nicht wirklich viel darin, was sich ohne größeres Aufsehen bewegen lässt. Trotzdem ist dort vor Ort noch der Zimmermann des Anwesens damit beschäftigt, das massive Bett am Boden fest zu nageln.
Derweil aber liegen zwei Augenpaare auf Rewo, die dessen Tun unbewegt, ungerührt gar, beobachten.
„Er hat sich nicht verändert“, sagt Helofain.
„Nein“, sagt Zascht. Kurz überlegt der Vicya und fügt: „Nicht merklich“, hinzu.
Helofain wendet seine klaren Augen von Rewo ab und fast blitzt so etwas wie Überraschung darin auf. Er sieht seinen alten Kampfgefährten und Freund direkt an. „Aber du. Du bist gesprächig geworden.“
Auch Zascht lässt den Kaiap Kaiap sein. Die Blicke der Männer treffen sich. „Ich lebte lange bei den Mari. Sie reden viel.“
„Dir ist es gut ergangen?“
Zascht nickt.
„Das freut mich für dich.“
„Es war eine gute Zeit im Wald. Ich habe viel gelernt. Chri war... sehr freundlich zu mir.“
Der Hauch eines wissenden Lächelns spiegelt sich im rechten Mundwinkel Helofains wider. Er legt dem Freund die Hand auf die Schulter. „Ich wusste immer, dass auch für dich einmal die Sonne scheinen würde.“
„Es war angenehm dunkel und kühl in den Tiefen des Schieferwaldes. Die Zelte und Hütten aber warm und weich“, sagt Zascht.
Ein jetzt deutliches Lächeln zaubert sich auf Helofains Gesicht. „Mein Herz singt!“
Der Vicya legt den Kopf einen Hauch zur rechten Seite. „Will Nefrathi ein Kind von dir empfangen?“
„Ja?“
„Ist sie?“
„Nein. Es ist noch viel Zeit.“
Zascht nickt. „Alles Gute! Möge nie ein Laut euren Weg bedrohen.“ Und dann lächelt der Vicya.
Helofain neigt dankbar den Kopf. „Danke!“
Reila, eine wirklich junge Magd, die mit einem Staubwedel bewaffnet gar nicht anders kann, als dem Gespräch der beiden zu verfolgen, während sie zum fünften Mal hintereinander den Panzerhandschuh einer der Rüstungen in ihrem Ständer in der Halle abwedelt und somit vom wirklich letzten Staubflusen befreit, sieht den beiden verwirrt nach, als sie die Diener weiter die Sachen schleppen lassen und selbst die Halle nach draußen hin verlassen. Sie ist sich mit der Klarheit einer Frau sicher, dass die beiden sich in den wenigen Worten viel, sehr viel mehr erzählt haben, als sie es mit ihren Ohren gehört hat. Eine fast überwältigende Neugier bemächtigt sich Reila. Sie beschließt umgehend, ihren Freundinnen im Haus davon zu erzählen, denn es müssen einfach zwei unglaublich interessante Geschichten dahinter stecken. Zwei Geschichten, über die sie und ihre Freundinnen sich während der langen Wintermonate noch würden hinreichend austauschen können, um diese Zeit mit süßem Schmachten zu verzieren, wenn sie nur herausfinden könnten, worum es darin geht.
So in Gedanken versunken bemerkt sie nicht, als sie die Treppen hinauf in die oberen Gemächer geht, um dort weiter abzustauben, wie Rewo an ihr vorbei huscht. Sie bemerkt weder das leichte Glitzern in der Hand des Kaiaps, noch bemerkt sie sein kurzes Innehalten. Selbst das Fehlen des leichten Drucks des Gürtels um ihre Hüfte bemerkt sie nicht. Und auch nicht die grinsenden Gesichter der Knechte, die die Sachen in den Zimmern los geworden sind und ihr jetzt entgegen kommen, um weitere zu holen. Die Spitze, die das weiße Leinen ihrer Bruche ziert, wird so immer sichtbarer – und noch sehr viel mehr wird alsbald sichtbar. Erst ein doppelter Schrei aus Reilas Mund kündet davon, dass ihre Gedanken wieder in das Hier und Jetzt zurückgekehrt sind. Zum einen ist es der Schrei der Überraschung, als ihr Rock endgültig den Halt auf ihren Hüften verliert, zu Boden rutscht, sich dabei um ihre Beine wickelt und die junge Magd sich undamenhaft auf dem Fußboden des Zimmers wieder findet, das sie gerade betreten hat. Zum anderen ist es ein Schrei von Scham, als sie feststellt, dass sie doch erheblich mehr von sich zeigt, als es die guten Sitten und die Erziehung Reilas zulassen wollen. Doch ihre Schreie, ihr zartes Fluchen und ihre Versuche, ihre Blöße zu bedecken, gehen im Gelächter der Knechte unter, die Zeugen ihres Missgeschicks geworden sind.
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