Die Netuna

Setzt dich, Wanderer und trinkt einen Met mit mir. Geschichten willst du also hören und Wissen erlangen von dem, was lebt und steht in diesen Landen? Zu hören wünschst du von den Völkern, die schon immer lebten hier auf Balapur. Dann solltest du aber wissen, dass es keine eingeborenen Völker gibt auf Balapur, da sonst die Alten Völker ihnen nicht die Lande genommen hätten, die ihre waren seit jeher und immerdar.
Du schmunzelst? Ich sehe schon, ganz unbedarft bist du nicht, in dem Wissen, das wir hier erlangt haben, seit unsere Füße diese Welt betraten und wir so mehr herausfinden konnten, als jede Beobachtung aus der Ferne es möglich machen kann. Nun, dann lausche meinen Worten.

Schon immer hat es geheißen, dass es kein eingeborenes Leben auf Balapur gab und gibt. Doch wer Augen zum sehen und Ohren zum hören hat, wird vielleicht andere Schlüsse ziehen. Schlüsse sage ich, denn Beweise wirst du nicht finden mein Freund und wenn du sie fändest, so glaube ich, dass du nie mehr in Lande kämst, wo zu berichten dir es möglich wäre.
Ich empfehle dir, gehe einmal in die Tavernen in den großen Häfen aller Küsten, setze dich und trinke einen guten Tropfen und öffne deine Ohren. Lausche! Und wenn du es vermagst Garn von Wahrheit und Erlebnis von Traum zu unterscheiden, so wirst du vielleicht folgendes aus den Geschichten heraushören und dir wird auffallen, wie sehr sich die Berichte und Geschichten ähneln – zu sehr ähneln, als das es übliches Seemannsgarn sein könnte.

Dort wirst du hören können, wie die Seeleute über ein Volk berichten, das sie selbst Netuna nennen. Und allein dieses Wort, welches in der allgemeinen Sprache unbekannt ist, ist schon ein Hinweis, dass es sich hier nicht um ein reines Hirngespinst handeln kann. Jaja, spitze deine Ohren mehr, ich sehe die Neugier in deinen Augen leuchten. Wie sie aussehen, willst du wissen? Nun, dann lass dir sagen, dass alle, wirklich alle, die glauben Netuna gesehen zu haben, folgendes darüber zu sagen haben.
An Galater erinnern sie, wenngleich auch ein wenig kleiner, als Wesen auf zwei Beinen, mit zwei Armen, einem Leib und einem Kopf. Doch soll ihre Haut grünblau sein und das Schimmern des Meeres soll darauf liegen. Kein Haar soll sich an ihren Körpern befinden, aber sollen sie so etwas wie Flossen haben. Und zwar an ihrem Rückgrat, hinten an ihren Beinen und den Armen. Auch auf dem Kopf soll so seine Flosse sein, die wie eine Sichel aussieht und auch ihre Ohren ähneln diesen eher, als dass sie wie Ohren aussehen, die wir kennen. Sie können an Land atmen wie wir, aber auch Kiemenöffnungen sollen an ihren Hälsen sein, die sie unter Wasser leben lassen. Zwischen ihren Fingern und Zehen könntest du vielleicht feine Hautlappen finden, die ihnen das vorankommen im Wasser noch mehr erleichtern würde. Blaues Blut soll in ihren Adern fließen. Aber die größte Besonderheit an ihnen, sollen ihre Augen sein. Denn tief wie die Meere sind sie und es heißt, dass jeder, der zu tief in diese blickt, von ihnen verschlungen wird, ihnen folgt und niemals zurückkehrt.
Von exotischer Schönheit sollen ihre Frauen und auch Männer sein. Viele Geschichten ranken sich um Liebe, die entbrandet ist zwischen Frauen und Männern des Landes und diesem Volk der See. Doch niemals kam je einer zurück, der von seiner Liebe hätte berichten können.

