Eine Hexe mit Geschmack

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Thorn La Fahr
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Eine Hexe mit Geschmack

Beitrag von Thorn La Fahr »

Das haben Eltern nun davon. Warum machen sie ein sechstes Kind, wenn doch ein Ahn in der Familie als Held den bösen Magier tötete und der ihn übel verfluchte im Moment seines Todes? Da haben sie nun ein untotes Mädchen und es gibt natürlich nichts Besseres, als es in den Keller zu sperren und ab und an zu füttern. Einen Namen braucht es natürlich auch nicht. Bis halt die Grausige Edna kommt, sie frei kauft und zur Hexe ausbildet. Zu einer guten Hexe. Das sie untot und deswegen so gut wie untötbar ist und sie einen recht großen Appetit auf rohes Fleisch hat, ist dabei kaum ein Problem, denn auch gute Hexen sind seltsam, verworren und unberechenbar. Außerdem lebt sie mit ihrer Meisterin abgelegen und einsam. Ein richtig großes Problem aber ist, dass sie wunderschön ist und das geht bei einer ordentlichen Hexe natürlich gar nicht. Der Aufwand, dies zu verbergen, ist immens.
Alles ist wunderbar, bis zu dem Tag, an dem ihre Meisterin ermordet wird. So macht sich unsere junge Hexe auf, um Rache zu üben. Sie wird dabei von ihrem dämonischen Entenvertrauten Molch begleitet. Später stößt noch der absolut ehrenhafte und loyale Troll Gwurm dazu. Auch ihr Besen spielt immer mehr eine Rolle und selbst der erhält den Namen Penelope.
Als sie zu einer neuen Menschensiedlung kommt, lässt sie sich erst einmal nieder, denn eine untote Hexe hat Zeit. So nutzt sie die Zeit, um zu lernen. Überhaupt mit Menschen umzugehen. Doch bald wird die Siedlung angegriffen. Zum Glück kommt der weiße Ritter Wyst aus dem Westen rechtzeitig vorbei, um das größte Unglück zu verhindern. Hinter dem Angriff und dem Mord an ihrer Meisterin steht derselbe Magier. Also machen sich die Hexe, ihre Begleiter und der Weiße Ritter Wyst auf, das Übel ein für allemal auszulöschen. Doch die Hexe stellt bald fest, dass sie ein immenses Verlangen nach dem Ritter entwickelt. Und das gleich in doppelter Hinsicht... .