Ob sie nackt seien, willst du wissen? Weil du sonst nicht verstehen könntest, wie man solchen Wesen verfallen könnte? Nun, mein Freund, viele andere Verführungen gibt es, als nur die, eines nackten Leibes. Lass dir dies gesagt sein. Aber doch will ich versuchen, auf deine Frage zu antworten. Es heißt, dass sie früher keine Kleidung kannten, bis jene nach Balapur kamen, die Galat verließen. Erst ab da sollen sie ihre Lenden mit einem Gespinst aus Tang des Meeres umgeben haben und doch soll es noch viele ihrer Sippen geben, die ganz auf diese spärliche Kleidung verzichten.

Wie sie leben willst du wissen? Wo ich von Sippen spreche? Eine Frage, die selbst alles Seemannsgarn aller Häfen nicht beantworten kann. Wir wissen nicht, ob sie Städte auf den Böden der Meere haben oder irgendwo auf einsamen Inseln oder gar in verzauberten Grotten und Höhlen. Aber immer wirst du hören, dass niemals einer der Netuna allein angetroffen worden ist. Das es immer drei und mehr gewesen sind, die man sah oder besser glaubte zu sehen.

Ja, glaubte zu sehen, denn es heißt auch, dass sie ihre Körper verschwimmen lassen könnten, so dass nur der Hauch einer Silhouette ihrer selbst zu erkennen sei. Aber ob dies Arkanen Mächten in ihnen zugrunde liegt oder eine einzige Fähigkeit ihres Volkes ist, vermag niemand zu sagen.

Nach Waffen fragst du nun und ob sie kriegerisch sind? Waffen und sogar Rüstungen will man bei ihnen gesehen haben. Waffen aus dem, was das Meer zu bieten hat, wie auch die Rüstungen. Aus bearbeiteten Korallen oder geschnitzten Knochen großer Fische. Ob dies die Überreste dessen sind, was sie sonst brauchen vermag aber niemand zu sagen. Denn niemand kann sagen, von welchen Früchten des Meeres sie überhaupt leben und ob sie zum Beispiel überhaupt trinken müssen.
Ob die Netuna aber aggressiv sind, kann ich nur mit einem klaren Nein beantworten. Alle Geschichten sprechen von ihrer Lieblichkeit und ihrem inneren Frieden, den sie sogar auf andere ausstrahlen können. Keine Gewalt ging je von ihnen aus, wenn sie auf einen der Völker der Lande trafen.
Natürlich aber ist das nur die eine Seite, denn wenn sie ein Schiff auf hoher See überfallen sollten, so wird von diesem wohl niemand zurückkehren, um davon zu berichten. Doch glaube ich fest daran, dass es genug andere Gefahren auf hoher See gibt, egal ob das Wetter, Monster oder Völkerschaften, die selber dereinst hier her übersiedelten.

Wie sie nun aber organisiert sind. Ob es Führer gibt, wie diese strukturiert sind, ob es vielleicht sogar ganze Staaten und einen König der Netuna gibt, all das weiß niemand und wird vielleicht auch niemals einer erfahren. Auch nicht, ob dort die Frauen oder Männer herrschen oder beide gemeinsam. Vieles wird man vielleicht nie erfahren. Woran sie glauben, wenn die glauben. Ob sie die Arkanen Künste kennen oder sogar beherrschen, ob es wirklich Wesen des Landes gab, die zu ihnen gingen aus Liebe, wie sie wirklich gesinnt sind und wie sie über uns denken; über uns, die hier her kamen. Denn eines haben wir noch nicht gelernt: Ihre Sprache zu verstehen, die wie ein Keckern und Fiepen klingt und der unsrigen vollkommen fremd ist.

Du siehst, mein Freund, es gibt vieles zu sagen und doch ist es wenig. Mythen ranken sich um die Netuna und nichts von dem, was ich sagte, vermag ich zu beweisen. Aber wenn dich deine Füße vielleicht einmal auf eines der großen Schiffe tragen, die über die großen Weiten der Ozeane gleiten - wer weiß, vielleicht siehst du sie und siehst dann mit eigenen Augen manches bestätigt, von dem ich dir hier erzählt habe.
Deswegen sagte ich: Nutze deine Augen zum sehen und deine Ohren zum hören.
Ich danke dir für diesen Met, mein Freund!