Hätte mir jemand das Buch gegeben, ohne Einband, ich hätte nicht einmal erkannt, dass es ein Martinez ist. Waren die Bücher von ihm, die ich bisher gelesen habe, auf gewisse Weise alle vergleichbar, ist das bei eine Hexe mit Geschmack nicht wirklich möglich. Dass die Geschichte dabei aus der Ich-Perspektive erzählt wird, sollte eigentlich eines der auffälligsten Merkmale sein, jedoch muss ich gestehen, dass mir das erst im dritten Kapitel aufgefallen ist. Ist halt doch nicht mein erstes Buch in diesem Stil. Man gewöhnt sich halt an alles.
Nein, es ist was Anderes. Die Martinez-Romane, die ich bisher gelesen habe, hatten immer ein gemeinsames Merkmal: Eine hervorragende, vor Ideen platzende Geschichte, bei der man auf jeder Seite einen Brüller hatte. Lachen ist Pflicht und dabei umfasst sie die gesamte Palette des Humors. Diesmal ist es anders. Richtig lachen kann man selten, öfter schon schmunzeln, aber zum absolut größten Teil ist es schwärzester Humor, der aber auch eher wir garnierend gestreut ist. Aber das ist nur logisch. Wenn die Hexe aus ihrer Sicht Dinge erzählt, die einem eigentlich den Magen umdrehen, die sie aber natürlich, da sie nur ihre Meisterin und sonst nichts, außer ihrem Hunger nach frischem Fleisch und ihrer so arg unmöglichen Schönheit kennt, dann redet man darüber auch anders. Der Kontrast des was erzählt wird, was man dabei aber im Kopf hat, ist einfach wundervoll und man grinst schon des Öfteren ziemlich bösartig, wenn mal wieder was zerfleischt, abgerissen oder verdorben wird.
Dann die Geschichte. Die Geschichte ist diesmal nur ein Rahmen. Sie ist zwar erneut wirklich gut, aber eigentlich besteht das Buch aus gerade mal sieben Abschnitten und das ist für einen Martinez lächerlich wenig.
Für mehr wäre aber auch gar kein Raum gewesen, denn es geht in dem Buch nur um eins: Die Hexe, ihre Begleiter/Freunde und Ritter Wyst. Man kann es durchaus als Charakterstudie bezeichnen, aber dafür ist alles viel zu gefühlvoll und auch sehr melancholisch geschrieben. Ich will damit nicht sagen, dass in den anderen Büchern von Martinez seine Charaktere zu kurz kämen oder unterentwickelt wären, aber dort entwickeln sie sich durch und in der Geschichte, wie es bei 99% aller Fantasyromane der Fall ist. Hier aber entwickeln sie sich durch und in sich. Losgelöst von der Geschichte, könnte und will ich sagen. Viel mehr durch die anderen Charaktere beeinflusst, als durch das Geschehen.
Ich bin bekennender Eddingsfan und 90 von 100 seiner Fans werden sagen, dass die Geschichte in seinen Büchern zwar gut, aber nichts Herausragendes ist. Was einen Eddings ausmacht, sind die Charaktere. Wie sie sind, wie sie sich entwickeln und wie sie miteinander umgehen. Und das habe ich bei keinem anderen Autor in der Art je vorher oder nachher gelesen. Nach Eddings Tod war ich der Meinung, dass ich das auch nie wieder tun würde. Bis zu diesem Roman. Und... so wie ich zu Eddingsbüchern nur wundervoll sagen kann, kann ich das auch hier. Selbst Penelope der Besen hat mehr Charaktertiefe, als mancher Hauptheld bei anderen Autoren. Von ihrem entendämonischen Vertrauten und dem Troll Gwurm will ich da gar nicht erst sprechen. Sie sind einfach toll.
Natürlich steht an erster Stelle die Beziehung von der Hexe zu Ritter Wyst. Wie sich in ihr Gefühle für ihn entwickeln und immer mehr und mehr, sie auch auf seiner Seite sichtbar werden und sie einen unstillbaren fleischlichen Hunger nach ihm entwickelt. Und das in doppelter Hinsicht, was das Ganze doch recht... brisant macht. Und wenn die Hexe doch so unendlich gern an seinen Ohren knabbern würde, bekommt es eine große Bedeutung. Es ist die Geschichte des Entdeckens der Liebe, aber so anders, so aufregend neu und doch bekannt und nachvollziehbar erzählt, wie ich es kaum für möglich gehalten hätte zu lesen. Die beschriebenen Gefühle sind dabei absolut glaubwürdig.

Man kann das Rad nicht neu erfinden. Alle Autoren, die ich bisher gelesen und versucht haben, die Fantasy neu zu erfinden, wirkten mehr als gezwungen und sind meist kläglich gescheitert. Zumindest hat es nicht geklappt. Martinez erfindet die Fantasy nicht neu. Will er auch nicht. Aber er erzählt von und über Charaktere, wie man es zumindest sehr selten lesen darf. Das auf wundervolle, glaubwürdige und sehr gefühlvolle Art, ohne dabei seinen Humor und auch nicht die Geschichte zu vergessen. Eine Hexe mit Geschmack ist einfach anders und dabei sau gut!

Fazit:
Wunderschön! ... ... Zu wenig? Na gut. Also, will man mit eine Hexe mit Geschmack Martinez kennen lernen, wird man sich bei allen anderen Büchern von ihm wundern, bis man feststellt, dass eben die Hexe anders ist. Der Martinez-Kenner wird sich wundern und dann muss man das Buch nicht unbedingt mögen, da es anders ist. Wenn man es nicht mag, wenn es primär um Charaktere geht und nicht um die Geschichte, ist das absolut OK. Aber ansonsten wird man mit einem etwas anderen Fantasyroman belohnt. Ich selbst bleibe bei nur einem Wort für eine Hexe mit Geschmack: Wunderschön!
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